|51|Kapitel 2
Digitale Medien
Abbildung 6: Smartphone-Besitzer 2012 bis 2016 (JIM-Studie 2012 – JIM-Studie 2016; aus MpFS, 2016, S. 23, Angaben in Prozent)
Die Brisanz und Aktualität der Themen „Medienkompetenz“ und „Cybermobbing“ wird deutlich, wenn man die aktuellen Ergebnisse des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (MpFS) betrachtet. Dieser erhebt in regelmäßigen Abständen sowohl den Medienumgang von 6- bis 13-Jährigen (KIM-Studie), als auch den der 12- bis 19-Jährigen (JIM-Studie) in Deutschland. In beiden Alterskohorten besitzen Kinder und Jugendliche immer häufiger ein eigenes Handy oder Smartphone. Während bei den 6- bis 13-Jährigen „nur“ jeder Zweite (51 %, n = 632) ein eigenes Mobiltelefon besitzt, verfügt in der Altersgruppe der 12- bis 19-Jährigen nahezu jeder Jugendliche (95 %, n = 1.200) über ein eigenes Smartphone oder konventionelles Handy. Die Zunahme der Smartphone-Besitzer über die vergangenen fünf Jahre ist in Abbildung 6 dargestellt. Hervorzuheben ist, dass es nahezu |52|keine Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt (MpFS, 2016, 2017). Damit hat fast jeder Jugendliche ab 12 Jahren die Möglichkeit, das Internet von Zuhause aus zu nutzen, entweder über das eigene Smartphone/Handy oder über Laptops, Computer oder Tablets (vgl. MpFS, 2016). Die Hauptinteressen der Kinder und Jugendlichen sind zwar immer noch Themen wie Fernsehen, Freunde treffen, Sport treiben oder Unternehmungen mit der Familie, allerdings geben 42 % der Kinder an, täglich ein Handy oder Smartphone zu benutzen (MpFS, 2017). Bei Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren sind es bereits 92 % (MpFS, 2016).
Während bei Jugendlichen im Jahr 2006 die tägliche Onlinenutzung noch bei 99 Minuten pro Tag lag, hat sich dies zehn Jahre später mehr als verdoppelt und liegt bei einer täglichen Nutzungsdauer von 200 Minuten. Bei Kindern beträgt diese in etwa 40 Minuten pro Tag (MpFS, 2017). Eine aktuelle Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e. V. (2017) unterstützt diese Befunde, da auch sie zeigen konnte, dass der durchschnittliche Internetkonsum bei Schülerinnen und Schülern zwischen 9 und 20 Jahren bei drei Stunden pro Tag lag (Abb. 7).
|53|In einer Studie von Knop, Hefner, Schmitt und Vorderer (2015) wurde unter anderem qualitativ in Einzelinterviews und Gruppendiskussionen untersucht, welche Risiken mit einer erhöhten Handy- bzw. Internetnutzung verbunden sind. Dabei wurden einige Formen von Cybermobbing (vgl. Abschn. 1.3) sowie andere soziale Auswirkungen deutlich. Viele Kinder und Jugendliche gaben dabei an, dass sie das Handy unachtsam nutzen, unüberlegt Daten von sich preisgeben oder sich vermehrt von Hausaufgaben ablenken lassen. Dabei stimmen die Ergebnisse mit anderen Befunden überein, die besagen, dass die Anzahl der erlebten Risiken mit zunehmendem Alter der Kinder ansteigt. Hervorzuheben ist, dass vor allem diejenigen, die Online-Angebote über das Handy/Smartphone nutzten, ein erhöhte Wahrscheinlichkeit für alle Risiken aufwiesen (Knop et al., 2015). Weitere Ergebnisse sind in Abbildung 8 dargestellt.
Soziale Medien und Netzwerke sind demnach für fast alle Kinder und Jugendliche ein wichtiger Bestandteil ihres alltäglichen Lebens und nicht mehr wegzudenken. Es gehört für die meisten Kinder und Jugendlichen mittlerweile zum Alltag, sich selbst, die eigenen Interessen, aktuelle Emotionen sowie (soziale) Beziehungen mit anderen zu teilen und ihnen dadurch mehr Ausdruck zu verleihen (Wagner, 2017). Die qualitativen Interviews von Knop und Kollegen (2015) verdeutlichen, dass nicht alle Jugendlichen den Einfluss der digitalen Medien und besonders des Smartphones ausschließlich als positiv wahrnehmen. Sie berichten selbst, dass sie sich schlechter konzentrieren könnten und sich dies vor allem negativ auf die Schule sowie auf das Erledigen von Hausaufgaben auswirke (Knop et al., 2015). Es scheint, als hätte das Smartphone eine Priorität erreicht, die alle anderen Dinge und Aktivitäten in den Hintergrund rücken lässt und eine Art „Nutzungsdruck“ auf die Kinder und Jugendlichen ausübt.
Die sozialen Netzwerke werden von Kindern und Jugendlichen entweder für funktionale oder emotionale, aber auch für soziale Zwecke genutzt. Der größte Teil der Jugendlichen nutzt sie, um sich zu verabreden oder zur Kommunikation mit anderen (Eichenberg & Müller, 2017; MpFS, 2016). Dabei hat nicht jeder Nutzungsgrund einen solch funktionalen Sinn, da viele Kinder und Jugendliche Mitglied der sozialen Netzwerke sind, „weil es alle machen“ (Bündnis gegen Cybermobbing e. V., 2017, S. 77) und dadurch ein sozialer Druck entsteht. Einem kleineren Anteil der Jugendlichen sind die Personen des sozialen Netzwerkes wichtig oder sie nutzen es, um neue Freunde zu finden (emotionale Gründe). Das virtuelle Leben ist ein wesentlicher Teil ihres realen Lebens geworden. Daher ist es fraglich, ob man realistischerweise zukünftig eine Trennung der beiden „Erlebenswelten“ vornehmen oder ob man sie als eine integrative Einheit betrachten sollte. Für einige Personen bieten soziale Netzwerke eine Ausflucht aus einem unzufriedenen Leben. Generell scheint es so, dass die Ausbildung der eigenen Persönlichkeit und Identität sowie eines Selbstwertgefühls bei einigen Jugendlichen stark von den sozialen Medien beeinflusst wird (Bündnis gegen Cybermobbing e. V., 2017; Eichenberg & Müller, 2017; Shapiro & Margolin, 2014; von Salisch, 2014).
|54|Abbildung 8: Erlebte Risiken der Kinder (eigene Darstellung modifiziert nach Knop et al., 2015, S. 149)
Anmerkung: *n = 321–500 Kinder: teils nur Befragung der Kinder mit internetfähigem Handy sowie zu einigen Inhalten nur die Gruppe der 11- bis 14‑Jährigen.
Die Jugendlichen können sich in den sozialen Medien austesten, herausfinden wie sie bei anderen ankommen oder sich komplett neu erfinden und sich so darstellen, wie sie gerne sein würden (vgl. Shapiro & Margolin, 2014; Wagner, 2017). |55|Dies ist vor allem der Fall, wenn ihnen Anerkennung im realen Leben fehlt und dies in der Online-Welt kompensiert wird. Das Bündnis gegen Cybermobbing e. V. (2017) weist darauf hin, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Jugendlichen angibt, dass er ohne seine Freunde im Internet komplett alleine wäre. Sie vermerken auch positive Aspekte der sozialen Netzwerke und berichten von einigen Jugendlichen, die durch diese Netzwerke ein gesteigertes subjektives Wohlbefinden und Selbstbewusstsein besitzen. Wagner (2017) weist darauf hin, dass Jugendliche durch die sozialen Netzwerke Freiräume gewinnen, die ihren Wunsch nach Autonomie erfüllen und ihnen das Gefühl der Selbstbestimmung geben. In den sozialen Medien bewegen sich Kinder und Jugendliche oftmals außerhalb der Kontrolle und ohne Beobachtung ihrer Eltern, wodurch sie sich einen eigenen Raum schaffen, indem sie sich schon frühzeitig eigenverantwortlich bewegen und verhalten können.
Hinweis
Die Worte „Digitalisierung“ und „digital natives“ hört man mittlerweile an vielen Stellen. Tatsächlich zeigt sich, dass fast alle Jugendlichen sowie immer jüngere Kinder über ein Smartphone und meistens dadurch gleichzeitig einen Zugang zum Internet besitzen. Das Smartphone ist für Kinder spätestens ab dem Teenageralter nicht mehr wegzudenken und ein ständiger Begleiter. Es ist ein handliches Multifunktions-Tool, das vielen anderen Gegenständen den Rang abgelaufen hat. Auf die Frage „Weißt Du wie spät es ist?“ wird nicht mehr auf die traditionelle Armbanduhr geschaut, sondern es wird das Smartphone aus der Tasche geholt. Weitere Funktionen sind die Kommunikation mit anderen (telefonieren oder chatten), fotografieren, Termine planen, Unterhaltung, Musik hören, Videos machen, Dokumente verwalten und vieles mehr. Personen, die mit diesem Alleskönner nicht aufgewachsen sind („digital immigrants“), können die Faszination der Kinder und Jugendlichen oftmals nicht nachvollziehen. Ob sie sich nicht auch von einem solchen Gerät hätten fesseln lassen, wenn es diese zu ihrer Zeit gegeben hätte,...