Claudia Reiner-Lawugger
Mütter in schweren psychischen Krisen
Egal ob ein Paar sich bewusst dafür entschieden hat, ein Kind zu bekommen, oder dieses ungeplant in ihr Leben tritt: Für die meisten Paare, und vor allem die werdenden Mütter, bedeutet die Geburt eines Kindes eine entscheidende Veränderung in ihrem Leben. Selten gibt es eine auf allen Ebenen der Persönlichkeit so einschneidende Veränderung wie in dieser Zeit. Die Rolle körperlicher Veränderungen ist leicht einsehbar und anerkannt, dass aber auch alle anderen Persönlichkeitsbereiche, wie soziale Beziehungen, soziokulturelle Werte, die Arbeitssituation und Existenzfragen, davon betroffen sind, wird teilweise nicht berücksichtigt.
Aufgrund dieser drastischen Veränderungen spricht man bei erlebtem Stress in dieser Zeit auch von »Hoch-Stress-Phasen«. Die Phasen umfassen dabei die frühe Zeit vor der Empfängnis, die Schwangerschaft, die Zeit während und kurz nach der Geburt und den postpartalen Verlauf.
Viele Mütter gehen heute in eine Schwangerschaft, ohne jemals etwas mit Babys zu tun gehabt zu haben. Die geringe Geburtenrate von ca. 1,5 Kindern pro Frau führt zu einer hohen Erwartungshaltung an dieses eine oder eventuell zweite Kind. Viele Untersuchungen, eine mittlerweile sehr differenzierte Pränataldiagnostik und Babyratgeber aller Art verstärken die damit verbundene Verunsicherung noch. Das setzt vor allem Frauen, die grundsätzlich hohe Ansprüche an sich stellen, unter Druck, da sie auch bei ihrem Kind unbedingt alles richtig machen wollen. Gleichzeitig hat unsere Gesellschaft die Möglichkeit »generationalen Lernens« weitgehend verloren, da man nicht mehr in großfamiliären Strukturen lebt und demzufolge das Lernen mit und am anderen immer seltener wird. Viele Mütter halten entsprechend bei der Geburt ihres Kindes zum ersten Mal einen Säugling im Arm. Und das macht Stress. Es ist somit insgesamt eine ganz schön schwierige und herausfordernde Zeit, die die meisten Frauen jedoch sehr gut meistern.
Bei einigen Müttern verläuft diese Zeit jedoch nicht so, wie sie sich das vorgestellt haben. Auf diese (werdenden) Mütter und ihre psychischen Krisen soll in diesem Beitrag eingegangen werden. Dabei ist der Aufsatz in vier Abschnitte unterteilt, den vier Hoch-Stress-Phasen entsprechend: die Zeit vor der Empfängnis, die Schwangerschaft, die Zeit während und kurz nach der Geburt und die postpartale Zeit.
Die Zeit vor der Empfängnis
Vor der Schwangerschaft sind vor allem Mütter oder Paare aus zwei Gruppen von psychischen Krisen betroffen. Die eine Gruppe sind Patientinnen mit einer längeren psychiatrischen Vorgeschichte wie z. B. bipolaren Störungen, Schizophrenie oder Zwangsstörungen. Bei ihnen ist es wichtig, das Thema »Mutterschaft« genau zu besprechen, den Partner miteinzubeziehen und beide sensibel aufzuklären sowie eventuell eine Umstellung auf schwangerschaftsverträgliche Medikamente durchzuführen.
Die andere Gruppe – die immer größer wird – sind Frauen mit einem unerfüllten Kinderwunsch, die oft schon zahlreiche IVF-Behandlungen hinter sich haben. Mit jeder weiten Behandlung steigt bei ihnen der Stress, so dass sie eigentlich gar nicht mehr in der Lage sind, sich wirklich auf dieses Kind zu freuen bzw. sich offen und mit Freude auf die Schwangerschaft vorzubereiten. Die Frauen stehen unter extremem Druck, zeigen sehr häufig Angstsymptome und haben eine hohe Stressbelastung. Immer wieder fällt es solchen Müttern dann schwer, nach einer erfolgreichen IVF-Behandlung eine Bindung zum Kind aufzubauen, da sie allein mit der Reproduktionstätigkeit so belastet waren, dass sie das Kind aus den Augen verloren haben.
Die Zeit in der Schwangerschaft
Die Schwangerschaft kann eine stressvolle Zeit sein. So können z. B. durch Vorsorgeuntersuchungen zwar Problematiken im Vorfeld erkannt und weitere Schritte in die Wege geleitet werden (z. B. bezüglich Herzfehlern, die operiert werden müssen), es kommt jedoch auch immer wieder zu einer hohen Belastung, wenn Müttern Befunde (z. B. Brustdurchmesser ist zu gering) mitgeteilt werden, die sie nicht einordnen können, die sie nicht verstehen und die ihnen dann oft unbegründet viel Angst machen. Auch partnerschaftliche Konflikte, Belastungen im sozialen sowie im Arbeitsumfeld oder innerpsychische Probleme führen zu erhöhtem Stress. Innerhalb der Schwangerschaft beeinflusst der Stress nicht nur die Mutter, sondern auch das ungeborene Kind. So wird z. B. das in der Schwangerschaft wichtige Hormon Progesteron durch Stress reduziert und erhöht die Abortrate. Schlimmer noch ist, dass Kinder, die intrauterin einer erhöhten Stressbelastung ausgesetzt wurden, eventuell zeitlebens erhöhte Stresswerte aufzeigen und es zu Veränderungen in der rechten Amygdala kommt, wodurch die Vulnerabilität für Angsterkrankungen erhöht werden kann.
In der Schwangerschaft können alle psychischen Erkrankungen auftreten. Wenn es Depressionen oder Angsterkrankung im Vorfeld gegeben hat, können diese wieder akut werden oder bei chronischem Verlauf verstärkt werden. In den letzten 15 Jahren haben vor allem Angst- und Zwangserkrankungen zugenommen. So entwickeln 6 % der Schwangeren und 10 % der Mütter eine Angsterkrankung, sowohl mit als auch ohne Depression. Auf der körperlichen Ebene sind Symptome wie Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Unruhe und Schwindel die Folge. Diese Mütter haben das Gefühl, dass bald etwas Schlechtes – meist in Bezug auf ihr Kind – geschehen wird, sie sind dauernd besorgt, ängstlich und ihre Gedanken kreisen ständig um ihre Befürchtungen. So gehen sie beispielsweise häufig mit dem Kind zum Arzt in der Sorge, dass es irgendwelche Krankheiten haben könnte, und beobachten es ununterbrochen sehr ängstlich. Das wiederum wirkt sich auf ihre Interaktion zum Kind aus, dem der offene, freudige Blick der Mutter dadurch versagt wird. Als Risikofaktor für eine Angsterkrankung gilt eine positive Familienanamnese zu Angsterkrankungen oder Depression.
Sehr häufig ist eine Angsterkrankung oder auch Zwangserkrankung mit depressiven Symptomen verbunden. So erkranken ca. 10 bis 15 % aller Mütter weltweit an einer peripartalen Depression, das sind beispielsweise in Wien ca. 2000 Mütter jährlich. Eine depressive Erkrankung ist die häufigste Erkrankung von Müttern in der peripartalen Zeit. Klassische Symptome sind dabei Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Lustlosigkeit, innere Unruhe, Weinerlichkeit, Schuld- und Schamgefühle, teilweise aggressive Phantasien dem Kind gegenüber sowie Sorgen um das Kind. Anders als beispielsweise psychotische Mütter sind sich depressive Mütter völlig dessen bewusst, dass ihr momentanes Verhalten ihrem Kind gegenüber nicht so ist, wie es sein sollte; dadurch kann es zu weiteren Schuldgefühlen kommen und eine Negativspirale kann sich entwickeln.
Nicht alle Mütter brauchen hier direkt ein psychiatrisches Setting, es gibt sehr viele depressive Patientinnen, die auch im Bereich der Psychotherapie, in Eltern-Kind-Zentren oder bei Hebammen gut aufgehoben sind. Ein großer Teil braucht jedoch zumindest einmal eine psychiatrische Diagnostik und eventuell auch eine psychiatrische oder psychopharmakologische Therapie.
Als Risikofaktor für eine peripartale Depression ist zuerst eine positive psychiatrische Anamnese zu nennen. Es wäre sehr empfehlenswert, wenn Hebammen und Gynäkologen immer zusätzlich zur medizinischen auch eine psychosoziale Schwangerschaftsanamnese durchführen würden. So könnten Anzeichen früher erkannt werden und es könnte schneller eingegriffen und geholfen werden. Weitere Risikofaktoren sind Depression und Angstzustände in der Vorgeschichte einer Schwangeren, PMS, IVF- oder andere Infertilitäts-Behandlungen, Schilddrüsenprobleme, Diabetes, wenig soziale Unterstützung und Anerkennung, niedriger Selbstwert, finanzielle Sorgen und negative Life-Events. Weitere Risikofaktoren sind Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen oder der Stress, der entsteht, wenn das Baby zu früh gekommen ist und auf der Neonatologie liegt, sowie die mit Komplikationen verbundenen Sorgen und Ängste. So kann z. B. eine alte Angsterkrankung wieder getriggert werden und Mütter können dadurch schwere Ängste und Depressionen entwickeln.
International hat sich in Studien gezeigt, dass auch eine geringe Zufriedenheit mit der Partnerschaft eine depressive Erkrankung triggern kann. Auch ein hoher Leistungsdruck und Perfektionismus, wie er häufig bei den gut ausgebildeten, späten Müttern zu finden ist, gilt als Risikofaktor. Diese Mütter haben den Druck, alles absolut richtig und in der bestmöglichen...