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Evidenzbasierte Leitlinie zur Psychotherapie von Schizophrenie und anderen psychotischen Störungen

AutorAnya Pedersen, Inga Frantz, Karl-Heinz Wiedl, Kurt Hahlweg, Tania Lincoln
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl142 Seiten
ISBN9783840928833
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Die evidenzbasierte Leitlinie gibt Empfehlungen für die Diagnostik und die Psychotherapie von Schizophrenie und anderen psychotischen Störungen wie wahnhaften und schizoaffektiven Störungen. Die Behandlungsleitlinie wurde von einem Expertenteam der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) entwickelt. Sie basiert auf dem aktuellen Wissensstand zu wirksamen psychotherapeutischen Interventionen bei psychotischen Störungen. Der Band bietet eine knappe Beschreibung der Störungen, gibt Empfehlungen zur Diagnostik und Differenzialdiagnostik und stellt mögliche Risikofaktoren und ätiologische Modelle vor. Die derzeit vorliegende Evidenz für verschiedene psychotherapeutische Ansätze wird unter Berücksichtigung der Verbesserung verschiedener Symptombereiche, der Rückfallraten sowie des psychosozialen Funktionsniveaus vorgestellt und bewertet. Somit bietet die Leitlinie eine transparente Entscheidungshilfe bei der Frage, welcher psychotherapeutische Ansatz bei welchem Symptomprofil am besten geeignet ist. Zudem werden mögliche Strategien zum Umgang mit typischen Praxisfragen dargestellt, wie z. B. zum Umgang mit Misstrauen und mangelnder 'Krankheitseinsicht' von Betroffenen, zur ambulanten Krisenintervention, zur Behandlung von komorbiden Störungen, aber auch zum Setting (Einzel- versus Gruppensitzungen), zur Behandlung in einem interdisziplinären Team und zur Antragstellung. Weiterhin enthält der Band auch Empfehlungen zur Ausbildung von Psychologischen Psychotherapeuten sowie zu Weiterbildungsmöglichkeiten und zur Supervision im Bereich Psychosentherapie. Eine kritische Auseinandersetzung mit sich hartnäckig haltenden Mythen und Empfehlungen für die weitere Forschung runden die Leitlinie ab.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. 1Einleitung und Methode
  3. 2Die Störungsbilder
  4. 3Individualisierte psychotherapeutische Ansätze
  5. 4Psychoedukation
  6. 5Fertigkeitentrainings
  7. 6Familieninterventionen
  8. 7 Empfehlungen zur Wahl des Therapieansatzes
  9. 8Praxisfragen
  10. 9 Mythen und Fakten zur ambulanten Therapie
  11. 10Ausblick
  12. 11Zusammenfassung der Empfehlungen
  13. Danksagung
  14. Literatur
  15. Abkürzungsverzeichnis
Leseprobe

|17|2 Die Störungsbilder


Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über das Erscheinungsbild psychotischer Störungen mit ihren charakteristischen Symptomen und der diagnostischen Einteilung in DSM-5 und ICD-10 gegeben. Ferner beinhaltet das Kapitel Hinweise zu diagnostisch angrenzenden Störungen (Differenzialdiagnosen), Informationen zu Häufigkeiten und Verlaufsformen sowie zu ätiologischen Modellen der Störungsentstehung und -aufrechterhaltung. Hierbei handelt es sich nicht um eine erschöpfende Darstellung des Forschungsstands und der Kontroversen bezüglich der behandelten Fragen. Ziel ist es vielmehr, eine Übersicht über aktuelles – auf empirischen Studien basierendes – Störungswissen zu geben, das beim Verständnis der nachfolgend beschriebenen psychotherapeutischen Interventionen hilfreich sein kann. Eine etwas ausführlichere Beschreibung mit Fallbeispielen findet sich bei Lincoln und Heibach (2017).

2.1 Symptomatik schizophrener Störungen


Leitsymptome sind Wahn, Halluzination und desorganisierte Sprache. Jedoch sind psychotische Störungen in ihrem Erscheinungsbild sehr heterogen. Auch kann die Symptomatik zwischen verschiedenen Phasen der Störung stark variieren. So beobachtet man während der Prodromalphase häufig ein Absinken des Leistungsniveaus und eine erschwerte Kommunikation mit den Betroffenen, die ihrerseits häufig von Konzentrations- und Schlafstörungen berichten. Die akute psychotische Phase ist vor allem durch Symptome wie Wahn, Halluzinationen, desorganisiertes Verhalten oder formale Denkstörungen gekennzeichnet. In der post-akuten Phase treten häufig Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug und ggf. ein verflachter affektiver Ausdruck auf. Um die Komplexität der Symptome zu ordnen, hat sich im Sprachgebrauch die Unterscheidung zwischen Positivsymptomatik und Negativsymptomatik durchgesetzt. Der Begriff der Positivsymptomatik soll verdeutlichen, dass in dieser Gruppe von Symptomen „etwas zum normalen Erleben hinzukommt“, beispielsweise Wahnvorstellungen, Halluzinationen, formale Denkstörungen und/oder Verhaltensauffälligkeiten. Der Begriff Negativsymptomatik meint, dass Aspekte normalen Erlebens reduziert bzw. abgeschwächt werden, beispielsweise in Form von reduzierter Willenskraft (Avolition), geringerer Aktivität und vermindertem emotionalen Ausdruck.

|18|2.1.1 Wahnsymptomatik

Wahnphänomene gelten als besonders charakteristisch für psychotische Störungen und können in ihrer Ausprägung und Thematik stark variieren. Wahn ist nach DSM-5 definiert als „feste Überzeugung, die trotz gegenteiliger Evidenz nicht verändert werden kann“ (APA/Falkai et al., 2015, S. 216); das AMDP-System (Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie, 2016) beschreibt Wahn als eine Fehlbeurteilung der Realität, die dem Betroffenen unmittelbar und erfahrungsunabhängig evident ist und an der mit subjektiver Gewissheit festgehalten wird, auch wenn diese im Widerspruch zur Wirklichkeit und dem kollektiven Meinen steht (Privatwirklichkeit). Am Anfang der Entstehung von wahnhaften Überzeugungen handelt es sich oft um fixe/überwertige Ideen oder überzogene dysfunktionale Interpretationen, die sich zu einem komplexen Wahnsystem verfestigen können. Am häufigsten tritt Verfolgungswahn auf. Hier ist die betroffene Person überzeugt, dass andere Personen (Organisationen, Gruppen) mit Absicht versuchen, ihr zu schaden. Mit diesen Wahnvorstellungen eng verknüpft sind Beziehungsideen, bei denen zufälligen Begebenheiten und äußeren Ereignissen eine besondere Bedeutung für die eigene Person beigemessen wird (Lincoln & Heibach, 2017). Häufig finden sich auch religiöse, sexuelle und körperbezogene Wahninhalte, meist mit Bezug zur eigenen Person. Größenwahn beschreibt die falsche oder überzogene Überzeugung, eine besondere oder berühmte Person mit besonderen Fähigkeiten oder Missionen zu sein. Als bizarr gilt Wahn dann, wenn er „völlig unmöglich, vor dem kulturellen Hintergrund unverständlich und nicht aus den üblichen Lebenserfahrungen ableitbar ist“ (DSM-5; APA/Falkai et al., 2015, S. 117).

2.1.2 Halluzinationen

Eine Halluzination ist eine wahrnehmungsähnliche Erfahrung, die in Abwesenheit eines entsprechenden Stimulus erfolgt und mit der gleichen Intensität und Wirkung auftritt wie normale Wahrnehmungen. Halluzinationen können jede Sinnesmodalität betreffen, am häufigsten sind jedoch akustische Halluzinationen in Form von Stimmenhören. Meist handelt es sich dabei um Stimmen, die die Person oder ihr Verhalten kommentieren, manchmal aber auch um dialogisierende Stimmen, die miteinander reden (Lincoln & Heibach, 2017). In der Regel werden kurze, sich wiederholende Sätze gehört. Die Inhalte der Stimmen ähneln häufig den Inhalten automatischer Gedanken bei anderen psychischen Störungen wie Depression oder Zwangsstörungen, z. B. im Fall von abwertenden Kommentaren wie „Loser, Idiot“ oder kommandierenden (imperativen) Stimmen wie „Sag nichts!“. Viele Patienten entwickeln eine Vorstellung über die Identität der Stimmen.

|19|2.1.3 Formale Denkstörungen

Formale Denkstörungen sind Beeinträchtigungen der Denkprozesse, die besonders in der Sprache zum Ausdruck kommen und eine adäquate Kommunikation wesentlich beeinträchtigen. Dies macht sich beispielsweise beim „Gedankenabreißen“ durch einen plötzlichen Abbruch eines sonst flüssigen Sprechens ohne erkennbaren Grund bemerkbar. Von „Danebenreden“ spricht man, wenn die Antwort nicht zu der gestellten Frage passt. Die sogenannte „Sprachverarmung“ äußert sich in sehr kurzen oder ausbleibenden Antworten auf gestellte Fragen. Patienten, die unter „Denkzerfahrenheit“ leiden, können manchmal schwer zu verstehen sein. Grundsätzlich kann der Sprachfluss sowohl verlangsamt als auch beschleunigt sein.

2.1.4 Negativsymptomatik

Zur Negativsymptomatik zählen ein verminderter emotionaler Ausdruck in Form reduzierter Mimik und Sprache sowie eine Kombination aus verringerter Motivation, verringertem Antrieb und sozialem Rückzug (Avolition) (Lincoln & Heibach, 2017). Die oft eingeschränkte sichtbare emotionale Reaktivität kann dazu führen, dass ein gleichgültig-lethargischer Eindruck entsteht, obwohl die Betroffenen mitunter durchaus starke Gefühle erleben. Charakteristisch für Negativsymptomatik ist zudem das Fehlen von Freude, insbesondere in Antizipation angenehmer Aktivitäten. So haben diese Patienten teilweise Schwierigkeiten, sich vorzustellen, wie sie sich nach einer positiven Aktivität (z. B. Verabredung) fühlen werden.

2.1.5 Verhaltensauffälligkeiten

Unter die Verhaltensauffälligkeiten fallen sowohl ziellos oder bizarr wirkende Verhaltensweisen (grob desorganisiertes Verhalten) als auch starke Einschränkungen der Motorik (katatones Verhalten). Von desorganisiertem Verhalten spricht man im Fall von auffälligem und für Außenstehende kaum nachvollziehbarem Verhalten, beispielsweise, wenn ein Patient Gegenstände aus dem Fenster wirft. Verhalten, das von Beobachtern als desorganisiert oder bizarr geschildert wird, steht häufig in Zusammenhang mit dem Wahnerleben (Lincoln & Heibach, 2017). Unter die gestörte Motorik fallen beispielsweise Veränderungen der Haltung, wie das Einnehmen einer starren Körperstellung über ungewöhnlich lange Zeit oder scheinbar sinnlose stereotype Bewegungen. In sehr seltenen Fällen kommt es zum katatonen Stupor, der völligen Bewegungslosigkeit.

|20|2.2 Diagnosestellung


2.2.1 Diagnostische Kriterien in verschiedenen Diagnosesystemen

Wie im vorherigen Abschnitt geschildert, umfasst das Störungsbild der Schizophrenie unterschiedlichste Symptome, die von Halluzinationen über Wahnüberzeugungen, formale Denkstörungen bis hin zu motivationalen Störungen reichen. Tabelle 3 zeigt eine leicht gekürzte Fassung der diagnostischen Kriterien für die Diagnose von Schizophrenie nach DSM-5 (APA/Falkai et al., 2015).

Tabelle 3: Diagnostische Kriterien für Schizophrenie nach DSM-5 (S. 133 – 135; Abdruck erfolgt mit Genehmigung aus der deutschen Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition © 2013, Dt. Ausgabe: © 2015, American Psychiatric Association. Alle Rechte vorbehalten)

Kriterium

...
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis7
1Einleitung und Methode11
1.1Hintergrund, Ziele und Adressaten der Leitlinie11
1.2Vorgehen13
2Die Störungsbilder19
2.1Symptomatik schizophrener Störungen19
2.2Diagnosestellung22
2.3Komorbide psychische Störungen28
2.4Komorbide somatische Erkrankungen28
2.5Epidemiologie29
2.6Verlauf29
2.7Prognose30
2.8Risikofaktoren31
2.9Ätiologische Modelle33
3Individualisierte psychotherapeutische Ansätze36
3.1Kognitive Verhaltenstherapie36
3.2 Neuere Entwicklungen der KVT („Dritte-Welle“-Ansätze)43
3.3Psychodynamische Therapieansätze47
3.4Gesprächspsychotherapie51
4Psychoedukation56
4.1Beschreibung des Ansatzes56
4.2Auswertung der Evidenz57
4.3Bewertung der Evidenz58
5Fertigkeitentrainings60
5.1Soziales Kompetenztraining60
5.2Kognitive Remediation63
5.3 Integriertes Psychologisches Therapieprogramm67
5.4Metakognitives Training71
6Familieninterventionen75
6.1Beschreibung des Ansatzes75
6.2 Auswertung der Evidenz von Familieninterventionen im Allgemeinen76
6.3Psychoedukative Familieninterventionen80
6.4 Psychoedukative Familieninterventionen mit Fertigkeitentraining82
6.5Systemische Familientherapie84
7 Empfehlungen zur Wahl des Therapieansatzes89
8Praxisfragen100
8.1Behandlungssetting100
8.2Beziehungsgestaltung100
8.3Behandlung von komorbiden Störungen102
8.4Patienten mit neurokognitiven Defiziten104
8.5Kriseninterventionen105
8.6Medikation107
8.7Psychotherapie ohne Medikation112
8.8Einbindung weiterer Beteiligter in die Betreuung114
8.9 Schwierigkeiten bei der Bewilligung von Psychotherapieanträgen115
8.10Aus- und Weiterbildung116
9 Mythen und Fakten zur ambulanten Therapie118
9.1Cannabis verursacht Schizophrenie118
9.2Patienten mit Schizophrenie sind gefährlich119
9.3 Wahn kann man psychotherapeutisch nicht behandeln120
9.4 Patienten mit Psychosen lassen viele Sitzungen ausfallen121
10Ausblick122
11Zusammenfassung der Empfehlungen124
Danksagung125
Literatur126
Abkürzungsverzeichnis141

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