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Die Hugenotten

Geschichte, Religion, Kultur

AutorAlexander Schunka
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2019
ReiheBeck'sche Reihe 2892
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783406734328
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die "Hugenotten" wurden als protestantische Gruppierung in Frankreich während des 16. und 17. Jahrhunderts bekämpft und unterdrückt - ein dramatischer Höhepunkt war die Bartholomäusnacht des Jahres 1572. Infolge der einsetzenden Fluchtbewegung wurden sie zur bedeutendsten Migrantengruppe der Vormoderne.
Alexander Schunka schildert die von Gewalt und Verfolgung, aber auch von wirtschaftlichem und politischem Erfolg geprägte Geschichte der Hugenotten in einem knappen Überblick, der in Zeiten globaler Flüchtlingsbewegungen auch zu einem besseren Verständnis der Gegenwart beiträgt.

Alexander Schunka ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Freien Universität Berlin.

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Leseprobe

1. Wer waren die Hugenotten und wie lässt
sich ihre Geschichte erzählen?


Europa am Beginn der Neuzeit war geprägt von Reformation, Expansion und Mobilität. Viele Europäer wurden im Lauf ihres Lebens zu Reisenden und Migranten. Für Millionen Menschen waren Ortswechsel nicht die Ausnahme, sondern Normalität. Geistliche und Laien, Kaufleute und Bettler, Dienstboten und Gelehrte, Soldaten und Handwerker, Männer, Frauen und Kinder, ja: ganze Bevölkerungsgruppen verließen ihre Wohnorte für eine gewisse Zeit oder für immer, um anderswo ihr Glück zu suchen oder um Schutz vor religiöser Verfolgung zu finden. Zu solchen Gruppen gehörten iberische Muslime und sephardische Juden, englische Katholiken oder mitteleuropäische Protestanten. Besonders eng verbinden sich Mobilität und Religiosität mit der Geschichte, Religion und Kultur der Hugenotten. Ihr Weg von Frankreich in die Welt ist Thema dieses Buches.

Als Hugenotten bezeichnete man seit dem 16. Jahrhundert die Protestanten Frankreichs. Ihr Verhältnis zum französischen Königtum und der dominierenden römisch-katholischen Kirche war von Dialog und Kooperation gekennzeichnet, aber auch von Spannungen, Verfolgung und blutigen Zusammenstößen. Bis heute bekannt ist das schockierende Ereignis der Bartholomäusnacht im Jahr 1572, als einige tausend Hugenotten den Tod fanden. Mehrere Auswanderungswellen führten dazu, dass zahlreiche, jedoch längst nicht alle Hugenotten Frankreich verließen. Als «Flüchtlinge» (réfugiés) siedelten sie sich vor allem seit dem späten 17. Jahrhundert in unterschiedlichen Ländern Europas und der außereuropäischen Welt an.

Wie hat man sich die Heimaten der Hugenotten zu Beginn der Neuzeit vorzustellen? Frankreich war ein überwiegend ländlich geprägter Raum, der mit der Haupt- und Universitätsstadt Paris zwar über ein klares Zentrum verfügte, der gleichzeitig jedoch an seinen Rändern nur wenige Kennzeichen «französischer» Kultur aufwies. Dies galt für das Languedoc im Süden, die Bretagne im Nordwesten und weitere Gebiete. Noch 1558 war das englische Königreich im Besitz des Hafens von Calais; in den Pyrenäen fielen der nördliche Teil Navarras und die angrenzende Herrschaft Béarn erst im frühen 17. Jahrhundert an die französische Monarchie. Bis zum Westfälischen Frieden von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg in Europa beendete, gehörten die drei lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation; Sedan, das zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert für knapp hundert Jahre ein selbstständiges Fürstentum war, sollte sich zur Zufluchtsstätte französischer Protestanten und damit gleichsam zum «Genf des Nordens» entwickeln. Im 17. Jahrhundert brachten die Kriege Ludwigs XIV. (1638–​1715) Grenzverschiebungen im Osten mit sich: Mit der Annexion Straßburgs 1681 und der Übernahme des Elsass reichte Frankreich bis an den Rhein. Von einem einheitlichen, zentralisierten französischen Flächenterritorium in den heute bekannten Grenzen konnte im 16. oder 17. Jahrhundert noch längst keine Rede sein.

Die Herrschaftsstrukturen lokaler Adeliger und die sprachlich-kulturelle Eigenständigkeit vieler Regionen widersetzten sich einer raschen Eingliederung der Peripherie in einen französischen Zentralstaat. Daraus resultierten mancherlei politische und religiöse Freiräume: Von Paris und anderen Städten abgesehen wurde gerade die Peripherie Frankreichs – in einem halbmondförmigen Bogen, der ungefähr von La Rochelle im Westen über Nîmes im Süden bis nach Lyon im Osten reichte – seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zur protestantischen Bastion. Viele der Protestanten aus Frankreichs Randgebieten sind gewissermaßen erst im Exil zu Franzosen geworden.

Zu Beginn der Neuzeit war Frankreich das bevölkerungsreichste Land des Kontinents. Seine genaue Einwohnerzahl ist allerdings, ähnlich wie für andere Gebiete Europas, mangels geeigneter Quellen schwer zu schätzen. Man geht davon aus, dass um die Mitte des 16. Jahrhunderts etwa 18 Millionen Menschen in Frankreich lebten, von denen sich ein Zehntel zum reformierten Protestantismus bekannte. Knapp eine Million Protestanten waren es noch um das Jahr 1600 herum – eine Zahl, die bis in die achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts weiter auf etwa 700.000 Personen zusammenschmolz. Diese notwendigerweise ungenauen Angaben verweisen immerhin auf die Kräfteverhältnisse im Land und auch im späteren Exil: Hugenotten waren stets eine Minderheit. Ein knappes Drittel von ihnen – großzügige Schätzungen gehen von 200.000 Personen aus – entschied sich in den Jahren um 1685 zur Auswanderung. Der Rest blieb und bekannte sich zur katholischen Kirche, ohne dass dies als Ausdruck einer inneren Überzeugung gelten kann.

Warum nun lohnt sich die Beschäftigung mit der Geschichte, Religion und Kultur der protestantischen Minderheit Frankreichs? Vielleicht, weil ihre Angehörigen in unterschiedlichen Bereichen über die Jahrhunderte eine enorme Wirkung entfaltet haben – als standhafte Protestanten, verfolgte Flüchtlinge, erfolgreiche Handwerker und Geschäftsleute, als Soldaten und Politiker, weitblickende Gelehrte oder gar als «beste Deutsche», wie dies der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–​1898) angeblich formuliert hat. Und weil sich diese und viele andere Zuschreibungen unter dem «Markennamen» Hugenotten vereinigen. Vielleicht lohnt sich die Beschäftigung mit den Hugenotten aber auch, weil man an ihnen einiges über den Umgang mit Migranten in der Vergangenheit lernen kann, genauso wie darüber, wie Minderheiten ihr Leben bewältigt und ihren Weg in die Welt gefunden haben.

Der Begriff Hugenotten taucht in Frankreich erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts auf – zuvor hatte man noch von «Lutheranern» (luthériens) gesprochen, wenn Anhänger der Reformation gemeint waren. Woher genau das Wort Hugenotten stammt, ist unklar: In der Forschung ist eine Herkunft vom flämischen Ausdruck Huisgenooten als Bezeichnung für diejenigen Protestanten diskutiert worden, die sich mangels eigener Kirchen in erbaulichen Privatversammlungen trafen. Gut möglich ist auch eine Verschleifung des Wortes «Eidgenossen» bzw. eidguenots, was die Schweizer bzw. Genfer Einflüsse auf den französischen Protestantismus widerspiegeln würde – und die dahinterstehende Idee eines Bundes der von Gott Auserwählten. In diesem Zusammenhang wird auch eine sprachliche Verbindung zum Kaufmann und Politiker Besançon Hugues (um 1480–​1532) vermutet, der gemeinsam mit der Partei der eidguenots für die Befreiung der Stadt Genf vom Herzog von Savoyen kämpfte. Dies wiederum stünde im Einklang mit dem obrigkeitskritischen, ja rebellischen Charakter, der manchen Hugenotten später anhaftete. Einer anderen Theorie zufolge geht der Begriff Hugenotten allerdings auf einen legendären König Hugo zurück, nach dem in der Stadt Tours ein Stadttor benannt war: Dort trafen sich angeblich Protestanten zu nächtlichen Versammlungen, die ähnlich wie der Geist des Königs nachts in den Gassen «herumspukten» und mit dem Spitznamen Hugenotten versehen worden seien. Vieles ließ (und lässt) sich aus dem Namen Hugenotten herauslesen, und mindestens ebenso vieldeutig ist die Geschichte dieser Minderheit.

Auch wenn über die Wortherkunft bis heute keine Einigkeit herrscht, so steht doch fest, dass der Begriff Hugenotten den französischen Protestanten lange Zeit nicht als Selbstbezeichnung diente, sondern vielmehr eine – meist abwertende – Fremdbezeichnung durch ihre Gegner darstellte (Ähnliches gilt übrigens für den Ursprung vieler Benennungen religiöser Gruppen – von «Lutheraner» bis «Pietisten»). Sich selbst bezeichneten die Hugenotten schlicht als Reformierte und später im Exil als réfugiés. Die französischen Obrigkeiten wiederum sahen in ihnen Angehörige der R. P. R. (religion prétendue réformée, «angeblich reformierte Religion»), und sie kriminalisierten die Emigranten als fugitifs («Entlaufene»). Nach der Emigration wurden réfugiés in den Aufnahmegebieten von Behörden und Gesellschaft oft vereinfachend zu «Franzosen» gemacht – ungeachtet ihrer Herkunft aus ganz unterschiedlichen Gebieten Frankreichs und Westeuropas und häufig unter Einschluss anderer frankophoner protestantischer Migranten aus Nachbarregionen (Wallonen, Waldenser, Orangeois).

Genau wie die zahlreichen Theorien zur Namensherkunft von «Hugenotten» deuten die vielfältigen Selbst- und Fremdbezeichnungen darauf hin, dass man die Geschichte dieser Minderheit bislang auf ganz verschiedene Weise und mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung erzählt hat. Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert hat es...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Zum Buch2
Über den Autor2
Impressum4
Widmung4
Inhalt5
1. Wer waren die Hugenotten und wie lässt sich ihre Geschichte erzählen?6
2. Reformation in Frankreich oder: Die Entstehung der Hugenotten13
Königtum und Reformation13
Calvin und die französischen Protestanten15
Spaltungen? Die Etablierung des reformierten Bekenntnisses18
Koexistenz? Religiöse Pluralität und die Rolle der Monarchie24
3. Bekenntnis, Politik und Gewalt: Die Religionskriege28
Abweichler: Der Kampf der Monarchie gegen die Ketzerei29
Kriege, Frieden, Widerstand31
Die Bartholomäusnacht35
Die Internationalisierung der Religionskriege39
Das Edikt von Nantes42
Religiöse Kriege, soziale Erhebungen, europäische Perspektiven44
4. Eine europäische Minderheit: Hugenotten im 17. Jahrhundert48
Konsolidierung: Die Hugenotten unter dem Edikt von Nantes48
Pluralität: Die theologische Kultur der Hugenotten51
Die Zentrale gibt nicht auf: Mission und innere Kolonisation54
Die Schlinge zieht sich zu: Hugenotten im Zeitalter des Sonnenkönigs58
Fontainebleau 1685 und die Folgen62
5. Franzosen in der Fremde: Migration und Refuge in Mitteleuropa68
Vom Premier Refuge zum Grand Refuge69
Warum sollte man Hugenotten aufnehmen?72
Zwischen Nächstenliebe und Kalkül: Die Hohenzollern und das Edikt von Potsdam75
Migranten: Der Weg ins Refuge78
Ansiedlung: Territorien, Gemeinden und Kolonien82
Vielfalt: Sozialstruktur und Geschlechterverhältnisse89
Reinheit? Sprache, Religion und Kultur des Refuge95
6. Diasporakulturen: Europa und die Welt102
Zufluchten: Hugenotten in Übersee vor 1685103
Siedlungsräume: Die Diaspora der Hugenotten in Europa seit 1700107
Die globale Diaspora der Hugenotten seit 1700115
Traditionen und Mythen: Hugenottische Diasporakultur und -forschung119
7. Zum Schluss: Die Hugenotten – und wir123
Weiterführende Literatur in Auswahl125
Register126
Karte 1: Frankreich um 1600129
Karte 2: Die Diaspora der Hugenotten130

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