»Sex ist das der Glückseligkeit Verwandteste, dessen
die meisten von uns teilhaftig werden.
Gut möglich, dass es sich dabei nur um einen Trick
der Natur handelt, die so für die Weitervererbung der DNS sorgt.
Aber wenn Sex ein Trick ist,
dann ist es ein verdammt guter Trick.«3
John Updike (Schriftsteller)
FÜR VIELE VON UNS IST DAS THEMA »SEX« ein heißes Eisen. Zumindest ist es (noch) kein Thema, über das man einfach so spricht. Manchen ist über Jahre vermittelt worden, Sex, ihre Geschlechtsorgane und ihre unverschämten Gedanken wären etwas Schmutziges, Unanständiges. Anderen wurde suggeriert, ihre Art der Sexualität sei wider den Willen Gottes, Allahs oder ihres (auffälligerweise zumeist männlichen) Bodenpersonals. Beim Thema »Sex« fühlen sich viele von uns irgendwie auf eine unangenehme Art und Weise nackt.
Wir beginnen unsere gemeinsame Reise daher, bevor wir uns unserer eigenen Art zuwenden, mit einem frommen und sittsamen Streifzug durch die wilden Weiten in Gottes heiligem Garten. Es gibt hier nämlich weitaus mehr zu sehen, als unsere rechtschaffenen Biologie- und Religionslehrer*innen uns damals erzählt haben.
Obgleich sich die meisten Tierarten auf mehr oder weniger zwei Geschlechter geeinigt haben, gibt es darüber, wie man die Sache mit dem Sex am allerbesten handhabt, unter den vielzelligen Tieren ein paar sehr unterschiedliche Auffassungen.
Dass weibliche Spinnen und Gottesanbeterinnen nach vollzogenem Geschlechtsakt gerne ihren frisch geweckten Appetit an den möglicherweise kurzzeitig unaufmerksam grinsenden Männchen stillen, ist weitgehend bekannt.4 Es gibt allerdings noch andere nahe und ferne Verwandte von uns, die in Sachen Paarung einige sehr interessante Strategien und Spielarten entwickelt haben. Vielleicht können diese Beispiele unser Verständnis dessen, was »natürlich«, »gottgewollt« oder »richtig« ist, ein kleines bisschen erweitern.
Wir beginnen unsere Reise unten, ganz unten.
Abgesehen von einigen fruchtbaren Oasen aus verrottenden Walkadavern, Seegurken und vereinzelten Kolonien aus Muscheln oder Krebsen ist die Tiefsee ein verhältnismäßig leerer Raum.
Tiefseeanglerfischmännchen verbeißen sich daher so fest in »ihr« Weibchen (was hier bedeutet: das erste, das ihnen nach Erreichen der Geschlechtsreife irgendwann schließlich über den Weg schwimmt!), dass sie es niemals wieder loslassen. Der Körper des Männchens verwächst mit dem des Weibchens. Seine inneren Organe bilden sich zurück, bis fast nur noch die Hoden von ihm übrig bleiben.5 Eingedenk der Tatsache, dass ein derart einseitig ausgelegtes Beziehungsverständnis des Männchens für das Weibchen voraussichtlich wenig Befriedigung erzeugt, wundert es nicht, dass so manche Holde sich durchaus mehrere »Liebhaber« hält.
Das Papierboot-Männchen, ebenfalls ein opferbereiter Liebhaber, diesmal aus der Familie der Kopffüßer, geht nicht ganz so weit. Das muss er auch nicht, denn der gute Herr beherrscht einen in der Natur einzigartigen Trick: Er wirft seinen »Penis« (genau genommen, seinen Begattungsarm mit dem klangvollen Namen »Hectocotylus«) ins Meer aus, wo dieser offenbar aktiv die Duftspur eines attraktiven und überdies fruchtbaren Weibchens aufnimmt und ihm selbstständig (!) folgt, bis er die am Kopf befindliche Befruchtungshöhle der Auserwählten erreicht.6
Die Weibchen dieser Art sind nach einem einzigen dickshot im Übrigen häufig nicht lange satt und öffnen sich bereitwillig anderen samenstrotzenden Fleischtorpedos. GEORGES CUVIER, der große Zoologe, hielt, als er diese Art als Erster beschrieb, die Papierboot-Penisse im Inneren des Weibchens für wurmartige Parasiten. Man könnte argumentieren: Genau das Gegenteil sei der Fall. Sie nehmen nichts, sondern bringen Geschenke dar.
Weinbergschneck*innen (sie sind Hermaphroditen) sammeln auf ihrer Begattungstour das Sperma verschiedener anderer paarungswilliger Weinbergschnecken ein. Erst wenn er/sie/es der Meinung ist, die evolutionär hierfür angelegte Samentasche sei nun gut genug gefüllt, lässt Herr/Frau Schneck den Spermiencocktail gut verrührt auf seine/ihre Eizellen los.7
Während dieser Sperma-Ernte treiben sie einander spitze Dornen in den Leib, die offenbar der gegenseitigen Stimulation dienen, denn dadurch nimmt das Empfängertier deutlich mehr Sperma in sich auf. Schnecken mögen es offenbar gerne etwas robuster. Das bedeutet jedoch nicht, dass er/sie/es es eilig hätte.
Das Vorspiel zwischen zwei Weinbergschnecken kann bis zu zwanzig Stunden dauern. Erst danach kommt der sogenannte »Liebespfeil« zum Einsatz. Auch nach dem Austausch ihrer Samengaben bleiben die Schnecken oft noch lange beieinander liegen, bis die Spermapakete ganz im eigenen sowie im Körper des Partners aufgenommen worden sind. Dies kann durchaus seine Zeit brauchen, denn die Spermapäckchen sind mehrere Zentimeter lang.8
Der Lustdorn der Weinbergschnecken ist allerdings nur für den einmaligen Gebrauch konzipiert. Er bricht beim Liebesspiel ab, und es kann eine ganze Weile dauern, bis sein oder ihr special feature wieder nachgewachsen ist. Schnecken ohne Dorn paaren sich selbstverständlich weiterhin. Ihr Los im Vermehrungscocktail ist bei diesen Paarungen jedoch ein kleineres.
Der Liebestanz der Weinbergschnecken überzeugt durch Hingabe und Anmut. Zu wahrer Meisterschaft in diesen beiden Disziplinen jedoch treibt es alljährlich ein entfernter Verwandter der Schneckchen, mit denen dieser nicht selten sogar das Habitat teilt.
Der Tigerschnegel, ein wild gemusterter Freund jeden Gärtners, ist ein berüchtigter Jäger und Nesträuber. Besonders gerne frisst er offenbar die Gelege der auf grünes Pflanzenmaterial spezialisierten Wegschnecken.
Wenn dieses Raubtier einen paarungsbereiten Artgenossen aufgrund seiner Schleimspur wittert, verfolgt es diese und anschließend den auserwählten Partner nicht selten stundenlang, bis gemeinsam ein Platz gefunden wird, der für den nächsten Schritt des Liebesspiels geeignet scheint. Ich zitiere Wikipedia: »Die Tiere bewegen sich unter gegenseitigem Belecken der Schwanzspitze zunächst weiter im Kreis. Dabei wird viel Schleim abgesondert, der einen runden Fleck auf dem Untergrund bildet. Die Tiere verkürzen sich und werden dicker. Dabei ist der Vorderkörper spindelförmig angeschwollen.
Die Vorderkörper biegen sich nach rechts und nach links. Am Ende dieses Teils des Vorspiels wird der Kreis enger, die Tiere legen jeweils den Kopf auf den Rücken des Partners. Zwar klafft die Genitalöffnung bereits, von den Genitalien selber ist jedoch noch nichts zu sehen.
Danach beginnen sich die beiden Partner stürmisch zu umschlingen. Sie schlagen heftig mit den Vorderkörpern umher, belecken oder benagen sich gegenseitig und spreizen die Mantelschilde. Während dieser heftigen Bewegungen scheiden die Tiere mit ihrer Schleimdrüse jeweils einen 1½ mm dicken, rötlich-gelben Schleimfaden aus. Nach weiteren heftigen Bewegungen und weiterer Schleimbildung lösen sich die beiden Partner von der Unterlage und hängen kopfüber am gebildeten Schleimfaden, der durch die heftigen Umschlingbewegungen immer stärker verdreht wird und rasch länger wird.«9
Romantischer hätte ich es nicht beschreiben können.
Aber es geht noch weiter: »Hat der Schleimfaden seine maximale Länge erreicht, hören die Bewegungen auf und die Tiere strecken sich, aber in sich verschlungen und mit fast in die Waagrechte gehobenen Köpfen. Erst danach erscheinen in den Genitalöffnungen die schlauchartigen, bis etwa vier Zentimeter langen und etwa vier Millimeter dicken Penisse (im Plural korrekt: Penes), die durch die Hämolymphe bläulich-weiß gefärbt sind. Die Kämme sind bereits als gewellte Säume zu sehen. Die Penes beginnen nun sich zu suchen. Dazu werden die Köpfe etwas abgesenkt.«
Und auch das ist noch längst nicht das Ende dessen, was ein Tigerschnegelpärchen im Garten hinter unserem Haus für einen gelungenen romantischen Abend hält. Ich kann die Lektüre dieses hoch spannenden Artikels über einen in mehrerlei Hinsicht respektablen Bewohner unserer Gärten nur wärmstens empfehlen.
Dies und die Daten über den Sex der Deutschen vor Augen (siehe unten!), könnte an dieser Stelle ein Mensch mit böser Zunge behaupten, der beste Sex in Deutschland fände im Freien hinter unseren Häusern statt. Jedoch ohne unsere Anwesenheit.
Du magst es direkt und gerne etwas derber? Genauso läuft's unter Bettwanzen. So etwas wie ein präkoitaler Flirt wurde bei ihnen bislang noch nie beobachtet. Stattdessen schleicht sich das Männchen von schräg hinten an das...