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E-Book

Else Lasker-Schüler in Berlin

AutorJörg Aufenanger
VerlagBeBra Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783839301388
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Für Gottfried Benn war Else Lasker-Schüler die 'größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte'. Jörg Aufenanger schildert das Leben dieser faszinierenden Persönlichkeit inmitten der Berliner Künstlerbohème und ihre innige Beziehung zu der Stadt, aus der sie 1933 vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Er erzählt von ihren Ehemännern und Liebhabern, von ihrem extravaganten Auftreten in den Kaffeehäusern, aber auch von ihrer Einsamkeit in der großen Stadt. So entsteht das Lebensbild einer exzentrischen Künstlerin - und zugleich ein Panorama der schillernden Kulturwelt im Berlin der 1910er und 1920er Jahre.

Jörg Aufenanger, geboren 1945 in Wuppertal, absolvierte ein Studium der Philosophie sowie der Theater- und der Literaturwissenschaft an der FU Berlin und an der Pariser Sorbonne. Anschließend arbeitete er als Theaterregisseur in Paris, Rom, Berlin und an verschiedenen deutschen Theatern. Neben Übersetzungen aus dem Französischen ist er vor allem Autor von Romanen und Lyrik sowie zahlreicher Biographien und Essays zu namhaften Schriftstellern.

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Leseprobe

»Berlin, hier ist die Uhr der Kunst,

die nicht nach noch vor geht.«

 

 

Nahezu vierzig Jahre hat sie in Berlin gelebt, länger als je woanders. Als sie 1894 in die Stadt an der Spree kam, war sie fünfundzwanzig Jahre alt. Zuvor hatte sie seit ihrer Geburt in Elberfeld im Tal der Wupper gelebt. Als sie 1933 Deutschland verlassen musste, verbrachte sie in Zürich und Ascona sechs Jahre, in Palästina, wohin sie 1939 übersiedelte, ebenfalls sechs Jahre, bevor sie 1945 dort starb.

Knapp vierzig lange Jahre also hat Else Lasker-Schüler in Berlin gelebt. Hat sie die Stadt Heimat nennen können? Zwiespältig hat sie sie stets erlebt. Und doch scheint sie ohne Berlin nicht hat leben wollen, nicht leben können.

Heimat war ihr vor allem die Stadt ihrer Kindheit und frühen Jugend, Elberfeld, gewesen. Immer wieder kehrte sie in ihren Gedichten und Prosaminiaturen in sie zurück, besuchte sie bei jeder Gelegenheit. Und die stete Verklärung einer glücklichen Kindheit dort führte dazu, dass ihr das Erwachsenwerden und das Erwachsensein lebenslang schwer fiel, selbst noch in den letzten Jahren als alte Frau in Jerusalem.

»Es ist unverschämt, kein Kind mehr zu sein«, meinte sie 1923 und da zählte Else Lasker-Schüler immerhin schon vierundfünfzig Jahre.

~ 1 ~


Als sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1894 zusammen mit ihrem Ehemann Berthold Lasker in Berlin eintrifft, bezieht das Paar eine Wohnung nahe dem Tiergarten in der Brückenallee Nummer 16, die heute Bartningallee heißt. Dort eröffnet er auch seine Arztpraxis. Berthold Lasker hatte sie aus Elberfeld entführt, in die große Stadt, die damals 1,6 Millionen Einwohner zählte, Elberfeld nur ein wenig mehr als hunderttausend. Sie wird ihrer Heimatstadt nachgetrauert, aber Berlin auch als Möglichkeit gesehen haben, nunmehr ein neues, ein anderes Leben beginnen zu können.

»Die Leute nennen mich ein’ Luftikus« wird sie in einem Brief an ihren Schwager Franz Lindner schreiben, »vielleicht bin ich’s auch – ein bißchen ausgelassen, aber dann nur auch für mich«. Nun aber ist der Luftikus eine Ehefrau, die zusammen mit dem Dienstmädchen Hedwig Grieger, ebenfalls aus Elberfeld, einen gutbürgerlichen Haushalt zu führen hat. Der Abschied aus Elberfeld mag ihr nicht allzu schwer gefallen sein, da ihre Familie inzwischen auseinander gebrochen war, aber sie nahm die Stadt an der Wupper im Herzen mit nach Berlin. Ihre über alles geliebte Mutter Jeanette Schüler, geborene Kissing, war vier Jahre zuvor Ende Juli 1890 verstorben. »So nackt war nie mein Leben« wird sie in dem Gedicht »Mutter« schreiben, oder in der Prosaskizze »Das Meer«: »Wie meine Mutter starb, zerbrach der Mond.« Ihre Lieblingsschwester Anna hatte den Opernsänger Franz Lindwurm-Lindner, der am Elberfelder Theater engagiert war, geheiratet und so war auch sie aus dem Haus am Sadowaberg im großbürgerlichen Briller Viertel der Stadt verschwunden und bald nach Berlin verzogen.

Nun also lebte die höhere Tochter und nun auch Frau Doktor Else Lasker-Schüler in einem weiteren gutbürgerlichen Viertel, dem alten Hansaviertel. Es war seit 1874 am Rand des Großen Tiergartens erbaut worden, es grenzte östlich an das Schloss Bellevue, nach Norden an eine Brücke über die Spree, auf die die Brückenallee hinführte. In den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts wurden für die rasant steigende Einwohnerzahl Berlins zahlreiche Mietshausviertel errichtet, aber auch Quartiere für die Alt- und Neureichen, so das Hansaviertel auf einem ehemaligen Wiesengelände. Auf Grund von stadtplanerischen Vorgaben wurden die Häuser auf höchstens drei Stockwerke begrenzt, es gab keine Fabrik- und Kleingewerbegebäude. Das ruhige Wohnen der Gutsituierten sollte nicht beeinträchtigt werden. Erst jenseits der Spreebrücke existierten in Moabit Fabriken und größere Mietshäuser. Ein Arbeiterviertel.

Die Brückenallee war nicht nur die Magistrale des Hansaquartiers, sondern bot auch die begehrtesten Grundstücke. In ihr lag die heute noch existierende Baumkuchenbäckerei Buchwald, in der man sich gut Else Lasker-Schüler als Baumkuchenkundin vorstellen kann.

Die Häuser des Hansaviertels wurden von bekannten Architekten der Zeit wie Alfred Messel, Hans Grisebach und Ludwig Hoffmann errichtet, und es wurde schnell beliebt bei arrivierten Künstlern, die hier ein Atelier bezogen, wie kurzzeitig auch Käthe Kollwitz, oder die hier wohnten wie Walter Leistikow. Damals bekannte Schauspieler sowie Schriftsteller wie Carl Sternheim, Alice Behrend, aber auch Verleger wie Walter de Gruyter, der Theaterkritiker Alfred Kerr, der Bühnendirektor Max Reinhardt und Politiker wie der preußische Ministerpräsident Botho zu Eulenberg, hatten sich ebenfalls hier für eine Weile angesiedelt. Auch Lenin hatte wenige Monate im Hansaviertel gelebt.

In diesem noblen Quartier mit illustren Nachbarn lebt nun Frau Lasker-Schüler mit ihrem Ehemann, der eine Arztpraxis für Haut- und Beinkrankheiten führt.

Jonathan Berthold Lasker wurde 1860 in Berlinchen in der Neumark geboren, war also neun Jahre älter als seine Frau, entstammte einer streng religiösen jüdischen Familie, die Vorfahren waren Rabbiner. Er studierte Medizin in Berlin, eröffnete aber seine erste Praxis in Elberfeld, in der Klotzbahn am Hang des sogenannten Ölbergs. Doch er war nicht nur Arzt, sondern auch ein begeisterter und exzellenter Schachspieler, der schon einige Turniere in Berlin bestritten hatte, nun Mitglied des Elberfelder Schachvereins wurde. Bald lernte er die Familie Schüler und somit auch Else kennen. Bei der Hochzeit ihrer Schwester Anna war er Trauzeuge. Kurz darauf gab Vater Aaron Schüler die Verlobung seiner Tochter Else mit Herrn Lasker öffentlich bekannt. Der spielte am Abend der Verlobung Schach, simultan gegen mehrere Gegner.

~ 2 ~


Berthold Lasker hat seinen um acht Jahre jüngeren Bruder Emanuel schon in Berlin in die Kunst des Schachspiels eingeführt, und die beiden spielen nicht wenige Partien gegeneinander. In dem Jahr 1894, in dem der ältere Bruder seine Frau Else nach Berlin mitbringt, wird der jüngere in New York in einer Partie gegen Schachweltmeister Wilhelm Steinitz spielen. Doch auch die Gebrüder Lasker spielen gelegentlich weiter gegeneinander. Es wird berichtet, dass sie sich während der Praxissprechzeiten auf dem Schachbrett duellieren, und dass Bertholds Ehefrau Else währenddessen die Patienten im Wartezimmer unterhalten und besänftigen muss, wegen der so verlängerten Wartezeit. Und eine Schachpartie kann dauern.

Wie ansonsten das Eheleben aussieht, darüber kann man nur spekulieren. Eine glückliche Zeit ist es für sie wohl nicht, das verraten die Schriften, die sie später über ihren Mann verfassen wird. So in ihrer Prosaskizze »Lasker-Schüler contra B. und Genossen«, in der sie von ihrer Kindheit und frühen Jugend schwärmt: »Manchmal hab ich so Sehnsucht, ich säß wieder nachmittags an einem großen, runden Tisch neben meiner Mama und so zwischen meinen Schwestern und Brüdern, und oben sitzt mein Papa, und wir trinken zusammen um vier Uhr Kaffee aus der silbernen Kaffeemaschine durch Filtrierpapier – und so ganz zusammengerückt sitzen wir, wie eine Insel aus einem Stück … Das ist lange her … Als ich mich zum ersten Mal vermählte. Aber ich fiel ins Haus und verletzte mir die Knie, die bluten seitdem.« Eine Schutz versprechende Insel scheint die Ehe für sie nicht gewesen sein, sondern eher von seelischen Verletzungen geprägt. Ihrem Mann wird von denen, die ihn gut kennen, seelische Kühle nachgesagt, zudem eine überaus starke Nervosität und Reizbarkeit, was auch sein Schachspiel beeinträchtigt haben soll.

In der Erzählung »Der tote Knabe«, die der Anarchist Johannes Holzmann, den Else Lasker-Schüler Senna Hoy nennt und dem sie sehr verbunden ist, in seiner Zeitschrift »Kampf« 1904 veröffentlichen wird, schreibt sie von einem Ehemann, der Lippen habe, »als ob sie Blut saugen möchten … Und als sie verheiratet waren, hatten sie Reue, da sie sich gegenseitig quälen mussten.«

Zudem verbringt die junge Frau Lasker-Schüler viel Zeit allein zu Hause, denn ihr Mann führt tagsüber seine Praxis, am Abend sucht er die Schachcafés Berlins auf, bleibt dort oft bis in die Nacht hinein. Eine Weile ist ihr heftiges Wesen gezähmt, doch bald kommen Unruhe und Verdruss auf und so soll sie Einsamkeit und Langeweile bekämpft haben, indem sie Möbel und allerlei Nippes sammelte und die Wohnung damit vollstopfte. Doch Berthold Lasker weiß auch, seine Frau hat künstlerische Neigungen und diese unterstützt er immerhin. Eine poetische und auch zeichnerische Ader war bei ihr in Kindheit und früher Jugend schon zum Vorschein gekommen. Als junges Mädchen habe sie gedichtet und gemalt, wird sie mehrfach beteuern. Nur Arztgattin und Hausfrau will sie nicht sein.

~ 3 ~


Berthold Lasker engagiert den mit ihm befreundeten Maler Simon Goldberg als Zeichenlehrer für seine Frau. Simson wird sie ihn nennen. Der stammte aus Litauen, war Jahrgang 1855, sollte auf Wunsch des Vaters, der Kantor war, Rabbiner werden, machte sich aber nach Berlin auf und studierte bei dem damals berühmten Historienmaler Anton von Werner und wohl auch bei Max Liebermann. Die ersten Malstunden für Frau Lasker-Schüler finden in den Praxisräumen statt, doch das nervt ihren...

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