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Unser Verhältnis zu Freiheit, Eigentum und Recht
Auf die Bürger kommt es an
Bürger – ein stolzes Wort. Denn der bürgerliche Mensch ist Rückgrat und Bollwerk der Republik: Er übernimmt Verantwortung für sich selbst und für andere, ohne die Zuständigkeit auf anonyme Instanzen abzuwälzen. Er fragt zuerst, was er für das Gemeinwesen tun kann, statt darauf zu warten, dass die Allgemeinheit etwas für ihn tun soll. Er hält die Familie hoch, als kleinste Zelle des Gemeinwesens und als Ort der Unabhängigkeit und der freien Rede, und verbittet sich jede übergriffige Einmischung von oben. Er ist kein Befehlsempfänger und kein Mitläufer; Autorität, die er anerkennt, überzeugt durch Vorbild und Leistung. Freiheit ist für den Bürger nicht die Lizenz zum ungehemmten, rücksichtslosen Egoismus, sondern der notwendige Freiraum, um seine Verantwortung wahrzunehmen und eigene Entscheidungen zu treffen. In diesem Sinne bin ich ein bürgerlicher Mensch und ich bin stolz darauf. In linksgrünen Kreisen ist es Mode geworden, sich selbst für „bürgerlich“ zu halten, nachdem man sich in der einst verachteten „bürgerlichen Gesellschaft“ inzwischen behaglich eingerichtet hat. Was für ein Etikettenschwindel! „Links“ und „bürgerlich“ gehen nämlich nicht zusammen. Entweder man ist links und kollektivistisch eingestellt, oder man ist Bürger und liebt die Freiheit, die republikanische Freiheit vor der Übergriffigkeit eines sich in sämtliche private Lebensbereiche einmischenden Staates.
Die Freiheit ist der große Gedanke, der den bürgerlichen Menschen antreibt. Freiheit ist der Motor der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, der geistigen und kulturellen Weiterentwicklung. Seine Grenzen findet der Freiheitsdrang des Einzelnen in der Freiheit der anderen. Der Staat ist daher der natürliche und ewige Widerpart der Freiheit. Denn ohne gesellschaftliche und staatliche Ordnung und Organisation kann der Mensch, das soziale Wesen, das „Zoon politikon“ des Aristoteles, nicht auskommen. Er braucht die Gesellschaft anderer, um sich geistig, kulturell und wirtschaftlich zu entfalten, und diese Gesellschaft will organisiert sein. Denn der Mensch ist zugleich Mängelwesen. Gerade weil die Evolution ihn nicht auf eine bestimmte, eng umgrenzte ökologische Nische festgelegt hat und er sich auch an den widrigsten Lebensraum anpassen kann, bedarf er der Institutionen, die seine äußeren Lebensumstände ordnen und stabilisieren und ihm den Austausch mit anderen, den „Markt“, erst ermöglichen.
John Locke, einer der Gründerväter des neuzeitlichen Liberalismus, definiert Leben, Freiheit und Eigentum als die unveräußerlichen Grundrechte des Menschen. Das Ringen um die Ordnung des Zusammenlebens, die dem Wesen des Menschen am besten gerecht wird, ist das Ringen um einen Staat, der diese unveräußerlichen Grundrechte gewährleistet. Und zwar nicht als huldvoll von oben herab gewährte Gnadenrechte, sondern als unumstößliche Grundlagen und Bedingungen, unter denen die Bürger bereit sind, staatlichen Institutionen Macht und Gewalt auf Zeit zu übertragen.
Der freiheitliche Staat ist deshalb der Staat, dem die Bürger zugleich einen Vertrauensvorschuss einräumen und ihm jederzeit wachsam misstrauen. Ein Staat, über dessen Handeln die Bürger maximale Mitsprache und Kontrolle ausüben können. Die wirksamste Kontrolle ist die Kontrolle durch Wahlen und Abstimmungen – am effektivsten durch Volksabstimmungen –, durch die Ämter und Befugnisse samt den Mitteln zu ihrer Erfüllung übertragen und auch wieder zurückgenommen werden. Deshalb ist der freiheitliche Staat zugleich ein Staat, in dem die Macht bei Gewählten liegt, die sie auf Zeit ausüben, und nicht bei Bürokratien. Diese haben nämlich zu allen Zeiten die Tendenz, sich zu verselbstständigen, ihre indirekte Macht auf Kosten des Souveräns und Steuerzahlers zu erweitern und seiner Kontrolle zu entziehen und damit Lobbyismus und Korruption Tür und Tor zu öffnen.
Die Deutschen und die Freiheit
Uns Deutschen wird oft ein gestörtes Verhältnis zur Freiheit und mangelhaft ausgeprägte Freiheitsliebe nachgesagt. Der Vorwurf besteht zu Unrecht – und zu Recht. Zu Unrecht, weil die deutsche Nation eine lange und eindrucksvolle Freiheitsgeschichte hat, die sich vor denen anderer Nationen nicht zu verstecken braucht. In der modernen Geschichte beginnt die deutsche Freiheitserzählung mit den Denkern und Vorkämpfern der Aufklärung und des Idealismus, mit Immanuel Kant und Friedrich Schiller, um nur zwei von ihnen zu nennen. Sie hatte ihre große Stunde in den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Fremdherrschaft, der Geburtsstunde der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung. Ihre Farben Schwarz-Rot-Gold, die Farben des Freikorps Lützow und der Burschenschaft, sind bis heute die Farben des demokratischen Deutschland.
Das Hambacher Fest von 1832, der Vormärz, die deutsche Revolution von 1848 und das Paulskirchen-Parlament sind eindrucksvolle Zeugnisse des deutschen Freiheitswillens, die bis heute fortwirken und den Geist der Weimarer Verfassung und des Grundgesetzes geprägt haben. Die Weimarer Republik und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland setzten unter schwierigsten Bedingungen diese Freiheitsgeschichte fort. Zu ihr gehört auch der Widerstand gegen die totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts, das Heldentum der „Weißen Rose“ und der Attentäter des 20. Juli 1944, der Volksaufstand gegen die kommunistische Diktatur in der „DDR“ am 17. Juni 1953 und schließlich die friedliche Revolution von 1989 und der Fall von Mauer und Stacheldraht am 9. November.
Das macht die dunklen Kapitel unserer Vergangenheit, die NS-Diktatur und ihre furchtbaren Verbrechen, vor allem den millionenfachen Massenmord an den deutschen und europäischen Juden, nicht ungeschehen und löscht sie auch nicht aus. Aber es ist eine Tradition, auf die die Deutschen mit Stolz zurückblicken können, ohne ihre Verantwortung für im deutschen Namen begangene Untaten vergessen zu müssen. Im Bewusstsein dieser positiven Traditionen könnte sich die deutsche Nation mit Mut und Freiheitsliebe den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen, um ihren wiedergewonnenen staatlichen Rahmen, die deutsche Republik, im Geist der Freiheit zu gestalten.
Doch das Verhältnis der Deutschen zur Freiheit hat zwei Seiten. Auf der Kehrseite steht die unselige Neigung, der herrschenden Obrigkeit länger zu vertrauen, als es guttut; die Augen viel zu lange vor Fehlentwicklungen zu verschließen in der trügerischen Hoffnung, „die da oben“ wüssten schon, was sie tun, statt gegen die fortschreitende Entmündigung aufzubegehren.
Dabei haben gerade die Deutschen, als die gebrannten Kinder des 20. Jahrhunderts, allen Grund, ihren Regierungen mit dem steten und gesunden Misstrauen zu begegnen, das den seiner Freiheit bewussten und sein Eigentum verteidigenden Bürger auszeichnet. In den beiden großen Katastrophen des letzten Jahrhunderts sind die Deutschen gleich zweimal durch ihre Obrigkeiten, die Disziplin und Opferbereitschaft bis jenseits der Schmerzgrenze missbrauchten, um die ererbten und mühsam geschaffenen Früchte ihrer Arbeit und ihres Fleißes gebracht worden. Die bürgerliche Mittelschicht hat das besonders schwer getroffen – mit gravierenden Folgen, die bis heute nachwirken.
Die Kosten des verlorenen Ersten Weltkriegs, die vom eigenen Land verursachten wie die von den Siegern auferlegten, bezahlten die Deutschen über die Massenenteignung durch Hyperinflation. Reihenweise wechselten Privathäuser, die ihre Eigentümer nicht mehr halten konnten, mit der Spätfolge in öffentliches Eigentum, dass die Deutschen bis heute ein Volk von Mietern sind, deren Wohneigentumsquote und durchschnittliches Privatvermögen weit unter dem europäischen Standard liegen. Noch gründlicher hat der Nationalsozialismus, der unsägliches Leid und Elend über Europa gebracht hat, auch das eigene Volk ruiniert: Erst durch sozialistische Defizitfinanzierung, Wirtschaftslenkung und Enteignung, welche die Staatsfinanzen noch in Friedenszeiten völlig zerrüttet hatten, dann durch den verbrecherisch vom Zaun gebrochenen Krieg, der Millionen Überlebende ausgebombt, verelendet, vertrieben und entwurzelt in einem zerstörten und zerrissenen Land zurückgelassen hat.
Zerbrechliches Vertrauen
Dass der Wiederaufbau des verbliebenen Territoriums und der Wiederaufstieg der zunächst in den westlichen Landesteilen gegründeten Bundesrepublik Deutschland zu einer der führenden Industrienationen der Welt dennoch gelungen ist, ist fraglos eines der größten Friedenswerke, das die Deutschen vollbracht haben. Sie haben das übrigens im Wesentlichen aus eigener Kraft geschafft. Die Einbeziehung Deutschlands in das „Europäische Wiederaufbauprogramm“ (ERP) der USA hatte in erster Linie signalpolitische Bedeutung, weil damit die Phase der totalen Stigmatisierung und der harten Reparations-Demontagen endete. Die an...