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Medien in der Sozialen Arbeit

AutorAndreas Lange, Anja Klimsa
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl258 Seiten
ISBN9783170320710
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
In three sections, this book provides indispensable basic knowledge required for social work in increasingly media-influenced social environments. Part 1 deals with the process of media socialization. Both the way in which media are used and the opportunities and risks involved are addressed. In Part 2, areas of overlapping concern between media studies and social work studies are discussed & such as deviant behaviour, social inequality, gender, participation, migration, flight and integration. Part 3 examines the professional practice of social work in and with media. In addition to consultancy and public relations work, the focus here is on media education.

Prof. Andreas Lange teaches sociology, specializing in social work, health and nursing care at the Ravensburg-Weingarten University of Applied Sciences. Prof. Anja Klimsa teaches at the same university, with a focus on consultancy, communication and media education.

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Leseprobe

2          Schnittfelder von Medien- und Sozialarbeitswissenschaft


 

 

 

Was Sie in diesem Kapitel lernen können


Sie wissen bereits, dass Gesellschaft und Lebenswelten mediatisiert und medialisiert sind. Im nun folgenden Kapitel erfahren Sie, welche konkrete Rolle die Medien für bestimmte in der Sozialen Arbeit wichtige Prozesse und Themenbereiche spielen. Wir beschränken uns auf ausgewählte Aspekte, da es uns nicht möglich ist, alle für die Soziale Arbeit relevanten Zusammenhänge darzulegen. Sie lernen, dass Medien eine wichtige Sozialisationsinstanz geworden sind und an der Konstruktion und Kritik sozialer Ungleichheit beteiligt sind. Darüber hinaus wird ihnen einsichtig, dass Medien auf der einen Seite Instrumente und Förderer abweichenden Verhaltens, auf der anderen Seite aber auch Quelle förderlicher Ressourcen und großen Glücks sein können. Sie erfahren weiterhin, wie die Medien die von uns ausgewählten wichtigen Betätigungsfelder der Sozialen Arbeit Politik, Migration und Gender beeinflussen. Ferner lernen Sie die Medienlogiken und -praktiken der Adressat*innen in diesen Themenfeldern kennen.

2.1       Sozialisation und die Medien


2.1.1     Sozialisationstheorie und -forschung


Sozialisation


Sozialisation umschreibt die Herausbildung eines zugleich gemeinschaftsfähigen und individuell einzigartigen Subjekts im Rahmen gesellschaftlicher Strukturen und Systeme – von der Familie über die Schule bis hin auch zu den Medien. Im Gegensatz zu den Nachbarbegriffen von Erziehung und Bildung zielt Sozialisation auf alle Prozesse, die ein sich entwickelndes Individuum beeinflussen, auch solche, die nicht beabsichtigt erfolgen. Moderne Sozialisationsansätze unterstreichen zudem die aktive Rolle des Subjekts über den gesamten Lebensverlauf (Hurrelmann/Baur 2015). Sozialisation hört daher nicht im Jugendalter auf, sondern ist ein lebenslanger Prozess der Persönlichkeitsentwicklung in Interaktion mit der Umwelt insgesamt.

Mittlerweile gehört ›Sozialisation‹ wie Kommunikation und Interaktion zu den wesentlichen Konstrukten einer übergreifenden interdisziplinären Sozialwissenschaft. Ebenso ist es als Deutungsmuster zur Erklärung von Verhalten, von schulischem Lernen bis hin zur Kriminalität bei vielen Professionellen des Erziehungs-, Sozial- und inzwischen auch Gesundheitsbereiches tief verankert.

Der Theorie- und Forschungsstand hat sich seit der breiten Etablierung des Sozialisationsparadigmas in den 1980er Jahren, markant dokumentiert in der Gründung der »Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation«, enorm ausdifferenziert. Der Vergleich der ersten und der aktuellen Auflage des »Handbuchs der Sozialisationsforschung« macht dies augenfällig. Ebenso hat sich zumindest auf der metatheoretischen Ebene für viele in diesem Feld tätige Wissenschaftler*innen ein Paradigmenwechsel ergeben: Heute wird weniger ein mechanistisches Bild der Übernahme eines Rollenbündels als Sozialisation durch Rollenlernen vertreten. Vielmehr werden komplexe Beziehungen zwischen einer Vielzahl von gesellschaftlichen Kontexten, von der Familie über die Bildungsinstitutionen bis hin zu eben auch den Medien, angenommen. Die gesellschaftlichen Kontexte werden auf unterschiedlichen Ebenen vermittelt und über eine Reihe von analytisch zu unterscheidenden Prozessen z. T. individuell angeeignet. Auch auf der Ergebnisseite geht es nicht alleine um ›die‹ Sozialisation, sondern um eine Fülle von ›Sozialisationsprodukten‹ bzw. Dimensionen der Sozialisation. Im aktuellen Handbuch der Sozialisationsforschung sind dies u. a. Geschlecht, Identität, soziomoralische Kompetenzen, Gesundheit und Politik ( Tab. 1).

Tab. 1: Sozialisation traditionell und modern

Parallel zu dieser allgemeinen Sozialisationsforschung haben sich die Bemühungen um die Erfassung und Rekonstruktion von Mediensozialisation mittlerweile ebenfalls in einem umfänglichen Handbuch (Vollbrecht/Wegener 2010) niedergeschlagen. Die Verzahnung beider Disziplinen schreitet zwar voran, ist aber noch ausbaufähig. Wir stützen uns im Folgenden auf beide Strömungen, also die generelle Sozialisationstheorie und die medienwissenschaftliche Rezeption bzw. Anwendung. Ferner sind zwei grundlegend unterschiedliche Fragestellungen zu beachten:

•  Sozialisation durch Medien meint die vermuteten Effekte, die durch mehr/weniger Gebrauch von Medien entstehen können.

•  Unter der Rubrik Sozialisation zum Mediengebrauch wird danach gesucht, welche sozialisatorischen Faktoren, wie also bspw. elterlicher Einfluss, Peereinfluss, zu einem bestimmten Mediennutzungsprofil beitragen.

Für unseren Rahmen des Verständnisses von Sozialisation sind die Grundlagen des »produktiv realitätsverarbeitenden Subjekts«, die ursprünglich von Hurrelmann (1983) formuliert und mittlerweile von Hurrelmann/Bauer (2015) fortgeschrieben wurden, leitend. Das Sozialisationsparadigma lässt sich heuristisch ohne Weiteres mit dem Wirkungsparadigma verbinden – allerdings ist das Sozialisationskonzept von seiner Grundidee her umfassender angelegt und meint auch Veränderungen in der Gesamtpersönlichkeit als Ergebnis immer wiederkehrender Aneignungen von Sinn und Materialität. Veith (2008) hält diese integrative Sicht bekräftigend fest: Individuelle Handlungsfähigkeiten entwickeln sich im Sozialisationsprozess auf der Grundlage der subjektiven Auseinandersetzung des Einzelnen mit den vorgefundenen Umweltbedingungen. Eine wichtige Annahme dabei lautet, dass der Umgang mit Dingen und anderen Menschen, aber auch das Verhältnis zur eigenen Person stets von den individuellen Vorerfahrungen abhängig ist. Damit ist gesagt, dass die Art und Weise, wie eine Situation erlebt wird, nicht allein von den ›objektiven‹ Sachverhalten, sondern von der individuellen Zuschreibung der Bedeutung der Dinge oder der Zeichen abhängt.

Man interessiert sich also dafür, wie in komplex strukturierten spät-modernen Gesellschaften Subjektautonomie und alltagstaugliche Handlungsfähigkeiten erlangt werden können, und hält das soziologische Mikroskop offen für eine Vielzahl von Graden der tatsächlich erlangten Autonomie und Handlungsfähigkeit (Scherr 2016: 38). Ein weiteres Charakteristikum eines soziologisch informierten Sozialisationsverständnisses liegt darin, dass keine harmonistische Gesellschaftsauffassung unterstellt wird. Vielmehr ist mitgedacht, dass Sozialisationsverhältnisse auch zwischen Klassen und Schichten, zwischen den Generationen und zwischen weiteren sozialen Aggregaten sowie durch Macht- und Herrschaftsverhältnisse zumindest mitbedingt werden.

Medien als Sozialisationsagenten


Gespiegelt auf die Medien liest sich eine genuin sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise wie folgt: »Für eine Betrachtung des Handelns mit und über Medien sind an dieser Stelle mehrere Verweise aufzunehmen (…). Erstens bieten Medien eine Fülle an symbolhaften Ausdrucksformen, die die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen der Menschen beeinflussen (können), sie sind zweitens wichtige Vermittlungsinstrumente sowohl in der interpersonalen Kommunikation als auch und im Besonderen in der Massenkommunikation und drittens sind sie Werkzeuge für den Selbstausdruck, der eigenen Meinung und der Interessen genauso wie der Darstellung der eigenen Person. Im Medienhandeln werden auf unterschiedlichen Ebenen Ausschnitte von Welt angeeignet. Dies kann sich über die Aneignung von medialen Inhalten und kommunikativen Strukturen, aber auch über die eigene Gestaltung (und damit Aneignung) medialer Räume, z. B. auf Internetplattformen vollziehen« (Wagner 2011: 45). Allerdings sind Medien- und Sozialisationsforschung lange Zeit getrennte Wege gegangen, und erst seit den 2010er Jahren findet ein systematischer Austausch zwischen beiden Disziplinen statt (Reißmann/Hoffmann 2017).

Vor dieser Folie werden im vorliegenden Kapitel folgende Schwerpunkte behandelt: Nach einem generellen Überblick zu den Mechanismen bzw. Praktiken von Mediensozialisationsprozessen erfolgt eine Vertiefung nach Kontexten der Sozialisation an den Beispielen Generationen, Familie und Peers. Dann betrachten wir ›Produkte‹ der Sozialisation und präsentiere neuere Überlegungen zur Identität, Selbstformung und Subjektivierung. Abschließend widmen wir uns dem Rücktransfer, also der Bereicherung, die die allgemeine Sozialisationstheorie aus der umfassenderen Berücksichtigung der Mediatisierung ziehen könnte.

Daher unsere Kapitelüberschrift – Mediensozialisation ist heute keine Spezialsozialisation mehr, sondern Sozialisationsprozesse insgesamt werden gewissermaßen...

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