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Beziehungsgestaltung in der Pflege

AutorChrista Büker, Julia Lademann
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl182 Seiten
ISBN9783170321151
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Der zweite Band der Buchreihe zur akademischen Pflegeausbildung greift die zentrale Bedeutung der Beziehungsgestaltung als Identitätsmerkmal und Instrument professioneller Pflege auf. In vielen Publikationen wird dieser Aspekt zwar betont, seine pflegetheoretische Verortung und praktische Ausgestaltung bleiben aber häufig unscharf. Diese Lücke wird mit dem vorgelegten akademischen Lehrbuch geschlossen. Zentrale Inhalte sind die Relevanz und die Besonderheiten der pflegerischen Beziehung, die Entwicklung der Pflegebeziehung im Wandel der Zeit sowie ihre theoretische Verortung in Kommunikations- und Interaktionsmodellen. Die Vorstellung und Diskussion von Kennzeichen und notwendigen Voraussetzungen einer professionellen Beziehungsgestaltung runden das Thema praxisnah ab. Lern- und Reflexionsaufgaben helfen bei der Vertiefung der Inhalte und dienen zur Prüfungsvorbereitung. Praxisbeispiele veranschaulichen die Inhalte.

Prof. Dr. Christa Büker lehrt Pflegewissenschaft im dualen Bachelorstudiengang Gesundheits- und Krankenpflege (B.Sc.) an der Fachhochschule Bielefeld. Prof. Dr. Julia Lademann ist Professorin für Pflege- und Gesundheitswissenschaft sowie Studiengangsleitung Pflege (B.Sc.) an der Frankfurt University of Applied Sciences.

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Leseprobe

2          Pflegebeziehung gestern und heute


Julia Lademann


 

In diesem Kapitel gilt es zu beleuchten, inwieweit der geschichtliche Hintergrund des Pflegeberufes die Gestaltung der pflegerischen Beziehung zwischen Pflegefachperson und Patient bzw. Klientin prägt. So gilt es, sich den Einfluss einer ursprünglich religiösen Motivation zur Pflege bewusst zu machen sowie zu hinterfragen, inwiefern das Ideal der bürgerlichen Frau, die dem Wohle des Patienten dient und der Medizin zu Diensten ist, noch heute auf die Pflege nachwirkt. Durch die zunehmend naturwissenschaftliche Ausrichtung der gesundheitlichen Versorgung von Patienten und Patientinnen geriet seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Faktor Menschlichkeit in den Hintergrund. Durch den Aufbau einer »quasifamiliären« Beziehung sollte die Pflege dieses Problem lösen, was allerdings keine professionelle Lösung darstellen kann. Warum es wichtig ist, sich mit der eigenen Motivation für einen Pflegeberuf zu befassen, soll vor allem im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem so genannten Helfersyndrom deutlich werden. Dabei gilt es zu betrachten, inwiefern es sich nicht um ein ausschließlich individuell zu verantwortendes Problem handelt: Für den nicht geringen Anteil gesellschaftlicher und beruflicher Rahmenbedingungen soll hier sensibilisiert werden. Weiterhin gilt es den Wandel zu betrachten, dem die Rolle des Patienten im Gesundheitssystem in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten unterliegt: Vom passiven Erleider bis zum aktiven Kunden oder Konsumentin einer gesundheitsbezogenen Dienstleistung. Dies hat enorme Auswirkungen auf die Interaktion und Kommunikation und somit auf die berufliche Beziehungsgestaltung. Ebenfalls von hoher Relevanz hinsichtlich einer professionellen Beziehung ist, wie Pflegefachpersonen mit Gefühlen von Patientinnen und Klienten umgehen sowie mit eigenen Gefühlslagen. Empathie, als die Fähigkeit zum bewussten und vorurteilsfreien Nachvollziehen von Gefühlen und Gedanken Anderer stellt eine grundlegende Kompetenz bei helfenden Berufen dar. Dies gilt es näher zu beleuchten, um die Notwendigkeit zur Entwicklung von empathischer Kompetenz im Rahmen einer professionellen Beziehungsgestaltung in der Pflege zu verdeutlichen.

Praxisbeispiel

Sonja Klein studiert Pflege im 2. Semester. Wenn sie zwischen den Lehrveranstaltungen Zeit hat, geht sie gerne in die Bibliothek. Will sie nicht gerade für eine Hausarbeit oder ein Referat etwas gezielt recherchieren, macht sie es sich im Zeitschriftensaal in einem der Sessel bequem. Hier liegen einige interessante aktuelle pflegerische Fachzeitschriften aus. Sie blättert in der Zeitschrift »Heilberufe / Das Pflegemagazin«. Diese verfügt über eine Rubrik Schülerseiten in welcher ihr ein Artikel mit dem Titel »Bist Du bereit, Dich zu opfern?« (Eggert 2015, S. 61) auffällt. Aufmerksam liest sie den von dem Kranken- und Gesundheitspflegeschüler Franz Eggert verfassten Bericht zu seinen Erfahrungen über »Nächstenliebe in der Pflege«. Der Artikel beginnt folgendermaßen: »Wer in die Pflege geht, mag Menschen. Ihn zeichnet in besonderem Maße Empathie und die Bereitschaft, uneingeschränkt den Schwachen und Kranken zu helfen, aus. Nicht selten gehen Pflegende dabei bis zur Selbstaufgabe. Diese Charaktereigenschaften scheinen heute nicht häufig aus Kostengründen ausgenutzt zu werden.« (Eggert 2015, S. 61). Der Autor des Artikels stellt fest, dass nicht wenige seiner Kollegen und Kolleginnen unter Nächstenliebe verstehen, sich für Patienten und Patientinnen aufzuopfern. Im Gespräch mit einem guten Freund und Kollegen gesteht er, dass er sich selbst nicht als »aufopferungsvollen Samariter« sieht. Dieser zeigt sich erschüttert und erläutert, dass es doch gerade darum in der Pflege gehe: Opfer zu bringen, um wahre Nächstenliebe zu beweisen. Dies könne man z. B., indem Überstunden geleistet werden ohne sich arbeitsrechtlich dagegen zu wehren. Auch an Streiks oder berufspolitischen Kundgebungen würde er nicht teilnehmen – schließlich trage man ja die Verantwortung zur Versorgung der Patienten und Patientinnen. Franz Eggert sieht das anders – ein berufspolitisches Engagement hält er gerade für notwendig um eben die pflegerische Versorgung zu verbessern. Den Artikel schließt er so ab: »Keine Frage, ich bin davon überzeugt, dass man den Pflegeberuf nur dann gut ausüben kann, wenn man ein gewisses Maß an Liebe, Sensibilität und Respekt für andere Menschen aufbringen kann. Aber ich denke auch, dass es eine Grenze des Zumutbaren gibt. Und dass es völlig legitim sein müsste, auch mal ›Nein‹ zu sagen – zu Überstunden, chronischer Unterbesetzung aus Kostengründen und wachsenden Aufgabenbereichen. Aus reiner Selbstliebe.« (Eggert 2015, S. 62). Sonja Klein lässt die Zeitschrift langsam sinken und bemerkt, dass sich ein Studienkollege von ihr, Tarek Arslan, neben sie gesetzt hat. »Hier lies mal« hält sie ihm auffordernd die Zeitschrift hin »Lass uns mal einen Kaffee trinken gehen, dann erzähle ich dir meine Erfahrungen dazu.« flüstert er ihr zu, nachdem er ebenfalls den Artikel gelesen hat. Die beiden verlassen die Bibliothek. »Ich habe auch so einen Kollegen« sagt Tarek Arslan, »der brüstet sich immer damit, wie viele Überstunden er dauernd macht und dass man das eben macht als guter Pfleger. Aber ich finde, er verhält sich nicht sehr empathisch im Umgang mit den Patienten.« »Ja« sagt Sonja Klein »und ich kenne Kollegen, die arbeiten weder eine Minute mehr, noch scheinen sie Nächstenliebe oder Empathie überhaupt zu kennen. Aber ich habe gerade eine tolle Praxisanleiterin, die geht so einfühlsam mit den Patientinnen um. Die macht dauernd Überstunden und opfert sich wirklich auf. Ich frage mich, wie sie das macht und wie lange das gut geht.« »Es muss doch einen Weg dazwischen geben. Oder was meinst du?« fragt Tarek Arslan. »Ja, unbedingt!« entgegnet Sonja Klein. »Ich glaube ich habe jetzt ein gutes Thema für meine noch ausstehende Hausarbeit gefunden. Ich werde mal mit der Dozentin darüber sprechen.«

2.1       Wandel von pflegerischem Berufsbild und Patientenrolle


Historisches Selbstverständnis der Krankenpflege

Die Geschichte der beruflichen Pflege zeigt, dass das Selbstverständnis pflegerischer Arbeit gerade in den letzten hundert Jahren einem starken Wandel unterlegen war und immer noch ist (Lademann 2018). Dies hat u. a. einen enormen Einfluss auf die Bedeutung und Ausgestaltung der Beziehung zwischen Pflegefachperson und pflegebedürftiger Person. Blickt man historisch zurück wird deutlich, dass die Versorgung von kranken Menschen in christlich geprägten Gesellschaften ganz entscheidend vom Gebot der Nächstenliebe (als Ausdruck von Gottesliebe) motiviert war. Dabei haben sich vor allem Angehörige christlicher Ordensgemeinschaften, d. h. Mönche und Nonnen, der Betreuung Kranker und Armer im Sinne eines »Liebesdienstes« gewidmet. Die Ausübung von Heilkunde war Angelegenheit von Klöstern, die bis zum frühen Mittelalter nicht zwischen Medizin und Pflege unterschied. Mit der Ablösung der Klosterheilkunde durch die naturwissenschaftlich fundierte Medizin wurde die Pflege den Ordensgemeinschaften überlassen. Im Zuge der Reformation und darauf folgenden Säkularisierung kam es vor allem in protestantischen Ländern zur Auflösung vieler Pflegeorden. Infolge dieser Krise in der Kranken- und Armenversorgung haben Städte und Gemeinden mit der Entwicklung öffentlicher Fürsorgesysteme reagiert. Als Personal dienten sogenannte Lohnwärterinnen bzw. Lohnwärter. Es handelte sich bei diesen überwiegend um Frauen und Männer aus sozial prekären Schichten, die ohne Ausbildung und für wenig Lohn erstmals die Krankenpflege als bezahlte und damit im weitesten Sinne als berufliche Tätigkeit ausgeübt haben (Bischoff 1997). Das Selbstbild der frühen Krankenpflege war demnach zunächst von einem spirituellen-religiösen und später einem materiellen-erwerbsmäßigen Entlohnungssystem geprägt. Dies lässt unterschiedliche Auswirkungen auf die Beziehungsgestaltung mit pflegebedürftigen Personen vermuten.

Entwicklung zum modernen Dienstleistungsberuf

Mit der Entwicklung der Pflege von der »Berufung« zum modernen Dienstleistungsberuf und einer Profession, geht seit etwa zwanzig Jahren ein Wandel der Rolle von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen einher. Dieser beeinflusst die Beziehungsgestaltung ebenfalls maßgeblich: Die moderne Patientenrolle soll sich nicht mehr durch Passivität und bestenfalls aktiver Behandlungs- bzw. Versorgungstreue (Compliance)...

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