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E-Book

Die Herrscher der Lüfte und ich

Mein Leben mit Greifvögeln

AutorSandra Jung
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783843720274
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Vom ersten Moment an wusste Sandra Jung, dass sie auf Burg Greifenstein glücklich sein würde: umgeben vom thüringischen Wald und mit Blick aufs Tal lebt sie ihren Traum von der eigenen Falknerei. Für Sandra liegt der Reiz ihrer Arbeit im Vertrauensverhältnis zwischen ihr und ihren 20 Greifvögeln. Jeden Tag lässt sie die wilden Vögel frei fliegen, und jeden Tag kehren sie freiwillig zu ihr zurück. Für die Vögel ist Sandra eine gleichwertige Partnerin - bei ihr fühlen sie sich geborgen und sicher.

Sandra Jung ist 26 und leitet zusammen mit ihrem Freund die Falknerei auf Burg Greifenstein, Thüringen. Mit 16 hat sie ihre erste Flugshow mit Greifvögeln erlebt und ist seitdem fasziniert von den Herrschern der Lüfte. Neben dem Abi hat Sandra den Jagd- und Falknerschein gemacht und danach jahrelang von ihrer eigenen Falknerei geträumt. 

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Leseprobe

Punktlandung

Wie verabredet stehe ich am folgenden Samstag überpünktlich um Viertel vor zehn vor dem großen Eingangstor der Falknerei am See. Das Tor ist offen, es sind also schon Leute da. Ich bin unendlich nervös. Was wird mich erwarten? Werde ich wieder einen Greifvogel tragen dürfen? Sind die Helfer alle so nett, wie sie bei meinem Besuch gewirkt haben? Durch Abwarten würde ich das nie herausfinden, also los geht’s, hinein in das Abenteuer Falknerei.

In der Anlage höre ich das laute Rufen der verschiedenen Greifvögel. Ich sehe die Vögel in ihren Volieren, so nennt man die riesigen Komplexe, welche vorn mit Draht versehen und zu den Seiten geschlossen sind, sitzen: Ich glaube, Eulen, Bussarde, Falken und Adler erkennen zu können. Während der vergangenen Woche habe ich mich intensiv mit dem Thema Greifvogel auseinandergesetzt, habe Bücher bestellt und Artikel im Internet gewälzt. Trotzdem vermag ich noch keine genauen Arten zu bestimmen und hoffe, dass sich das heute ändern wird. Ich laufe an der ersten Voliere vorbei. »Kwää«, schallt es heraus: ein Uhu! So viel kann ich schon sagen. Der riesige Federball sitzt direkt am Draht und betrachtet mich aus seinen großen orangeroten Augen, so, als wäre ich das besonders interessante Wesen von uns beiden. Auch die an­deren Volieren passiere ich langsamen Schrittes, schaue hinein und tausche mit jedem der Bewohner einen mehr oder weniger intensiven Blick aus, während die meisten der Tiere mich auch mit ihren unterschiedlichen Rufen begrüßen. »Wir lernen uns bald besser kennen!«, verspreche ich mehr mir selbst als dem Adler in der letzten Voliere, der in seine eigenen Gedanken versunken zu sein scheint.

Ich atme einmal tief ein und sammle etwas Mut – Begegnungen mit fremden Menschen bereiten mir immer ­etwas Unbehagen –, dann mache ich meinen ersten Schritt in den großen Raum, in dem sich alles, was hinter den Kulissen passiert, abspielt. Ehrfürchtig schaue ich mich um und sehe unzählige Lederhandschuhe, manche lang, manche überraschend kurz, an der breiten Wand hängen. Dazwischen hängen die ledernen Falknertaschen, in denen der Falkner das Futter für die Tiere bei sich trägt. Mehrere Kühltruhen füllen ebenso den Raum wie eine große Waage, welche auf einem Tisch steht und auf der eine Holzstange befestigt ist. Ich frage mich, wozu sie dient. Auf Holzbänken sitzen weitere Helfer, darunter auch Heiko, den ich von letzter Woche wiedererkenne.

»Hi ihr alle, ich bin Sandra. Freut mich, euch kennenzu­lernen!«, stelle ich mich nervös lächelnd vor.

»Hey, du schon wieder. Wir kennen uns ja schon!«, entgegnet Heiko, woraufhin sich auch die anderen Helfer der Reihe nach vorstellen. Ich werde von einer sehr netten Dame mittleren Alters sofort an die Hand genommen. Andrea hilft hier schon ein paar Jahre lang aus und hat sich sofort bereit erklärt, mich einmal herumzuführen. Als Erstes geht sie mit mir zu der Wand mit den Handschuhen. »Also: Zunächst einmal das Wichtigste, der Handschuh. Denn ohne den kannst du hier nicht allzu viel reißen«, lacht sie und reicht mir einen der derben Lederhandschuhe. Ich nehme ihn, schlüpfe testweise hinein und bewege ein paarmal meine Finger, so, als würde ich etwas greifen. Das Leder ist hart und steif, die Bewegung der Finger wird auf ein Minimum reduziert: Den Daumen und die vier anderen Finger der Hand kann man wie eine Zange zusammenführen.

»Der ist sehr hart«, teile ich Andrea meine Empfindung mit.

»Das ist kein Problem, das ist normal. Du wirst dich dran gewöhnen«, sagt sie und lacht laut auf. Offenbar bin ich nicht die Erste mit dieser Startschwierigkeit.

»So, das hätten wir geklärt, dann komm einmal mit.«

Ich werde auf der anderen Seite des Raumes wieder nach draußen geführt. Wir befinden uns nun hinter den Volieren.

»Wir müssen die Tiere jeden Tag wiegen, denn nur so wissen wir, ob alles in Ordnung ist. Wie beim Menschen auch, wollen wir den Vogel in einem Idealgewicht halten. Zu viel ist ungesund, zu wenig aber natürlich auch. Auch ein kranker Vogel verliert Gewicht. Gibt’s also jeden Tag genug zu futtern und der Vogel verliert trotzdem Gewicht, weiß man sofort, dass etwas nicht stimmt. Ansonsten merkt man dem Vogel zu diesem Zeitpunkt noch nichts an, denn ein Greifvogel ist von Natur aus darauf ausgelegt, gesundheitliche Probleme möglichst lange nicht zu zeigen, um nicht selbst anderen Beutegreifern zum Opfer zu fallen«, erläutert mir Andrea sehr ausführlich, und ich höre mehr als gebannt zu. Wie interessant! »Das hätte ich nicht gedacht. Wahnsinn!«, antworte ich. Wir laufen auf die Tür zu einer der vorderen Volieren zu und gehen hinein. Drinnen sitzt ein bräunlich schwarzer Vogel auf einer Stange und schaut in­teressiert zu uns herüber. »Das ist Morgana, unsere Wüstenbussarddame«, stellt Andrea mir den Vogel vor. »Wenn du ­einen Vogel zu dir auf den Handschuh holen möchtest, hältst du deine Hand vor dessen Brust und schiebst die Hand langsam und ganz vorsichtig gegen den Vogel.« Und siehe da: Genau wie beschrieben, klettert Morgana mit zwei routinierten Schritten auf Andreas Handschuh. »Jetzt du!«, fordert sie mich auf und setzt Morgana wieder zurück auf die Stange. »Wie du siehst: Absetzen geht genau andersherum. Du hältst den Vogel rückwärts an den Platz, auf den er sich setzen soll, und durch den Druck an den Hinterbeinen, die der Falkner übrigens Ständer nennt, steigt er wiederum auf die Stange zurück. Wichtig ist dabei, dass du auf den Stoß, so nennen wir den Schwanz der Tiere, aufpasst, er darf nicht gegen die Stange gedrückt werden, sondern muss darüberhängen.«

Oje … so viele Informationen auf einmal. Es fühlt sich so an, als sei ich noch keine fünf Minuten hier, und schon schwirrt mir der Kopf – doch es ist ein schönes Schwirren! Hoch motiviert versuche ich nun selbst mein Glück und halte den zerklüfteten und zerkratzten Handschuh vor die seidenweich aus­sehende dunkle Brust des Bussards. Genau wie bei Andrea klettert der Vogel nun auch bei mir mit zwei Schritten auf den Handschuh und wirkt dabei überhaupt nicht angestrengt durch das Hin und Her.

»Sehr gut«, lobt mich Andrea, »jetzt nimmst du dir das Geschüh, das sind die Lederriemen, die der Vogel an seinen Beinen hat, und klemmst sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Lass die Bänder schön lang, damit der Vogel auch genug Platz hat, um auf deinem Handschuh gemütlich stehen zu können. Dann befestigen wir das Geschüh noch unten bei dir am Handschuh, damit es dir nicht aus Versehen rausrutscht, und auf geht’s zur Waage.«

Wir marschieren los. Langsam und sehr bedächtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Dabei halte ich den Arm sehr steif und habe nur Augen für den wunderschönen Bussard auf meinem linken Arm. Im Gegensatz zu der schwarzen Brust und dem schwarzen Rücken sind Morganas Federn an den Beinen feuerrot, genau wie ihre Schultern. Ich frage mich, ob alle ihre Körperteile eigene Greifvogel-Bezeichnungen haben, so wie der Schwanz, von dem ich gerade gelernt habe, dass er Stoß genannt wird. Ich frage Andrea, und sie erklärt mir, dass man die Beine Ständer nennt. Die Teile, die ich als Schultern identifiziert habe, sind allerdings die Handwurzelknochen, die Schultern liegen dahinter. Wie interessant. Ich plane, noch am selben Abend im Internet das Skelett eines Vogels herauszusuchen und es mir anzusehen. Morganas Augen sind hell und klar, der Schnabel ist am Ansatz gelb und wird dann zur Spitze hin immer grauer und dunkler. Das schwarze Stoßgefieder weist ein breites weißes Ende auf. Was für ein atemberaubend wunderschönes Tier! Ich bin sehr behutsam und vorsichtig und betrachte den Vogel bewundernd. »Na, nicht einschlafen, Sandra. Du kannst und solltest dich mit dem Vogel ganz normal bewegen. Sonst irritierst du ihn«, fordert Andrea mich auf und macht dabei mit ihrer Hand die klassische Kreisbewegung, mit der man jemanden zu etwas mehr Schnelligkeit antreibt. Ich versuche mein Bestes und lege einen Zahn zu, um zurück zu dem großen Raum zu gelangen.

Hier stellen wir uns vor die Waage. Andrea fordert mich auf, Morgana auf die Holzstange der Waage zu setzen, so wie sie es mir eben erst bei der Stange in der Voliere gezeigt hat. Jetzt weiß ich auch, wofür die Holzstange an der Waage dient; natürlich, die Vögel werden daraufgesetzt. Es klappt gleich beim ersten Mal, und ich bin mächtig stolz auf mich. »Klasse«, lobt Andrea mich und liest das Gewicht von der Anzeige ab. »Neunhundertzwanzig Gramm, das passt super. Hier in unserer Liste hat jeder Vogel eine eigene Spalte, in der das tägliche Gewicht dokumentiert wird. Neunhundertzwanzig Gramm sind ein perfektes Gewicht für die Wüstenbussardlady auf deinem Arm. Nun können wir sie nach draußen bringen, denn jetzt steht das Reinigen der Volieren an.«

Wüstenbussarde, so habe ich noch am Abend zuvor recher­chiert, sind Greifvögel, die in Mittel- und Südamerika vor­kommen. Genau genommen sind es nicht einmal Bussarde, weswegen sie im Deutschen auch meist Harris’s Hawk genannt werden. Die Tiere jagen in Gruppen, sogenannten Kompanien, was im Greifvogelreich in dieser Form absolut einzigartig ist. Innerhalb der Gruppen werden sogar Jagdstrategien entwickelt, um die Beute – meist kleine bis mittelgroße Säugetiere, zum Beispiel Kaninchen – zu erlegen.

Andrea führt mich auf die große Wiese vor den Volieren, wo unzählige sogenannte Sprenkel stehen. Am besten kann man diese Sprenkel als Stühle für Vögel beschreiben. Es handelt sich um etwa kniehohe Stangen, welche mithilfe eines Erdspießes in den Boden gesteckt werden und auf denen der Vogel gemütlich sitzen kann.

Nachdem ich Morgana auf ihren Platz gebracht habe, beginnen...

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