|11|Kapitel 1
Einführung
|12|1.1 Zielgruppe und Lehrziele des Buches
Die Pädagogische Psychologie boomt. Im Rahmen der psychologischen Anwendungsfächer hat sie in den letzten Jahren einen rasanten Zuwachs zu verzeichnen, sowohl hinsichtlich ihrer Forschungsindikatoren (Publikationen, Drittmitteleinwerbungen, Berufungen auf Professuren) als auch ihrer praktischen Bedeutung, insbesondere im Diskurs der Empirischen Bildungsforschung und – nicht zuletzt – der Anzahl ihrer Lehrbücher und Nachschlagewerke (Hasselhorn & Gold, 2017; Klauer & Leutner, 2012; Renkl, 2008; Rost, Sparfeldt & Buch, 2018; Seidel & Krapp, 2014; Schnotz, 2011; Wild & Möller, 2015 etc.). Warum und mit welchem Ziel also, so kann man berechtigt fragen, noch ein Lehrbuch der Pädagogischen Psychologie?
Mit der Umstellung der Psychologieausbildung an den deutschen Universitäten vom Diplom- auf ein Bachelor-Master-System (BSc/MSc) ist auch für die Pädagogische Psychologie eine neue Situation entstanden. Das Rahmenmodell zur Ausgestaltung des BSc/MSc-Angebots der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs, 20051) fasst die Pädagogische Psychologie unter die „etablierten Anwendungsfächer der Psychologie“ und sieht deren Einführung im Studienmodell schon für das 3. und 4. Fachsemester im Bachelor-Studiengang vor. Dies bedeutet, dass im Unterschied zur Diplomausbildung, in der die Pädagogische Psychologie zum Spektrum der Fächer des Hauptstudiums gehörte und damit auf einem breiten, allgemein ausbildenden Grundstudium aufbauen konnte, die Vermittlung pädagogisch-psychologischer Konzepte und Erkenntnisse im Rahmen des Bachelor sehr viel voraussetzungsfreier erfolgen muss. Damit müssen zentrale Konzepte, etwa der Lernpsychologie oder der Kognitiven Psychologie, mit in die Darstellung der Pädagogischen Psychologie aufgenommen werden, ohne selbst dort genuin verortet zu sein. Hierin sehen wir denn auch die Hauptzielrichtung des hier vorgelegten Lehrbuchs: eine voraussetzungsarme Einführung in das Gebiet der Pädagogischen Psychologie für Bachelor-Studierende zu liefern, die zentrale methodische und inhaltliche Konzepte der Psychologie dort aufgreift und darstellt, wo sie für die Pädagogische Psychologie relevant sind, ohne sie für das Fach vereinnahmen zu wollen. Zugleich wird das Buch damit auch für solche Studierende relevant, die sich mit den Gegenständen und Erkenntnissen der Pädagogischen Psychologie in thematisch benachbarten, aber fachfremden Disziplinen befassen. Hier sehen wir in erster Linie Lehramtsstudierende im Rahmen ihrer bildungswissenschaftlichen |13|Ausbildung, aber auch beispielsweise Betriebswirte oder Informatiker, die sich unter anderem mit Lehr-, Lern- und Ausbildungsprozessen oder der Gestaltung von computerunterstützten Lehr-Lernszenarien befassen.
Mit der Definition der Zielgruppe ist schon eine pädagogisch-psychologische Forderung an guten Unterricht erfüllt. Eine zweite, nicht minder wichtige, besteht in der Definition der Lehrziele, also dessen, von dem die Autoren wünschen, dass es die Leserinnen und Leser lernen mögen (Klauer, 1987; Klauer & Leutner, 2012). Auch wenn wir auf die kognitive und motivationale Bedeutung von Lehrzielen im Rahmen des Buches noch genauer eingehen werden, sei so viel bereits vorweggesagt: Lehrziele sollten (1) konkret und (2) überprüfbar sein. Folgt man der Argumentation von Vertretern behavioristischer Lehrzieldefinitionen, dann besteht ein Lehrziel in der Bewältigung einer Menge von Aufgaben, die ihrerseits wiederum einen Gegenstandsbereich vollständig oder repräsentativ abbilden (Klauer, 1987). Der Grad der Lehrzielerreichung wird dabei als eine bestimmte Menge von Aufgaben definiert, die ein Lernender aus einer solchen Aufgabenmenge lösen kann. Man sieht hier schon eine gewisse Neigung von Pädagogischen Psychologen zur Formalisierung – schließlich sagt eine solche Definition immer noch nichts darüber aus, was denn ein Lerner nun konkret können soll, wenn er mit diesem Lehrbuch gelernt und es verstanden hat (was nicht dasselbe ist). Wir gehen diesem Problem gesondert im Band zur pädagogisch-psychologischen Diagnostik (Spinath & Brünken, 2016) nach. Dort sehen wir auch, dass Fähigkeiten im Umgang mit diagnostischen Methoden zu den Kernkompetenzen Pädagogischer Psychologen gehören, die in vielfältigen Anwendungskontexten von Bedeutung sind. Es wäre jedoch überfordernd, von einem einführenden Lehrbuch für BSc-Studierende zu erwarten, alle für den Erwerb solcher Kernkompetenzen notwendigen Informationen bieten und anhand eingehender Beispiele illustrieren und üben zu können. Ziel ist es vielmehr, die aus unserer Sicht relevanten Bereiche anzureißen und hinsichtlich ihrer zentralen theoretischen Konzepte und empirischen Befunde schlaglichtartig zu beleuchten. Das Buch soll im besten Fall neugierig machen, Fragen hervorrufen, Interesse wecken und Hinweise geben, wo und wie es weitergehen soll und kann. Wir gehen dabei davon aus, dass der Leser über gewisse grundlegende wissenschaftstheoretische und methodische Kenntnisse in Hinblick auf die empirischen Humanwissenschaften verfügt, soweit diese nicht spezifisch für den Bereich der Pädagogischen Psychologie sind – eben das, was ein Psychologiestudierender in seinen ersten beiden Semestern kennengelernt hat, etwa im Rahmen von Methodenlehrevorlesungen, Empiriepraktika und einführenden Veranstaltungen. Spezielle statis|14|tische Kenntnisse erwarten wir nicht. Dort, wo wir sie benötigen und nicht selbst erklären, werden wir auf entsprechende Referenzen verweisen.
1.2 Was ist Pädagogische Psychologie?
Die Frage nach einer soliden Definition des Gegenstandsbereiches, den man zu beschreiben beabsichtigt, steht vernünftigerweise am Anfang jeder guten wissenschaftlichen Abhandlung. Sie zu beantworten ist jedoch ungleich schwieriger, zumal wenn es sich um ein so komplexes Feld handelt, wie das unsrige. Man kann sich dieser Frage dabei auf verschiedene Weisen nähern: historisch, indem man sich die Anfänge des Faches und seine Entwicklung ansieht; empirisch, indem man schaut, was unter dem Label der Pädagogischen Psychologie gemacht, also beispielsweise publiziert wird, oder systematisch, indem man versucht, den Gegenstandsbereich zu definieren und anschließend in seine Komponenten zu zerlegen. Oder man schreibt bei denen ab, die sich vorher schon darum Gedanken gemacht haben.
Versuchen wir es probehalber zunächst mit letzter Strategie und schauen uns an, welche Themen in einer (nicht erschöpfenden) Reihe derzeit aktueller nationaler und internationaler Lehrbücher besprochen werden (vgl. Tab. 1).
Neben vielen Besonderheiten der einzelnen Bücher finden wir einige bemerkenswerte Gemeinsamkeiten: Im Mittelpunkt aller Lehrbücher stehen die Themen Lernen, Lehren und Diagnostizieren. Man kann also wohl festhalten, dass weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass es in der Pädagogischen Psychologie um die Frage geht, wie Menschen lernen, wie man diese Lernprozesse systematisch unterstützen kann (Lehren) und wie man feststellen kann, ob die Lehr- und Lernbemühungen erfolgreich waren (Diagnostizieren). Zudem befassen sich die Autorinnen und Autoren der Lehrbücher mit den Voraussetzungen erfolgreicher Lernprozesse, ihren Rahmenbedingungen sowie – insbesondere amerikanische Lehrbücher – mit interindividuellen Unterschieden zwischen verschiedenen Lernern und darauf bezogenen, differenzierten Lehranforderungen.
|15|Tabelle 1: Themenschwerpunkte aktueller Lehrbücher zur Pädagogischen Psychologie
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