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E-Book

Die unbewohnbare Erde

Leben nach der Erderwärmung

AutorDavid Wallace-Wells
VerlagLudwig
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783641243869
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die heute schon spürbaren und die schlimmstmöglichen Folgen der Klimaerwärmung sind das Thema des Journalisten David Wallace-Wells in diesem spektakulären Report. Wie kann und wird das Leben auf der Erde in nur 40, 50, 60 Jahren aussehen? Sicher ist: Heutige Teenager und Kinder werden noch erleben, wie sich die Bedingungen für die Menschheit auf der Erde dramatisch verschlechtern, sie werden erleben, wie sie in Teilen unbewohnbar wird. Wallace-Wells macht die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Mehrheit der Menschen oft gar nicht erreichen, begreifbar, ja fühlbar. Und am Ende steht die drängende Frage: Haben wir überhaupt noch eine Chance, das Unheil abzuwenden?

Ein polarisierendes, aufrüttelndes und fesselndes Debattenbuch zu einem Thema, das der Menschheit zunehmend unter den Nägeln brennt.

David Wallace-Wells ist Kolumnist und stellvertretender Chefredakteur beim 'New York Magazine', wo er häufig zu Themen wie dem Klimawandel und der Zukunft von Wissenschaft und Technologie schreibt. Im Juli 2017 verfasste er eine Titelgeschichte zu den dramatischen Konsequenzen der Erderwärmung, die innerhalb kürzester Zeit Millionen Leser erreichte und der meistgelesene Artikel in der Geschichte des Magazins wurde. Er löste damit eine globale Debatte unter Wissenschaftlern und Journalisten aus über die Art und Weise, wie über die Bedrohung durch den Klimawandel informiert werden sollte.

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Leseprobe

Hitzetod

Menschen sind, wie alle Säugetiere, Verbrennungsmotoren. Um zu überleben, müssen sie ständig gekühlt werden, wie es Hunde durch Hecheln tun. Daher muss die Außentemperatur niedrig genug sein, dass die Luft als eine Art Kühlelement dienen kann, das der Haut Wärme entzieht, damit der Motor weiterlaufen kann. Bei einer Erderwärmung um sieben Grad wäre das in Teilen der Äquatorzone unmöglich, vor allem in den tropischen Gebieten, wo die Feuchtigkeit das Problem verstärkt.121 Und dann ginge es ganz schnell: Nach ein paar Stunden wäre ein Mensch innerlich und äußerlich zu Tode gekocht.122

Bei einer Erwärmung um elf oder zwölf Grad würde mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, so wie sie heute auf der Erde verteilt ist, unmittelbar an der Hitze sterben. So heiß wird es in naher Zukunft ziemlich sicher nicht, auch wenn einige Modellrechnungen das bei unveränderten Emissionen in einigen Jahrhunderten für realistisch halten. Doch schon bei fünf Grad mehr wäre einigen Berechnungen zufolge das Leben für Menschen in weiten Teilen der Erde buchstäblich nicht möglich.123 Sechs Grad würden im Sommer jede Art von Arbeit im Freien im Gebiet rund um den unteren Teil des Mississippi unmöglich machen, und sämtliche östlich der Rocky Mountains lebenden Menschen würden stärker unter der Hitze leiden als heute irgendjemand irgendwo auf der Welt.124 Die Hitzebelastung in New York wäre dann größer als gegenwärtig in Bahrain, einem der heißesten Orte der Erde, und die Temperatur in Bahrain »würde selbst bei schlafenden Menschen zu Überhitzung führen«.125

Fünf oder sechs Grad bis 2100 sind eher unwahrscheinlich. Der Weltklimarat sagt bei weiterhin stetig ansteigenden Emissionen einen durchschnittlichen Temperaturanstieg um vier Grad voraus.126 Doch auch das hätte Auswirkungen, die uns heute unvorstellbar erscheinen: Flächenbrände im Westen der USA, die 16-mal so viel Land verschlingen wie heute, und Hunderte von überfluteten Städten. In manchen Städten in Indien und im Nahen Osten, in denen aktuell Millionen Menschen wohnen, wäre es so heiß, dass es lebensgefährlich wäre, im Sommer vor die Tür zu gehen – und dazu kommt es schon deutlich früher, bei einer Erwärmung um nur zwei Grad. Man muss sich nicht unbedingt die Worst-Case-Szenarios anschauen, um nervös zu werden.

Wenn es um die unmittelbaren Auswirkungen der Hitze geht, ist die sogenannte »Feuchtkugeltemperatur« entscheidend, eine kombinierte Methode, die so küchenlabormäßig funktioniert, wie der Begriff klingt, und auch die Luftfeuchtigkeit einbezieht: Die Temperatur wird ermittelt, indem man ein Thermometer in eine feuchte Socke steckt und es durch die Luft schwingt. Im Augenblick erreichen die meisten Regionen ein Feuchtkugelmaximum von 26 oder 27 Grad, während die rote Linie für die Bewohnbarkeit bei 35 Grad verläuft – jenseits davon kommt es zu ersten Todesfällen durch Hitze. Das lässt uns eine Lücke von acht Grad. Doch die sogenannte »Hitzebelastung« setzt deutlich früher ein.

Genau genommen ist der Punkt bereits erreicht. Seit 1980 hat die Anzahl der gefährlichen Hitzewellen auf der Erde um das Fünfzigfache zugenommen, Tendenz steigend.127 Die fünf wärmsten Sommer, die es seit 1500 in Europa gegeben hat, fanden allesamt seit 2002 statt,128 und der Weltklimarat warnt davor, dass es in Zukunft in Teilen der Erde bereits gesundheitsschädlich sein könnte, zu dieser Jahreszeit im Freien zu arbeiten.129 Selbst wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten, werden Städte wie Karatschi und Kolkata (früher: Kalkutta) jedes Jahr tödliche Hitzewellen wie die im Jahr 2015 erleben, als die Hitze in Indien und Pakistan Tausende Menschen das Leben kostete.130 Bei einer Erwärmung um vier Grad wird die tödliche Hitzewelle, die Europa 2003 heimsuchte und täglich 2 000 Opfer forderte, als normaler Sommer gelten.131 Damals handelte es sich um eines der schlimmsten Wetterereignisse in der Geschichte des Kontinents, mit 35 000 Toten, darunter 14 000 in Frankreich. Absurderweise überstanden die Schwachen und Gebrechlichen diese Zeit relativ gut, schrieb der Journalist William Langewiesche, da die meisten von ihnen in den Pflegeheimen und Krankenhäusern dieser wohlhabenden Länder betreut wurden.132 Einen Großteil der Opfer machten die vergleichsweise gesunden alten Menschen aus, von denen viele von ihren Angehörigen im Stich gelassen wurden, als diese auf der Flucht vor der Hitze verreisten. Einige der Toten lagen wochenlang da und verwesten, bis ihre Familien zurückkehrten.

Es wird schlimmer werden. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Ethan Coffel gelangte 2017 zu der Erkenntnis, dass die Anzahl der Tage, die wärmer sind als das, was bisher die wärmsten Tage des Jahres waren, im »Weiter so«-Szenario bis 2080 um das 100-Fache ansteigen könnten – möglicherweise sogar um das 250-Fache.133 Coffel rechnete in der Einheit »Personentag«, einer Kombination aus der Anzahl der betroffenen Personen und der Anzahl der Tage. Der Studie zufolge gäbe es jedes Jahr zwischen 150 und 750 Millionen Personentage, an denen die Feuchtkugeltemperatur der der schwersten – das heißt ziemlich tödlichen – Hitzewellen der Gegenwart entspräche. Es käme zu jährlich einer Million Personentage, an denen eine unerträgliche Konstellation aus Hitze und Feuchtigkeit herrschen würde, in der der Mensch nicht überleben kann. Die Weltbank schätzt, dass die kühlsten Monate in den Tropenregionen Südamerikas, Afrikas und des Pazifiks Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich wärmer sein werden als die wärmsten Monate Ende des 20. Jahrhunderts.134

Natürlich gab es auch damals schon Hitzewellen, teils mit tödlichen Folgen: 1998 forderte der Sommer in Indien 2 500 Todesopfer.135 In letzter Zeit waren die Temperaturspitzen noch höher. 2010 führte eine Hitzewelle in Russland zu 55 000 Toten, allein in Moskau starben täglich 700 Menschen.136 In der Hitzewelle, die den Nahen Osten 2016 mehrere Monate lang zum Kochen brachte, erreichten die Temperaturen im Irak im Mai 38 Grad Celsius, im Juni 43 Grad und im Juli 49 Grad. Unter 38 Grad fielen sie die meiste Zeit über nur nachts. (Ein schiitischer Geistlicher in Nadschaf erklärte laut dem Wall Street Journal, die Hitze sei auf einen elektromagnetischen Angriff der Amerikaner zurückzuführen, und einige irakische Meteorologen stimmten ihm zu.137) Im April 2018 wurde im Südosten Pakistans die wahrscheinlich höchste jemals gemessene Temperatur verzeichnet. In Indien erhöht jeder einzelne Tag über 35 Grad die jährliche Sterberate um 0,75 Prozent, und 2016 gab es mehrere Tage über 49 Grad – im Mai. Saudi-Arabien, wo im Sommer häufig derartige Temperaturen erreicht werden, verbraucht zu dieser Jahreszeit täglich 700 000 Barrel Öl, hauptsächlich um damit Klimaanlagen zu betreiben.138

Diese helfen natürlich gegen die Hitze, aber Klimaanlagen und Ventilatoren machen bereits heute 10 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs aus.139 Man rechnet damit, dass sich dieser Wert bis 2050 verdrei- oder sogar vervierfachen wird; laut einer Schätzung werden schon bis 2030 700 Millionen Klimaanlagen hinzukommen.140 Eine weitere Untersuchung legt nahe, dass es im Jahr 2050 mehr als neun Milliarden Kühlgeräte verschiedener Art auf der Welt geben wird.141 Doch sieht man von den heruntergekühlten Einkaufszentren in den Emiraten am Persischen Golf ab, ist es nicht ansatzweise wirtschaftlich, geschweige denn ökologisch, die heißesten Regionen der Erde, die oft auch zu den ärmsten gehören, flächendeckend zu klimatisieren. Und die schlimmsten Auswirkungen der Entwicklung werden den Nahen Osten und den Persischen Golf treffen, wo 2015 Hitzeindex-Temperaturen im Bereich von knapp 73 Grad gemessen wurden. Schon in einigen Jahrzehnten wird der Hadsch für viele der zwei Millionen Muslime, die die Pilgerreise im Augenblick jährlich unternehmen, körperlich nicht mehr durchzuführen sein.142

Doch es betrifft nicht nur den Hadsch – und nicht nur Mekka. Im Zuckerrohrgebiet von El Salvador leidet ein Fünftel der Bevölkerung – und ein Viertel der Männer – an chronischer Nierenkrankheit, wahrscheinlich eine Folge der Dehydration, der sie bei der Ernte ausgesetzt sind, obwohl es noch vor zwei Jahrzehnten keine derartigen Probleme gab.143 Mit einer Dialyse, die teuer ist, haben diese Nierenkranken eine Lebenserwartung von fünf Jahren; ohne bemisst sich die verbleibende Zeit in Wochen. Doch natürlich greift die Hitzebelastung neben den Nieren auch andere Teile unseres Körpers an. Während ich diesen Satz schreibe, beträgt die Temperatur draußen vor der Tür – Mitte Juni in der kalifornischen Wüste – 49 Grad. Das ist kein Rekordwert.

All das haben die Kosmologen im Kopf, wenn sie davon reden, wie extrem unwahrscheinlich es sei, dass etwas so Fortschrittliches wie die menschliche Intelligenz sich in einem so lebensfeindlichen Universum wie unserem entwickelt hat: Jeder unbewohnbare Planet dort draußen erinnert uns daran, welch eine einzigartige Konstellation von Bedingungen...

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