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Hölle und Fegefeuer

Theologisch-praktische Quartalschrift 2/2019

VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl112 Seiten
ISBN9783791761558
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Heft 2/2019 widmet sich dem Thema Hölle und Fegefeuer, das heute bei den meisten Menschen unweigerlich Bilder der Angst und des Schreckens hervorruft. Das war jedoch nicht immer so. Im Gegenteil - ursprünglich verband man die Ideen von Hölle und Fegefeuer durchaus mit dem Aspekt von Trost und Hoffnung.

Mit Beiträgen von Michael N. Ebertz, Magnus Striet, Markus Mühling, Klaus Bieberstein, Christoph Niemand, Andreas Merkt, Ines Weber, Theresia Heimerl, Johanna Rahner, Sabine Demel.

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Leseprobe

Michael N. Ebertz

Der Kampf um Hölle und Fegefeuer


Ein soziologischer Blick

 Dass die Rede von Hölle und Fegefeuer auch soziologisch aufschlussreich gelesen und verstanden werden kann, zeigt Michael Ebertz in diesem Beitrag. Dabei werden in einer zweigleisigen Vorgehensweise theologische Motive mit soziologischen Motiven in Verbindung gebracht. So spielt etwa die Dynamik von Inklusion und Exklusion eine zentrale Rolle für bestimmte Jenseitsvorstellungen und das Fegefeuer kann als Innovation der Theologieentwicklung verstanden werden. Gezeigt wird auch, dass sich verändernde irdische Gewalterfahrungen (und umgekehrt: die Ächtung der Gewalt in modernen Gesellschaften) die Wahrnehmung und Darstellung der „Höllenpein“ in der Theologie beeinflussen. (Redaktion)

Wie auch immer die Nachtodregionen in einigen Religionen modelliert werden, sie haben „häufig eine erkennbare historische Entwicklungs- oder Tiefendimension und können daher für die Beobachterperspektive ‚von außen‘ sowohl Kongruenzen als auch deutliche Spannungen aufweisen oder Widersprüchliches enthalten“1. Die soziologische Perspektive wird solche Spannungen auch im Feld einer Religion wie der christlichen interpretieren und als Kämpfe unterschiedlicher Statusgruppen „um das Monopol der legitimen Verfügung über die Heilsgüter“2 und Heilswahrheiten lesen, zumal es auch nicht-religiöse Antworten auf die Frage nach Leben und Tod geben kann und den sich wandelnden religiösen Bedürfnissen der ‚Massen‘ Rechnung zu tragen ist, um die religiösen Autoritäten zu stabilisieren: „Die Durchsetzung der großen Religionen war das Endergebnis langer Kämpfe. Jede führende Gruppe begegnete dem Widerstand einer oder verschiedener anderer Statusgruppen, die ebenfalls materielle oder ideelle Interessen verfolgten […]“3. Wissenssoziologisch ist dabei zu vermuten, dass mit der massenförmigen Ausbreitung einer Religion überkommene Exklusionsformeln von Heilswahrheiten durch Inklusionsformeln ausbalanciert werden, die den gewandelten gesellschaftlichen Plausibilitätsstrukturen Rechnung tragen müssen, um in der Zeit bestehen zu können.

1 Inklusion – Exklusion


Tatsächlich dreht sich während der gesamten Christentumsgeschichte eine der spannungsvollsten Arbeiten im religiösen Feld um die Frage der postmortalen Inklusion und Exklusion. Dabei geht es auch um die Gewichtung der beiden Gottesattribute, der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit. Bereits Origenes (gest. ca. 253) hatte die dilemmatische Frage damit beantwortet, dass er die Vorstellung von der ewigen Hölle in ein vorübergehendes – wohlgemerkt metaphorisches – Fegefeuer auflöste und damit eine postmortale Resozialisationsstrafe und somit ein Inklusionsmodell für alle Geschöpfe favorisierte. Eine endzeitliche Beseitigung alles Bösen und die vollkommene Wiederherstellung der Schöpfung, auch des Teufels und seiner Engel, sei zu erwarten. Diese Lehre von der Apokatastasis pantón (Allerlösung; Wiederherstellung; vgl. Apg 3,21; 1 Kor 15,25), dass also die Rettung von Gott allein kommt und dem gesamten Kosmos gilt, wurde durch Augustinus (gest. 430) heftig bekämpft und sollte schließlich auf dem 5. Ökumenischen Konzil von Konstantinopel, also dreihundert Jahre nach dem Tod ihres Urhebers, in 15 Canones „contra Origenem sive Origenistas“ ausdrücklich verdammt werden. Gegen das eschatologische Inklusionsmodell setzte Augustinus4 und die ihm nachfolgende Theologie ein eschatologisches Exklusionsmodell, das bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts das kirchenoffiziell gewordene eschatologische Format des westlichen Christentums prägte. Augustinus wird damit zum „großen Töter der Hoffnung“5, indem er jeder „Hoffnung auf Allerlösung jede Grundlage entzog“6, aber damit für die ‚Pastoralmacht‘ (Michel Foucault) der klerikalen Statusgruppen die Grundlagen legte.

2 Innovation Fegefeuer


Diese Macht über die Seelen im Hinblick auf ihr jenseitiges Heil konnte seit der frühchristlichen Innovation des Purgatoriums erheblich gesteigert werden. Denn nicht ‚Himmel und Hölle‘, sondern ‚Himmel, Hölle, Fegefeuer‘ zählen seitdem zum Kernbestand der eschatologischen Vorstellungswelt, die für die römisch-katholische Tradition spezifisch, zur Profilierung des für sie typischen „sakramentalen Religionstypus“7 funktional geworden und dementsprechend auch dogmatisch fixiert worden ist. Spekulativ vorbereitet durch einflussreiche Theologen der Alten Kirche, forciert durch Papst Gregor d. Gr. und auch aus der kirchlichen Frömmigkeitspraxis (Gebete und ‚Seelenmessen‘) heraus entwickelt, war schließlich die Lehre vom Fegefeuer oder ‚Reinigungsort‘ (‚Purgatorium‘) fest in den alten, auch biblisch und außerbiblisch überlieferten Jenseitsdualismus aus ‚Himmel und Hölle‘ hereingezogen und sodann – unter Einfluss der hochmittelalterlichen Scholastik – nach einem Brief des Papstes Innozenz IV. (1254), anlässlich des 2. Konzils von Lyon (1274) sowie auf dem Konzil von Florenz (1439), und zwar gegen die griechische Teiltradition des Christentums zum Glaubensartikel offizialisiert worden. Diese theologische Innovation zielte darauf ab, das diesseits unvollendet gebliebene persönliche Bußgeschehen durch Reinigung im postmortalen Jenseits, abkürzbar über Messopfer, Gebete, Almosen und andere Werke der Frömmigkeit der noch lebenden Gläubigen, zum Abschluss bringen zu können, d. h. auch einer großen Zahl von Sündern – nicht den qua ungebeichteter Todsünde Verdammten – einen ‚Umweg‘ zur himmlischen Seligkeit und somit Heilsgewissheit, zumindest -hoffnung zu erschließen. Dogmatisch bestätigt wurde diese eschatologische Vorstellung schließlich auf dem Konzil von Trient, das auf seiner letzten Sitzung (3.12.1563) im „Decretum de purgatorio“ nun auch gegen die Vertreter der Reformation befahl, „dass von den Glaeubigen Christi die gesunde, von den heiligen Vaetern und heiligen Concilien überlieferte Lehre vom Fegfeuer geglaubt, beybehalten, gelehrt und ueberall geprediget werde“. Denn auch Calvin verwarf die Fegefeuer-Vorstellungen wie Luther („Gauckelwerk“), der das Thema im Kontext der Seelenmessen und der Ablasstheorie behandelt, wegen der fehlenden biblischen Begründung, jener aber auch und vor allem im Zusammenhang mit seiner Prädestinationslehre, dieser aufgrund der Rechtfertigungslehre.

„Diese Behausungen ‹receptacula› sind jedoch nicht alle ein und derselben Art. Es gibt nämlich einen furchtbar grausenhaften und finstern Kerker, wo in ewigem und unauslöschlichem Feuer die Seelen der Verdammten zugleich mit den unreinen Geistern gequält werden, welcher auch Gehenna, der Abgrund, und in eigentlicher Bedeutung die Hölle genannt wird. Außerdem gibt es ein Reinigungsfeuer ‹purgatorius ignis›, durch welches die Seelen der Frommen eine bestimmte Zeitlang gepeinigt und dadurch geläutert werden ‹cruciatae expiantur›, auf dass ihnen der Eingang in das ewige Vaterland geöffnet werden kann, in welches nichts Beflecktes eingeht.“8 So formulierte vor 450 Jahren der Vorläufer unseres heutigen Weltkatechismus: der hochgradig autorisierte und normierende Catechismus Romanus. Vom Tridentinum angeregt, erschien er unter Papst Pius V. als pastorale Richtlinie für den Pfarrer („ad Parochum“). Er galt „weithin als Äußerung des ordentlichen Lehramts“, war „in der ganzen Kirche gehört und benützt“9 worden und blieb „bis in das 20. Jahrhundert der offizielle Katechismus“ der römisch-katholischen Kirche.10 Er gab für die Seelsorge- und Predigtpraxis eine Antwort auf die Katechismusfrage, „wie viele Orte (!) es gebe, in welchen die der Seligkeit nicht theilhaftig gewordenen Seelen nach dem Tode aufbehalten werden“ („Quot sint loca, quibus animae extra beatitudinem constitutae, post mortem detinentur“).. Und von dieser Antwort, „von der Wahrheit dieser Lehre, welche, wie die heiligen Concilien es aussprechen, sowohl durch die Zeugnisse der Schrift als durch die apostolische Ueberlieferung bestätigt ist, soll der Pfarrer um so sorgfältiger und öfter reden, weil wir in solche Zeiten gerathen sind, in denen die Menschen die gesunde Lehre nicht aufnehmen wollen“, heißt es an gleicher Stelle weiter.

3 Das Jenseits im Diesseits


Ohne eindeutigen biblischen Beleg (vgl. 2 Makk 12,45; 1 Kor 3,15) und abgelehnt von den Ostkirchen sowie von den Kirchen der Reformation, deren Theologen im 17. und 18. Jh. in materialreichen Arbeiten die Ablehnung des Fegefeuers mit dem späten Aufkommen dieser Lehre begründeten, avancierte dieser eschatologische Trialismus in der Folgezeit zusammen mit der Marien- und Heiligenverehrung, dem Buß- und Ablass-, dem Prozessions- und Wallfahrtswesen zu einem zentralen konfessionellen Identitäts- und Unterscheidungszeichen und bestimmte – neben der Kontroverstheologie – erheblich die Frömmigkeitspraxis (z. B. Eucharistiefrömmigkeit, Armeseelen-, Marien-, Heiligenkult und die Frömmigkeit u. a. bezüglich der Werke der Barmherzigkeit) der katholischen Länder Europas im Barock, ja die kleinbürgerliche Massenreligiosität bis ins 20. Jahrhundert hinein, aller Aufklärungskritik zum Trotz.

Damit hebt innerhalb der theoretischen und praktischen katholischen Eschatologie verstärkt eine dialektische Entwicklung an, sich von der augustinischen Exklusionstheologie, wonach nur eine...

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