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E-Book

Von Anfang an Europa

Die Geschichte unseres Kontinents

AutorMatthias von Hellfeld
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783451818509
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Europa verbindet viel mehr als es zertrennt. Nirgendwo sonst auf der Welt existieren so viele unterschiedliche Sprachen, Kulturen und Traditionen so nah nebeneinander wie hier. Und nirgendwo sonst gehen diese Unterschiede eine so enge Verbindung miteinander ein. Vieles, was wir Bewohner des alten Kontinents national zurechnen, ist Teil eines gemeinsamen Erbes. Es ist höchste Zeit, diese Geschichte der europäischen Gemeinsamkeiten zu erzählen. Unsere Identität ist in erster Linie europäisch. Matthias von Hellfeld berichtet spannend und unterhaltsam von dem, was uns eint und was unsere Vorväter und -mütter oft blutig und mühsam erstritten haben. Ein historischer Parforceritt von den alten Griechen bis in unsere nicht immer einfache Gegenwart.

Matthias von Hellfeld, Dr. phil., geb. 1954, Studium von Geschichte, Sozialwissenschaften und Pädagogik, Historiker, Journalist; zahlreiche Arbeiten für Film, Funk und Fernsehen; Seit Mai 2016 ist von Hellfeld Redakteur des Geschichtsformats 'Eine Stunde History' bei Deutschlandfunk Nova. Begleitend zur Sendung produziert er mit Holger Klein das wöchentliche Podcast-Format WRINT Geschichtsunterricht. Die Geschichte Europas und ihre Vermittlung ist von Hellfelds publizistisches Lebensthema. Mehr zu Matthias von Hellfeld auf seinem Portal: www.geschichtsdoc.de

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Leseprobe

Was Europa fehlt:
Eine gute Geschichte


Vielen Europäern fehlt etwas: Eine gute Geschichte von ihrem Kontinent. Es müsste eine Geschichte sein, die ihnen von ihren Vorfahren und deren historischen Taten berichtet. Sie müsste erzählen, was sie erreicht und wofür sie gekämpft haben. Sie dürfte ihre Niederlagen und Enttäuschungen nicht verbergen, Katastrophen und Verbrechen nicht verschweigen. Eine Erzählung müsste es sein, die die Europäer stolz auf ihre Vergangenheit macht und ihnen eine Identifikation für den Kontinent gibt, auf dem sie gemeinsam mit vielen anderen leben. Dieses europäische Narrativ müsste vor ihnen einen Kontinent entstehen lassen, dessen außergewöhnliche Vergangenheit ihr gutes Leben in der Gegenwart ermöglicht. Vielen Europäern fehlt nämlich die Erinnerung an die Leistungen, Niederlagen und Fehler ihrer Vorfahren, durch die sie über Sprachen, Nationen und Traditionen hinweg erkennen könnten, dass sie Zeugen einer Epoche des Friedens und Wohlstands sind. Das europäische Narrativ ist, trotz vieler Katastrophen, eine Erfolgsgeschichte, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Europäischen Union gefunden hat. Diese EU ist trotz ihres dringenden und großen Reformbedarfs das Ergebnis einer mehr als 2500 Jahre andauernden gemeinsamen Geschichte der Völker Europas.

Eigentlich sollten die Europäer stolz auf mehr als 70 Jahre Frieden und stetig wachsenden Wohlstand für die Mehrheit der Menschen sein, aber viele von ihnen kritisieren lieber die EU als Fehlkonstruktion und Quelle aller Probleme. Ob es die Finanz- und Schuldenkrise ist, eine verfehlte Flüchtlingspolitik oder die angeblich gewollt herbeigeführte Masseneinwanderung – schuld ist immer die EU. Kaum eine Verordnung aus Brüssel entgeht dem Vorwurf der Gleichmacherei der doch ansonsten so unterschiedlichen europäischen Nationen. Gemacht würden diese Gesetze von unfähigen Bürokraten und willfährigen Politikern, die nichts als ihre (viel zu hohen) Diäten im Sinn hätten. Anstatt sich um die Sicherung des Wohlstands der europäischen Völker und die Abschottung gegen Flüchtlingsströme aus aller Welt zu kümmern, seien sie mit nichts anderem beschäftigt, als mit einer ungebremsten Verordnungswut das Leben der Menschen zu reglementieren. Am Ende einer solchen Politik stehe dann der europäische Superstaat, der alle nationalen Identitäten hinwegfegen und stattdessen einen europäischen Brei aus den unterschiedlichen Nationen formen wolle.

Diese EU-feindliche Rhetorik wird von manch einem Massenmedium unterstützt, deren veröffentlichte Meinung aber lediglich eine Ansammlung von Behauptungen und Vermutungen ist. Diese Medien täuschen damit eine Realität vor, die von vielen dann auch als eine solche wahrgenommen wird. Selbsterfüllende Prophezeiungen sind bewährte Arbeitsmittel von Stimmungsmachern, die die EU herabwürdigen wollen. Der amerikanische Soziologe William Isaac Thomas formulierte Ende der 1920er-Jahre eine Art Grundgesetz der Soziologie, indem er feststellte: »Wenn Menschen Situationen als wirklich definieren, dann sind diese auch in ihren Folgen wirklich.« Diese Erkenntnis hat bis heute nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt. Obwohl fünf der sechs im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien die Europäische Union verteidigen, gewinnt ein negatives Narrativ über die EU in der Bevölkerung offenbar an Zustimmung. Bei der Europawahl 2019 wählten 4,1 Millionen Deutsche die AfD – nahezu doppelt so viele wie 2014. Die AfD droht als Ultima Ratio mit dem Verlassen der EU, wenn diese sich nicht nach deutschen Vorstellungen reformieren lasse. In Abwandlung des soziologischen Grundgesetzes von William Isaac Thomas werden immer mehr Menschen der Meinung sein, die EU sei tatsächlich schlecht und zum Nachteil der Menschen in Europa, wenn schlecht über sie geredet wird. Würde man den Menschen sagen, dass die EU unbedingt schützenswert und gut ist, dann wäre sie es auch. Die EU ist eine gute Idee mit Fehlern, die aber leider zu selten eingestanden und beim Namen genannt werden. Sinnvoll und notwendig ist es, die Fehler der guten Idee erst zu benennen und dann zu korrigieren, anstatt die gute Idee wegen der Fehler zu verwerfen.

Von den alten Griechen lernen


Um aus dem unverdient schlechten Image der EU ein berechtigtes gutes Image zu machen, können wir uns auf jene »alten Griechen« berufen, die im Dunstkreis Athens, in Attika, lebten. Sie saßen nach der Mühsal ihrer täglichen Arbeit an Herd oder Lagerfeuer und erzählten sich Geschichten über die Vergangenheit und die Heldentaten ihrer Vorfahren, die es gar nicht gegeben hat. Sie hatten nämlich irgendwann erkannt, dass sie nicht wussten, woher sie eigentlich kamen, wer ihre Vorfahren gewesen sind, wie sie gelebt und was sie gemacht haben. Sie rätselten darüber, warum sie selbst auf der Welt waren und wie das alles mit der Natur zusammenhing, die sie umgab. Eine derartige Spurensuche betrieb der Philosoph und Dichter Hesiod, der vermutlich im achten vorchristlichen Jahrhundert gelebt hat. Er verlegte den Gründungsmythos der Griechen in die Zeit der Schaffung des Universums und machte sie damit zum Ursprung der Menschheit. Die heutigen Europäer verdanken Hesiod, der hauptberuflich Ackerbau und Viehzucht betrieb, eine Erkenntnis, die er am Beginn seiner »Werke und Tage« beschrieben hat. Er habe seine Nachforschungen betrieben, »damit bei der Nachwelt nicht in Vergessenheit gerate, was unter Menschen einst geschehen ist; besonders aber soll man Ursachen wissen, weshalb sie gegeneinander Kriege führten.« Die britische Althistorikerin Edith Hall bezeichnet das als »bahnbrechendes Manifest« für den europäischen Kontinent, auf dem immer schon viele unterschiedliche Völker auf engem Raum gelebt haben. Von Hesiod kennen wir auch den Mythos der »Büchse der Pandora«, die alle Krankheiten und Widrigkeiten des Lebens sorgsam umschloss. Als man sie öffnete, entwich das Schlechte in die Welt und machte sie zu einem finsteren Ort.

Hesiod dachte sich eine Abfolge von Zeitaltern aus, denen er bestimmte griechische Mythen zuwies. Im »Zeitalter der Heroen« fand Homers »Kampf um Troja« statt, dessen bekannteste Helden Achilles und Odysseus waren. Auf der Suche nach dem Sinn ihres Daseins erzählten sich die antiken Griechen derartige Mythen und umrahmten sie mit kultischen Ritualen. Wir könnten heute so etwas Ähnliches in den zahllosen Talkshows tun, die allabendlich über die Mattscheibe flimmern. Die Geschichten der alten Griechen berichten von Heroen, von Gefahren, denen sie ausgesetzt waren, und von übermenschlichem Mut, mit dem dieselben überwunden wurden. Das Erzählen dieser Geschichten war ein Instrument der politischen Bildung, denn über die mythische Grundlage der eigenen Vorgeschichte identifizierten sich die Griechen mit ihrem Land und mit ihrem Gemeinwesen. Die griechische Mythologie erzählt uns heute von der Ideenwelt der Griechen, von ihren Zielen und den Vorstellungen, wie die Welt dereinst entstanden sein musste. Die antiken Griechen leiteten aus der Mythologie eine Erklärung ihrer Herkunft, ihrer Sitten und Überzeugungen ab. Und sie taten das, obwohl es nicht einen einzigen Griechen je gegeben hat, der in der »Ilias« von Homer so blumig beschrieben wird.

Heldensagen und Götterwelt


In Ermangelung einer anderen Erklärung verknüpften die antiken Griechen ihre Helden auch gleich noch mit den Göttern und schufen so einen Zusammenhang zwischen dem Olymp, wo sie den Göttervater Zeus und seine Nachkommen vermuteten, und der Erde, wo sie von den Launen der Götter abhängig waren. Sie erklärten sich den Zusammenhang zwischen den Menschen und der Natur, indem sie für alles eine Gottheit kreierten: für das Meer, die Wellen und den Wind; für die Jagd; für die Fruchtbarkeit oder für das Kriegsglück. Diese Gottheiten galt es zu besänftigen, ihnen kultische Opfer darzubieten und sich ihren Urkräften zu unterwerfen. Die alten Griechen hofften, mit einer positiven Verbindung zu ihren Göttern würde ihr beschwerliches und äußerst karges Leben auf der Erde leichter werden. Gleichzeitig transportierten die Heldensagen die eigene Herkunftsgeschichte in die damalige antike Gegenwart. Das Streben, es den Helden gleichzutun, erklärt vielleicht den ungeheuren Mut, mit dem die antiken Griechen Gefahren begegneten und sie oft siegreich überstanden. Die Nachwelt verdankt dem Literaten Homer die Geschichte des sagenumwobenen Kampfs um Troja und den Bericht über die Abenteuer des Odysseus. Auch dessen Geschichten waren reine Erfindungen, aber er war trotz einiger kritischer Anmerkungen, die Homer zu Odysseus machte, Vorbild für viele Tausend Griechen.

In ihrer Geschichte über »die alten Griechen« beschreibt Edith Hall die Wirkung des Odysseus auf die antike Welt der Griechen. Er war ein »tüchtiger Allrounder« mit genügend Hirn- und Muskelschmalz, um alle Abenteuer zu überstehen. Er war ein »begnadeter Redner und erstklassiger Krieger«. Odysseus war »listenreich«, ein »ausgezeichneter Navigator und Schwimmer, ein idealer Pionier, Grenzbewohner und Siedler.« Ihn zeichneten »diplomatisches Geschick, Geduld und Selbstbeherrschung« aus, zudem konnte er in nur vier Tagen ein Floß bauen »vom Baumfällen bis zum Segelmachen« – welch ein Schiffszimmermann! Und als ob das nicht alles schon genug wäre, war er auch noch ein erfolgreicher Bauer, Experte für Weinanbau und ein überragender Sportler. Natürlich hat dieser Teufelskerl auch beim anderen Geschlecht einen Stein im Brett. Die beiden »übermenschlichen Frauen, Kalypso und Kirke«, haben eine Affäre mit ihm, während die Göttin Athene es bei einem Flirt belässt und ihre schützende Hand über ihn hält. Gleichwohl schließt ihn die nicht minder attraktive, aber...

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