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Resilienz- und bindungsorientierte Traumatherapie (RebiT)

Ein Handbuch

AutorAlice Romanus-Ludewig
VerlagJunfermann
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783955718459
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Konsequente Unterstützung für Therapeut und Klient Der Wunsch nach Unterstützung und Orientierung sowohl bei angehenden als auch fortgeschrittenen Traumatherapeuten ist groß. Die spezifischen Bedürfnisse der Klienten und die besonderen Erfordernisse im Therapieprozess machen die Traumatherapie zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Was ist konkret notwendig, damit das Gelernte im Anschluss an Aus- und Weiterbildung sinnvoll in den therapeutischen Alltag integriert werden kann? Orientiert an den anerkannten Richtlinien für die Behandlung von traumatischen Störungen bietet dieses Buch den Praktizierenden Hilfen, um ihr Wissen und Können effektiv und nach einem festen Gerüst anzuwenden. Mithilfe der regelmäßigen Bindungsgespräche gelingt der wichtige Austausch über die Qualität der therapeutischen Beziehung. Der gezielte Einbezug von Sinneserfahrungen sowie explizite Erklärungen über Vorgehen und Wirkweise der angewandten Methoden machen den Klienten zum Mitgestalter und führen ihn so zu seiner Selbstwirksamkeit zurück.

Dr. Alice Romanus-Ludewig ist Ärztliche Psychotherapeutin in eigener Praxis in Hannover. In ihren Seminaren erfahren Therapeuten alles Wesentliche über Trauma, Traumatisierungsfolgen und Grundlagen von traumatherapeutischer Behandlung nach dem RebiT-Ansatz.

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Leseprobe

2. Die fünf wichtigsten Traumamechanismen


In diesem Kapitel soll es primär um folgende Fragen gehen:

  • Was genau ist ein Trauma?
  • Unter welchen Bedingungen entsteht ein Trauma?
  • Was passiert bei einem Trauma im Gehirn und im Körper?
  • Warum zieht ein Trauma oft Folgeerkrankungen nach sich?
  • Und vor allem: Wie kann ein Trauma heilen?

Durch die Beantwortung dieser Fragen lernt man sehr viel über die fünf wichtigsten Traumamechanismen:

  1. Bedingungen zum Entstehen eines Traumas
  2. (Hirn-)physiologische Reaktionen im traumatischen Geschehen
  3. Folgen des traumatischen Geschehens
  4. Ursachen für die Persistenz der Traumafolgen
  5. Wirkung von Traumatherapie

Meines Erachtens hat man als Traumatherapeutin eine gute Wissensgrundlage, wenn man diese Mechanismen verstanden und verinnerlicht hat. Ich versuche, sie möglichst prägnant und übersichtlich darzustellen. Das soll natürlich nicht davon abhalten, noch tiefer in diese Materie einzutauchen und sich mit den Forschungserkenntnissen der Stressforschung (traumatischer Stress ist im Grunde genommen eine Extremform von Stress) zu beschäftigen. Hilfreiche Literatur bieten zum Beispiel Herman (Die Narben der Gewalt, 2018) oder Huber (Trauma und die Folgen, 2003a, und Wege der Traumabehandlung, 2003b).

2.1 Bedingungen zum Entstehen eines Traumas


Welche Bedingungen ein Trauma entstehen lassen und welche Auswirkungen dies im Moment des Entstehens auf den Menschen hat, kann wesentlich eingängiger durch Metaphern und Bilder dargestellt werden. Rein sprachlich existiert dafür der Begriff „Annihilationsdrohung“ (Huber, 2003a, S. 39), was man mit „Vernichtungsdrohung“ oder „Auflösungsgefahr“ übersetzen könnte: Das Gehirn wird von Informationen überflutet, welche größtmögliche Gefahr signalisieren. Das subjektive Erleben der betroffenen Person umfasst intensive Gefühle von Bedrohung, oft verbunden mit Gedanken wie „Es ist aus mit mir““ oder „Ich sterbe jetzt!“.

Das Erleben größtmöglicher Gefahr …

Ein Mann fährt nach einer anstrengenden Nachtschicht mit dem Auto nach Hause. Auf der Autobahn nimmt er nicht wahr, dass nach starkem Regen Aquaplaning herrscht. Plötzlich spürt er, wie er bei hoher Geschwindigkeit die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert und von der Fahrspur abkommt. Er sieht die Leitplanke auf sich zukommen.

Eine Frau geht mit ihrer neunjährigen Tochter zum Arzt, weil diese seit mehreren Wochen unter zunehmenden Schmerzen im rechten Unterschenkel klagt. Nach einer Röntgenuntersuchung und anschließender Biopsie teilt der Arzt der Mutter mit, dass ihre Tochter unter einer sehr aggressiven Form von Knochenkrebs leidet.

Ein sechsjähriger Junge muss mit ansehen, wie sein betrunkener Vater auf seine Mutter mit einer zerbrochenen Bierflasche losgeht. Er hört einen Schrei und sieht Blut im Gesicht seiner Mutter.

Ein zwölfjähriges Mädchen wird nach dem Turntraining von ihrem Trainer in ein längeres Gespräch verwickelt, bis alle anderen Mädchen weg sind. Der Trainer geht dann mit ihr in die Umkleidekabine und berührt sie wortlos im Intimbereich.

Eine Frau, die im achten Monat schwanger ist, geht entspannt und gut gelaunt zu einer Routineuntersuchung. Dort erfährt sie beim CTG, dass die Herztöne des Kindes extrem verlangsamt sind. Eine sich später anschließende Ultraschalluntersuchung ergibt, dass das Kind in der Zwischenzeit gestorben ist.

Metaphorisch kann man solch überwältigende Situationen, in denen man sich absolut ohnmächtig und ausgeliefert fühlt, mit dem Bild von der „traumatischen Zange“ ausdrücken, ein Begriff, der von Michaela Huber (Huber, 2003a, S. 38) stammt und sehr plastisch zum Ausdruck bringt, wie ein Trauma entsteht: Im Moment maximaler Bedrohung ist unser Organismus auf Kampf- oder Fluchtreaktion gepolt. Dieses Fight-or-Flight-Konzept geht auf den amerikanischen Forscher Walter Cannon zurück. Er hob erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Bedeutung des sympathischen Nervensystems bei der Stressreaktion hervor. Als wesentliche Bestandteile des Kampf- und Fluchtverhaltens identifizierte er die Nebennierenmarkshormone Adrenalin und Noradrenalin. Auf der Verhaltensebene sieht das so aus: Wir versuchen, uns instinktiv entweder durch Flucht oder Kampf aus der existenziell bedrohlichen Situation zu retten. Diese beiden reflexhaft über unser Stammhirn gesteuerten und in Millisekunden ablaufenden Reaktionen haben den Sinn, die drohende Traumatisierung noch abzuwenden. Sind beide Reaktionswege jedoch nicht möglich (z. B. weil der Gegner stärker ist oder es keinen Fluchtweg gibt), befinden wir uns in einer Situation der absoluten Ausweglosigkeit (im Bild: „in die Zange genommen“) und es kommt zur Traumatisierung. Man könnte auch von „traumatischer Falle“ sprechen: ein Zustand, in dem man sich nicht wehren und auch nicht fliehen kann.

In Abgrenzung zu einer Belastungssituation, die auch allein durch innere Konflikte bedingt sein kann, wird beim Trauma die Situation der Ohnmacht und Ausweglosigkeit durch ein existenziell bedrohliches reales äußeres Ereignis ausgelöst.

Wenn Flucht und Kampf nicht mehr möglich sind, hat der Organismus nur noch zwei Reaktionsmöglichkeiten, welche automatisch und gleichzeitig ablaufen: die Freeze- und die Fragment-Reaktion (s. u.).

2.2 (Hirn-)Physiologische Reaktionen im traumatischen Geschehen


Die Freeze-Reaktion (freeze = einfrieren), eine Art „Lähmung“, markiert den Übergang von der Bedrohungssituation zum Trauma. War vorher das Verhindern des Traumas das Ziel des Organismus, so ist es jetzt, den Schaden einzugrenzen und das Ereignis zu überleben. Dies geschieht, indem Reaktionen stattfinden, welche dem Organismus die größtmögliche Distanzierung vom Geschehen erlauben. Dies wird durch massive Ausschüttung von schmerzstillenden körpereigenen Opiaten ermöglicht, den sogenannten Endorphinen. Es kommt zu einer inneren Distanzierung bzw. Entfremdung vom Geschehen, zusätzlich verstärkt durch vermehrte Ausschüttung von Noradrenalin aus der Nebennierenrinde.

Neben dem Freeze-Phänomen kommt noch eine zweite Reaktion hinzu: das Fragmentieren bzw. die Zersplitterung (fragment). Das Erleben während des Traumas ist nicht zusammenhängend, sondern in verschiedene Einzelteile bzw. Erlebnissplitter aufgeteilt. Man geht davon aus, dass der Sinn darin besteht, das überwältigende Ganze in Teile zu zerlegen, um es irgendwie aushaltbar zu machen. Das dies überhaupt möglich ist, hat mit der Funktionsweise von Hirnstrukturen in bestimmten Hirnarealen zu tun. Es sind hauptsächlich zwei Strukturen in unserem Gehirn, welche für die Speicherung und Verarbeitung von Stresserlebnissen zur Verfügung stehen:

  • Die Amygdala (Mandelkerne), zwei kleine erbsengroße mandelförmige Gebilde hinter dem Schläfenlappen unseres Gehirns, und
  • der etwas größere Hippocampus (Seepferdchen, wegen seiner seepferdchenähnlichen Form).

Beide sind mit anderen wichtigen Hirnregionen vernetzt.

Der Hippocampus ist das „Archiv“ unseres Gedächtnisses. Hier sind Ereignisse gespeichert, die biografisch erinnert, zeitlich eingeordnet und auch sprachlich ausgedrückt werden können. Er ist vernetzt mit dem Sprachzentrum, dem Thalamus und beiden Großhirnhemisphären.

Die Amygdala könnte man auch als „Feuermelder“ bezeichnen. Hier werden Erlebnisse gespeichert, welche mit sehr hoher emotionaler Erregung verbunden sind. Die unter Maximalstress entstehenden Erlebnisqualitäten werden dabei nur während der maximalen Stressamplitude herausgefiltert, weshalb es Bruchstücke (Fragmente) bleiben.

Dadurch, dass die Amygdala dieses Material nicht z. B. an die Sprachzentren und die Großhirnhälften weiterleitet, bleibt es unintegriert, ist zeitlich nicht einzuordnen und kann sprachlich nicht ausgedrückt werden. Es bleibt in Form von affektiv-physiologischen, leicht triggerbaren Erlebnissplittern gespeichert.

Wegen dieser markanten Unterschiede in der Funktionsweise des Hippocampus und der Amygdala spricht man auch vom cool system und hot system (Metcalfe & Jacobs, 1996).

Mit „cool system“ ist die Gedächtnisbildung über den Hippocampus gemeint. Hier werden die Erlebnisse mit moderater affektiver Aufladung aufgenommen, verarbeitet (über Thalamus, Sprachzentrum und Großhirnhemisphären) und im „Archiv“ gespeichert (auch explizites Gedächtnis genannt).

„Hot system“ bezeichnet die Speicherung über die Amygdala. Hier werden nur die „affektiv heiß aufgeladenen“ Erlebnisse in Form von unverarbeiteten affektiv-physiologischen Erlebnissplittern gespeichert (auch implizites Gedächtnis genannt). Eine Besonderheit dieser Erlebnissplitter ist, wie oben angedeutet, dass sie leicht triggerbar sind.

Normalerweise funktionieren diese beiden Systeme parallel. In einer traumatischen Situation wird bei steigendem Stresspegel jedoch die Amygdala ab einem bestimmten Punkt „Alarm schlagen“. Ab diesem Zeitpunkt speichert der Hippocampus nur noch lückenhaft, da dieser Prozess teilweise ausgeschaltet wird. Man könnte auch sagen: Der Hippocampus hat partielle Ausfälle. Die vom Hippocampus gespeicherten Erlebnissequenzen haben den Charakter „normaler“ Erinnerungen, die aber immer wieder unterbrochen sind.

Die Amygdala hingegen sendet weiter ununterbrochen ihre neuronalen Impulse. Durch sie entstehen die oben...

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