"Kapitel 3.2, Gesellschaftsverhältnisse: Was macht Erziehung heute so herausfordernd?: Dass Erziehung sich innerhalb heutiger gesellschaftlicher Verhältnisse zu einer besonderen Herausforderung entwickelt hat, darüber besteht kein Zweifel - die Anhaltspunkte, die diese Tatsache stützen, sind vielfältig. Exemplarisch sei hier nur die Einschätzung des Mainzer Soziologen Norbert SCHNEIDER angeführt: „Elternschaft ist heute deutlich voraussetzungsreicher und anspruchsvoller als noch vor wenigen Jahrzehnten. Eltern sehen sich mit veränderten Rollenerwartungen und Aufgaben konfrontiert. Elternschaft hat sich zu einer zunehmend schwieriger zu bewältigenden Gestaltungsaufgabe entwickelt.“ Wenn es darum geht die gestiegenen Ansprüche an elterliche Erziehung zu erläutern, werden eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen genannt. Im Folgenden sollen die zentralen erschwerenden Einflussfaktoren skizziert werden.
Im Anschluss an das vom Münchner Soziologen Ulrich BECK geprägte begriffliche Konzept der Risikogesellschaft fasst FUHRER die Ursachen erschwerter Rahmenbedingungen für heutige Erziehung in vier Punkten zusammen: Rascher gesellschaftlicher Wandel, Individualisierung, Pluralisierung und Enttraditionalisierung. In der Summe führen die genannten Charakteristika zu einer nicht unerheblichen elterlichen Verunsicherung in der Ausübung ihrer Erziehungsaufgabe, bis hin zu einer teilweise beobachtbaren regelrecht „grassierenden Angst vor falscher Erziehung“. Die genannten vier ursächlichen Faktoren erschwerter Rahmenbedingungen für elterliche Erziehung sollen im Folgenden näher erläuter werden.
Rascher gesellschaftlicher Wandel: Eine ganze Reihe gesellschaftlicher Strukturveränderungen führen zu erhöhten Anforderungen an Familie und Erziehung. Leistungsdruck in der Berufswelt, das hohe Maß an verlangter Mobilität und Flexibilität, die Vereinbarkeitsproblematik zwischen Beruf und Kinderbetreuung, die enorme Schnelllebigkeit und geringe Halbwertszeit des Wissens und der damit verbundenen Verpflichtung zu ständiger, lebenslanger Weiterbildung, die Angst um den eigenen Arbeitsplatz und die Unsicherheit hinsichtlich der eigenen zukünftigen Lebensgrundlagen, all das ist Teil einer „strukturellen Rücksichtslosigkeit“ gegenüber Familien.
Auch Strukturveränderungen hinsichtlich der Formen familiären Zusammenlebens stellen vielfach gesteigerte Anforderungen an elterliche Erziehung. Familiärer Zusammenhalt erfährt eine zunehmende Instabilität durch sinkende Heiratsneigung, hohen Anteil nicht-ehelicher Geburten, steigender Scheidungsquote und einer dadurch wachsenden Zahl von Ein-Eltern-Familien. Zwar müssen sich diese veränderten Strukturmerkmale von Familie nicht zwingend negativ auf die elterlichen Erziehungskompetenzen und die kindliche Entwicklung auswirken – sie stellen jedoch nachgewiesener Maßen erhebliche Risikofaktoren dar.
Weitere spezielle Herausforderungen für die Erziehung ergeben sich für Eltern heute darüber hinaus durch die ausgeprägte gesellschaftliche Konsumorientierung, die Kinder als spezielle Zielgruppe adressiert („Konsumkindheit“), sowie die inzwischen weit fortgeschrittene Medialisierung, die Medienkonsum vielfach zum „Kristallisationspunkt familialer Freizeitgestaltung“ hat werden lassen (Medien als „heimliche“ Miterzieher).
Individualisierung: Das Individualisierungsparadigma als prägender Faktor heutigen gesellschaftlichen Lebens bietet Eltern ein hohes Maß an Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in der Erziehung ihrer Kinder. Diese gewachsene Freiheit impliziert jedoch gleichzeitig eine zusätzliche Herausforderung, denn es bedeutet in der Konsequenz, „dass mit dem Gewinn an Handlungsspielräumen und -optionen gleichzeitig ein tendenzieller Verlust an Sicherheit und Handlungswissen durch garantierte soziale Regeln und Normen einhergeht“. Für ihre Erziehungsaufgabe benötigen Eltern heute daher ein erhebliches Maß an Ambiguitätstoleranz und Aushandlungskompetenzen im Umgang mit ihren Kindern.
Das Ideal der Individualisierung verlangt ein hohes Maß an Eigeninitiative und -verantwortlichkeit bei der Konstruktion des eigenen Lebensentwurfs. In Verbindung mit der heute (zumindest in manchen gesellschaftlichen Schichten) stark ausgeprägten Leistungsorientierung besteht für Eltern die Gefahr, ein ambitioniertes Ideal vom perfekten Kind zu entwickeln, das unbedingt optimal gefördert werden muss, um in der heutigen, die individuelle Selbstverwirklichung stark betonenden, Leistungsgesellschaft bestehen zu können. Dieses objektiv wohlwollende - und in gesundem Umfang praktiziert, durchaus begrüßenswerte Bemühen - kann jedoch auch (unbewusst) gepaart sein mit egoistischen elterlichen Motiven: Im missbräuchlichen, weil egozentrischen, Ausleben des Individualisierungsparadigmas, kann Kindererziehung so zu einem „ehrgeizigen Projekt der elterlichen Selbstverwirklichung und Sinnerfüllung“ verkommen. Diese Gefahr erscheint gar nicht so abwegig, da an Kinder heutzutage (unbewusst) häufig die hohe Erwartung gerichtet ist, den „Lebensentwurf der Eltern zu komplettieren“ und entscheidend zu ihrem persönlichen Glück beizutragen. Oder etwas journalistischer, mit den Worten der Spiegel-Redakteurin Katja THIMM, ausgedrückt: „Oft sind Kinder der letzte Baustein einer perfekt durchgeplanten Biografie und der muss dann bitte schön genau in die vorgesehene Lücke passen.“
Die beschriebenen Auswirkungen der Individualisierung bieten Eltern also nicht nur neue Gestaltungsfreiräume, sondern bergen die Gefahr Familien unter einen erheblichen Erziehungsdruck zu setzen.
Pluralisierung: Mit dem Begriff des Pluralismus ist in unserem Kontext einerseits auf die heutige Vielfalt vertretener Normen und Werte, aber auch die Vielfalt verschiedener Lebensstile und Formen des familiären Zusammenlebens (z.B. „Patchworkfamilien“) angespielt. In ihm spiegelt sich das bunte Spektrum der Mitglieder unserer Gesellschaft wider hinsichtlich ihrer ethnischen Herkunft, ihrer kulturellen Prägung und religiös-weltanschaulichen Überzeugungen. Auch im biografischen Lebensverlauf schlägt sich die Pluralisierung nieder: Biografien (und damit auch Zeitpunkt und Phasen der Familiengründung, Elternschaft usw.) verlaufen heute keineswegs mehr linear und uniform. In der Summe macht das die Lebensbedingungen für Eltern und Familien zunehmend komplex, unübersichtlich und vielfach widersprüchlich.
Für die Erziehung folgt aus dem Prinzip der Pluralisierung darüber hinaus: Eltern sehen sich mit einem breiten Angebot verschiedener Grundsätze und Maßstäbe für ihre pädagogische Aufgabe konfrontiert, das (gleichberechtigte) Nebeneinander verschiedenster Prämissen und Regeln nimmt der Erziehung jede Art von Selbstverständlichkeit, beansprucht Eltern in ihrer Reflexion- und Entscheidungsverantwortung und weckt nicht selten das Bedürfnis und den Ruf nach (neuen) gemeinschaftlich akzeptierten und eindeutigen Orientierungshilfen.
Enttraditionalisierung umschreibt die Tatsache, dass zahlreiche herkömmliche gesellschaftliche Gegebenheiten und Bindungen in Auflösung begriffen sind. Damit ist bspw. zunächst einmal die heutige Trennung von Arbeits-, Freizeit- und Familienwelt angesprochen (=> Verinselung der Kindheit), die Eltern ein nicht unerhebliches Maß an Organisations-, Moderations- und Kooperationsfähigkeit abverlangt, um die Ansprüche dieser verschiedenen Lebensschauplätze miteinander zu vereinbaren. Darüber hinaus ist mit dem Stichwort der Enttraditionalisierung auch ausgesagt, dass herkömmliche sozial einbindende Institutionen (z.B. Familie, Kirche usw.) ihren bisher selbstverständlichen Charakter zunehmend einbüßen, was den Bedarf alternativer Unterstützungsinstanzen entstehen lässt.
Eine weitere Facette der Enttraditionalisierung besteht im sog. Infomalisierungstrend. Mit diesem Begriff bezeichnet man „die Veränderungen der zwischenmenschlichen Umgangsformen vor allem seit Mitte der 1960er Jahre“. Angewandt auf die elterliche Erziehungsaufgabe indiziert er den Prozess der „Flexibilisierung der Erziehungsstandards und Erweiterung der Spielarten von Eltern-Kind-Beziehungen“, der bspw. in einer Lockerung von Umgangsformen und Verhaltensvorschriften Ausdruck findet. Ganz sicher stellt dieser Trend weg von rigiden Konventionen und überkommenen Verhaltensmaßstäben in vielerlei Hinsicht einen erfreulichen Fortschritt dar. Allerdings erhöht er eben auch die Anforderungen für Eltern, „sich in Anbetracht der gegebenen Offenheit und Vielfalt möglicher Beziehungs- und Erziehungsformen im Familienalltag zurechtzufinden“.
Vielleicht etwas plakativ, aber doch treffend lässt sich der epochale Wandel im gesellschaftlich vorherrschenden Erziehungsverständnis zusammenfassen mit der Formel „Aushandeln statt Gehorsam“ oder aber mit der ihrem Aussagegehalt nach vergleichbaren Formulierung „vom Befehlshaushalt zum Verhandlungshaushalt“.
Diese „neue“ Prämisse erzieherischen Handelns dokumentiert einerseits eine begrüßenswerte Wertschätzung der Subjektstellung von Kindern, stellt jedoch gleichzeitig unverkennbar gesteigerte Anforderungen an die sozialen und kommunikativen Kompetenzen von Eltern, insbesondere in konflikthaften Erziehungssituationen. Die Emanzipation des Kindes führt zu einer Pädagogisierung der Elternrolle, zumindest dem Anspruch nach - ob Eltern diesem dann auch gerecht werden können, ist hiermit noch nicht ausgesagt.
Die bis hierhin beschriebenen gewachsenen Herausforderungen für elterliches Erziehungshandeln bergen erkennbare Gefahren, indem sie mit ursächlich dafür sein können, dass Eltern sich in der Erziehung ihrer Kinder überfordert und ratlos fühlen, im schlimmsten Fall resigniert kapitulieren und ihre Bemühungen aus Angst vor Fehlern gänzlich einstellen. Eine weitere Folge kann darin bestehen, dass Eltern aufgrund heutiger pluraler Wertemuster „hilfreiche“ klare Orientierungsmaßstäbe vermissen und sich daher „in überholte und fragwürdige Erziehungsmythen“ flüchten - möglicherweise aus einem akuten alltäglichen Leidensdruck heraus verbunden mit dem vordringlichen Ziel, die Reibungsflächen im Umgang mit ihren Kinder möglichst schnell auf ein Minimum zu reduzieren. Eine weitere denkbare negative Folge ist in der Praxis einer sog. „Wankelpädagogik“ zu sehen, d.h. in inkonsistentem elterlichen Erziehungsverhalten, das nicht gleichbleibenden Grundsätzen folgt, sondern zwischen gegensätzlichen (ggf. widersprüchlichen oder extremen) Handlungsmustern alterniert.
Es galt bis hierhin darzustellen, welche gesellschaftlichen Merkmale Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe in besonderer Weise herausfordern, um im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu verdeutlichen, vor welchem Hintergrund Angebote der Elternbildung – in unserem Fall speziell Elterntrainingsprogramme – heute einen Beitrag dazu leisten können Eltern in ihrer Erziehungsrolle zu unterstützen. Keinesfalls soll jedoch der Eindruck einer einseitigen, defizit-fokussierten Perspektive entstehen. Unsere heutige Gesellschaft bietet Eltern durchaus eine ganze Reihe von Chancen und Potenzialen, auch wenn diese im gegebenen Rahmen, bedingt durch den Gedankengang dieser Arbeit, nicht eingehend thematisiert werden können.
Kapitel 3.3, Forschungsergebnisse: Was kennzeichnet kompetente Erziehung?: An dieser Stelle gilt es nun also Merkmale kompetenter Erziehung genauer zu beschreiben. Dazu erscheint es sinnvoll vorab auf zwei Gesichtspunkte hinzuweisen, was einerseits die Reichweite und gleichzeitig jedoch auch die Begrenztheit der forschungsgestützten Aussagen angeht, die über Erziehungskompetenzen getroffen werden können: Der Ertrag wissenschaftlicher Forschungsergebnisse besteht zuallererst darin, dass sie fundierte Informationen über wichtige Schritte („Meilensteine“) der kindlichen Entwicklung (sensorisch, motorisch, emotional, kognitiv und sozial) bieten. Insofern vermitteln sie wichtige Orientierungshilfen für förderliches, dem jeweiligen kindlichen Entwicklungsstand angemessenes Erziehungsverhalten. Darüber hinaus geben wissenschaftliche Untersuchungen Aufschluss über beobachtbare Korrelationen zwischen elterlichen Beziehungs- und Erziehungskompetenzen und der kindlichen Entwicklung. Und über den bloßen Nachweis dieses Zusammenhangs hinaus belegen sie, dass eine „gezielte Förderung elterlicher Beziehungs- und Erziehungskompetenzen [im Stande ist] wünschenswerte Veränderungen“ in verschiedenen Entwicklungsbereichen der Kinder zu bewirken.
Die Aussagekraft hinsichtlich der Auswirkungen elterlicher Erziehungskompetenzen ist andererseits jedoch auch limitiert, da Erziehung „als wechselseitige Beeinflussung vielfältiger Variablen“ zu verstehen ist. Als solche „mehrdimensionalen Wechselwirkungsfaktoren im Erziehungsgeschehen“ sind neben dem eigentlichen Erziehungsverhalten der Eltern bspw. die Qualität der elterlichen Partnerbeziehung, geschlechtsspezifische Unterschiede im Vater & Mutterverhalten, die sozioökonomische und berufliche Situation oder auch das soziale Umfeld der Familie zu betrachten. Über diese genannten Einflussfaktoren hinaus ist es jedoch vor allem auch das Kind selbst, das einen Eigenanteil an seiner Entwicklung hat und durch seine Persönlichkeit und sein Verhalten die Art der elterlichen Erziehung entscheidend mitprägt (transaktionaler Prozess).
Doch nun zu konkreten Bestandteilen elterlicher Erziehungskompetenz. Ganz allgemein bezeichnet der Begriff Kompetenz „die Fähigkeit eines Menschen, bestimmte Aufgaben selbständig durchzuführen.“ Als strukturelle Hilfe bei der Annäherung an spezifische elterliche Erziehungskompetenzen bietet sich - in Orientierung an einem Entwurf des WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS FÜR FAMILIENFRAGEN - eine Differenzierung in vier verschiedene Dimensionen an: selbstbezogene, kindbezogene, kontextbezogene, sowie handlungsbezogene elterliche Kompetenzen. Jede dieser Dimensionen soll hier nun grob inhaltlich skizziert werden:
Selbstbezogene Kompetenzen bezeichnen im erzieherischen Kontext u.a. die Aneignung von Wissen über die Entwicklung und den Umgang mit Kindern, das Bewusstwerden über persönliche Wertvorstellungen, Bedürfnisse und Lebensziele und deren Anwendung in der Interaktion mit Kindern, Kontrolle eigener Emotionen, gesundes Selbstvertrauen in die Wirksamkeit des eigenen Erziehungshandelns sowie die prinzipielle Offenheit für Flexibilität und Veränderungen. Die folgende Grafik bietet einen Überblick zu allgemein formulierten Bestandteilen von Selbstkompetenz, die jedoch auch auf die Elternrolle anwendbar sind (vgl. Abb. 2):
Kindbezogene Kompetenzen umfassen die Fähigkeit, sensibel und seinem Entwicklungsstand entsprechend auf das Kind eingehen zu können. Im Einzelnen kann das bedeuten, Empathie für kindliche Bedürfnisse zu zeigen, Entwicklungspotenziale zu erkennen und ihre Verwirklichung zu fördern sowie dem Kind im Respekt vor seiner Eigenständigkeit Freiräume für eigenes Handeln zu gewähren bzw. zu ermöglichen.
Kontextbezogene Kompetenzen bestehen darin, dass es Eltern gelingt, auch außerhalb der Familie positive Entwicklungsarrangements treffen. Verwirklicht werden kann das bspw. durch gemeinsame Aktivitäten im außerfamiliären Rahmen, die entwicklungsförderliches Potenzial besitzen, durch Ermöglichung gewinnbringender Erfahrungen auch ohne elterliches Beisein, durch Vermeidung problematischer Entwicklungskontexte (z.B. Auswahl zuverlässiger Betreuungsperson, Monitoring von Freundschaftsbeziehungen der Kinder) oder dadurch, dass sich Eltern netzwerkartig und synergetisch mit anderen Personen innerhalb ihres sozialen Umfelds gegenseitig bei der Kindererziehung unterstützen.
Handlungsbezogene Kompetenzen zeigen sich darin, die Komponenten der drei bisher genannten Kompetenzdimensionen erfolgreich praktisch anzuwenden. Die genannten handlungsbezogenen Kompetenzen bilden „die Schnittstelle zur tatsächlichen Umsetzung“ in Abhängigkeit davon, was die jeweilige „konkrete beziehungs- und erziehungsthematische Situation“ verlangt. Hier entscheidet sich, ob sich Kompetenz auch tatsächlich als Performanz elterlichen Verhaltens konkretisiert. Je nach Art der erzieherischen Situation kann es bedeuten, dass sich solches elterliche Verhalten durch Entschlossenheit, Sicherheit und Konsistenz auszeichnet, es situationsangemessen dosiert ist, Eltern angekündigtes Handeln auch tatsächlich umsetzen. Ferner können sich handlungsbezogene Kompetenzen auch darin ausdrücken, dass sich Eltern ggf. mutig und kreativ zeigen und - wenn angebracht - infolge von gewonnenen Erfahrungswerten bereit sind ihr Handeln zu ändern oder an neue Gegebenheiten anzupassen.
Über die genannten vier Dimensionen als Zugang zur Beschreibung von Erziehungskompetenz hinaus bietet es sich an dieser Stelle an, nochmals auf Ergebnisse aus der Erziehungsstilforschung Bezug zu nehmen und diese zu vertiefen. Unter Erziehungsstilen sollen hier „alle Muster erzieherischen Erlebens und Handelns“ verstanden werden, „die über verschiedene Situationen hinweg relativ konsistent gezeigt werden“. Wie bereits festgestellt, besteht in Fachkreisen breiter Konsens darüber, dass der sog. autoritativ-partizipative Erziehungsstil als am förderlichsten für die kindliche Entwicklung angesehen werden kann und damit das vergleichsweise größte Maß von Erziehungskompetenz widerspiegelt. Konkret beobachtete positive Auswirkungen eines autoritativ-partizipativen Erziehungsstils bestehen z.B. in überdurchschnittlichen kognitiven und sozialen Fähigkeiten so erzogener Kinder, vergleichsweise geringerer Ausprägung von Problemverhalten sowie starkem Selbstwertgefühl.
Durch welche einzelnen Merkmale lässt sich dieser Erziehungsstil nun genauer beschreiben? Vielfach wird er in drei Kernbestandteile zusammengefasst: Er zeichnet sich aus durch eine gesunde Ausgewogenheit zwischen elterlicher Wertschätzung, die Bereitschaft Kinder zu fordern und Grenzen zu setzen sowie durch das Gewähren und Fördern von Eigenständigkeit.
Diese drei „Eckpfeiler“ des autoritativ-partizipativen Erziehungsstils lassen sich ganz praktisch weitergehend konkretisieren: So kann elterliche Wertschätzung darin bestehen, sich der Einmaligkeit und Besonderheit seiner Kinder bewusst zu sein und entsprechend respektvoll mit ihnen umzugehen, es als Privileg zu betrachten das Leben mit ihnen teilen zu dürfen und ihnen, wann immer sie brauchen, Unterstützung zu bieten.
Fordern und Grenzen setzen kann sich darin äußern, dass Eltern Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Kinder haben und ihnen entsprechend Herausforderungen stellen, die sie in ihrer Entwicklung Fortschritte erzielen lassen. Es kann sich darin widerspiegeln, dass Eltern sich Konflikten mit ihren Kindern mutig stellen und in konstruktiver Weise austragen, in der Lage sind ihre eigene Meinung den Kindern gegenüber selbstbewusst und überzeugend zu vertreten und sie klare - dem Entwicklungsstand ihrer Kinder angepasste - Grenzen setzen und deren Einhaltung sicherstellen. Das Gewähren und Fördern von Eigenständigkeit wird dann praktisch Realität, wenn Eltern ihren Kindern gegenüber grundsätzlich Gesprächs- und Kompromissbereitschaft entgegenbringen, wenn sie ihren Kindern - wo angemessen und hilfreich - Entscheidungsfreiräume zur Entwicklung ihrer Selbstverantwortlichkeit ermöglichen und ihnen Räume und Optionen schaffen, in denen sie vielfältige eigene Erfahrungen sammeln können.
Um den autoritativ-partizipativen Erziehungsstil in seiner Eigenart präziser einordnen zu können, soll die folgende Typisierung verdeutlichen, im Kontext welcher beiden grundsätzlichen Spannungsfelder diese Art der Erziehung eine ausgewogene Mittelposition einnimmt (vgl. Abb. 1).
Die grafische Darstellung veranschaulicht zwei integrale Bestandteile elterlichen Erziehungsverhaltens, einerseits das Maß der Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse (horizontal dargestellt) und auf der anderen Seite die Ausprägung elterlicher Autorität (vertikale Achse). Dabei wird deutlich, dass jede Form der Erziehung, die eine dieser Komponenten überbetont oder vernachlässigt, bestimmte Gefahren in sich birgt. In diesem Sinne gilt die allgemeine Feststellung: „Alle extrem positionierten Erziehungsstile … führen nicht zur Selbständigkeit der kindlichen Persönlichkeit, sondern schränken diese ein.“
Warum diese Erziehungsstile einer wertenden pädagogischen Diskussion nicht standhalten, erscheint leicht einsehbar: Der autoritäre Stil schenkt den kindlichen Bedürfnissen zu wenig Beachtung, setzt sich über diese hinweg und provoziert damit häufig aggressives Verhalten, Trotz und Rebellion. Auf diese Weise erzogene Kinder tendieren nicht selten dazu den Kontakt zu ihren Eltern zu meiden oder aber verhalten sich überangepasst und unterwürfig.
Der permissive Erziehungsstil verzichtet auf klare Regeln für den Umgang zwischen Eltern und Kindern, was Irritationen und Verwirrungen auslösen kann. Häufig interpretieren Kinder fehlende Regeln als Mangel an Liebe und Aufmerksamkeit seitens ihrer Eltern, was unterschiedlich geartete Folgen hervorrufen kann: Zum einen aggressives Verhalten, um elterliche Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erzwingen, oder aber auch eine grundsätzlich starke Selbstbezogenheit anstelle von wachsendem sozialen Verantwortungsbewusstsein.
Beim vernachlässigenden Stil finden die Probleme des permissiven Stils eine noch stärkere Ausprägung. Durch die Verbindung von fehlender elterlicher Autorität und einer zu geringen Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse, besteht die Gefahr, dass Kinder sich nicht nur unbeachtet, sondern gar missachtet fühlen.
Im Gegensatz dazu kennzeichnet den überbehütenden Stil, dass durch das Zusammenwirken von ausgeprägter elterlicher Autorität und umfassender Berücksichtigung der kindlichen Bedürfnisse die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und selbständigen Persönlichkeit erschwert werden kann.
Die Merkmale des oben beschriebenen autoritativ-partizipativen Erziehungsstils entsprechen einem inhaltlich sehr ähnlich gestalteten Prinzip, das heute gerne in griffiger Formulierung mit Freiheit in Grenzen umschrieben wird. In komprimierter Weise zusammengefasst umschreibt das Konzept Freiheit in Grenzen, „dass Eltern unter Berücksichtigung der Individualität und des Entwicklungsstandes ihrer Kinder sowohl deren Bedürfnisse nach einem liebevollen, akzeptierenden und unterstützenden Verhalten beantworten als auch an ihre Kinder Forderungen stellen sowie klare Grenzen für unerwünschtes Verhalten setzen.“ In Abwandlung dieser begrifflichen Formulierung würde demnach Grenzen ohne Freiheit einem autoritären oder überbehütenden Erziehungsstil entsprechen, Freiheit ohne Grenzen wäre weitgehend mit einem permissiven oder vernachlässigenden Erziehungsstil gleichzusetzen.
Von grundsätzlicher Bedeutung in der Frage nach einem förderlichen Erziehungsstil (und damit hoher erzieherischer Kompetenz) ist die Tatsache, dass elterliche Kompetenzen nicht auf äußerliches „(situations)angemessenes und förderliches Erziehungsverhalten“ beschränkt betrachtet werden sollten, sondern notwendigerweise eingebettet sein müssen „in eine wertschätzende Erziehungshaltung gegenüber dem Kind“."