Apologie
(Apología)
Entst. zwischen 399 und 389 v. Chr.
Sokrates, der erste der drei großen klassischen griechischen Philosophen, hat, im Gegensatz zu Platon und Aristoteles, keine einzige Schrift hinterlassen. Den besten und umfassendsten Eindruck seines philosophischen Selbstverständnisses vermittelt eine frühe Schrift seines Schülers Platon, die Apologie, die die Verteidigungsreden des zum Tode verurteilten Sokrates rekonstruiert und nicht lange nach dessen Tod entstanden ist. Während in den mittleren und späten Schriften Platons die Figur des Sokrates vor allem ein Sprachrohr des Autors ist, entspricht der Sokrates der Apologie weitgehend, soweit man das heute beurteilen kann, seinem historischen Vorbild.
470 v. Chr. geboren, hatte Sokrates als junger Mann die demokratischen Reformen des Perikles erlebt und später als Soldat im Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta gekämpft. Nach der Kapitulation Athens im Jahre 404 errichtete ein konservatives, von den alten Aristokratenfamilien getragenes Marionettenregime Spartas in Athen eine Schreckensherrschaft, die aber bereits ein Jahr später durch die Wiederherstellung der Demokratie abgelöst wurde.
Sokrates war inzwischen zu einer stadtbekannten Athener Figur geworden. Wie die Sophisten, aus deren Milieu er kam, trug er die Philosophie ins Volk, indem er auf den Straßen und Plätzen seiner Heimatstadt Athen die Menschen mit Grundsatzfragen wie »Was ist Gerechtigkeit?« oder »Was ist Tapferkeit?« konfrontierte – ohne jedoch selbst endgültige Antworten zu formulieren. Die neuen demokratischen Herrscher misstrauten ihm jedoch, da viele seiner Schüler zu den Gegnern der Demokratie gehörten. 399 stellten sie ihn unter Anklage, machten ihm den Prozess und verurteilten ihn zum Tod.
Platon, ein entschiedener Gegner der Demokratie, verfolgte mit der Apologie die Absicht, seinem Lehrer ein philosophisches Denkmal zu setzen und gleichzeitig die athenische Demokratie zu diskreditieren. Die offizielle Anklage lautete, Sokrates habe durch seine öffentliche Lehrtätigkeit die Jugend verdorben und die politische und religiöse Ordnung untergraben. In der ersten großen Rede der Schrift bestreitet Sokrates dies und beschreibt sein eigenes philosophisches Projekt als das der intellektuellen Bescheidenheit und rationalen Selbsterforschung. Zwar habe ihn das Orakel von Delphi als den weisesten aller Menschen bezeichnet, doch nur in dem Sinne, dass er als Einziger sich bewusst sei, nichts zu wissen. Auch die Gespräche mit den Athener Bürgern habe er mit dem Ziel geführt, falsche Gewissheiten zu zerstören. Den Vorwurf der Gottlosigkeit kontert er mit dem Hinweis, dass er sehr wohl ein Göttliches anerkenne, nämlich ein »daimonion«, eine göttliche innere Stimme, die seine Seele vor Schaden bewahre, indem sie ihn vor moralisch zweifelhaften Handlungen warne.
Das Bewusstsein, vor der eigenen Gewissensinstanz des »daimonion« bestehen zu können, führt Sokrates in einer zweiten Rede dazu – anstatt den Schuldspruch anzuerkennen –, für sich die höchste öffentliche Ehrung, die Speisung im Prytaneion, zu beantragen. Dennoch akzeptiert er das Todesurteil in der dritten abschließenden Rede mit dem Hinweis, dass seine Seele lediglich von einem Ort zu einem anderen ziehe und es für einen guten Menschen kein Übel, weder im Leben noch im Tode, gebe.
Prozess und Tod des Sokrates lassen bis heute Fragen offen. Historisch erwiesen ist, dass Sokrates tatsächlich enge Verbindungen zu den Feinden der Athener Demokratie hatte und dass andererseits die Richter keineswegs seinen Tod, sondern lediglich seine Verbannung wollten und ihm zahlreiche Hintertürchen offenließen. Die Nachwelt folgte allerdings der Darstellung des Platon und sah ihn als philosophischen Märtyrer.
Die vom Umfang her sehr kleine Schrift bietet eine unübertroffene und sprachlich klare Einführung in das sokratische Denken. Sie trug wesentlich dazu bei, dass Sokrates in der gesamten Philosophiegeschichte als Prototyp der Weisheit, der moralischen Tapferkeit und intellektuellen Redlichkeit gesehen wurde.
Phaidon
(Phaídōn)
Entst. zwischen 399 und 347 v. Chr.
Phaidon gehört aus zwei Gründen zu den berühmtesten Werken der Philosophiegeschichte: Platon schildert hier die letzten Stunden seines philosophischen Lehrers Sokrates, der wegen Einführung neuer Götter und ideologischer Verführung der Jugend zum Tode verurteilt worden war. Er enthält aber auch die von Sokrates vorgetragenen Argumente für die Unsterblichkeit der Seele, die weit in die Geistesgeschichte hineingewirkt haben. Nicht zufällig öffnet Platon hier den Blick auf eine transzendente, übersinnliche Welt. Der Phaidon gehört in die sogenannte mittlere Schaffensperiode Platons, in der er seine »Ideenlehre« entwickelte, also die Lehre von den geistigen, ewigen und unveränderlichen Formen, die unserer sinnlich wahrnehmbaren Welt vorausgehen und ihr als Modell dienen.
Wie die meisten Schriften Platons ist auch der Phaidon als Gespräch zwischen mehreren beteiligten Personen abgefasst, eine literarische Form, die den Zugang des Lesers zu den angesprochenen philosophischen Themen erheblich erleichtert. Platon hat die Gespräche jenes Tages aus Erzählungen der Anwesenden und gemäß den eigenen philosophischen Absichten rekonstruiert. Er selbst war, wie in der Schrift berichtet wird, an jenem Tag wegen Krankheit nicht anwesend. Die im Text von Sokrates vorgetragenen Thesen müssen deshalb auch als indirekte Wiedergabe der philosophischen Position Platons gelesen werden.
Der Namensgeber des Dialogs, Phaidon, ein Schüler des Sokrates, berichtet dem Pythagoreer Echekrates von dem letzten Tag des großen Philosophen, als dieser noch einmal alle Schüler um sich versammelt hatte, und lässt über diese Erzählung die Diskussionen jenes Tages lebendig werden.
Unter den anwesenden Schülern herrscht wegen des bevorstehenden Todes des Sokrates eine gedrückte Stimmung. Dem tritt Sokrates mit der berühmten Aussage entgegen, wahres Philosophieren bedeute, auf den Tod hin zu leben, denn im Tod trenne sich der Mensch von der vergänglichen körperlichen Existenz. Die Wahrheit der Dinge, also die unvergänglichen Ideen seien dem Menschen nur über die Seele, nicht über den Körper zugänglich. Die Seele kann aber diese Rolle als Erkenntnisorgan der unsterblichen Ideen nur spielen, wenn sie selbst unsterblich ist. Deshalb stehen im Zentrum der Schrift die Argumente für eine Unsterblichkeit der Seele. Platon stützte sich dabei auf Thesen der religiösen Bewegung der Orphiker und der vorsokratischen Schule der Pythagoreer, die beide die Unsterblichkeit der Seele mit der Vorstellung einer Seelenwanderung verbanden.
Im Mittelpunkt stehen vier Argumente: Weil in der Entwicklung der Natur ständig natürliche Gegensätze ineinander übergehen, kann auch angenommen werden, dass neues Leben aus dem Tod entsteht. Dies setzt eine unvergängliche Seele voraus. Auch die Lehre von der »anamnesis«, also die These, dass alles Lernen eine Form der Wiedererinnerung ist, führt nach Platon zu der Erkenntnis, dass etwas immer schon vorher existiert hat, nämlich eine unsterbliche Seele. Drittens ist die Seele von ihrer einheitlichen und immer gleich bleibenden Struktur her den unvergänglichen Ideen ähnlich. Und viertens ist die Seele dasjenige, was den Körper lebendig macht, sie ist das Lebensprinzip selbst und kann deshalb nicht sterblich sein.
Die Faszination der Schrift rührt u.a. daher, dass Sokrates diese Thesen durch sein Handeln beglaubigt, indem er in völligem Gleichmut den ihm zugedachten Giftbecher trinkt und noch im Sterben gegenüber seinen Schülern die Rolle des Tröstenden einnimmt. Diese Haltung hat ihm während der gesamten Philosophiegeschichte den Ruf eines vorbildlichen Weisen eingebracht. So wurde der Phaidon zu einer der Schlüsselschriften, die das Sokrates-Bild der westlichen Philosophie nachhaltig geprägt haben. Die These, dass Philosophieren bedeutet, sterben zu lernen, übernahm im 16. Jahrhundert Montaigne als Titel für einen seiner berühmtesten Essays. Enorm einflussreich war auch die im...