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E-Book

Joseph Haydn

AutorClaudia Maria Knispel
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644406032
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Joseph Haydn (1732 - 1809) sicherten drei Jahrzehnte im Dienst der Fürsten Esterházy eine finanziell sorgenfreie Existenz und verschafften ihm günstige Aufführungsbedingungen für seine Werke. Von der Oper über das Oratorium bis zu Messe, Lied, Klaviersonate, Konzert und Kammermusik, Haydn beherrschte alle gängigen musikalischen Genres des 18. Jahrhunderts. Neue bedeutende und richtungsweisende Kompositionen gelangen ihm mit seinen Streichquartetten und Sinfonien.

Claudia Maria Knispel, geboren 1966 in Osnabrück, studierte in München und Berlin Musikwissenschaft und Theaterwissenschaft sowie Musikpädagogik und Gesang. Lehrbeauftragte der Universität der Künste Berlin. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungskolleg Franken am Institut für Fränkische Landesgeschichte der Universitäten Bamberg und Bayreuth. Arbeitsschwerpunkte: Vokalmusik (Geschichte, historische Aufführungspraxis, Gesangspädagogik), Musiktheater, Musikgeschichte (Musikgeschichtsschreibung, Lokalgeschichte), Musik des 18. Jahrhunderts, Beziehungen zwischen den Künsten. Neben Fachaufsätzen veröffentlichte sie Bücher über Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart. 

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Leseprobe

Kapellsänger am Dom St. Stephan


Gerade acht Jahre alt geworden, kam Haydn im April oder Mai 1740 in die Großstadt Wien, die den kleinen Jungen vom Land überwältigt haben mag. 1754 stellte die erste Volkszählung in Wien 175000 Einwohner fest, 1790 waren es bereits 207000. Die Hauptstadt des Habsburgerreichs glänzte mit monumentalen barocken Bauwerken. Der in Italien geschulte Baumeister Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656–1723) hatte Schloss Schönbrunn (1695/96–1713) und mehrere bedeutende Stadtpaläste geschaffen. Er hatte die Pläne für die Karlskirche (1716–37) sowie für Hofburg, Reichskanzlei, Winterreitschule und Hofbibliothek entworfen, sein Sohn Joseph Emanuel (1693–1742) das Werk des Vaters vollendet. Der kongeniale Johann Lukas von Hildebrandt (1668–1745) zeichnete für die beiden Schlösser Unteres Belvedere (1714–16) und Oberes Belvedere (1721–23) als Architekt verantwortlich und hatte der 1702 nach Plänen von Gabriele Montani begonnenen Peterskirche ihre endgültige Form gegeben. Das Wahrzeichen Wiens, der Stephansdom, war dagegen schon ab der Frühromanik entstanden, in der Spätromanik über demselben Grundriss neu erbaut, im 14. und 15 Jahrhundert gotisch erweitert und umgestaltet sowie schließlich in der Barockzeit durch Einbauten ergänzt worden.

1740 war auch das Jahr, in dem die Habsburgerin Maria Theresia in Österreich und ihr politischer Gegner Friedrich II. in Preußen die Macht übernahmen. Zwar wurde der weiblichen Thronfolgerin Maria Theresia das ungeteilte Erbe des Habsburgerreichs in der «Pragmatischen Sanktion» zugesichert, doch musste sie es in mehreren kostspieligen Kriegen immer wieder verteidigen. Um Geld zu sparen, reduzierte Maria Theresia, obwohl sie wie viele Habsburger musikalisch gebildet und interessiert war, die finanzielle Unterstützung der Musikpflege an ihrem Hof. So sank beispielsweise die Mitgliederzahl der Hofkapelle von 134 zur Zeit ihres Vaters Karl VI. auf ungefähr zwanzig. Schloss Schönbrunn dagegen wurde unter der Herrschaft Maria Theresias nach Plänen des Hofarchitekten Nikolaus Pacassi aufwendig umgebaut (1744–49). Innenpolitisch lag ihr Hauptverdienst in einer umfassenden Staats- und Verwaltungsreform. Sie schuf einen eigenen Beamtenapparat, richtete eine «Oberste Justizstelle» ein und trennte somit Administration und Justiz. Außerdem sorgte sie für Reformen im Schul-, Kirchen-, Finanz- und Militärwesen.

Maria Theresia (1717–1780)

1713 Kaiser Karl VI. legt in der Pragmatischen Sanktion die weibliche Erbfolge und die Unteilbarkeit der habsburgischen Länder fest.

1717 13. Mai: Geburt Maria Theresias als Tochter Elisabeths von Braunschweig-Wolfenbüttel und Karls VI.

1736 Hochzeit Maria Theresias mit Herzog Franz Stephan von Lothringen.

1737 Geburt des ersten Kindes: Maria Elisabeth (†1740).

1740 31. Mai: In Potsdam stirbt Friedrich Wilhelm I., Friedrich II. wird König von Preußen; 20. Oktober: In Wien stirbt Karl VI., Maria Theresia tritt seine Nachfolge an.

1740–42 Erster Schlesischer Krieg gegen Preußen.

1741 Beginn des Österreichischen Erbfolgekriegs; 13. März: Geburt des vierten Kindes und ersten Sohnes: Joseph (†1790).

1744/45 Zweiter Schlesischer Krieg.

1745 Maria Theresias Gemahl Franz Stephan wird als Franz I. in Frankfurt am Main zum Deutschen Kaiser gekrönt.

1748 Ende des Österreichischen Erbfolgekriegs und Anerkennung der Pragmatischen Sanktion.

1749 Maria Theresia leitet eine umfassende Staats- und Verwaltungsreform in Österreich ein; unterstützt wird sie durch Friedrich Wilhelm Graf von Haugwitz.

1756 Geburt des sechzehnten und letzten Kindes: Maximilian Franz (†1801).

1756–63 Dritter Schlesischer Krieg (Siebenjähriger Krieg). Schlesien bleibt im Besitz Preußens.

1765 Tod Franz I.; Joseph II. wird österreichischer Kaiser und Mitregent seiner Mutter.

In Wien sollte Haydn ungefähr zwanzig Jahre lang leben: Zunächst behütet als Kapellsänger am Dom St. Stephan, musste er sich dann freiberuflich bewähren und ging dabei einer Reihe unterschiedlicher Tätigkeiten nach – er unterrichtete, korrepetierte, übernahm Orgeldienste und komponierte.

Die Domkapelle bestand – neben dem Kapellmeister, seinem Vizekapellmeister und einem Organisten – aus einem dreizehnköpfigen Orchester (elf Streicher, ein Horn, ein Fagott) und zwölf Sängern (darunter sechs Knaben). Die Sängerknaben wohnten im Haus des Kapellmeisters, der nahe dem Dom gelegenen «Cantorey». Domkapellmeister Georg Reutter d.J. war für ihre Verpflegung und Ausbildung verantwortlich. Zum Unterhalt (Kost und Kleidung) seiner Sängerknaben erhielt er jährlich eine bestimmte Summe pro Person, die ihm aber offenkundig nicht ausreichte. Für die Ausbildung seiner Sängerknaben standen ihm auch zwei Lehrer (Präzeptoren) zur Seite, doch scheint Reutter dieser Aufgabe nicht genügend nachgekommen zu sein. Reutters Nachlässigkeiten hingen wahrscheinlich mit seiner beruflichen Doppelbelastung zusammen: Er hatte nicht nur sein Amt als Domkapellmeister zu versehen, sondern war zudem seit 1731 Hofkompositeur und seit 1747 auch zweiter Hofkapellmeister. Haydn selbst äußerte sich in seiner autobiographischen Skizze allerdings nicht negativ über Reutter, und in Griesingers Bericht heißt es über Haydns Ausbildung an St. Stephan: «Außer dem nach damaliger Art nothdürftigen Unterricht im Lateinischen, in der Religion, im Rechnen und Schreiben, hatte Haydn im Kapellhause sehr tüchtige Lehrer auf verschiedenen Instrumenten, und besonders im Singen. […] In der theoretischen Musik wurde im Kapellhause kein Unterricht ertheilt, und Haydn erinnerte sich, darin nur zwey Lektionen von dem braven Reutter erhalten zu haben. Reutter ermunterte ihn aber, die Motetten und Salve, welche er in der Kirche absingen mußte, auf beliebige Art zu variiren, und diese Uebung brachte ihn früh auf eigene Ideen, welche Reutter verbesserte. Er lernte auch Matthesons vollkommenen Kapellmeister und Fuxens Gradus ad Parnassum in deutscher und lateinischer Sprache kennen – ein Buch, das er noch im hohen Alter als klassisch rühmte, und wovon er ein stark abgenutztes Exemplar aufbewahrt hatte. Mit unermüdeter Anstrengung suchte sich Haydn Fuxens Theorie verständlich zu machen; er ging seine ganze Schule praktisch durch, er arbeitete die Aufgaben aus, ließ sie einige Wochen liegen, übersah sie alsdann wieder, und feilte so lange daran, bis er es getroffen zu haben glaubte. ‹Das Talent lag freylich in mir: dadurch und durch vielen Fleiß schritt ich vorwärts.› Im Drange seiner Phantasie wagte er sich schon an acht und sechzehnstimmige Kompositionen. ‹Ich glaubte damals, es sey alles recht, wenn nur das Papier hübsch voll sey; Reutter lachte über meine unreifen Produkte, über Sätze, die keine Kehle und kein Instrument hätte ausführen können, und er schalt mich, daß ich sechzehnstimmig komponirte, ehe ich noch den zweystimmigen Satz verstünde.›» (G, 9f.) Während Griesinger eine persönliche Betreuung durch Reutter bezeugt und mit den Werken «Der vollkommene Capellmeister» (1739) von Johann Mattheson und «Gradus ad Parnassum» (1742) von Johann Joseph Fux zwei wichtige musiktheoretische Schriften der Zeit nennt, die Haydn studierte, betont Dies dagegen die vorwiegend autodidaktische Bildung Haydns: «Sobald Joseph in seinem neu angetretenen Stande soviel Unterricht empfangen hatte, als nötig war, die Pflichten eines Chorknaben zu erfüllen, erfolgte im Unterrichte ein großer Stillstand, woran vielleicht die zu sehr überhäuften Geschäfte des Kapellmeisters schuld waren. Joseph war zu jung, um einzusehen, daß er bei dem vernachlässigten Unterrichte wenig erlernen würde. – Wenn es so mit seiner Hauptbeschäftigung stand, wievielmehr ist zu vermuten, daß ihm nur wenig Gelegenheit gegeben wurde, sich neben den musikalischen noch andere notwendige Kenntnisse erwerben zu können? Josephs großer Hang zur Musik würde gewiß nicht durch das gründliche Nebenstudium einiger Sprachen vermindert worden sein. Er lernte etwas Latein, übrigens unterblieb alles, und man könnte die Behauptung wagen, daß er zehn der schönsten Jugendjahre für das Wissenschaftliche verlor. Doch ist auch vielleicht eben in dieser damaligen Vernachlässigung und Nichtausbildung mehrerer Fähigkeiten der Grund zu suchen, daß das musikalische Genie die gesamten Kräfte für sich allein benutzte und dadurch zu jener riesenartigen Größe gedeihen konnte.» (D, 26f.) Der Leipziger Musikschriftsteller Johann Friedrich Rochlitz (1769–1842) überliefert in seiner 1832 erschienenen Aufsatzsammlung «Für Freunde der Tonkunst» zudem eine Äußerung Haydns, in der die Bedeutung des in erster Linie praktischen Zugangs zur Musik hervorgehoben wird: «Eigentliche Lehrer habe ich nicht gehabt. Mein Anfang war überall gleich mit dem Praktischen – erst im Singen und Instrumentalspiel, hernach auch in der Composition. In dieser habe ich Andere mehr gehört als studirt: ich habe aber auch das Schönste und Beste in allen Gattungen gehört, was es in meiner Zeit zu hören gab. Und dessen war damals in Wien viel! o wie viel! Da merkte ich nun auf und suchte mir zu Nutze zu machen, was auf mich besonders gewirkt hatte und was mir als vorzüglich erschien. Nur daß ich es nirgends blos nachmachte! So ist nach und nach, was ich wußte und konnte gewachsen.»

 

Die Übergangsphase vom strengen musikalischen Barockstil zum empfindsamen und galanten Stil war in Wien durch eine Zäsur besonders...

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