Muslimische Mädchen und Frauen in Deutschland
Wenn wir uns ernsthaft Gedanken über die Integration von Deutschländern in Deutschland machen wollen, dann kommen wir nicht umhin, über die besondere Situation der Frauen nachzudenken und zu sprechen. Genauso wenig, wie eine Demokratie funktionieren kann, wenn Frauen unterdrückt werden, kann Integration funktionieren, wenn Frauen ein gleichberechtigtes Leben versagt wird. Ich bin der Überzeugung, dass sich die Integrationspolitik weltweit an der Frauenfrage orientieren muss, wenn sie gelingen soll.
Sehr viele türkische und kurdische Musliminnen sind zu einem Leben wie im Mittelalter gezwungen, und das sowohl aus kulturellen als auch religiösen Gründen. Ihre eklatante Unterdrückung und Benachteiligung beginnt schon vor der Geburt. Noch bevor ein Kind gezeugt wird, wünscht sich die Mehrzahl der türkischen und kurdischen Männer und Frauen einen Jungen. Die Geburt einer Tochter wird meist als Versagen empfunden, Mädchen gelten in der Familie als Belastung. Die Geburt eines Sohnes hingegen ist für Männer ein Männlichkeitsbeweis, für Frauen bedeutet sie eine Aufwertung und ein höheres Ansehen in Familie und Gesellschaft. Ich war als Tochter nur deshalb ein Wunschkind, weil meine Eltern bereits zwei Söhne hatten. Danach durfte ruhig ein Mädchen kommen.
Mithilfe der pränatalen Diagnostik lassen manche türkischen und kurdischen Eltern das Geschlecht ihres Kindes schon im Mutterleib ermitteln – und den weiblichen Fötus abtreiben. Das geschieht nicht nur in der Türkei. Auch in Deutschland soll es solche Fälle geben.
Überall auf der Welt werden Mädchen und Jungen unterschiedlich behandelt, nicht nur beim Spielzeug und der Kleidung. Sie werden auch überall unterschiedlich gefördert. Sogar in gebildeten Familien der westlichen Industrieländer sind geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungen zu beobachten. Doch Kinder von Muslimen leben in einem von Traditionen geprägten Umfeld, wie es in der christlich geprägten urdeutschen Welt zwar auch einmal vorhanden war, aber wohlgemerkt war, nämlich im Mittelalter. Ich erzähle nichts Neues, wenn ich darauf hinweise, dass muslimische Kinder meist sehr autoritär erzogen werden. Das gehört zum Selbstverständnis der Eltern, und als selbstverständlich gilt auch, Gewalt als Erziehungsmittel einzusetzen, insbesondere Töchtern gegenüber. Viele türkische und kurdische Eltern, vor allem die Väter, folgen der Redensart: »Wer seine Tochter nicht schlägt, schlägt später sein Knie.« Eltern, die sich von einer solchen Ideologie leiten lassen, fällt es ungemein schwer, sich von Gewalt zu lösen.
Geprägt von der Vorstellung, die Ehre der Familie zu verkörpern – weil sich die Ehre der Männer zwischen den Beinen der Frauen befinde –, ist das Leben von muslimischen Mädchen schwierig und konfliktreich, spätestens mit Beginn der Pubertät. Der Jungfrauenkäfig, in den schon kleine Mädchen gesteckt werden, verwandelt sich dann in einen Hochsicherheitstrakt. Jedes männliche Familienmitglied mischt sich in die Erziehung eines Mädchens ein und macht seinen Herrschaftsanspruch geltend, notfalls mit Gewalt. Auch andere muslimische Mädchen aus dem Verwandtenkreis oder sozialen Umfeld können extremen Druck ausüben. Es gilt mit aller Kraft zu verhindern, dass ein Mädchen seinen »guten Ruf« verliert. Nicht selten binden sich in dieser Phase selbst Töchter von »modernen« Türken plötzlich ein Kopftuch um, weil andere Mädchen auch eins tragen. Zum einen steht dahinter sicher der Wunsch dazuzugehören, zum anderen unterwerfen sich die Mädchen weitestgehend unbewusst dem sozialen Druck. Auch die Suche nach einer eigenen Identität kann eine Rolle spielen, indem sich die Kinder beispielsweise von ihren fortschrittlichen Eltern abgrenzen wollen.
In den drei monotheistischen Weltreligionen wird die besondere Bedeutung der Frau als Mutter hervorgehoben. So auch bei den Muslimen. Zum Lebensinhalt der muslimischen Frau gehört es, eine gute Ehefrau und Mutter zu sein. Mit dieser Vorstellung wird ein Mädchen sehr früh konfrontiert. Bereits mit Beginn der Pubertät wird es ständig auf seine Heiratsfähigkeit angesprochen: »Du siehst ja schon so erwachsen aus. Hat schon jemand um deine Hand angehalten?«
Viele Heiratskandidaten zu haben wertet ein muslimisches Mädchen auf. Es kokettiert damit, prahlt gegenüber den Freundinnen, wie viele Männer sich schon mit einem Ehegesuch gemeldet haben. Häufig beteiligen sich die Mädchen fast spielerisch am Geschehen, ohne recht zu begreifen, dass es hier um ihr Leben und ihre Zukunft geht.
Die Verbindungen, die dann entstehen, sind oft keine freiwilligen, sondern arrangierte oder Zwangsehen. Die Mädchen sind meist zwischen 12 und 18 Jahren alt, wenn diese »Ehen« geschlossen werden. Meist findet diese Eheschließung in den Herkunftsländern statt, aber es werden auch in Deutschland »Ehen« durch muslimische Geistliche geschlossen. Die »Ehepartner« leben dann ohne Trauschein, bis sie volljährig sind und standesamtlich getraut werden können. Ich bin der Meinung, dass nahezu jede Ehe, die in diesem Alter eingegangen wird, fragwürdig ist.
Anders als bei urdeutschen Ehepaaren wird eine Ehe unter Deutschländern immer im familiären Kontext geführt. Die Großfamilie übt enormen Druck auf ein verheiratetes Paar aus, vor allem dann, wenn die Eheleute noch sehr jung sind. Da bei einer muslimischen Heirat meist Familien zusammengeführt werden, müssen ganze Clans miteinander auskommen. Das gestaltet sich oft sehr schwierig. Der Alltag kann von viel Gerede, Getratsche und Gezerre geprägt sein. Die ältere Generation meint oft, es besser zu wissen, und erklärt dem Bräutigam, wie er seine Frau zum Gehorsam anhalten soll. Auch Ehen, die eigentlich funktionieren könnten, haben daher oft keine Chance, weil die Eheleute nicht zur Ruhe kommen. Sie müssen ihren eigenen Familien gegenüber ständig Loyalität beweisen. Auch hier leiden die Frauen, vor allem die Schwiegertöchter, am meisten. Denn sie haben sich für gewöhnlich nicht nur dem Ehemann, sondern auch den anderen männlichen Familienmitgliedern zu unterwerfen. Es gibt Frauen, die sowohl den eigenen Haushalt als auch den der Schwiegereltern führen müssen, der sich unter Umständen in nicht geringer Entfernung befindet. Solange sie noch keine eigenen Kinder haben, werden sie darüber hinaus in vielen Fällen für die Betreuung von Nichten und Neffen eingespannt. Das alles können sich die muslimischen Frauen nicht aussuchen, es sind Selbstverständlichkeiten, die mit einem Leben in der Großfamilie einhergehen. Nach ihrem Willen werden diese Frauen nicht gefragt.
Wenn es die bisherige vermeintliche Integrationspolitik in Deutschland in verheerender Weise versäumt hat, die tatsächlichen Probleme von Deutschländern zur Kenntnis zu nehmen, so gilt das besonders in Bezug auf die Situation der muslimischen Mädchen und Frauen. Diese ist, meine ich, ein sehr guter Gradmesser für die Integrationspolitik. Hätte es eine solche wirklich gegeben, wären heute nicht derartige Missstände in den Lebensumständen vieler muslimischer Mädchen und Frauen zu beklagen. Die Integration aller Deutschländer wäre weiter vorangeschritten. Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Frauen und Kindern zeigt auch ihren zivilisatorischen und demokratischen Stand.
Staat und Gesellschaft ließen es zu, dass muslimische Frauen und Mädchen Opfer veralteter Traditionen und menschenverachtender patriarchalischer Strukturen blieben. Tausende von ihnen werden bis heute in Wohnungen eingesperrt und geprügelt. Sie sprechen kaum Deutsch und dürfen außer zu ihrer Familie zu niemandem Kontakt haben. Viele dieser Frauen leben im so genannten Kiez, wo sie mit Urdeutschen so gut wie gar nicht in Berührung kommen.
Die Situation muslimischer Mädchen und Frauen wird verharmlost, um die jahrzehntelangen Versäumnisse der Integrationspolitik zu rechtfertigen. Die Mehrheitsgesellschaft interessierte und interessiert sich nur mäßig für das Schicksal dieser Frauen und Mädchen. Wäre in Deutschland nicht so lange ignoriert worden, dass sie vielfach massiver Benachteiligung, Vernachlässigung und Gewalt ausgesetzt sind, und dies in weit größerem Ausmaß als ihre urdeutschen Geschlechtsgenossinnen, hätte viel Leid verhindert werden können.
Hier und da wurden zwar Projekte für Deutschländerinnen gefördert, doch tatsächlich ist kaum etwas getan worden, um diesen Frauen und Mädchen einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu verschaffen. Viele der Frauenprojekte müssen fortwährend um ihre Existenz kämpfen, einige von ihnen sind in den letzten Jahren eingestellt worden, weil der Staat keine Mittel mehr bewilligte. Dabei wird in solchen Projekten wertvolle Integrationsarbeit geleistet. Durch Beratungs- und Kursangebote werden Frauen an die deutsche Gesellschaft herangeführt. Immerhin ist in der letzten Zeit zunehmend erkannt worden, dass für eine erfolgreiche Frauenarbeit die gesamte Familie mit einbezogen werden muss. Das ist ganz sicher der richtige Weg. Bisher galt es eher als Tabu, sich in die familiären Angelegenheiten der kulturell anders geprägten Menschen einzumischen.
Mit dem seit 2005 gültigen Zuwanderungsgesetz wurde erstmalig ein Mindestrahmen staatlicher Integrationsangebote geschaffen. Seither sind Zuwanderinnen und Zuwanderer verpflichtet, einen Integrationskurs zu besuchen, der ihnen Sprachkompetenz sowie Kenntnisse über das gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Leben in Deutschland und über die in dieser Gesellschaft geltenden Normen und Werte vermitteln soll. Das reformierte Zuwanderungsgesetz wurde am 14. Juni 2007 vom Bundestag und am 6. Juli 2007 vom Bundesrat verabschiedet. Es tritt in Kraft, nachdem Bundespräsident Horst Köhler die...