Gehirnvernebelung
Wenn einem die Lust auf ein Hundekind so richtig das Gehirn vernebelt, kann man so einiges falsch machen und sich nicht das Geringste dabei denken.
Meinen ersten eigenen Welpen habe ich genau auf die Art bekommen, die ich mittlerweile aufs Schärfste verurteile. Ehrlich gesagt auch meinen zweiten und dritten – und den vierten auch …
Ich war zwanzig Jahre alt und Mutter eines einjährigen Sohnes, dessen Vater uns kurz zuvor mit den Worten „Ich bin für all das viel zu jung“ verlassen hatte. Seinen Fernseher hat er auch gleich mitgenommen. Wir haben damals im Erdgeschoss gewohnt und ich habe immer noch das Bild vor Augen, wie er mit dem TV-Gerät in seinen Armen an unserem Fenster vorbeimarschiert in eine neue Freiheit.
Als ich meinen Schock überwunden hatte, wuchs die Sehnsucht nach heiler Familienidylle – und mit ihr der Wunsch nach einem Hund.
Ich suchte wie eine Besessene, fragte alle möglichen Leute nach Welpen und wurde schließlich in einer Zeitungsannonce fündig.
„Schäfer-, Collie- und Bernhardinerwelpen. Günstig! Hauszustellung“, war da zu lesen.
„Perfekt!“, dachte ich und orderte umgehend einen Colliewelpen …
Zwei Tage später hielt ich meinen ersten eigenen Hund in den Armen. Lisa sah entzückend aus, aber sie war krank. Sehr krank! Würmer, Durchfall in wässrigster, übelriechendster Form, Appetitlosigkeit, Fieber – lauter Dinge also, die einem so kleinen Körper schnell das Leben rauben können.
Ich erspare Ihnen an dieser Stelle die Einzelheiten.
Lisa hat überlebt, aber sie musste einen hohen Preis für meinen unüberlegten Hundewunsch zahlen.
Ein Jahr später, kurz vor Weihnachten, besuchte ich eine Tierhandlung, um Hundebücher zu kaufen. Mein Vater hatte mir sein obligatorisches Weihnachtsgeschenk in Form eines Tausend-Schilling-Scheines geschickt und ich wollte schon immer die neue Tierhandlung in der nächsten Stadt sehen. Tierhandlungen waren damals völlig neu für mich. Vor dreißig Jahren gab es so etwas auf dem Land einfach nicht und ich hatte schon viel von diesem Wunderladen gehört.
Ich betrat mit meinem neuen Freund das Geschäft, entdeckte das Regal mit den Hundebüchern und wollte schon zielstrebig darauf zusteuern, als ich von einer Bewegung am Boden abgelenkt wurde. Drei Pekinesenwelpen wackelten neugierig und unerschrocken auf uns zu.
Was soll ich sagen? Bei Welpen setzt ohnehin mein Verstand aus und diese drei waren unfassbar! Wollig, wuselig, weich, winzig und erst die Ringelschwänze! Und ich hatte Geld mit!
Ich vergaß in Sekundenbruchteilen, warum ich eigentlich hier war und setzte mich auf den Boden, um mich beklettern, benagen und bewedeln zu lassen. Drei rotbraune Unwiderstehlichkeiten und ich war verloren! Nie im Leben hätte ich das Geschäft verlassen können, ohne einen der drei mitzunehmen.
Meinem zukünftigen Mann ging es ähnlich, denn wir entschieden uns binnen fünf Minuten für den größten, wildesten und selbstbewusstesten der drei. Weitere fünf Minuten später hieß er Jimmy und fuhr mit uns nach Hause.
So sehr ich heute aus gutem Grund gegen Käufe in Tierhandlungen wettere, hatte ich bei Jimmy mehr Glück als Verstand. Er war zeitlebens ein Traum von Hund, stark, gesund, extrem klug, unabhängig, unerschrocken, mit prächtigem Fell und kräftiger, längerer Schnauze ausgestattet.
Jimmy, Lisa und mein Sohn harmonierten perfekt.
Wohl zu perfekt, denn ein Jahr später entdeckte ich eine Zeitungsannonce, in der jemand Pekinesenwelpen zum Verkauf anbot.
Wir fuhren hin, um „nur zu schauen“, und abermals forderte ich mein Schicksal heraus, denn diesmal zog Penelope bei uns ein. Aber ich hatte wieder Glück, denn auch sie entwickelte sich von einem anbetungswürdigen Flauschball zu einer höchst respektablen Persönlichkeit.
Aller „guten“ Dinge sind bei mir aber nicht drei sondern vier, denn um den Unfug an unüberlegten Hundezugängen komplett zu machen, bekam ich von Freunden einige Jahre später einen Hund als Überraschungsgeschenk zum Geburtstag: Eine Staffordshire Bullterrier Hündin! Ich taufte sie „Vicky“.
Man könnte jetzt meinen, dass so viel Dummheit endlich nach Strafe verlangt hätte, aber nein, auch diesmal ist alles gut gegangen. Mein Vickerl war ihr gesamtes, immerhin dreizehn Jahre dauerndes Leben eine Seele von Hund, hat sich mit jedem Lebewesen vertragen und beim Spazierengehen hauptsächlich Interesse an Blumen gezeigt. Allen unwürdigen Rasselisten und -gesetzen zum Trotz war sie bis heute der friedliebendste all meiner Hunde.
Nachdem meine Lisa gestorben war, Jimmy, Penny und Vicky in höchstem Maße erwachsen, problemlos, lieb und konfliktfrei mit uns zusammenlebten und ich eigentlich sehr gerne wieder einen großen Hund gehabt hätte, keimte in mir abermals die Idee, meine Familie um einen Welpen zu erweitern.
Ich machte mich also wieder einmal auf den Weg, Hundebücher zu erwerben. Zu diesem Zweck besuchte ich eine große Hundemesse. Ich kaufte: Ein Buch über Rottweiler, eines über weiße Schäferhunde, über Weimaraner, Rhodesian Ridgebacks, Bullmastiffs und Labrador Retriever.
Wieder zu Hause angekommen, wollte ich nach der Geschenkeverteilung an meine daheim gebliebenen Hunde sofort die erworbenen Schätze sichten.
Zu meiner großen Verwunderung hielt ich plötzlich ein Buch über Border Terrier in meinen Händen. Anscheinend hatte mir die Verkäuferin irrtümlich ein weiteres Buch, das ich gar nicht gekauft hatte, eingepackt.
Ich blätterte es durch und begann zu lesen. Meine Verblüffung wuchs mit jeder Seite. Alles, was dort geschrieben war, gefiel mir. Außerordentlich gut sogar. An einen Border Terrier hatte ich gar nicht gedacht und doch schien jede Zeile zu beweisen, dass das wohl genau die richtigen Hunde für mich wären.
Die anderen Bücher wanderten ungelesen ins Regal und ich rief sofort am nächsten Tag beim Terrierzuchtverband an, um herauszufinden, ob es irgendwo in Österreich Border Terrier Züchter gibt. Es gab welche und einer davon hatte zufällig gerade Welpen …
Die Züchterin wollte meine gesamte Familie samt Hunden sehen und so reisten wir ein paar Tage später zur gegenseitigen Besichtigung nach Oberösterreich.
Die Züchterin führte uns in den Welpenbereich und ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber jedenfalls nicht das, was dann passierte. Die Mutter der Welpen, Eysha, saß auf einem Sessel, um ein wenig Ruhe außerhalb der Reichweite ihres sehr agilen Nachwuchses zu genießen. Sie schaute uns freundlich neugierig an – mir schossen Tränen in die Augen und eine Klammer schloss sich um mein Herz. Ich stammelte mit erstickender Stimme irgendwas wie: „Die, die, die ist ja bezaubernd …!“ und wäre die Mutter das „Angebot“ gewesen, ich hätte sie geschnappt und wäre zum Auto gelaufen. Ihr Blick hat mich einfach mitten ins Herz getroffen und bis heute haben Border Terrier diese Wirkung auf mich. Sie bringen mich zum Weinen und zum Stammeln.
An diesem Tag hatte ich aber die Aufgabe, mir aus einem Gewusel von vier Hündinnen und einem Rüden meinen zukünftigen Hund auszusuchen. Meine Wahl war nach zehn Sekunden abgeschlossen, aber auch meine Söhne hatten ein Mitspracherecht. Als wir uns verabschiedeten und ich einen letzten Blick auf die Welpen warf, hatten sich bereits alle in die Kuschelhöhle zurückgezogen, um unseren Besuch schlafend zu verarbeiten – nur ein Welpe blieb draußen, stellte sich am Gitter des Auslaufs auf und sah mir in die Augen. Wir hatten anscheinend dieselbe Wahl getroffen, meine künftige Seelenschwester und ich.
Zwei lange Wochen später zog „Quendy von der Villa Silva Mark“ bei uns ein.
Jahre später, nach dem Tod meiner beiden unvergesslichen Pekinesen, erfuhr ich von einer Border Terrier Züchterin, dass in einem Wurf Border Terrier in Tschechien wohl einer dabei wäre, der nicht dem Standard entspräche. Die Hündin wäre weder für die Jagd noch für Ausstellungen (und damit auch nicht für die Zucht) geeignet und der Züchter (ein Jäger) würde sie sehr gern loswerden.
Kurze Zeit später schloss ich ein kleines, dickes Hummelchen in meine Arme und versprach ihr, dass sich nie wieder jemand ungestraft über ihr Aussehen lustig machen würde. Ich taufte sie dem Züchter zum Trotz „Shanta“ (das Lakota-Wort für „Jagd“) und nahm sie mit nach Hause.
Schon in der ersten Nacht wurde klar, dass sie zwar durch ihre angeborene Hormonstörung körperlich gehandicapt war, aber ihr Wille, wie so oft bei beeinträchtigten Personen, zeigte keinerlei Gebrechen. Sie suchte sich ihren Menschen (meinen Sohn Franco) selbst aus und erklomm unter Schwierigkeiten sein Bett, um fortan stets dort zu nächtigen. Zeitlebens ist er ihr Lieblingsmensch geblieben.
Die Züchterin, die mir damals von Shanta erzählt hatte, hatte selbst eine von Shantas gesunden Schwestern bei sich aufgenommen und einige Jahre später wurde diese...