3 Dyspnoe
Luft zum Atmen bzw. Sauerstoff ist für jedes Lebewesen überlebenswichtig. So ist das Gefühl, nach Luft ringen und qualvoll zu ersticken, eine bedrohliche Vorstellung und kann bei sehr vielen Menschen zu starker Unruhe und sogar zu Todesangst führen. Als subjektives Gefühl ist Atemnot in Verbindung mit Todesangst grundsätzlich mit einer palliativen Haltung ernst zu nehmen, auch wenn diese nicht immer mit einem konkreten Befund belegbar ist. Die Intensität der Atemnot hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die aktuelle psychische Situation des Betroffenen hat einen starken Einfluss auf die Atemnot. Unruhe und Anspannung verstärken eine Atemnot, während Ruhe und Sicherheit eine Verringerung darstellen.
Die psychosoziale Situation spielt eine ebenso wichtige Rolle in diesem Zusammenhang wie der soziokulturelle Hintergrund sowie bisherige Coping-Strategien. Diese drei Säulen haben in der Vergangenheit geholfen Krisen zu meistern und bieten für künftige Dyspnoeattacken Sicherheit.
Dyspnoe oder sehr starke Atemnot kann ein sehr belastendes Symptom für den Betroffenen und dessen An- und Zugehörigen sein. Das genaue Ausmaß dieses Symptoms kann nur der Betroffene selbst einschätzen.
Fast die Hälfte aller Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung leidet temporär unter Atemnot, die Zahl steigt auf ca. 70 % der Patienten in den letzten Wochen des Lebens an. In den letzten 24 Stunden vor dem Versterben beklagen ca. 80 % der Betroffenen Atemnot.
Die Wahrnehmung der Atemnot entsteht in der Regel durch erhöhte Atemarbeit bei unzureichender Atemreserve. Die Reaktion auf die Atemnot ist häufig ein unmittelbares Erleben von Todesangst, wie sie kaum von anderen Symptomen ausgelöst wird.
Atemnot kann langsam entstehen, sich aber auch sehr schnell entwickeln und wird in der Nacht meistens bedrohlicher wahrgenommen als bei Tageslicht, da die Situation durch Dunkelheit und Stille noch bedrohlicher wirkt.
Nicht selten entsteht eine Art »Teufelskreis«, wobei Atemnot Angst, und diese wiederum die Atemnot, verstärkt und die Angst sich schnell in Panik umwandeln kann, wenn dieser Kreis nicht von außen unterbrochen wird.
Abb. 3.1: Das Teufelskreismodel der Atemnot Angst
Dyspnoe ist ein subjektives Symptom. Nur der Betroffene kann die Intensität der Atemnot beurteilen. Die subjektiven Äußerungen des Betroffenen sind ernst zu nehmen. Begleiter müssen hier lernen ihre »objektive« Beobachtung nach hinten zu stellen. Denn diese kann sich manchmal nicht mit dem subjektiv Erlebten decken.
3.1 Umgang mit dem Symptom Dyspnoe
Atemnot ist meistens ein Aufnahmegrund für eine stationäre Palliativversorgung. An- und Zugehörige bekommen durch die sogenannte »Symptomansteckung« häufig selbst Angst und sind gerade in nächtlichen Notsituationen schnell überfordert.
Atemnot ist ein Symptom, dessen Schwere nur der Betroffene selbst einschätzen kann. Dessen subjektive Einschätzung ist der Maßstab aller daraus resultierenden Handlungsfolgen. Nicht das, was wir messen oder sehen, zählt, Atemnot gibt es, auch wenn die Atmung für uns normal erscheint.
Der Betroffene
Das Gefühl, nicht mehr genügend Luft zu bekommen, und die Vorstellung, qualvoll ersticken zu müssen, sind sehr existentiell und können bei den meisten Patienten starke Panik und Unruhe auslösen.
Die Atmung ist lebensnotwendig. Ohne sie gibt es kein Leben; funktioniert der ganze menschliche Organismus nicht. Eine Einschränkung oder Behinderung im Atemfluss kann als unmittelbare »Lebensbedrohung« wahrgenommen werden. Häufig erleben Patienten mit Atemnot, wie die Angst vor der Atemnot gleichzeitig zum Auslöser für diese wird. Erschwerend können bei einigen Patienten negative Erfahrungen mit dem Thema Atemnot aus dem persönlichen Umfeld, wie beispielsweise bei Asthma, hinzukommen und einen prägenden Einfluss auf das Erleben und den Umgang mit diesem Symptom haben. Einige Betroffene schildern eine Zunahme der eigenen Hilflosigkeit und der An- und Zugehörigen sowie eine Verstärkung der eigenen Angst, die das Gefühl aufkommen lassen, der Krankheit machtlos ausgeliefert zu sein. Der Grat zwischen kontrollierbarer Atemnot und Panikattacke ist in aller Regel sehr schmal.
Bereits geringe körperliche Belastungen wie beispielsweise Begleitung zur Toilette oder eine Umlagerung im Bett, seelische Anspannung und/oder Konflikte im näheren sozialen Umfeld können zum Auslöser für eine Atemnotattacke beim Betroffenen werden.
Eine Belastungsdyspnoe ist das Auftreten von Atemnot, die durch eine körperliche Anstrengung ausgelöst wird, und somit für den Patienten ein Stück weit vorhersehbar und teilweise kontrollier- und einschätzbar wird. Normalerweise ist es üblich, dass der behandelnde Arzt für den Palliativpatienten eine umfangreiche Bedarfsmedikation verordnet. So kann ein Atemnotpatient vor einer körperlichen Belastung seine Bedarfsmedikation einfordern, so dass erst gar keine Atemnotattacke entsteht.
Eine verbale Kommunikation ist bei einer akuten Atemnotattacke stark erschwert. Für den Patienten kann ein zusätzlicher Leidensdruck entstehen, wenn er verbal kommunizieren möchte, aber über keine weiteren Ressourcen verfügt und keine Kraft aufbringen kann. Ruhe und Sicherheit können in solchen Situationen für den Patienten Sicherheit bringen.
Die An- und Zugehörigen
Das tatsächliche »Miterleben« von Atemnot führt bei An- und Zugehörigen oftmals zu einer hohen Anspannung und kann Gedanken eines qualvollen Erstickens auslösen. Die eigene Hilflosigkeit, verbunden mit dem Gefühl, sofort etwas tun zu müssen, um dem nahestehenden Menschen helfen zu können, löst häufig einen großen Leidens- und Handlungsdruck bei den An- und Zugehörigen aus.
Das Erleben als Beobachter einer Atemnotattacke unterliegt häufig unterschiedlichen Sinneseinflüssen. Neben der akustischen Wahrnehmung ist das Realisieren der Anstrengung und der Angst bis hin zur Panik, die an der Mimik des Patienten ablesbar ist, eine große Belastung, die An- und Zugehörige ihre Grenzen der Begleitung spüren lässt.
Die gesamte Situation kann sich noch erschweren, wenn zu der Atemnot beispielsweise noch eine Tachypnoe (= beschleunigtes Atmen) hinzukommt. In solchen Fällen kann sich die beschleunigte Atmung leicht auf die An- und Zugehörigen übertragen. Diese übernehmen dann oft unbewusst den raschen Atemrhythmus des Patienten und die damit verbundenen Emotionen wie Angst, Nervosität und Unruhe. Manche An- und Zughörigen verlassen daher intuitiv zum Teil fluchtartig das Krankenzimmer. Andere fühlen sich der nahestehenden Person verpflichtet und denken, dass sie tapfer sein müssen und dass sie die unangenehme Situation aushalten müssen. Hier kann es sinnvoll sein, die An- und Zugehörigen für einen kurzen Moment aus dem Zimmer zu bitten, um eine Eskalation der Situation zu verhindern.
Gerade im häuslichen Bereich, in dem An- und Zugehörige über einen langen Zeitraum mit dem Betroffenen alleine sind, ohne auf professionelle Hilfe zurückgreifen zu können, ist die Angst vor der Verantwortung und die vor einem möglichen Versagen sehr groß. Dieses Erleben hat oft zur Folge, dass sich An- und Zugehörige überfordert fühlen und die Verantwortung an Pflegende und Ärzte abgeben möchten.
Die Pflegenden
Atemnot ist ein sehr belastendes Symptom für die Pflegenden. Häufig ist nicht nur der Patient davon betroffen, sondern auch sein Umfeld durch die Übertragung der Atemnot. Dies kann zur Folge haben, dass die Pflegekraft sich nicht nur um den Patienten zu kümmern hat, sondern auch um die An- und Zugehörigen. Im Mittelpunkt sollte jedoch der Betroffene stehen. Daher kann es hilfreich sein, die An- und Zugehörigen aus dem Zimmer zu bitten, bis sich die gesamte Situation wieder entspannt hat.
Der eigene Umgang mit diesem Symptom ist durch Erfahrungen im privaten wie aber auch im beruflichen Leben geprägt. Diese Eindrücke führen unreflektiert oftmals zu vielfältigen Ängsten, die wiederum Auslöser sein können, Patienten mit Atemnot zu meiden.
Exkurs: professionelle Nähe
Im Rahmen professionellen Handels der Pflegenden unterstützt eine professionelle Nähe in der Akutsituation, um gezielt und sicher handeln zu können. Der Beziehungsaufbau zu den Betroffenen und den An- und Zugehörigen ist eine herausfordernde Aufgabe für Pflegende. Es erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl von allen Agierenden. Das In-Beziehung-Treten steht in diesem Zusammenhang auch für einen Prozess der Herstellung von Nähe, von professioneller Nähe. Bisher...