Vorwort
Afrika brannte. Witney Schneidman las die Flut schlimmer Nachrichten jeden Morgen, wenn er in seinem Büro im fünften Stock des Außenministeriums in Washington eintraf. Meist lagen Zusammenfassungen der Geheimdienstberichte, die während der Nacht eingegangen waren, auf seinem Schreibtisch, codiert in der Farbe des jeweiligen Geheimdienstes. Die vertraulichen Texte aus der ganzen Welt wurden am frühen Morgen durch prägnante Berichte der hauseigenen Analytiker ergänzt, hinzu kamen Telegramme der Botschaften, Berichte vom CIA in glänzenden Umschlägen und elektronische Daten, abgehört und gesammelt von der National Security Agency (NSA). Im Sommer und Herbst 1999 stapelten sich die dünnen Zusammenfassungen auf Schneidmans Schreibtisch und beschrieben das zunehmende afrikanische Inferno, das nicht die Wälder betraf, sondern Tausende von Menschenleben kostete.
Das Feuer, das den Kontinent 1999 verwüstete, war ein anarchistisches Gemetzel, geschürt von Stammesfeindschaften, Gier und Ehrgeiz, das in zu vielen Ländern gleichzeitig ausbrach. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde Afrika ein Jahrzehnt lang von internen Konflikten geplagt, bei denen Millionen Menschen durch Gewalteinwirkung umkamen und weitere Millionen verhungerten. Während der Rest der Welt voller Euphorie auf die Annäherung zwischen den USA und dem Ostblock starrte, schwelten die regionalen Kriege in Afrika weiter und drohten, eine Katastrophe auszulösen. 1994 zeigte die plötzlich ausgebrochene Krise in Ruanda, was passieren konnte, wenn Regierungen unachtsam waren. Ruandas von Hutus geführte Regierung zettelte eine Kampagne an, um den Stamm der Tutsi auszulöschen. Daraus entwickelte sich ein Bürgerkrieg, der zusammen mit der folgenden Hungersnot bis zu einer Million Menschen das Leben kostete. Ruandas Tortur war im Sommer 1999 vorbei, aber es gab überall auf dem Kontinent weitere böse Vorzeichen:
Sierra Leone, in einem neunjährigen Bürgerkrieg ausgeblutet, befand sich in einem tödlichen freien Fall. Milizen der Revolutionären Vereinigten Front (RUF) starteten im Januar einen brutalen Angriff auf die Hauptstadt Freetown, den Sitz der Regierung; sie mordeten, verstümmelten und brandschatzten. Die RUF exekutierte zweitausend Zivilisten und verstümmelte systematisch Tausende mehr; sie hackten ihren Opfern die Gliedmaßen ab und vergewaltigten Frauen und Teenager. Erschöpft von diesem Blutbad, unterzeichneten die RUF und die Regierung einen Friedensvertrag, der jedoch bald durch Verletzungen des Waffenstillstands mit weiteren Todesopfern gebrochen wurde.
In Angola wurde ein trügerischer Frieden durch Luftangriffe von Rebellen und Regierungstruppen beendet, bei den Angriffen wurden Tausende von Menschen getötet und 1,7 Millionen vertrieben. Zwei von der UNO gecharterte Flugzeuge wurden vom Himmel geschossen, Städte wurden bombardiert und Dorfbewohner massakriert. Beide Parteien warfen sich gegenseitig Kriegsverbrechen vor.
Der siebzehnjährige Bürgerkrieg im Sudan loderte auf, als die muslimisch-fundamentalistische Regierung Stammesgebiete und Flüchtlingslager bombardierte und Zehntausende daraufhin obdachlos wurden.
In der Demokratischen Republik Kongo (DRC) festigten Rebellen ihre Stellung in der Osthälfte des Landes und kämpften immer wieder gegen Regierungstruppen.
Gefechte in Liberia bedrohten einen brüchigen Frieden, während die autokratische Regierung von Charles Taylor ihre Machtbasis vergrößerte und Gegner mit einer Welle von Folterungen und Morden einschüchterte.
Das ganze Jahr über befanden sich amerikanische Botschaften in Afrika im Alarmzustand; sie waren immer noch nervös, nachdem Al Kaida im August 1998 in Nairobi und Daressalam 220 Menschen mit Bomben getötet hatte und sich nach Afrika auszubreiten drohte.1
Schneidman, als stellvertretender Ministerialdirektor im Außenministerium für Afrika zuständig, blätterte jeden Morgen besorgt in den Berichten. Der zerknitterte, fröhliche Atheist und Diplomat war von der Afrikapolitik fasziniert und kümmerte sich normalerweise um soziale und wirtschaftliche Probleme wie Aids und die steigende Verschuldung des Kontinents. Aber die brutalen ethnischen Konflikte und Machtkämpfe, die 1999 wieder aufflackerten, gefährdeten jeden Fortschritt.
Schneidman hatte sich schon auf dem College mit afrikanischer Geschichte und Kultur beschäftigt und reiste in stressig kurzen Abständen immer wieder nach Südafrika und in andere junge afrikanische Demokratien. Er hatte an der Universität Daressalam in Tansania studiert und über die Entkolonisierung von Angola und Portugiesisch-Ostafrika geschrieben, bevor er Ende der Achtzigerjahre mehrere Jahre lang Beamter im Außenministerium gewesen war. In den Neunzigerjahren hatte er in Südafrika für die Weltbank und andere Finanzinstitute gearbeitet. Ende 1997 ging er wieder als stellvertretender Ministerialdirektor ins Außenministerium.
Während seines früheren Einsatzes war er zwei Jahre lang Mitarbeiter des Geheimdienstes im Außenministerium gewesen; daher war er mit den trockenen, verschlüsselten, stichwortartigen Zusammenfassungen vertraut, die sich auf seinem Schreibtisch häuften. Er arbeitete bis spät in die Nacht in einem kleinen Büro, das mit einigen Stammesmasken und Totems – Mitbringseln von seinen Reisen – geschmückt war, und suchte nach aufschlussreichen Informationen. Im Laufe der Monate fiel ihm etwas am SIGINT-Material auf. Diese auf elektronischem Wege und mithilfe von Satelliten gewonnenen Daten der NSA erwähnten immer wieder einen Russen, der offenbar tonnenweise Waffen mit dem Flugzeug nach Zentral- und Westafrika schaffte, wo die schlimmsten Konflikte tobten. Der Familienname dieses Mannes war nicht bekannt – er benutzte zu viele Tarnnamen. Die Geheimdienstberichte nannten ihn einfach »Victor B.«.
»Nachdem ich dieses Zeug zwei oder drei Monate lang gelesen hatte, ging mir ein Licht auf«, erinnerte sich Schneidman sieben Jahre später. »Wir mussten diesen Kerl schnappen.«
Bald erfuhr er, dass einige andere Regierungsbeamte seine Neugier teilten. Einer von ihnen war ein fleißiger junger CIA-Analytiker im Hauptbüro in Langley, der für grenzüberschreitende »Gauner und Kanonen« zuständig war. Mehrere Jahre lang hatte er still Akten über den Russen und andere Waffenhändler in Afrika angelegt und darauf gewartet, dass ein Politiker sich dafür interessierte. Er hatte bereits eine eindrucksvolle Menge von Beweisen gesammelt, die belegten, dass die Waffenlieferungen des rätselhaften Russen die unlösbaren Konflikte in Sierra Leone, Liberia, Angola, der DRC und anderen afrikanischen Ländern schürten. Als er sich die Bewegungen der umfangreichen Lieferungen relativ neuer, moderner Waffen in die Kriegsgebiete näher ansah, fand er mehrere Male Hinweise auf alte russische Frachtflugzeuge, die immer wieder über der Region auftauchten und von hoch fliegenden amerikanischen Radarflugzeugen in der Nähe von Absetzplätzen und Rollbahnen geortet wurden, wo die russischen und osteuropäischen Waffen und die Munitionskisten entladen wurden. Der CIA-Mann notierte sich die Leitwerknummern der Antonow- und Iljuschin-Frachter, die mehrfach auftauchten, und stellte fest, dass die viel beschäftigten Flugzeuge manchmal sogar beide Kriegsparteien belieferten.
Im Verlaufe dieser umfangreichen Aktionen wurden Waffen in erstaunlicher Menge Tausende von Meilen von Osteuropa bis ins tiefste Afrika geschafft. Verblüffend war auch die Vielfalt der Waffen: zerlegte Kampfhubschrauber, schwere Flugabwehrkanonen, eine Menge AK 47 in Kisten sowie von der Schulter startende Raketenwerfer, Landminen, Granatwerfer, Artilleriemunition und Millionen und Abermillionen von Patronen. Monat für Monat gelangten auf diese Weise Waffen nach Kisangani, Monrovia und Goma. Aber die schäbigen, uralten russischen Flugzeuge landeten auch auf Dutzenden von entlegenen Pisten im Busch und in den Bergen und belieferten marodierende Banden von Kindersoldaten und Söldnern. Woche für Woche lieferten die Berichte neue Hinweise auf den Mann, der den Nachschub in Gang hielt. »Russe bringt Waffen nach Liberia«, stand in den Depeschen. Oder: »Von einem Russen gechartertes Flugzeug in Angola gesichtet.«
Als immer mehr solcher Berichte eintrafen, stellten sich Schneidman und der kleine Kreis von Geheimdienstlern, mit denen er sich beriet, zwei unangenehme Fragen: »Wer ist dieser Kerl?« und »Was können wir gegen ihn unternehmen?«
Der mysteriöse Russe war Victor Bout, ein stämmiger Weltreisender mit hartem Blick, der wahrscheinlich in Tadschikistan geboren worden war und seinen dreißigsten Geburtstag gerade erst hinter sich hatte. Er war ein begabter Linguist, und es gab vage Hinweise darauf, dass er früher für den sowjetischen militärischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Eine Weile war der zähe, schlaue Geschäftsmann Offizier der Luftwaffe und Dolmetscher der russischen Regierung in Afrika gewesen. Das waren günstige Voraussetzungen für den Waffenhandel. Als sich die Amerikaner genauer mit Bout und seinem Geschäft befassten, stießen sie auf ein globales Netz aus Firmen und Agenten auf fünf Kontinenten, auch in Amerika. Anfangs fanden sie nur wenige verschwommene Fotos des schwer fassbaren Russen – Passbilder, die ein Oval mit borstigem Schnurrbart zeigten.
Im Schutze seiner Anonymität hatte der Phantomrusse die weltgrößte Privatflotte aus alten sowjetischen Frachtflugzeugen zusammengekauft. Unaufhörlich starteten seine Frachtmaschinen im Flughafen des mit Dünen bedeckten Golfscheichtums Schardscha und auf kleineren Rollbahnen von Belgien bis Südafrika und drehten ihre Runden über Afrika und Asien. Bout tauchte regelmäßig in den...