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E-Book

Schlechte Medizin

Ein Wutbuch

AutorGunter Frank
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641073442
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Es geht nicht um Ihre Gesundheit. Es geht um Profit
Ein Arzt bricht seine Schweigepflicht: Inzwischen werden in Deutschland massenweise Patienten falsch behandelt. Und zwar systematisch. Gunter Frank zeigt, wie an den verschiedenen Stellen des Medizinbetriebs aus Gier und Eigeninteresse Medikamente und Therapien durchgesetzt werden, die nach Maßgabe von Wissenschaft und Vernunft vor allem eines sind: schlechte Medizin.

Gunter Frank, Jahrgang 1963, ist seit 20 Jahren Allgemeinarzt mit eigener Praxis in Heidelberg und Autor mehrerer sehr erfolgreicher Bücher ('Lizenz zum Essen', 'Lexikon der Fitness-Irrtümer', 'Die Mañana-Kompetenz').

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Leseprobe

Millionenfache Fehlbehandlungen: Alltag in deutschen Arztpraxen und Krankenhäusern

Stellen Sie sich einmal einen typischen Patienten in meiner Praxis vor. Ein 55-jähriger Mann, 180 Zentimeter groß, 90 Kilogramm schwer. Er kommt wegen Verdauungsproblemen und Rückenschmerzen. Außerdem möchte er einen kleinen »Check« machen, wissen, wie hoch sein Cholesterinspiegel und Blutzuckerwert sind. Wir messen einen Cholesterinspiegel von 240 mg / dl1, einen Blutdruck von 150 / 90 mmHg2 sowie einen Nüchternzucker von 115 mg / dl. Wenn ich diesen Patienten nach den Vorgaben der gängigen Lehrbücher behandeln würde, dann müsste ich folgende Diagnosen stellen und therapeutisch wie folgt tätig werden:

1. Übergewicht

Mit einem Body Mass Index (BMI) von 27,8 kg / m2 3 liegt der Patient über dem Normalgewicht und gilt als übergewichtig. Empfehlung: Gewichtsreduktion durch fettreduzierte Kost und fünfmal Obst und Gemüse am Tag.

2. Bluthochdruck

Nach den Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga, einer medizinischen Fachgesellschaft, besteht bei diesem Patienten ein Bluthochdruck Grad 1. Deshalb lautet die dringende Empfehlung an ihn, den Salzkonsum einzuschränken.

3. Prädiabetes

Darüber hinaus gilt sein Blutzuckerwert als erhöht, da er über 99 mg / dl liegt.

4. Hypercholesterinämie (hoher Cholesterinspiegel)

Da auch sein Cholesterinwert die Marke von 190 mg / dl übersteigt, sollte ihm empfohlen werden, weniger Fett zu sich zu nehmen und mehr Sport zu treiben.

Werte für Cholesterin, Blutdruck, Blutzucker und Gewicht, die über der Norm liegen, gelten als Risikofaktoren. Wenn dann die einzelnen Risikofaktoren, wie von den Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga gefordert, addiert werden, muss dem Patienten ein stark erhöhtes Risiko für eine Herzerkrankung bescheinigt werden. Darüber hinaus besteht wegen des Übergewichts gemäß Deutschem Krebsforschungsinstitut (DKFZ) ein erhöhtes Krebsrisiko. Die dringende Empfehlung lautet also: gesünder essen, mehr bewegen und in 3 Monaten eine Kontrolle vornehmen lassen.

Die Kontrolluntersuchung zeigt dann keine wesentlichen Änderungen. Ich schicke den Patienten zum Kardiologen, der beginnende leichte Ablagerungen in den Halsschlagadern feststellt und einen leicht verzögerten Blutdruckrückgang nach dem Belastungs-EKG. Nun folgen Überlegungen zum Einsatz von Medikamenten, um das Risikoprofil zu verbessern. 2 Tabletten werden verordnet: Statine zur Senkung des Cholesterinspiegels und ein ACE-Hemmer zur Senkung des Blutdrucks. Bezüglich des Zuckerprofils wird abgewartet, doch eine medikamentöse Senkung wird wahrscheinlich, denn auch der Langzeitzuckerwert, das HbA1c, liegt über 6 und damit über Norm.

Nach einigen Wochen kommt der Patient wieder und klagt über Reizhusten und Muskelschmerzen. Da ich gelesen habe, dass ACE-Hemmer nicht selten Reizhusten auslösen, wechsle ich auf ein sogenanntes Diuretikum gegen den Bluthochdruck. Für die Muskelschmerzen empfehle ich eine Salbe, verschreibe Magnesiumtabletten. Da die Schmerzen jedoch bis zum nächsten Termin bei mir nicht verschwunden sind, überweise ich den Patienten zu einem Orthopäden und zu einem Neurologen. Außerdem nehme ich erneut Blut ab, um eine entzündliche chronische Muskelerkrankung als Ursache auszuschließen. Bezüglich des Gewichts empfehle ich die Teilnahme an einem wissenschaftlich begleiteten Abnehmprogramm der AOK mit Ernährungsberatung. Da die Verdauungsbeschwerden zunehmen, stelle ich zusätzlich die Diagnose Reizdarm und stelle eine Überweisung zum Darmspezialisten aus, der eine Darmspiegelung durchführen soll. Er findet nichts, empfiehlt aber wie die AOK-Ernährungsberater zusätzlich Ballaststoffe. Dadurch verschlechtern sich die Beschwerden weiter.

So würde ich es richtig machen und doch total falsch. Der Mann ist nämlich so gesund, wie man nur gesund sein kann. Weder ist sein Gewicht in einem Bereich, der seine Gesundheit gefährdet – er befindet sich sogar in der Gewichtsklasse, die statistisch gesehen am längsten lebt –, noch sind sein Cholesterin- oder Blutzuckerspiegel erhöht. Auch sein Blutdruck macht mich nicht nervös. Trotzdem hänge ich ihm 4 Diagnosen an und mache ihn zum Dauerpatienten. Trotzdem wird er mit nebenwirkungsreichen Medikamenten behandelt. Und diese Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Muskelschmerzen durch den Cholesterinsenker Statin, werden häufig nicht erkannt, was eine ganze Reihe weiterer unnötiger Untersuchungen nach sich zieht. Ganz sicher würde man eine Reihe von tödlichen Nebenwirkungen nicht mit diesen Medikamenten in Zusammenhang bringen, sollten sie auftreten oder sogar zum Tod führen, wie durch akutes Nierenversagen oder schwere Leberfunktionsstörungen. Eher würde dem Patienten wegen erhöhter Leberwerte Alkoholmissbrauch unterstellt, als dass sich jemand die Medikation genauer anschauen würde. Außerdem verschlechtere ich die Lebensqualität meines Patienten, da er Dinge essen soll, die ihm nicht schmecken, obwohl deren besonderer gesundheitlicher Nutzen längst widerlegt ist. Durch die angeblich »gesunde Ernährung« werden seine Verdauungsbeschwerden sogar verschlimmert. Und ich setze ihn lebensverkürzenden Jo-Jo-Effekten aus. Darüber hinaus jage ich ihm noch tüchtig Angst vor Herzinfarkt und Krebs ein. Ich bestelle ihn alle 6 Monate zur Kontrolle, damit er auch nicht im Ansatz auf die Idee kommen könnte, dass dies alles gefährlicher Unfug sein könnte, der dazu dient, meinen Terminkalender zu füllen. Mit meinem Vorgehen stehe ich im Einklang mit der medizinischen Lehrmeinung, obwohl ich diesem Mann nur Schaden zufüge. Ich mache mich sogar rechtlich angreifbar, wenn ich ihn anders und damit besser behandle.

Langsames Erwachen

Als ich vor 20 Jahren begann, als Arzt zu arbeiten, erkannte ich die Fehlentwicklungen in der modernen Medizin nicht sofort. Im Studium und bei der anschließenden Facharztausbildung sind kritische Stimmen gemeinhin eher die Ausnahme. Zunächst war ich in Akutkrankenhäusern beschäftigt, in der Inneren Medizin, der Chirurgie, der Urologie und der Notfallmedizin. Danach arbeitete ich quasi als Kontrastprogramm in einer Klinik für Naturheilkunde. Später war ich als Assistenzarzt in einer allgemeinmedizinischen und schmerztherapeutischen Praxis tätig und arbeite seit 1997 als selbstständiger Allgemeinmediziner mit eigener Praxis.

Während meiner Zeit als Assistenzarzt im Krankenhaus stellte sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit meines Tuns für mich nicht. Auf der einen Seite war ich noch unerfahren und ich kam nicht auf die Idee, dass die geltende Lehrmeinung, die meine Chefs auch umsetzten, auf etwas anderem gründen könnte als dem redlichen Bemühen, das Beste für den Patienten zu erreichen. Auf der anderen Seite war man gerade in der Notaufnahme mit viel akutem Leid konfrontiert und machte oft die Erfahrung, dass man als Arzt in einer solchen Notfallsituation tatsächlich segensreich wirken konnte. Gallenkolik und schreckliche Schmerzen: eine Infusion mit krampflösendem Schmerzmittel, und schon nach wenigen Minuten war der Albtraum für den Patienten vorbei. Akute Unterzuckerung: eine Glukoseinfusion, und schon klarte der vorher bewusstlose Patient auf, und die Verwandten waren erleichtert. Herzinfarkt: die ganze Palette hilfreicher Medikation von Morphin bis Blutverdünnung, und der Patient hatte keine Schmerzen mehr und überlebte oft sogar ohne Spätfolgen. Die Arbeit in der Akutmedizin war befriedigend, besonders in der chirurgischen Notaufnahme: Schnittwunden, Knochenbrüche, Blinddarmentzündungen – alles akute Notsituationen für den Patienten, in denen die moderne Medizin schmerzlindernd und oft lebensrettend helfen kann. Das ist heute auch noch so, und wir können froh sein, dass wir in Deutschland eine solch leistungsfähige Akutmedizin haben, in der in den meisten Fällen motivierte Ärzte und ein motiviertes Pflegepersonal nicht selten unter ungünstigen Arbeitsbedingungen ihr Bestes für den Patienten geben. Dieser Bereich der modernen Medizin und die dort arbeitenden Kollegen sind nicht Teil meiner Anklage.

Problematischer wurde es für mich, als ich auf den Stationen der Inneren Medizin arbeitete, also dort, wo man kaum mit Notfällen zu tun hat, sondern mit Patienten, die wegen typischer chronischer Erkrankungen behandelt werden: Herzerkrankungen, Altersdiabetes, Rheuma und so weiter. Während der Notarzt oder auch der Chirurg das Ergebnis seiner Arbeit sofort beurteilen kann, ist dies dem Internisten und Allgemeinarzt oft weniger vergönnt. Ich kann doch gar nicht einschätzen, ob der Patient, der bei mir in der Sprechstunde sitzt, in vielleicht 30 Jahren tatsächlich weniger Herzkrankheiten entwickelt, wenn ich ihm wegen Überschreitung eines Normwertes ein Medikament verordne. Dennoch faszinierte mich der Gedanke, viel früher medizinisch eingreifen zu können, bevor eine Krankheit zu schweren Symptomen führt. So gab ich mich mit den Möglichkeiten der...

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