Einführung in die Ausgabe 2003
Geheime Informanten« – eine unheimliche Geschichte von Lug und Trug, von Täuschung und Verrat, faszinierend und unappetitlich zugleich, grotesk und doch bundesdeutsche Realität. Die Geschichte handelt von bezahlten »Vertrauensmännern« des Verfassungsschutzes (VS) – also von geheimdienstlichen V-Leuten, die aus einer politisch verdächtigen Szene oder Organisation stammen oder dort eingeschleust werden, um dem VS unerkannt Informationen zu liefern. Doch von Vertrauen kann genauso wenig die Rede sein wie vom Schutz der Verfassung. Denn die Geschichte spielt in der Neonazi-Szene, wo die rekrutierten V-Leute als Rechtsextremisten, Rassisten, Antisemiten, Verfassungsfeinde und rechte Gewalttäter weiterhin ihr Unwesen treiben.[85] Und so handelt die Geschichte denn auch von Mordaufrufen, brutaler Gewalt, Brandstiftung, Waffenhandel und Nazipropaganda, in die der VS über seine geheimen Informanten zunehmend verwickelt ist.
Sind V-Männer[86] des Verfassungsschutzes Kriminelle und Verfassungsfeinde im Dienste des Staates? Oder doch eher »moderne Helden«, zwar tragisch und gestrauchelt, aber zum Wohle der Demokratie handelnd? Die Demokratie müsse sich gegen ihre Feinde wehren, hört man immer wieder zur Rechtfertigung solcher Geheimpraktiken. Deshalb folge dieses Land schon aus historischen Erwägungen der Konzeption der »wehrhaften Demokratie«, zu der ein funktionierender Verfassungsschutz gehöre. Staat und Gesellschaft bräuchten einen solchen Inlandsgeheimdienst, der mit seinen klandestinen Mitteln und Methoden verfassungsfeindliche, extremistische und konspirative Organisationen ausspäht, um schwer wiegende Gefahren rechtzeitig erkennen und Straftaten verhüten zu können.
Gefahren bannen und Straftaten verhüten – ein unterstützenswertes Ziel, in der Tat. Doch die Mittel, um diese Ziele zu erreichen, sind sie in gleichem Maße unterstützenswert oder auch nur akzeptabel? Dieses Buch stellt die dringliche Frage nach dem rechtsstaatlichen Preis dieser Art von »wehrhafter Demokratie«, nach den bürgerrechtlichen Kosten dieser geheimdienstlichen Unterwanderungsstrategie. Und es will die Fragen beantworten helfen, ob solche Mittel und Methoden in einem noch erträglichen Verhältnis zum vermeintlichen Nutzen der Gefahrenabwehr stehen und ob sie generell mit den Bürger- und Menschenrechten und den Prinzipien einer freiheitlichen Demokratie vereinbar sind.
Just als die Politik im Namen der »wehrhaften Demokratie« das eher rostige Schwert des Parteiverbotsverfahrens gezogen hatte, um die NPD verbieten zu lassen, da schwappte das untergründig schwelende Unheil an den Tag – und alle gaben sich erstaunt, ganz besonders die verantwortlichen Politiker. Denn diese rechtsextreme Partei – und nicht nur sie – ist seit langer Zeit von V-Leuten des VS durchsetzt, mit allen Problemen und Konsequenzen, die damit zwangsläufig verbunden sind. Die Tatsache, dass zwei der Hauptbelastungszeugen gegen die NPD sowohl hohe NPD-Funktionäre als auch langjährige V-Männer waren, kam dabei eher zufällig heraus und führte fast zu einer Staatskrise. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, die den Antrag auf Verbot der Partei beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hatten, sahen keine Veranlassung, das Gericht rechtzeitig davon zu unterrichten. Und es kam noch härter: Nach und nach sickerte durch, dass zahlreiche weitere V-Leute einschlägig tätig waren, dass die Partei regelrecht geheimdienstlich unterwandert ist. Etliche V-Leute sind mittlerweile enttarnt, dreißig von ihnen gibt es nach dem Eingeständnis der Innenminister des Bundes und der Länder allein in den Führungsebenen der Partei – wie viele werden es dann wohl in der Gesamtpartei sein? Und wie viele kommen noch von Seiten des polizeilichen Staatsschutzes dazu? Tatsächlich wollten die exekutiven Antragsteller ihre Karten in dem Verbotsverfahren nicht völlig offen legen. Was hatten sie zu verbergen?
Für das Bundesverfassungsgericht, das über den Verbotsantrag zu entscheiden hatte, war es ziemlich schwierig geworden, die Grenzlinie zwischen VS und VS-unterwanderter NPD überhaupt noch auszumachen. Zumal man davon ausgehen musste, dass die VS-Mitarbeiter in führenden Funktionen der NPD selbst jene belastenden Beweise mit produziert hatten, die zur Begründung des NPD-Verbots herhalten sollten. Im Übrigen bestand die Gefahr, dass sich die Geheimmethoden bis hinein in das Parteiverbotsverfahren gegen die NPD auswirken könnten – mit der Folge eines tendenziellen Geheimprozesses, in dem die Öffentlichkeit und die Antragsgegnerin, also die NPD, aus Gründen des »Quellenschutzes« und des »Staatswohls« ausgeschlossen würden.
Dem hat das Bundesverfassungsgericht am 18. März 2003 mit einer Einstellung des Verfahrens einen Riegel vorgeschoben. Letztlich hat die geheimdienstliche Unterwanderung der NDP mit zahlreichen bezahlten V-Leuten das Parteiverbotsverfahren zu Fall gebracht. Dafür tragen die Antragsteller, insbesondere aber Bundesregierung und Landesregierungen die Verantwortung. Eigentlich wollten sie mit dem Verbotsverfahren einen schweren Schlag gegen den Rechtsextremismus führen. Stattdessen haben sie jedoch mit ihrem unverantwortlichen Taktieren dem demokratischen Rechtsstaat einen schweren Schlag versetzt und sämtlichen antirassistischen Bemühungen gleich mit. Es steht zu befürchten, dass das gesamte rechte Lager gestärkt aus dieser Affäre hervorgeht, was die gesellschaftliche Auseinandersetzung erheblich erschweren würde.
Das NPD-Verbotsverfahren und die V-Mann-Affäre geben vergleichsweise tiefe Einblicke in das bundesdeutsche V-Leute-Unwesen. Deshalb ist der NPD-Komplex auch ein Schwerpunkt dieses Buches. Doch nicht nur die NPD, auch andere rechtsradikale Parteien, Organisationen und Szenen sind mit V-Leuten des VS durchsetzt, seit die Innenminister des Bundes und der Länder zu Beginn der 90er Jahre beschlossen hatten, die rechtsextreme Szene, die bundesweit über 50 000 Mitglieder zählt, verstärkt zu infiltrieren, um die Aufklärung über die Gefahren rechter Gruppierungen zu verbessern.
Diese systematische Unterwanderung bringt enorme menschliche, rechtspolitische und bürgerrechtliche Probleme mit sich. Dabei hat die NPD-V-Mann-Affäre eine lang verdrängte Tatsache wieder ins öffentliche Bewusstsein geholt: die Tatsache nämlich, dass Geheimdienste im Auftrag der verantwortlichen Regierungen in einer kaum kontrollierbaren Grauzone mit »schmutzigen« Mitteln und Methoden zu arbeiten pflegen. Dass V-Leute keine »Ehrenmänner« oder »reuigen Sünder« sind, die Verfassung und Demokratie vor Gefahren retten wollen, ist bekannt. Aber wozu sie, die Rassisten, Neonazis und rechten Schläger, als Verfassungsfeinde im Dienste des Verfassungsschutzes tatsächlich fähig sind, wird dabei gerne verdrängt oder erst gar nicht wahrgenommen, zumal die Fakten der Geheimhaltung unterliegen. Welche Straftaten also haben V-Leute veranlasst, angestiftet, selbst begangen, vertuscht – wie viele Angriffe auf Flüchtlinge, Obdachlose, Linke, welche Brandstiftungen und Körperverletzungen gehen auf ihr Konto, wie viele Hakenkreuzschmierereien und NS-Propagandadelikte?
Dieses Buch will – vor dem Hintergrund der besorgniserregenden Entwicklung von Neonazismus und rechter Gewalt in diesem Land – der V-Mann-Problematik im rechten Sumpf auf die Spur kommen. Dabei soll untersucht werden, wie V-Leute angeworben werden, wie der VS mit V-Leuten arbeitet und sie entlohnt, um was für Menschen mit welcher Vorgeschichte und welcher Persönlichkeitsstruktur es sich dabei handelt. Ich möchte aufzeigen, welchen Restriktionen und Kontrollen V-Leute unterliegen und was für Aufträge sie zu erledigen haben, und ich bin der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen diese geheimdienstliche Infiltration auf die angeheuerten V-Leute selbst haben kann, auf die Beobachtungsobjekte und ihre Aktivitäten und auf spätere Gerichtsverfahren. Führt der V-Mann-Einsatz nicht zwangsläufig dazu, dass der VS über diese Mitarbeiter praktisch zur Verfestigung der Szene beiträgt, die er eigentlich überwachen und bekämpfen soll? Und es geht um die Frage, ob solche Geheimmethoden überhaupt wirksam kontrollierbar sind, ob Verwicklungen in kriminelle Handlungen und andere Skandale, wenn schon nicht verhindert, dann wenigstens sauber aufgearbeitet werden können.
Um ein wenig Licht ins Dunkel, das die V-Mann-Sphäre umgibt, zu bringen, werden erstmals systematisch Gerichtsurteile und Prozessunterlagen ausgewertet, die über die erschreckend kriminellen Karrieren vieler V-Leute detailliert Auskunft geben. Auf dem Hintergrund von bislang geheimen Dienstanweisungen, Behördenzeugnissen und anderen Dokumenten entstehen aufschlussreiche Fallstudien, die einen tieferen Einblick vermitteln in das »aufregende« Agentenleben von geworbenen, gedungenen und sich andienenden V-Leuten. Von »sittlich anrüchigen« Menschen, die das Doppelspiel fasziniert, die sich plötzlich interessant und wichtig fühlen – obwohl sie häufig genug nur ein erbärmliches Spitzel- und Denunziantendasein fristen. Von Menschen mit Decknamen, die für einen »Judaslohn«, der in einzelnen Fällen in die Hunderttausende gehen kann, käuflich sind, die sich täglich verstellen müssen, lügen und betrügen, sich in große Gefahr begeben und mit dem schweren Vorwurf des Verrats leben müssen. Und die...