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E-Book

Einhorn, Phönix, Drache

Woher unsere Fabeltiere kommen

AutorJosef H. Reichholf
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783104009421
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Lebendige Legenden - Von der Wirklichkeit unserer Fabeln und Mythen Wie wirklich sind unsere Fabelwesen? Woher kommen sie und welche Mythen wurden um sie gestrickt? Anhand altüberlieferter Sagen und Märchen unterschiedlichster Kulturen und mit einem verblüffend großen zoologischen Fachwissen geht Josef H. Reichholf der Sache anhand der drei geheimnisvollsten Fabeltiere auf den Grund: Das Einhorn, sagenhaftes Tier der Antike, ist zoologischen Diagnosen zufolge ein reales Tier, dem später mythische Eigenschaften angedichtet wurden. Der Phönix, auferstanden in Herrlichkeit aus der Asche, hat seinen Ursprung im Flamingo. Und der feuerspeiende Drache war niemals ein Tier, sondern Mensch! Eine faszinierende Reise durch die Zeit, Mythologie und Naturgeschichte. »Das Buch liest sich ein wenig wie eine Mischung aus Großwildjagdbericht und Archäologiethriller.« Harald Eggebrecht, Süddeutsche Zeitung

Josef H. Reichholf ist Evolutionsbiologe, Naturforscher und Bestsellerautor. Bis 2010 war er Leiter der Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München und lehrte an beiden Münchner Universitäten. Zahlreiche Bücher, Fachpublikationen und Fernsehauftritte machten ihn einem breiten Publikum bekannt. 2007 wurde Josef H. Reichholf mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet, nach dem Cicero-Ranking 2009 gehört er zu den 40 wichtigsten Naturwissenschaftlern Deutschlands. Bei S. Fischer erschien von ihm: ?Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends?, ?Warum die Menschen sesshaft wurden?, ?Einhorn Phönix Drache. Woher unsere Fabelwesen kommen? und ?Mein Leben für die Natur. Auf den Spuren von Evolution und Ökologie?.Literaturpreise:Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa 2007

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Leseprobe

Der Ursprung des Phönix


Sein Name ist altgriechischen Ursprungs. Phoinix bedeutete flammendes Rot. Der Mythos des Phönix reichte jedoch weit über Griechenland und den östlichen Mittelmeerraum hinaus. Altägyptisch hieß der Phönix benu. Das bedeutete der Wiedergeborene oder der Erstgeborene (Sohn). Benu erschien selten, in der Regel nach langer Abwesenheit, die Jahrhunderte dauerte, verbrannte nach seiner Ankunft in der Glut der aufgehenden Sonne und stand verjüngt aus seiner Asche wieder auf. Herodot, der bedeutendste Geschichtsschreiber der Hellenen, führte diesen Mythos in die Welt der Alten Griechen ein. Die Asche des Phönix hielt man für die Asche der Göttin Osiris. Der damals bereits sagenhafte Phönix sollte der Überlieferung zufolge ein weit höheres Lebensalter als die Menschen erreicht haben. Erst gegen Ende seines Lebens, nach mehreren hundert Jahren, baute er ein Nest. Er setzte sich darauf, bebrütete das Ei und verbrannte danach. Die Asche formte sich zu einem Kegel. Das Ei blieb erhalten, und der junge Phönix schlüpfte daraus. Antike griechische und römische Autoren stellten den Phönix-Mythos jedoch nicht einheitlich, sondern in unterschiedlichen Versionen dar. Sie bezeichneten den Vogel als rot oder goldrot. Das Ei, so hieß es, wurde aus den Resten der Leiche des Vaters geformt. Benu trug es dem altägyptischen Sonnengott Rā zu Ehren nach Heliopolis, der sagenhaften »Sonnenstadt« (helios = Sonne, polis = Stadt) am Nil, wo es im Tempel feierlich begraben wurde.

Ein dem Phönix ähnliches Fabelwesen gab es auch im Alten Persien und in China. In der altpersischen Mythologie hieß der Wundervogel simurg(h). Das war abgeleitet vom Avestischen mǝrǝγō saēnō (Der Vogel Saēna). Der Simurgh ist aber ein zusammengesetzter Vogel, der Eigenschaften mehrerer Arten in sich vereint und mit diesen zum ›König der Vögel‹ erhoben worden war. Er trägt neben der Schönheit des Phönix die Eigenschaften von Falken und von Löwen. Dem Phönix ähnlicher und ohne Beimischung von Löwen ist die geographisch viel weiter entfernte chinesische Version, der feng huang. Darstellungen davon zeigen Verbindungen mit dem Pfau. Aus den Abänderungen lässt sich schließen, dass der Mythos vom Phönix in Ägypten entstand und sich von dort aus nach Osten, nicht aber nennenswert nach Westen verbreitete. Benu und seine altgriechische Version Phönix sind zweifellos einheitlicher und damit vielleicht realistischer geformt als Simurgh und Feng Huang.

Die Suche nach dem Ursprung des Phönix hat somit in Ägypten zu beginnen und zwar in vorrömischer Zeit. Seine Eigenschaften weisen den Weg. Er war/ist ein Vogel, das steht fest. Der altpersischen Version wurden Attribute des Löwen erst nachträglich hinzugefügt. Der Phönix kam als sonderbare Erscheinung in großen Zeitabständen von irgendwoher. Es gab ihn nirgendwo dauerhaft im ganzen ägyptisch-hellenischen Raum und auch später nicht im Weltreich Roms. Wäre er in der mediterranen Welt permanent ansässig gewesen, rankten sich gewiss nicht so viele Geheimnisse um ihn. Der Informationsfluss war zumindest zur Zeit der Römer gut genug. Doch diese kannten ihn nicht. Sie übernahmen den Phönix von den griechischen Historikern und Naturforschern, ohne ihm einen eigenen römischen Namen zu geben. Unbekannt war der Wundervogel auch im gesamten übrigen europäischen Raum. Die Germanen hatten keinen Namen für ihn und wohl auch keine Kenntnisse davon; das spätere christliche Abendland bediente sich der altgriechischen Bezeichnung. Nach Osten hin, nach Asien, veränderte sich die Gestalt des Phönix mit zunehmender Entfernung vom östlichen Mittelmeerraum. Versatzstücke anderer Vogelarten wurden seinem Bild hinzugefügt.

Den historischen Befunden zufolge kann der Phönix nur von irgendwo aus den Regionen südlich von Altägypten gekommen sein. Vielleicht stammte er aus dem sagenhaften Land Kusch oder aus dessen weiterer Umgebung. Das Land Kusch wurde im 18. Regierungsjahr des Pharao Sesostris I. erstmals konkret erwähnt, war aber schon lange vorher als Goldland bekannt. Kusch hieß das Land bei den Ägyptern. Sie meinten damit einen Teil des sich weiter nilaufwärts in der Ferne des unbekannten Afrika verlierenden Nubiens. Die Blütezeit des Reichs von Kusch fiel in die Zeit von etwa 750 bis 300 vor unserer Zeitrechnung. Danach verlagerte sich das Zentrum von der Stadt Napata nach Meroë. Tausend Jahre vorher war das untere Nubien zwischen dem 1. und dem 2. Nilkatarakt bereits von den Ägyptern der Zeit des Mittleren Reichs erobert worden. Es bestanden also alte Kenntnisse über dieses Übergangsgebiet zum tropischen Afrika; Kenntnisse, die vor Zeiten gewonnen und wieder geschwunden waren. Im Neuen Reich zwischen 1550 und 1080 v.Chr. reichte das Einflussgebiet der Ägypter bis zum 5. Katarakt und umfasste damit einen Großteil des antiken Nubiens, also des heutigen Sudan. Im Jahre 525 v.Chr. versuchte der Perserkönig Kambyses II., Sohn des Kyros II., ganz Ägypten zu erobern. Das gelang ihm zwar nicht, aber zumindest zeitweise setzten sich die Perser in Oberägypten fest. Dabei können sie die Verehrung des sagenhaften Vogels Benu kennengelernt und nach Persien gebracht haben. Da man ihn dort nicht kannte, nahm er schnell veränderte Züge an. Die Perser kombinierten ihn mit den geläufigen heraldischen Attributen der Falken.

Lassen wir den chinesischen Feng Huang vorerst beiseite und konzentrieren wir uns nach dieser geographischen Einkreisung auf den Phönix selbst. Offenbar kam er im gesamten Raum der Alten Ägypter, Perser und Griechen nicht beständig vor. Nur Altägypten suchte er in recht vage bestimmten, sicherlich der Zahl der Jahre nach übertrieben großen Zeitabständen immer wieder auf. Gekommen sein konnte der Phönix somit nur aus den unbekannten Gebieten des tropischen Afrika. Die Arabische Halbinsel passt nicht als Herkunftsregion, weil der Benu/Phönix von dort aus viel eher an den Persischen Golf und zu den altbabylonischen Reichen geflogen wäre als über das Rote Meer nach Ägypten. Dieses und seine Umgebung taucht in der Überlieferung nirgendwo als Herkunftsgebiet des Phönix auf. Dieser Raum gehörte jedoch zur bekannten Welt, Afrika südlich von Nubien aber nicht. Dort lebten die ›Aethiops‹, wie sie von den Griechen genannt wurden, die Menschen mit den verbrannten Gesichtern, die Schwarzafrikaner. Arabien zählte nicht dazu.

Der Vogel war schön; so wunderschön, dass es in der ganzen mediterranen Welt keinen schöneren gegeben hat. In Persien und dahinter im Fernen Osten, in China, verschmolz er mit den dort am meisten geschätzten und schönsten Vögeln, den Falken und Pfauen, zu Chimären. Er war flammend rot. Das drücken sein griechischer Name Phönix und das Bild vom Feuer, das ihn verzehrt, eindeutig aus. Feuerrot, richtig flammend rot, muss er gewesen sein. Gewiss handelte es sich um einen großen Vogel. Sonst wäre bei Sonnenaufgang nicht der »brennende« Eindruck zustande gekommen. Rote Singvögel, richtig intensiv rote wie den Roten Kardinal Nordamerikas, gibt es in der ostmediterranen, nordafrikanischen Region nicht. Sie wären zudem wegen ihrer Kleinheit nicht für wert genug befunden worden.

Der einzige große und tatsächlich partiell flammend rote Vogel ist der Flamingo. Zwei Arten gibt es davon in Afrika, den Rosaflamingo Phoenicopterus ruber und den deutlich kleineren Zwergflamingo Phoeniconaias minor. Zu ihnen, die nachfolgend nur Flamingo genannt werden, wenn eine Unterteilung in die beiden Arten nicht nötig erscheint, passen (fast) alle übrigen Angaben zum Phönix. Seine Besonderheiten sind auch ihre. Sie kommen unregelmäßig, oft erst nach langer Abwesenheit wieder, zu den salzigen Küstenlagunen ans Mittelmeer. Sie bauen Kegelnester aus Schlamm möglichst fernab von festem Land. Nach Ende einer Brutperiode bleiben zahlreiche Skelette und Federn von toten Jungen und gestorbenen Altvögeln in der Brutkolonie zurück. Die anfänglich grauen Jungen werden auf größere Entfernung erst sichtbar, wenn sie ihr rotes Gefieder bekommen haben. Die Altvögel fliegen viel bei Sonnenauf- und -untergang. Ihr Gefieder trägt partienweise, vor allem im Armteil der Flügel ein außerordentlich intensives Rot, das weithin leuchtet. »Flammenvögel« hat man sie treffend genannt. Ihre Brutplätze zu finden war bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert hinein sehr schwierig. Der britische Ornithologe Leslie Brown suchte viele Jahre lang danach im Großen Afrikanischen Grabenbruch von den Seen Äthiopiens bis nach Tansania. Beim Versuch, eine Brutkolonie auf einem Salzsee in Ostafrika zu erreichen, wäre er beinahe ums Leben gekommen. Er blieb im zähen Salzschlamm stecken und konnte sich nur mit größter Anstrengung wieder ans feste Ufer zurückschleppen.

Für die Menschen der Antike müssen solche Vögel mehr als nur ein Rätsel gewesen sein. Sie suchten die heißesten und gefährlichsten Orte auf, die Menschen aus guten Gründen mieden. Sie schienen in der Tageshitze, die über den Salzpfannen waberte, zu verbrennen. Dabei züngelte ihr Rot flammenartig empor. Konnte man später, im Winter, die Brutstätten erreichen, weil die Vögel weggezogen waren und monatelange Trockenheit den Schlickboden begehbar fest gemacht hatte, fand man die stumpf kegelförmigen Nester aus grauem Schlamm, der dabei war zu zerfallen und der Asche ähnelte. Vertrocknete, von der Sonne ausgedörrte Kadaver von alten und jungen Flamingos lagen verstreut zwischen den Nesthügeln. Was lag näher, als die flammenartigen Verzerrungen durch die wabernde Luft mit Feuer...

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