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E-Book

Fifa-Mafia

Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball

AutorThomas Kistner
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl432 Seiten
ISBN9783426414163
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Als einer der besten Kenner des brasilianischen Fußballs hat Thomas Kistner zur anstehenden Fußball-WM seinen Bestseller »FIFA-Mafia« überarbeitet und die mafiösen Strukturen dort recherchiert. Das erschütternde Ergebnis präsentiert er hier. »FIFA-Mafia« beschreibt, wie sich rund um den beliebtesten Sport der Welt ein skrupelloses Netzwerk etablieren konnte, erklärt die manipulative, opportunistische Politik des Verbandes und zeigt dessen globale Verflechtungen mit der organisierten Kriminalität auf.

Thomas Kistner, geboren 1958, ist Redakteur der Süddeutschen Zeitung und zuständig für Sportpolitik. Er wurde unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet, war 2006 'Sportjournalist des Jahres' und ist international einer der renommiertesten investigativen Journalisten im Bereich Sportpolitik und organisierte Kriminalität im Sport. Kistner kommentiert regelmäßig auf Deutschlandfunk und ist mit den Themen Doping und Korruption im Sport gefragter Gast in TV-Talk-Shows.

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Leseprobe

Einleitung


»Bin ich ein schlechter Mensch?«

Das Leben ist schön, wenn Beifall durchs Stadion braust wie ein Orkan. Der 11. Juli 2010 ist so ein Tag, die Welt in Ordnung und Joseph S. Blatter auf der Ehrentribüne ganz in seinem Element. Händeschütteln, Umarmungen, golden blinken die Medaillen im Schein der Flutlichter und Kameras. Der Präsident des Fußballweltverbandes Fifa, umdrängt von seinen Vorständen, nimmt das Defilee der spanischen Weltmeister-Kicker ab. »Und jetzt!«, ruft der Stadionsprecher. »Die Übergabe der Trophäe!« Lichtblitze zucken durch die Arena von Johannesburg, die Vuvuzelas dröhnen lauter denn je. Und Joseph S. Blatter schreitet die Stadionstufen hinab. Ein bodenlanger Seidenschal gießt priesterliches Weiß über den nachtblauen Anzug, im linken Arm ruht der goldene Pokal. Könnte das nicht ewig so weitergehen, eine Stadionrunde und noch eine? – Aber da steht Iker Casillas, der Kapitän der spanischen Mannschaft. Feierlich übergibt Joseph S. Blatter die Trophäe an die neuen Fußballweltmeister.

Dies ist das Gipfelglück. Nicht nur für jeden Fußballprofi. Auch für den Funktionär in jener einzigartigen Sportart, die es schafft, die Alltagsroutine auf dem Planeten außer Kraft zu setzen. Ein Milliardenpublikum blickt dann auf ihn, die ganze Welt schaut zu, vibriert, alles ekstatisch. Kein Staatschef kennt eine derartige Selbstinszenierung, keinem Filmhelden oder Musikstar wird so etwas zuteil. Dies ist der Moment, der ewig währen soll.

Es sei denn, man hat dabei den Part des Bösewichts inne.

Sepp Blatter kennt auch diese Rolle. Von der Fußballweltmeisterschaft 2002 in Asien, von der WM 2006 in Deutschland. Die Rolle als Bösewicht ist zutiefst verletzend, zudem bringt sie das schlimmste Gefühl für einen wie ihn mit sich: Ohnmacht. Wenn die Fans buhen und pfeifen und Transparente mit Schmähungen ausrollen, wenn La-Ola-Wellen des Protestes durch das Stadion laufen, sobald Blatters Gesicht auf der Leinwand auftaucht, wann immer der Fifa-Chef zu reden anhebt – das sind Augenblicke, die keiner erleben will. Für Blatter ist es der Augenblick der Wahrheit.

Bei der WM 2006 hatte ihn das Publikum von Spiel zu Spiel heftiger ausgepfiffen, weshalb er sich beim Finale in Berlin zur Siegerehrung gar nicht mehr auf den Rasen traute. Es war ein groteskes Bild, wie sie dort unten um den Weltpokal herumstanden und nicht wussten, was sie tun sollten. Bundespräsident Horst Köhler, die Fifa-Vorstände, der WM-Organisationschef Franz Beckenbauer, die wichtigsten Repräsentanten der Fußballfamilie warteten auf das Oberhaupt. Aber Blatter kommt nicht. Er hat sich verkrochen, aus Angst vor den Menschen hier auf den Rängen? Vor den Fans, vor jenen Leuten, die keinen materiellen Profit aus dem Spiel ziehen und es so sehr lieben, dass sie es zum größten Ereignis des Planeten gemacht haben?

Sie bescheren Blatter eine Demütigung. Es ist der Teil der Gesellschaft, der es sich noch leisten kann, auf ihn und sein Kabinett zu pfeifen: das Publikum. Menschen, die nicht Geschäft, Macht oder Selbsterhöhung mit dem Fußball verbinden, sondern Freude, Lust, Vergnügen. Dafür bezahlen sie. Und sogar immer mehr.

Der Rest spielt bis zur Selbstverleugnung mit, wenn Blatter um den Globus tourt, bedient von Heloten und Securitys, Spähern und Sekretären. First Class, Five Stars. Blaulicht und Autokolonnen bilden den unverzichtbaren Rahmen für den rastlosen Greis aus dem Schweizer Alpensprengel Visp und seine Getreuen. Blatter hat das deutsche Bundesverdienstkreuz und Ehrenprofessuren, er hat den Olympischen Orden und sogar den Bambi und einen Haufen mehr im Schrank. Ihn als Chef eines Sportverbandes zu bezeichnen gerät allmählich zur Blasphemie. Ist er nicht viel, viel mehr – der Patron einer globalen Glaubensgemeinschaft, die die Dimension der katholischen Kirche weit hinter sich gelassen hat? Die Fußballfunktionäre glauben fest daran. In gewisser Weise trifft es sogar zu.

Ein Fingerschnippen genügt. Es öffnen sich ihnen die Türen von Königs- und Präsidentenpalästen, des Weißen Hauses, des Kremls und des Vatikans, von Kanzlerämtern und Ministerien. Kein Politiker mit Machtanspruch darf sich dem Fußball gegenüber neutral verhalten, dieser Sport ist längst kein unparteiisches Terrain mehr. Wer öffentliche Beliebtheit sucht, muss dem Fußball die Ehre erweisen. Einstmals, beim WM-Finale 1986, hatte Kanzler Helmut Kohl noch landesweit für Erheiterung gesorgt, als er bei der Siegerehrung die Spieler an seine breite Brust drückte. Heute dringt die märkische Pfarrerstochter Angela Merkel selbst bei einem Qualifikationsspiel schon in die Nasszelle der deutschen Nationalmannschaft vor; dort posiert sie vor ausgesuchten Fotografen mit den verschwitzten Helden, die nur Handtücher um die Hüften tragen. Und danach streiten sich Kanzleramt und DFB-Spitze tagelang, ob der Abstecher ins nationale Gefühlsleben abgesprochen war oder nicht – eine Zirkusnummer fürs Fußballvolk. Doch gibt die Politik im Fußballrausch nicht nur Zug um Zug ihre Würde ab, sondern das Wichtigste auf: den Anspruch auf Kritik und Kontrolle.

Darf man es Sepp Blatter und den Seinen da verübeln, wenn sie sich selbst als höhere Wesen begreifen? In den Stadien werden heute Formen der Verehrung sichtbar, die man bis vor nicht allzu langer Zeit nur im Petersdom verortete. In großen Arenen finden sich Chöre und Dirigenten, elektrisierte Massen mit Lichtern in der Hand, Feuerzeuge statt Kerzen, die das Gefühl verbreiten, hier und jetzt den größten Moment des Lebens zu erfahren, allmählich senkt sich eine Ahnung von Unsterblichkeit herab. Raus aus dem Diesseits, rüber in eine spirituelle Welt aus Heldentum und Emotion – das ist die sportreligiöse Mischform der Zukunft.

Daneben gibt es profane Gründe, sich gut mit Blatter und Co. zu stellen. Die Fußballweltmeisterschaft will ja irgendwann jedes Land einmal austragen, selbst wenn es nur halb so groß wie Hessen ist, wie Katar. Also fordert auch die Staatsräson den pfleglichen Umgang mit Blatter, dem seit Jahrzehnten herrschenden Fußballpotentaten. Lächeln, nicken, nachgeben. Und am Ende die Zeche zahlen, mit dem Geld der Steuerpflichtigen.

Noch weniger als die Politik müssen die Götter des Fußballs die werbende Wirtschaft fürchten. Die Phalanx der Weltkonzerne, von der es in Krisenzeiten – das ist der Dauerzustand in der korruptionsverseuchten Fifa – heißt: Obacht, aufgepasst, wenn die Sponsoren richtig zornig werden, kriegt die Fifa schwerste Probleme! Es ist ein Rätsel, wie diese Mär in die Welt kam. In Wirklichkeit kauern gerade Wirtschaft und Sponsoren in devoter Ergebenheit vor dem Produkt Fußball-WM und damit vor Blatter und Kameraden, den Besitzern. Denn ihr Produkt ist das werbeträchtigste der Galaxie. Wer nicht spurt, kann jederzeit ausgewechselt werden. Und zwar gegen den direkten Marktrivalen, die Konkurrenz steht Schlange.

Aber halt. Sind da nicht noch die Medien? Richtig. Nur sind Sportjournalisten leider allzu oft Fans, die es über die Absperrung geschafft haben, journalistisch gehen sie eher selten ran ans Thema. Mit Begeisterung und großer persönlicher Anteilnahme erledigen sie den Pressedienst für die Blatterschen Passionsspiele, treiben das Ereignis in höhere Höhen. Was die Fifa gerne mal mit einer satten Spende von 50 000 Franken an den Internationalen Sportpresseverband honorierte.[1] Frucht der medialen Verklärungsarbeit ist der wohl originellste Wahrnehmungsverlust, den die moderne Gesellschaft kennt: Einem von schwellenden Aggressionen und Nationalismen geprägten, von Gangstern und dem organisierten Verbrechen unterwanderten Milliarden-Business wird ein Kanon aus Werten und Idealen angedichtet, dem sogar die wachsenden Fan-Kohorten aus Intelligenzija und Wissenschaft begeistert folgen.

Es ist ja leider so, dass wichtige Vertreter der Geisteswelt eher selten über eine eigene Sportbiographie verfügen, eine, die über wackere Selbstertüchtigungen wie Laufen oder Radeln hinausginge. Sie erarbeiten sich den Zugang zum Sport, insbesondere zum Fußball, mit medialer Hilfe, was meist ins Schwärmerische abdriftet. Wer nie mannschaftlichen Wettkampfsport betrieb, für den kann die Annäherung an Vitalität und Körperlichkeit in reiferen Jahren so aufregend sein wie ein nachträglicher Erwerb von Männlichkeit. Das ist gewiss ein schöner Effekt. Nur vermittelt diese Perspektive nicht den idealen Zugang zur sozialen Bedeutung der Körperwelt, zu ihrem Personal, zu den Problemen und Gefahren – gerade für den Sport.

Die Überzeichnung des Fußballsports durch die Medien ist so stark geworden, dass Bildung kein ausreichendes Gegengewicht mehr setzt. Zumal die Medien, auch die öffentlich-rechtlichen, immer weniger Hintergrundthemen besetzen. Keine Frage, es ist viel einfacher und vor allem weit einträglicher, Zuschauer in Anhänger zu verwandeln; Fachkunde wird zweitrangig. Der Akzent verlagert sich allmählich von Doppelspitze, Mittelfeldraute und Viererkette auf den Themenkreis Schweini-Poldi und Jogi-Hansi, Fähnchen und Nationalfarben. Es geht um großes Gefühls-Kino. Und Fußball ist der größte Emotions-Generator. Da quetschen die Medien noch das letzte Tränchen raus, manchmal ist es sogar echt. Diese Besitzergreifung am Konsumenten schreitet voran, große gesellschaftliche Krisenthemen von Alzheimer bis Burnout sind dann welche, wenn sie über betroffene Helden des Ballsports vermarktet werden; Public Relations und Journalismus arbeiten Hand in Hand unter dem schützenden Leitmotiv, dass es hier ja unheimlich wichtige Tabus aufzubrechen gelte. Es gibt so...

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