Zum ersten Mal im Kuhstall
Auf der Heimfahrt kam mein Gehirn wie so oft nicht zur Ruhe. Eigentlich ist es schon seltsam, überlegte ich, dass ich heute mit großer Freude hauptsächlich Nutztiere behandle, obwohl ich als Kind nicht viel Kontakt zu Vierbeinern hatte. Mal abgesehen von Hexe, dem Hund meiner Großeltern, den ich heiß und innig geliebt habe. Vor dem Geruch der Kühe grauste es mir als kleinem Jungen sogar ganz besonders, und ich weiß noch genau, wie viel Mut ich brauchte, um zum ersten Mal einen Kuhstall zu betreten.
Wenn ich mit meinen Schwestern und den Eltern bei Oma und Opa in Pfullingen zu Besuch war, durften wir Kinder jeden Abend mit der Milchkanne vom Bauern frischgemolkene Kuhmilch holen. Sie war aus leicht verbeultem Aluminium und hatte sogar einen Deckel, damit beim Transport nach Hause nichts überschwappte.
An der Hand meiner älteren Cousine fühlte ich mich sicher genug, um diese Mutprobe zu bestehen. Wir mussten bloß drei Grundstücke weiter in Richtung Ortsausgang gehen, dann standen wir auch schon vor dem Bauernhof, der nicht zu übersehen war. Direkt zur Straße hin lag der Misthaufen, links davon war die Scheune, rechts davon ging es in den Stall, und noch ein Stück weiter rechts befand sich die Tür zum Wohnhaus.
Da ich mich nicht traute, öffnete meine Cousine die Stalltür, und schon schlug mir die warme Luft entgegen. Wir waren noch zu früh und mussten warten, also sah ich mich zögerlich um. Die sechs Kühe – für mich waren das damals viele – waren links und rechts mit einer Kette um den Hals an der Wand angebunden. Ihre Hinterteile zeigten zur Stallgasse, wo die Bäuerin gerade die Melkmaschine an einer Kuh ansetzte, während der Bauer den Kühen frisch gemähtes Gras in die Futterraufe warf. Bis dahin fand ich das alles gar nicht weiter aufregend.
Doch kaum hatte ich mich tapfer mit dem speziellen Geruch hier drinnen halbwegs abgefunden, da hob eine der Kühe den Schwanz und ließ einen riesigen Haufen auf den Boden fallen. Im nächsten Moment hob noch eine andere den Schwanz, und in einem dicken Schwall ergoss sich die größte Menge Pipi, die ich je gesehen hatte, ebenfalls auf den Boden, dass es nur so spritzte. Dies geschah nicht etwa draußen auf der Weide, sondern mitten im Bauerngehöft.
Da der Bauer das Malheur nicht sofort beseitigte, sprach ich ihn vorsichtig an. «Wollen Sie das nicht wegmachen?», fragte ich leicht angeekelt.
Er verstand mich gar nicht. «Das schaffe ich später auf den Misthaufen», sagte er nur und arbeitete weiter.
Ich war sprachlos. Wenn bei uns zu Hause irgendetwas auf den Boden spritzte, rückte meine Mama sofort mit Lappen und Eimer an und wischte es weg.
Lachend erklärte mir meine Cousine: «Aber Nicki, wir sind doch hier im Stall, und der ist eigens dafür gebaut.»
Mir wollte das nicht so ganz einleuchten, aber alle außer mir schienen es ganz normal zu finden.
Inzwischen waren die Kühe fertig gemolken. Wir übergaben unsere Milchkanne der Bauersfrau, die aus einer riesigen Kanne mit der Schöpfkelle Milch in unser kleines Behältnis schöpfte.
«Probier ruhig mal», sagte sie zu mir. «Der Schaum auf der Kanne, das ist Sahne.»
Ich konnte erst gar nicht antworten, denn ich hatte noch immer mit meinen Sinneseindrücken zu kämpfen. Der alles übertönende Geruch oder vielmehr der penetrante Gestank nach Mist machte mir ebenso schwer zu schaffen wie die Tatsache, dass die Kühe in ihr Wohnzimmer kackten und pinkelten. Ganz offensichtlich floss die Milch auch aus den Kühen heraus, noch dazu unten aus dem Bauch. Das fanden diese Leute normal? Ich nicht!
Alle strahlten mich an und warteten, und meine Cousine sagte: «Nun mach schon.»
Einerseits wollte ich höflich sein, andererseits graute mir vor dieser furchtbaren Aufgabe. Vor Ekel konnte ich eigentlich gar nichts zu mir nehmen, aber die Bauersleute gaben nicht nach. Da zeigte sich, wie stark so ein kleiner Mann sein kann. Mit Todesverachtung kratzte ich die letzten Reste meiner Höflichkeit zusammen und trank einen winzig kleinen Schluck.
Mir schwante schon vorher, dass diese frische Milch nichts mit jener aus der Packung zu tun haben konnte, die ich morgens zum Frühstück bekam. Die Kühe auf der Milchtüte waren sauber und blieben es auch. Natürlich schmeckte sie abscheulich.
«Lecker, danke», brachte ich unter leichtem Würgen hervor.
Die Bauersfrau lächelte zufrieden. «Na siehst du.»
Kaum zu Hause, musste ich sofort mit meiner Großmutter reden und erzählte ihr brühwarm, was ich erlebt hatte.
Oma verstand mich gut. «Du warst sehr tapfer und hast unsere Familie nicht blamiert», sagte sie.
Dann zeigte sie mir, wie sie die ekelhafte Milch in gute, genießbare Milch verwandelte. Sie goss die weiße Flüssigkeit durch ein Sieb in eine Glasflasche und stellte diese bis zum nächsten Morgen in den Kühlschrank. Zum Glück war für den Abend noch ein Rest vom Vortag da, den ich trinken durfte.
Am nächsten Morgen konnte ich es im Bett kaum aushalten und stürmte gleich zu Oma in die Küche.
Oma lachte und goss mir meine kalte Frühstücksmilch in die Tasse. «Lass es dir schmecken», sagte sie nur.
Unglaublich, aber meine Stinkemilch vom Vorabend war tatsächlich durch einen mächtigen Zauber, wie ich annahm, in gute Milch umgewandelt worden.
«Lecker», musste ich zugeben, «die schmeckt ja sogar noch besser als zu Hause.»
Damals wusste ich noch nicht, dass sich bestimmte Aromen in warmer Milch stärker entfalten als in gekühlter Milch.
Ich ging danach zwar noch öfter mit meiner Cousine Milch holen, achtete aber jedes Mal darauf, mich im Stall nicht länger als nötig aufzuhalten. Nur schnell die Kanne gefüllt und wieder weg, war meine Devise, aus Angst, das schlimme Zeug noch mal probieren zu müssen.
Plötzlich hatte ich beim Autofahren wieder den Geschmack von damals im Mund, während ich die letzten Kilometer auf dem Weg nach Hause zurücklegte. Gleich durfte ich in mein warmes Bett sinken, nur noch wenige Minuten, dann war auch dieser ereignisreiche Tag zu Ende.
Wieder wanderten meine Gedanken zurück in meine Kindheit, zu einem weiteren Erlebnis mit Großtieren, die mir gehörigen Respekt eingeflößt hatten.
Für uns Kinder war die Schmiede in der Nähe der Schule unbestritten eine Sensation. Dorthin brachten die Menschen ihre Pferde, wenn sie neu beschlagen werden mussten, da es seinerzeit noch keine Hufschmiede gab, die mit ihrer ganzen Ausrüstung im Transporter von Stall zu Stall fuhren. Sommers wie winters stand die große Tür offen, und der scharfe Qualm, der entstand, wenn der Schmied die glühenden Hufeisen anpasste, waberte auf die Straße. Es roch nach verbrannten Haaren, ein Geruch, den ich als kleiner Feuerforscher zur Genüge kannte.
Ich war damals überzeugt, dass da Zauberer am Werk seien, denn obwohl die Pferde vor dieser Prozedur ganz offensichtlich Angst hatten, beruhigten der Schmied und sein Geselle sie wirksamer als deren Besitzer. Die Angst der Pferde konnte ich ebenso wie die kurz darauf eintretende Entspannung deutlich am Blick der Tiere ablesen. Die anfangs weit aufgerissenen Augen wurden nach und nach normal, bis die Pferde schließlich mit halb geschlossenen Lidern dastanden und fast schon schläfrig wirkten.
«Wie schaffen Sie das denn, die Pferde so zu beruhigen?», fragte ich den Schmied neugierig und bewundernd zugleich.
«So etwas muss man einfach können», kam prompt die Antwort, die ich in meinem Leben noch öfter hören sollte. «Manche kapieren es nie.»
Ich zählte mich damals übrigens zu Letzteren. Großtiere waren mir einfach nicht geheuer, ganz anders als der Langhaardackel meiner Großeltern, der stets im Zentrum meiner Aufmerksamkeit stand, wann immer ich bei ihnen war.
Dieser Hund hat meine Grundausbildung, was Tiere angeht, sozusagen fast ganz alleine übernommen – und sogar überstanden. Hexe, so der Name der schon etwas betagten Dackeldame, hatte sehr viel Geduld mit mir als Anfänger, wobei auch die liebevollen Erklärungen von Oma oder Opa stets auf offene Ohren stießen, gaben sie mir doch eine hilfreiche Gebrauchsanweisung für das Tier. Leider musste ich als werdender Hundekenner so manches Mal verkraften, dass ausgerechnet das, was ich ganz prima fand, nicht unbedingt zu Hexes Lieblingsbeschäftigungen zählte. Um es genauer zu sagen: Die Dackeldame machte natürlich nur, was ihr passte.
Da ich nicht bereit war, diesen Umstand hinzunehmen, befolgte ich den Rat meiner Oma, den sie mir als Patentrezept für jeden guten Hundehalter anpries. Die arme Hexe wisse ja gar nicht, was ich von ihr wolle, wenn ich es ihr nicht deutlich sagte. Von da an fragte ich die Hundedame stets, ob sie dies oder jenes zu tun bereit sei, und bat sie darum, mir zu folgen. Allerdings kam ich damals nicht auf die Idee, dass es noch andere Möglichkeiten geben könnte, als auf den Hund einzureden. Am Anfang waren unsere Dialoge wohl eher einseitig, denn schon damals war es meine Stärke, viel zu sprechen. Trotzdem lernte ich nach und nach die Körpersprache von Hexe zu deuten, denn meine Oma wies mich immer wieder darauf hin, wie Abneigung oder Zustimmung aussahen und woran ich erkennen konnte, ob der Hund unentschieden war.
«Du musst genau hinsehen. Nur so hast du eine Möglichkeit, Hexe zu überreden, das zu tun, was du willst», erklärte sie mir mehr als einmal.
«Na gut», nahm ich mir vor, «dann werde ich ihr ab sofort mehr zuhören.»
Tatsächlich lernte ich dadurch viel besser, auf die Wünsche von Tieren zu achten, was mir bis heute bei meiner Arbeit von Nutzen ist.
Hunde mögen es zum Beispiel überhaupt nicht, wenn ein Mensch hektisch ist, zumindest Hexe konnte das eindeutig...