2. Schlanksein will gelernt sein
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(zurück zu Kapitel 4: Die Geschichte von unserem „inneren Gewichtstechniker“)
Viele Menschen seufzen darüber, dass sie es ganz einfach, trotz immer neuer Anläufe, nicht schaffen abzunehmen, eine Diät durchzuhalten und schlank zu sein. Sie sind verzweifelt über ihre „Willensschwäche“ und beklagen sich über ihren „inneren Schweinehund“. Denn die meisten Leute denken merkwürdigerweise, dass es doch ganz einfach sei, abzunehmen und schlank zu bleiben – man müsse es nur wirklich wollen, meinen sie. So liest man in etlichen Zeitschriften häufig Überschriften wie: „Schlank in drei Wochen durch neue Frühjahrsdiät!“ Es wird ein Speiseplan vorgestellt – und nu man los!
Haben Sie eigentlich schon jemals daran gedacht, dass Ihr Scheitern beim Abnehmen und Schlankbleiben vielleicht gar nichts mit Willensschwäche zu tun hat, sondern damit, dass Ihre Kenntnisse einfach nicht ausreichen, dass Ihnen wichtige Informationen fehlen, um die Fähigkeit Schlanksein zu beherrschen? Jemanden vor einen Diätplan zu setzen, mit dessen Hilfe er schlank werden soll, ist fast so, als würde man Sie als Nicht-Piloten in das Cockpit eines Flugzeugs setzen und erklären: „Fliegen Sie los!“ Und wenn Sie dann – nachdem Sie etliche Schalter und Knöpfe betätigt haben – melden, dass Sie es nicht schaffen, würde man Ihnen antworten: „Das verstehen wir nicht – es ist doch ein ausgezeichnetes Flugzeug! Es fliegt tatsächlich – Sie wollen wohl nicht so richtig!“
Die meisten meiner übergewichtigen Klienten würde ich durchaus nicht als willens- oder charakterschwach beschreiben. Oft sind sie in Bereichen wie Beruf, Familie oder Hobby sogar ausgesprochen willensstark und diszipliniert. Und ich habe es schon oft erlebt, dass Klienten, wenn sie sich mit den hier vorgestellten Übungen und dem entsprechenden Hintergrundwissen erst einmal vertraut gemacht haben, plötzlich ganz anders mit ihrem Übergewichtsproblem umgehen können. Wissen Sie zum Beispiel, wie Sie mit Ihren Essphantasien beim Abnehmen umgehen müssen? Kennen Sie den Zusammenhang zwischen dem Körpergewicht und dessen Speicherung im Gehirn? Wissen Sie, wie man sich optimal motiviert? Auf all diese Fragen antworten die meisten Übergewichtigen mit einem Nein. Sie sind ganz erstaunt zu erfahren, welche reichhaltigen und vielfältigen Möglichkeiten in der menschlichen Psyche, in dem Spektrum von Wahrnehmung und Verhalten vorliegen – und oft eben auch brachliegen –, und dass man durch Aktivierung dieses Potenzials auch Gewichtsprobleme bestens meistern kann.
In diesem Kapitel stelle ich Ihnen vor, was Sie wissen und üben müssen, um Ihr Übergewicht auf Dauer loszuwerden. Bei diesen Übungen ist es wichtig, dass Sie sich ihnen täglich eine gewisse Zeit – etwa eine halbe Stunde – widmen. Bitte finden Sie für sich selbst heraus, welche Tageszeit und welcher Ort Ihnen am meisten zusagen, damit Sie etwas Ruhe und musse finden können. Darüber hinaus sind diese Übungen gut dafür geeignet, in vielen Situationen in Gedanken wiederholt zu werden – sei es beim Spazierengehen, in der Büropause, in Bus oder Straßenbahn oder bei der Hausarbeit.
Zuerst sollten Sie täglich eine halbe Stunde für das Erarbeiten jeder einzelnen Übung ansetzen. Nach einigen Tagen können Sie sich dann in der gleichen Zeit allen Übungen hintereinander widmen. Beschäftigen Sie sich mit diesen Übungen über einen Zeitraum von mehreren Wochen, bis sie Ihnen in Fleisch und Blut übergegangen sind. Frischen Sie sie regelmäßig – alle Vierteljahre – wieder auf. Ein Blick auf die Übungsanweisungen genügt dann oft schon, um sie wieder „parat“ zu haben.
2.1 Gewicht und Gehirn – das Erlernen des „wahren Gewichts“
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(zurück zu Abschnitt 2.3: Der Umgang mit den Essphantasien)
Bei vielen Menschen, die mithilfe einer Diät abgenommen haben, passiert Folgendes: Kurze Zeit später wiegen sie wieder genauso viel wie zuvor. Darüber ärgern sie sich und denken, bei ihnen stimme etwas nicht. „Kaum habe ich einmal so schön abgenommen, habe ich alles wieder drauf!“ Aber bei diesen Leuten ist eigentlich alles durchaus in Ordnung – nur haben sie mit dem Abnehmen diese Ordnung selbst durcheinandergebracht.
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass man in solch einer Situation meist genau sein „altes“ Übergewicht wieder erreicht? Bei vielen Klienten habe ich das erlebt. Eine Frau, die 100 Kilogramm wog und bei einer Diät 25 Kilo abnahm, wog nach einiger Zeit wieder genau „ihre“ 100 Kilogramm. Sie wog nicht etwa 105 und auch nicht 95 – nein, sie wog genau wieder 100 Kilogramm.
Oder kennen Sie das Phänomen, dass viele Menschen eine Gewichtsgrenze haben, von der sie genau wissen, dass sie nie darüber hinaus zunehmen würden? „Ich nehme zwar manchmal zu, komme aber niemals über 80 Kilogramm. Das ist meine absolute Schallgrenze.“ Erstaunlicherweise hat solch ein Mensch Probleme mit dem Abnehmen, wenn er vielleicht 78 Kilo wiegt; sobald er aber 80 Kilogramm wiegt, geht das Abnehmen plötzlich ganz leicht.
Mit anderen Worten: Jeder Mensch kann einen ganz bestimmten Gewichtswert problemlos halten, auch der Übergewichtige. Der hat zwar Probleme mit seinem Zielgewicht, nicht aber mit seinem gewöhnlichen Gewicht von 100 Kilogramm. Kein Übergewichtiger nimmt zu, bis er platzt. Es gibt immer eine Gewichtsgrenze, wo das Zunehmen aufhört. Die Erklärung dafür ist, dass unser Gehirn ein bestimmtes Gewicht von uns als unser Sollgewicht gespeichert hat. Dementsprechend veranlasst es das Auftreten von Hunger- bzw. Sättigungsgefühlen, die dafür sorgen, dass das Sollgewicht erhalten bleibt.
Man kann dies vergleichen mit einem Raumthermostaten, der auf eine bestimmte Raumtemperatur eingestellt ist. Aufgrund einer bestimmten Technik veranlasst er automatisch das Ein- und Abschalten der Heizung, sodass sich die Temperatur immer wieder auf den Sollwert einstellt. Ist dieser Thermostat erst einmal eingestellt, braucht sich der Bewohner nicht mehr um diesen Vorgang zu kümmern und hat seine Aufmerksamkeit frei für andere Dinge.
Stellen Sie sich nun vor, ein Bewohner hat seinen Thermostaten auf 21 Grad eingestellt. Eines Tages fällt ihm ein, dass ihm eine durchschnittliche Raumtemperatur von 18 Grad angenehmer wäre. Aber anstatt nun seinen Thermostaten neu einzustellen, fängt er an, stets die Fenster weit aufzureißen, um den Raum zu kühlen. Es ist nicht schwer zu erraten, was dann passiert! Der Thermostat, der immer noch auf 21 Grad eingestellt ist, veranlasst – in „bester Absicht“, versteht sich – die Heizung dazu, wie wild zu laufen, und arbeitet gegen alle Kühlversuche an.
Dasselbe läuft im übertragenen Sinne auch bei laienhaften Versuchen der Gewichtsverminderung ab. Einfach ausgedrückt: Der Körper nimmt zwar an Gewicht ab, aber das Gehirn denkt immer noch, das Ausgangsgewicht aufrechterhalten zu müssen, und sendet die entsprechenden Impulse. Das ist einer der Gründe für die Fressanfälle, die sich nach wiederholten Abnehmversuchen häufig einstellen. Erfahrungsgemäß treten diese leidigen Fressanfälle oft im Zusammenhang mit den ersten Diätversuchen auf, also gleichzeitig mit dem Gedanken: „Ich muss ab jetzt unbedingt weniger essen!“ Das Gewicht wird reduziert, ohne dass die entsprechende Zentrale im Gehirn über den Zweck informiert ist. Bedenken Sie noch einmal, dass das Gehirn in der Lage ist, ein bestimmtes Sollgewicht zu kontrollieren und zu halten. Das bedeutet mit anderen Worten: Es kann auch ohne unsere bewusste Kontrolle „Kalorien zählen“ – und zwar wesentlich besser, als wenn wir dazwischenpfuschen. So bedeutet also das Übergewicht irgendeines Menschen keineswegs, dass das Gewicht aus der Kontrolle geraten ist, sondern im Gegenteil, dass es durchaus reguliert wird – wenn auch nicht in dem bewusst gewünschten Sinne.
Hunger- und Sättigungsgefühl gehören neben anderen elementaren Lebenserscheinungen zu den vegetativen Funktionen unseres Körpers – genauso wie etwa Atmung, Blutdruck, Körpertemperatur und Verdauung. Der Blutdruck beispielsweise variiert während des Tages in seiner Höhe, er hat jedoch bei jedem Menschen einen bestimmten Durchschnittswert, der sich bei allen Schwankungen immer wieder einstellt. Wenn man sagt, jemand habe einen zu hohen, zu niedrigen oder einen normalen Blutdruck, so ist damit gemeint: In diesem Bereich pendelt sich sein Blutdruck immer wieder ein.
Nun ist es allseits bekannt, dass die vegetativen Körperfunktionen eng mit der Psyche des Menschen zusammenhängen. Stress und Aufregung können einen zu hohen Blutdruck erzeugen, bei Depressiven stellt sich oft Verstopfung ein. Bei Ängsten wird die Atmung flach und hoch.
Von all diesen Phänomenen weiß man, dass sie sich konstant über längere Zeiträume halten können, manchmal Jahre hindurch. Man denke nur an den Bluthochdruck, der sich in unserer Zeit bei vielen überbeanspruchten Menschen findet. Oft haben diese Menschen vor dem Auftreten des Bluthochdrucks jahrelang normalen Blutdruck gehabt. Und es ist auch nicht ungewöhnlich, dass sich der Blutdruck wieder auf einem niedrigeren Mittelwert reguliert, wenn sich im Leben der Betroffenen etwas verändert – wenn sie beispielsweise einen weniger stressigen Arbeitsplatz finden, eine unbefriedigende partnerschaftliche Beziehung beenden oder sich schlimmer Geldsorgen entledigen können. Die vegetativen...