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Probleme der Metropolen in Entwicklungsländern: Bangalore, Indien

AutorSteffi Reitz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2003
Seitenanzahl105 Seiten
ISBN9783638180412
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Geowissenschaften / Geographie - Bevölkerungsgeographie, Stadt- u. Raumplanung, Note: 2,0, Georg-August-Universität Göttingen (Geographisches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: 'Indias city of the future', 'Silicon Valley of India' oder auch 'Indias indisputable boomtown for business environment' sind einige Bezeichnungen, die die rasante Wirtschaftsentwicklung von Bangalore zu umschreiben versuchen und auch als Leitthemen der regionalen Eigenvermarktung in Indien verwendet werden. Bangalore, Hauptstadt des Bundesstaates Karnataka und Konzentrationsraum der Information Technology (IT) Industry, hat sich in den letzten Jahren weltweit einen Namen gemacht. Bangalore ist im Herzen Südindiens auf dem Dekkanplateau gelegen und die fünftgrößte Metropole des Landes. Die auch als 'Garden City' bezeichnete Stadt entwickelte sich in den 1990er Jahren zu einer der am schnellsten wachsenden Agglomerationen Asiens. Durch die zunehmende Globalisierung der Märkte und der Ansiedlung großer internationaler Unternehmen in Bangalore gelang es, ein ernstzunehmender Konkurrent auf dem internationalen IT-Markt zu werden. Bangalore gilt als Mythos, als Erfolgsmodell einer vernetzten globalisierten Welt, als Vorbild für andere indische Städte. Doch wenn man sich außerhalb der Prachtbauten und High-Tech-Enklaven in dieser Stadt umsieht, wird bald deutlich, dass diese Entwicklung ihre ernstzunehmenden Schatten hinterlassen hat. Aufgabe dieser Arbeit soll es sein, die Probleme dieser rasanten Entwicklung zu benennen und nachzuweisen, dass sich die sozialen Disparitäten und Umweltkonflikte durch eben diese rasante wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich verstärkt haben. Für die Erarbeitung des Themas sind folgende Kernfragen zu beantworten: Welche Entwicklung erfuhr Bangalore auf dem Weg zur IT-Metropole? Wie wirkte sich das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum auf den Arbeits- und Wohnungsmarkt aus? Zu welchen städtischen Strukturen führte die hohe Zuwanderung von Bevölkerungsgruppen in Bangalore? Inwiefern ist die indische Metropole Bangalore von der 'Tradition' Frauendefizit betroffen? Wie hoch ist der Grad der vorhandenen Überlastungserscheinungen im infrastrukturellen Sektor (Verkehrsnetz, Ver- und Entsorgungssysteme)? Welche Ausbildungsmöglichkeiten stehen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zur Verfügung? Bedeutet eine wachsende Metropole gleichzeitig einen relativen Anstieg der Kriminalität? In welchem Maße ist Bangalore von Umweltverschmutzung betroffen?

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Leseprobe

2. Bangalore – Ein Porträt


 

2.1. Eine statistische Sicht


 

Entgegen der Eigenwerbung[24] als „Silicon Valley of India“ ist Bangalore nicht im Tal gelegen, sondern in 920 Meter Höhe auf dem Dekkanplateau. Sie ist die fünftgrößte Stadt Indiens und eine der schnellwachsendsten überhaupt in Südasien. Die Einwohnerzahl beträgt derzeit circa fünf Millionen, die Prognosen[25] gehen für die Zukunft jedoch davon aus, dass die Bevölkerung im Jahr 2011 bereits auf sieben Millionen ansteigen könnte.

 

Die statistischen Angaben dokumentieren die wirtschaftliche Dominanz der Hauptstadt Karnatakas[26]. Bangalore erbringt 45 Prozent[27] der gesamten Wirtschaftskraft des Bundesstaates und 40 Prozent des indischen Softwareexports. Dagegen leben und arbeiten nur rund zehn Prozent[28] aller indischen Informatikingenieure in der Stadt, die 0,5 Prozent der indischen Bevölkerung beheimatet und weniger als 0,1 Prozent der Landesfläche einnimmt.

 

Der ökonomischen Entwicklung Bangalores kam und kommt die äußerst zentrale strategische Lage zugute. Die Abbildung 2 zeigt die Einbindung der Metropole in ein Hauptstraßennetz, wodurch eine schnelle Erreichbarkeit von allen größeren Städten des Landes gewährleistet wird. Das außerstädtische Verkehrsnetz erstreckt sich zum einen von und nach Madras an die östlich gelegene Koromandelküste, zum anderen nach Mangalore (an die Malagaküste im Westen) als auch in den äußersten Süden nach Trivandrum. Des Weiteren ist Bangalore mit den nördlich gelegenen Metropolen Hyderabad und Bombay über eine direkte Hauptstraßenverbindungen erreichbar.

 

Neben der Einbindung in ein weitreichendes Verkehrsnetz ist das ganzjährig angenehme Klima[29] durch die Nähe zum Meer und die Lage auf dem Dekkanplateau

 

ein weiterer Grund, die Bangalore sowohl für einheimische als auch ausländische Investoren und Arbeitsnehmer attraktiv macht.

 

 

Abbildung 2:Bangalores geographische Lage.

 

Quelle: Fromhold - Eisebith, Martina: Technologieregionen in Asiens Newly Industrialized Countries: Strukturen und Beziehungssysteme am Beispiel von Bangalore/ Indien und Bandung/ Indonesien, Münster 2001, S.86.

 

2.2. Demographische Situation


 

Von dem ständigen Bevölkerungswachstum in Indien sind die Metropolen und Megacities des Landes im Besonderen betroffen, da diese durch die scheinbar besseren Lebensbedingungen eine besondere Anziehungskraft auf die ländliche Bevölkerung ausüben.

 

Zu einer Erhöhung der Einwohner kommt es außerdem durch die Verbesserung des Gesundheitssystems und der Hygiene, die zur Senkung der Sterblichkeitsrate besonders bei Säuglingen und Kleinkindern führen und der gleichzeitigen Erhöhung der allgemeinen Lebenserwartung. Da die Geburtenzahlen in Indien jedoch konstant[30] geblieben sind, wächst die Bevölkerung weiterhin an.

 

Die Bevölkerungssituation in Bangalore zeigt die Abbildung 3. Seit der wirtschaftlichen Liberalisierung Anfang der 90iger Jahre hat sich die Einwohnerzahl verdoppelt. Darf man den Prognosen Glauben schenken, so wird das ehemalige Pensionärsparadies[31] in circa zehn Jahren die acht Millionen Marke überschritten haben.

 

 

Abbildung 3: Bevölkerung in Bangalore (1975 – 2015)

 

Quelle: Dittrich, Christoph: Globalisierung, Verwundbarkeit und Probleme der Existenzsicherung in der indischen Software-Metropole Bangalore (unveröffentlichte Habilitationsschrift), Geowissenschaftliche Fakultät, Universität Freiburg 2002.

 

Bei einer näheren Betrachtung der Bevölkerungszahlen und Bevölkerungsentwicklung ergibt sich der interessante Aspekt der Geschlechterverteilung in Indien, da diese eine enorme Divergenz aufzeigt. Fast über all auf der Welt gibt es ein Gleichgewicht zwischen weiblichen und männlichen Neugeborenen. Im Laufe des Lebens verschiebt sich dieses Bild: Frauen haben meist eine höhere Lebenserwartung als Männer. Somit wäre ein Frauenüberschuss als normal zu bezeichnen, das indische Frauendefizit ist hingegen ein abnormales Phänomen. 1901 gab es, wie Abbildung 4 zeigt, auf 1.000 Männer noch 982 Frauen, ein Wert, der durchaus noch als normal zu bezeichnen ist. In den folgenden Jahrzehnten nahm die relative Anzahl der Frauen aber drastisch ab. Der Tiefpunkt war 1971 erreicht, als die Anzahl der Frauen auf 1.000 Männer auf 886 gesunken war. Bis 2001 konnte sich diese Situation nur leicht entspannen, da die Frauenquote auf wieder auf 906 anstieg[32].

 

 

Abbildung 4:Geschlechterverteilung in Bangalore 1901-2001 (Anzahl der Frauen auf 1000 Männer)

 

Quelle: Census of India (www.censusindia.net).

 

Doch worin sind die Ursachen dieser Entwicklung zu sehen? Obwohl Bangalore eine der modernsten Städte Indiens ist, gilt dies nicht für das Frauenbild. Trotz gesetzlichen Verbots ist es auch heute noch Sitte, dass die Eltern der Braut der Familie des Bräutigam eine hohe, den finanziellen Möglichkeiten der Brautfamilie oft übersteigende, Mitgift zahlen. Mädchen gelten in diesem Zusammenhang als finanzieller Verlust. Häufig kommt es daher besonders in den Familien, in denen es bereits ein oder zwei Töchter gibt, zur Ermordung weiblicher Säuglinge. In diesem Falle kommt die Modernität Bangalores zugute: dort, wo es modernste Kliniken mit westlichem Standards wie Ultraschall gibt, gibt es auch die Möglichkeit, weibliche Föten abzutreiben. Es ist ebenfalls verboten, wird jedoch in der Praxis umgangen.

 

Eine Abtreibung dieser Art kostet circa 500 Rs. (13 US $)[33], was für eine Familie aber immer noch leichter zu finanzieren ist, als später eine Mitgift von 50.000 Rs. zu zahlen.

 

Die Ursachen des Frauendefizits sind jedoch noch vielschichtiger. Indische Mädchen werden häufig bereits in sehr jungen Jahren verheiratet und leben ab diesem Zeitpunkt in der Familie des Mannes. Da die jungen Schwiegertöchter am entbehrlichsten sind, weil sie jederzeit ersetzbar wären, leiden diese vergleichsweise häufiger an Unterernährung und mangelnder medizinischer Versorgung. Die schlimmsten, aber auch selteneren Fälle sind in diesem Zusammenhang die Mitgiftmorde[34]. Gebärt eine Frau nicht innerhalb weniger Jahre einen oder mehrere Jungen oder ist der Familie des Bräutigams die Mitgift nicht hoch genug gewesen, läuft die Schwiegertochter Gefahr, einem fingierten Unfall mit beispielsweise einem manipulierten Gaskocher[35] zum Opfer zu fallen. Somit soll für den Ehemann der Weg zu einer erneuten Ehe geebnet werden. Im Jahr 2001 gab es laut Statistik[36] 55 Fälle dieser Mitgiftmorde in Bangalore. Christoph DITTRICH, der sich mehrer Monate aus Forschungsgründen in einem Slum im Stadtteil Koromangala aufgehalten hatte, berichtete hingegen in einem von der Verfasserin geführten Gespräch, dass ihm allein in dieser Marginalsiedlung mit circa 5.000 Bewohnern im Verlauf von zwei Monaten zehn dieser Fälle zu Ohren gekommen sind und die reale Anzahl dieser Morde mindestens zehnmal so hoch seien.

 

Die Konsequenzen, die aus der Diskriminierung der Frauen ergeben, zeigen sich auch in der folgenden Abbildung 5.

 

 

Abbildung 5: Bevölkerung nach Altersgruppen und Geschlecht in Bangalore 1996

 

Quelle: Census of India ( www.censusindia.net)

 

In ihr wird deutlich, dass sich in allen Altersgruppen ein deutliches Defizit an weiblichen Einwohnern zeigt. Besonders groß ist die Spanne in den Lebensjahren 15 bis 25 und 35 bis 59 und wahrscheinlich durch die eben getätigten Ausführungen zu erklären. Auffällig hingegen ist, dass besonders in der Altersgruppe der 0 bis 14jährigen fast ein Gleichgewicht besteht. Ein möglicher Grund könnte die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in dem Zeitraum und die besseren Versorgungsmöglichkeiten sein. Um jedoch ausschließen zu können, dass es sich hierbei lediglich um einen Zufall handelt oder ob sich tatsächlich die soziale Lage der weiblichen Einwohner Bangalores zum Positiven verändert hat, müssen die Geburtenraten der nächsten Jahre weiter beobachtet werden. Ab dem 60. Lebensjahr erfolgt nochmals eine Angleichung der Geschlechterzahlen, was jedoch auf die höhere Lebenserwartung der Frauen zurückzuführen ist.

 

2.3. Kurzer Abriss der Geschichte Bangalores


 

Bangalore hat als wirtschaftliches Zentrum eine lange Tradition. Bereits im 17. Jahrhundert war die Stadt auf dem Dekkanplateau ein überregionaler Marktort. Wegen des oben schon erwähnten angenehmen Klimas und der günstigen strategischen Lage wurde sie unter der britischen Herrschaft Anfang des 19. Jahrhunderts zur größten Militärgarnison Südindiens ausgebaut. Außerhalb der Stadt entstand ein eigener Verwaltungs- und Militärstützpunkt. In der Stadt selbst erbauten die Engländer großzügige Villenviertel mit eingeschossigen Bungalows in weitläufigen...

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