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Gesellschaftskritik im schwedischen Kriminalroman am Beispiel von Henning Mankell

AutorKevin Kutani
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl111 Seiten
ISBN9783640263653
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Journalismus, Publizistik, Note: 2,3, Leuphana Universität Lüneburg, Veranstaltung: Magisterarbeit, 44 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Mitte der 90er Jahre beginnt eine Flut von Kriminalromanen aus dem skandinavischen Sprachraum den deutschen Krimimarkt zu überfluten. Angeführt wird diese neue Riege von Krimiautoren durch Henning Mankell, der in kurzer Zeit eine große Fangemeinde in Deutschland findet. Europa befindet sich nach dem Fall der Mauer im Wandel und auch die nördlichsten Länder Europas sind davon betroffen. Henning Mankell nennt diese Zeit in dem Vorwort von 'Wallanders erster Fall' (erschienen 1999) die europäische Unruhe. In diesem Vorwort fragt Mankell nach den Chancen für das Überleben der Demokratie, wenn das Fundament des Rechtsstaates nicht mehr intakt ist. Europa befindet sich in einem neuen Bewusstsein für Verbrechen und Gewalt, die es umgeben. Terrorismus, Rassismus, Gewaltorgien, Soziopathie, Massenmord, Serienverbrechen erfassen alle Länder und drängen sich in die Wahrnehmung der Menschen. Damit verbunden wächst die Unsicherheit und die Wut dem Rechtsstaat gegenüber, der zusehends das Nachsehen Kriminellen gegenüber hat. Gewalt und Verbrechen sind zum Alltag geworden, die Nachrichten strahlen immer grausamere Verbrechen aus und Fiktionen aus Kinothrillern sind wirklich geworden. Keine pervertierten Darstellungen von Gewaltverbrechen sind mehr undenkbar. 'Serienkiller sind kein Phänomen der USA', hat Henning Mankell einmal in einem Interview gesagt. In seinen Büchern beschreibt er die Verbrechen, die in seinem Land geschehen könnten. Geschehen könnten, weil der Rechtsstaat seiner Meinung nach nicht mehr ausreichend Schutz bietet. Sein Protagonist Kurt Wallander dient dabei als Sprachrohr für seine Kritik und der Erfolg seiner Bücher spricht dafür, dass seine Kritik nachvollzogen wird. Aber warum ist Kurt Wallander so glaubwürdig als Kritikübermittler? Warum der durchschlagende Erfolg seiner Fälle sowohl beim heimischen Publikum als auch in Deutschland? Ist seine Botschaft universal verständlich? Ist die Kritik am schwedischen Rechtssystem neu? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen unterschiedliche Aspekte beleuchtet werden. Die folgende Untersuchung gliedert sich in vier Teilbereiche, die subsummiert einen Erklärungsansatz liefern sollen.

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Leseprobe

2 Schweden im Brennpunkt


 

Am 11. September 2003 rückte das sonst wenig von der Weltöffentlichkeit beachtete schwedische Königreich ungewollt ins Zentrum des Interesses. Die beliebte Außenministerin Anna Lindh wird bei einem Einkaufsbummel in einem Stockholmer Kaufhaus von einem Attentäter mit einem Messer lebensbedrohlich verletzt. Sie stirbt noch in der Nacht an den Folgen des Attentats. Anna Lindh hatte sich für den Eintritt ihres Landes in die europäische Währungsunion stark gemacht. Drei Tage später, bei dem Referendum, stimmten 56,1 % der Bevölkerung gegen die Einführung des Euros und gegen den Beitritt Schwedens in die Währungsunion. Die Ermordung Anna Lindhs hatte die Abstimmung negativ beeinflusst und viele Menschen wurden unweigerlich an die Ermordung des früheren schwedischen Ministerpräsidenten Olaf Palme (1986) erinnert.

 

So wie in der Morduntersuchung im Fall Olof Palme siebzehn Jahre zuvor musste die Polizei auch in der Untersuchung des Attentats auf Anna Lindh Fehlschläge einräumen. Erneut hatte sich die Polizei blamiert und das Vertrauen der Bevölkerung verspielt.

 

Im folgenden Abschnitt sollen einige landesspezifische Aspekte Schwedens näher betrachtet werden, die im weiteren Verlauf dieser Untersuchung hilfreiche Anhaltspunkte liefern werden bei der Beantwortung der Frage, warum die Polizei in Schweden häufig überfordert erscheint, wohin sich die schwedische Gesellschaft entwickelt und warum die Thematik der Kriminalität immer mehr in die öffentliche Wahrnehmung der Schweden tritt.

 

2.1 Aspekte der sozialen und geografischen Umwelt[1]


 

2.1.1 Land und Klima


 

Schweden ist ein großes Land mit einer geringen Bevölkerungsdichte (8,9 Millionen Einwohner). Dabei ist die Hälfte der Einwohner auf drei Prozent der Gesamtfläche zu finden. Die Städte Stockholm, Göteborg und Malmö bilden riesige Ballungszentren und nur ein geringer Anteil von Menschen lebt weit außerhalb der Städte. Viele schwedische Einwohner haben zwar ein Haus auf dem Lande, frequentieren dieses jedoch nur im Sommer. Das abwechslungsreiche Klima resultiert aus der lang gestreckten Nord-Süd-Ausdehnung des Landes mit arktischem Klima im Norden und kontinentalem Klima im Süden. Durch die Neigung der Erdachse und die Erdbahn entstehen lange Sommertage und im Winter lange Dunkelheitsperioden. Es gibt viel Niederschlag, kurze Wärmeperioden und starke, orkanartige Winde. Das Klima kann teilweise als sehr rau beschrieben werden.

 

2.1.2 Soziodemografie


 

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war Schweden ethnisch gesehen immer noch verhältnismäßig homogen. Als während der 30er Jahre die Einwanderung die Auswanderung in Schweden zu übersteigen begann, beruhte dies hauptsächlich auf Schweden, die in die Heimat zurückkehrten. Mit den Flüchtlingsströmen während des zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit aus dem Baltikum und anderen Gebieten wurde in den 50er und 60er Jahren ein neues Kapitel in der Geschichte der Einwanderung in Schweden eingeleitet. Die schnelle Expansion in der Industrie mit dem dadurch angewachsenen Bedarf an Arbeitskräften führte zu einer weiteren großen Einwanderungswelle, deren Umfang eine Veränderung in der Bevölkerungsstruktur zur Folge hatte. Neben dem starken Zustrom aus den skandinavischen Nachbarländern, besonders aus Finnland, kamen die Einwanderer vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien, Griechenland, Deutschland, der Türkei, aus Polen und Italien. Anfang der 70er Jahre veränderten sich die wirtschaftlichen Voraussetzungen in Schweden wie auch in den übrigen Ländern Europas und die Nachfrage nach Arbeitskräften ging zurück. Die Einwanderungspolitik wurde restriktiver. Seitdem besteht die Zuwanderung überwiegend aus politischen Flüchtlingen und deren Familien. Anfang der 80er Jahre war die Zahl der Asylbewerber und ihrer Familien verhältnismäßig niedrig. Ende des letzten Jahrzehnts und Anfang der 90er Jahre stieg die Zahl der nach Schweden einreisenden Flüchtlinge um ein Vielfaches. Heute ist jeder zehnte Einwohner Schwedens ein Ausländer. Dies führt vor allem zu Entfremdungs- und Verfremdungszuständen in der Gesellschaft.

 

2.1.3 Wohlfahrtsstaat


 

„Das schwedische Modell", wie es innerhalb und außerhalb Schwedens genannt wird, beschreibt im Groben das Sozialversicherungssystem. Jeder Bürger Schwedens hat Anspruch auf Leistungen, die die Bereiche Renten-, Gesundheits-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung umfassen. Der Erhalt einer Aufenthaltsgenehmigung sichert zugleich den Anspruch auf die genannten Leistungen. Daher ist zu verstehen, dass der Erwerb einer Aufenthaltsgenehmigung wie die Eintrittskarte in das Schlaraffenland erscheinen mag und zusätzliche Ausländeranstürme begünstigt. Viele Schweden verfolgen die Verteilung der staatlichen Güter auf ausländische Mitbürger mit Unmut und empfinden deren unbegrenzte Teilhabe am Sozialsystem als ungerecht.

 

2.1.4 Arbeitslosigkeit[2]


 

Tabelle 1 (Anlagen) zeigt, dass seit 1950 die Arbeitslosenquote von 1,3 % auf 3,1 % gestiegen ist. Die Quote hat sich zwar in vierzig Jahren relativ verdreifacht, ist aber im Weltvergleich noch immer als sehr niedrig anzusehen. Die Arbeitslosenquote ist häufig in Verbindung mit der Verbrechenssituation eines Landes zu sehen. Dabei begünstigt eine hohe Arbeitslosenrate häufig das Ansteigen der Verbrechensrate. Anders ausgedrückt, wo Menschen keiner Arbeit nachgehen können, entstehen soziale Randgebiete, Slums, die wiederum Ausweglosigkeit entstehen lassen und einen Nährboden für Verbrechen schaffen.

 

2.2 Kriminalität in Schweden


 

2.2.1 Evaluierung im skandinavischen Vergleich


 

Im Jahre 1982 stellte das Joint Nordic Project, bestehend aus Sturla Falck aus Norwegen, Hanns von Hofer aus Schweden und Anette Storgaard aus Dänemark, im Auftrag der Nordic Committee on Criminal Statistics (NUK) ein Gesamtwerk heraus, das sämtliche relevanten Daten von Verbrechen in Skandinavien im Zeitraum zwischen 1950 und 1980 zusammenfasste. Dieses Werk wird jährlich überarbeitet und ergänzt. Einige aufschlussreiche Fakten sollen im Folgenden dargelegt und diskutiert werden.

 

2.2.2 Auswertung


 

Es muss im Vorhinein darauf hingewiesen werden, dass viele Experten, vor allem aus den Reihen der International crime victims surveys (ICVS) der Meinung sind, dass Länder- und Kulturvergleiche anhand von Kriminalstatistiken nicht vergleichbar sind. Dies führen die Experten, unter anderen Mayhew & Killias (1990),  darauf zurück, dass viele Nationen bei der Ausweisung ihrer intern geführten Kriminalstatistiken dazu neigen, niedrigere Zahlen anzugeben. Auch die Aufteilung der Härtegrade von Verbrechen ist nationalen Unterschieden unterworfen.

 

 

Tabelle 2: Opfer eines Verbrechens pro Jahr

 

Prozentualer Anteil des einmaligen oder mehrfachen Auftretens des Verbrechens; für die Jahre 1989, 1992, 1996 und 2000 laut Angabe der International crime victims surveys (ICVS)[3]

 

Sicherlich ist auffällig, dass die Statistik zum Zweck der Vergleichbarkeit einige Mängel aufweist aber es geht vor allem um eine Eindrucksvermittlung.

 

Auffällig bei der Auswertung der Daten aus Tab. 2 erscheint, dass Schweden und Dänemark in der Summe aller Delikte ungefähr gleiche Werte aufweisen. Im skandinavischen Vergleich belegt Schweden in den Rubriken, in denen es um Diebstahl geht, die Spitzenposition. Vor allem ist interessant, dass der Fahrraddiebstahl einen Wert erreicht, der fast doppelt so hoch ist wie der europäische Durchschnitt. Schweden weist zwar in vielen Rubriken den Spitzenwert aus, bleibt jedoch im europäischen Vergleich unter den Durchschnittswerten. Schränkt man jedoch das Auswertungsgebiet auf den skandinavischen Lebensraum ein, zeigt sich, dass Schweden in fast allen Hauptrubriken (Mord, tätliche Angriffe, Vergewaltigung, Raub, Diebstahl und Drogendelikten) an der Spitze liegt (Anlagen Tab. 3 1 bis 9). In der Rubrik Morde nimmt Finnland zwar die Spitzenposition (Anlage Tabelle 1) ein, ist aber dicht gefolgt von Schweden. In den Rubriken Vergewaltigungen (Anlage Tabelle 3.) und Raubüberfälle (Anlage Tabelle 4), hat Schweden einen Wert, der doppelt so hoch ist wie beim nachfolgenden Land. Es ist deutlich in allen Tabellen zu erkennen, dass die erfassten Kriminalitätsdelikte stetig steigen.

 

Betrachtet man Schweden allein, ergeben sich, wie aus Tabelle 5[4] ersichtlich wird, erschreckende Steigungsraten von 1950 bis 1988. 89 % mehr Morde, 309 % mehr tätliche Angriffe, 1730 % mehr Überfälle, 214 % mehr registrierte Fälle von Vergewaltigungen, 1343 % mehr Vandalismusdelikte ...

 

Woran liegt es, dass Schweden die Spitze der Kriminalitätsstatistiken anführt?

 

2.2.2.1 Erklärungsversuch[5]

 

Nach dem Kriminalstatistiker Hofer liegen die schwedischen Daten aus folgenden Gründen tendenziell auf einem höheren Level als in anderen skandinavischen Ländern: 1) Ein Verbrechen oder Vergehen wird sofort erfasst, wenn es gemeldet wird. 2) Stellt sich später heraus, dass es sich nicht...

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