Für manche ist das Bankgeheimnis unbezwingbar wie eine Festung.[12] Für andere, im Ausland[13] wie im Inland[14], ist es eine zweifelhafte oder gar schädliche Einrichtung, die es politisch zu bekämpfen gilt.[15] So war das BKG auch laufend Anfechtungen ausgesetzt, insbesondere auch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.[16] Die beiden genannten Wahrnehmungen kollidieren mit der Wirklichkeit; die erste Auffassung ist positiv und fast schon mythisch überhöht,[17] während die zweite negativ geladen ist. Die Realität sieht anders aus.[18] Um diese Realität besser ergründen zu können, braucht es einen Blick zurück bis zum Ursprung des Bankgeheimnisses und zu dessen Entwicklung im Verlaufe des letzten Jahrhunderts.
In diesem Kapitel sollen der Ursprung und die Entwicklung des Bankkundengeheimnisses aufgezeigt werden. Die Herkunft des Bankgeheimnisses ist mit der Entwicklung des Finanzplatzes Schweiz eng verbunden, weshalb diese in die folgende historische Betrachtung mit einbezogen wird. Auch wenn die vorliegende Arbeit keine juristische Abhandlung sein soll, so ist ein kurzer Blick in das „komplexe Gewebe des Bankgeheimnis“[19] hilfreich um die Vorgänge rund um das Bankgeheimnis besser verstehen zu können. Zudem sollen auch die Wechselwirkungen zwischen Finanzsektor, nationaler Politik und internationalem Druck aufgezeigt werden. Diese Wechselwirkungen zwischen wirkmächtigen Interessengruppen wiederholen sich in den aktuellen Umwälzungen in ähnlicher Form was in Kap. 3 und Kap. 4 ausführlich aufgezeigt wird. Zuerst geht es aber darum, das Bankgeheimnis in der Schweiz in seiner heutigen Form darzulegen und dabei eine möglichst objektive Sicht auf das Bankgeheimnis zu erlangen, die frei sein soll von jeglicher wie auch immer gearteten Ideologie oder mythischen Überhöhung.
Unter dem Begriff des Bankgeheimnisses versteht man in der Lehre[20] im Allgemeinen zwei Komponenten: einerseits, dass die geschäftliche Beziehung zwischen einer Bank und deren Kunden ein Geheimnis an sich darstellt. Dabei gelten das Vermögen, die privaten Verhältnisse, aber auch das eigentliche Bestehen der geschäftlichen Beziehung als geheim. Andererseits erfolgt aus dem Vorliegen eines solchen Geheimnisses[21] die logische Konsequenz einer umfassenden Schweigepflicht von Seiten der Bank.[22] Das Bankgeheimnis stellt somit ein Recht der Bürger und eine Pflicht der Banken dar. Der Geheimnisherr ist der Bankkunde - und eben nicht die Bank.[23] Ganz allgemein sind die Banken verpflichtet, Schweigen über die finanziellen Angelegenheiten ihrer Kunden zu bewahren.[24] Somit kann die Bank allein das Bankgeheimnis auch gar nicht aufheben. Der Kunde kann die Bank aber von ihrer Schweigepflicht entbinden und ihr gestatten (oder sie sogar dazu verpflichten), vom Bankgeheimnis erfasste Angaben zu offenbaren. Ausserdem kann die Bank in den gesetzlich vorgesehenen Fällen - bei einem überwiegenden öffentlichen Auskunftsinteresses unter Berücksichtigung der Interessenabwägung von der zuständigen Behörde - zur Offenlegung von Bankkundeninformationen gezwungen werden.[25] Das Bankgeheimnis der Schweiz gilt somit nicht absolut.[26]
Der rechtliche Ursprung des Bankgeheimnisses in der Schweiz geht auf das Bankengesetz von 1934 und insbesondere auf Art. 47 des Bankengesetz (BankG)[27] zurück. Mit der Aufnahme des Bankgeheimnisses ins BankG und der damit verbundenen Androhung von Gefängnis oder Busse bei Zuwiderhandlung wurde das BKG erstmals in der Schweiz rechtlich konnotiert. Demnach wird die Verletzung der Schweigepflicht, vorsätzlich oder fahrlässig, sowie die Anstiftung dazu nach Art. 47 BankG unter Strafe gestellt.[28] Das Bankgeheimnis ist des Weiteren in Art. 43 des Bundesgesetzes über die Börsen und den Effektenhandel (BEHG) verankert, welches im Jahr 1995 erlassen wurde.[29] Damit wird der dem Bankgeheimnis unterliegende Personenkreis um Effektenhändler erweitert.[30] Der Umstand, dass die Verletzung des Bankgeheimnisses strafrechtlich geahndet wird, stellt im europäischen Vergleich eine Besonderheit dar, insbesondere in Bezug auf die Strafbarkeit der fahrlässigen Begehung sowie die Ausgestaltung des Tatbestandes als Offizialdelikt.[31] In der Literatur wird aber übereinstimmend dahingehend argumentiert, dass die Aufnahme des BKG in ein Gesetz nicht der eigentliche Beginn des Bankgeheimnisses war.[32]
Der Ursprung des Bankgeheimnisses ist nicht allein auf dessen gesetzliche Verankerung in Art. 47 BankG zurückzuführen. Denn zu den Rechtsgrundlagen des BKG gehören gemäss Margiotta[33] zum einen das Zivilrecht und zum anderen das Verwaltungsstrafrecht im Bankbereich. Dabei sind die Bestimmungen des BankG und des BEHG als verwaltungsstrafrechtlich relevante Aspekte der Rechtsgrundlage anzusehen. Die zivilrechtlichen Aspekte sind dabei einiges älter und spielen auch heute noch eine wichtige Rolle. So gehen die Rechte und Pflichten des BKG aus folgenden Tatsachen heraus: den Persönlichkeitsrechten des Bankkunden,[34] dem Vertrag zwischen Bankinstitut und Bankkunden,[35] der Tatsache des BKG als Schutzpflicht aus sozialem Kontakt[36] und aus dem Datenschutzgesetz[37]. Wie hier deutlich wird, ist der zivilrechtliche Aspekt des BKG-Ursprungs sehr vielseitig. So beruhte in der Schweiz das Bankgeheimnis ursprünglich auf Privatrecht, das den Bankier zur Verschwiegenheit verpflichtete. Diese Vertragspflicht war schon immer eine Selbstverständlichkeit, die nicht erst in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in den Kundenvertrag aufgenommen werden musste.[38]
Für den Erfolg des Schweizer Finanzplatzes wird vielfach das Bankgeheimnis als unabdingbare Voraussetzung vorgebracht.[39] Aber das BKG auf dessen rechtliche Verankerung von 1934 zu reduzieren greift zu kurz. Dass sich der Finanzplatz ausschliesslich aufgrund dieses Gesetzes entwickeln konnte, gehört ebenfalls zur Mythenbildung rund um das Thema Bankgeheimnis.[40] Bis 1934 existierte in der Schweiz keine nationale Bankengesetzgebung und damit auch kein allgemeines kodifiziertes Bankgeheimnis. Auch wenn die definitive Verankerung des BKG im BankG einen Einfluss gehabt haben mag, so war der Schweizer Finanzplatz schon vor 1934 ein (wenn nicht absolut, so doch relativ) wichtiger Finanzplatz.[41] Neben den Gründen wie politischer Stabilität, Neutralität, starker und stabiler Währung, die sich für den Schweizer Finanzplatz positiv auswirkten, gibt es eine andere unverzichtbare Voraussetzung für einen erfolgreichen Finanzplatz: das Vertrauen zwischen Institut und Kunden und somit die absolute Integrität der Bankiers.[42] Im Verlaufe der Jahrhunderte war ein ausgeprägtes Treueverhältnis zwischen Banken und Kunden entstanden, welches als ungeschriebenes Gesetz Usus wurde, ähnlich dem Anwalts-, Arzt- oder Priestergeheimnis. De facto bestand das Bankgeheimnis somit bereits seit langem, während seine Kodifizierung erst relativ spät folgte. Ein ausgesprochen liberales wirtschaftspolitisches Umfeld und ein ebenso ausgeprägtes Verständnis für die private Diskretion hatten gesetzliche Vorschriften bis dato überflüssig gemacht.[43] So gründete die Wirkung des Bankgeheimnisses nicht nur auf Gesetzestexte, sondern auf die Stabilität des Landes, in dem sie gelten und die Fähigkeit des Bankiers, die mit ihnen umgehen.[44]
Somit stellt sich die Frage warum dieses ungeschriebene Bankgeheimnis nicht mehr ausreichte und es zur Kodifizierung gekommen ist. Die Gesetzgebung für moderne Bankengesetze, ähnlich den schweizerischen, findet ihre Ursache in fast allen Ländern bei Banken, die in massive Schwierigkeiten geraten waren. So auch in der Schweiz, wo insbesondere in den Jahren 1910-1913 und auch im Verlaufe des Ersten Weltkriegs eine Reihe von Bankzusammenbrüchen zu verzeichnen war. 1910-1913 erlitten 45 Lokal- und Regionalbanken Verluste in der Höhe von 112 Millionen Franken, was dem Budget der Eidgenossenschaft von 1912 entsprach. Zwischen 1926 und 1930 befanden sich die Schweizer Banken zwar in einer Boomphase. Aber im internationalen Vergleich erreichten sie nach wie vor nur eine bescheidene Grösse. Der Schweizer Finanzplatz blieb im direkten Vergleich mit New York und London nach wie vor ein Zwerg. [45]
Die vom Börsenkrach 1929 in den USA ausgehenden Weltwirtschaftskrise inklusive der Bankenkrise 1931 in Deutschland (die etwas später auch die Schweiz mit voller Wucht traf), war die zweite schwere Krise in kurzer Zeit für den Finanzplatz Schweiz. Die im Auslandgeschäft tätigen schweizerischen Grossbanken wurden in der ersten Hälfte der dreissiger Jahre durch die deutsche Bankenkrise stark gebeutelt. Überleben konnten die in Deutschland engagierten Banken hauptsächlich dank dem Schweizer Inlandgeschäft. Dennoch war die Folge, dass mehrere Grossbanken saniert werden mussten. Insgesamt wurden zwischen 1930 und 1939 nicht weniger als 60 Banken übernommen oder liquidiert.[46]
Diese Umwälzungen im schweizerischen Bankwesen und ihre teilweise massiven Auswirkungen, verbunden mit einem (wenn auch lediglich vorübergehenden)...