3. Belastungen undBeanspruchungen in der Berufstätigkeit von Lehrkräften
3.1 Zur Begrifflichkeit
Bei der Diskussion um Wellen vorzeitiger Pensionierung von Lehrerinnen und Lehrern kommt man an der Thematisierung von Belastung, Stress und Beanspruchung im Lehrberuf nicht vorbei. Häufig ist die Diskussion allerdings unscharf und Begriffe werden synonym oder falsch verwendet.[39] Im Folgenden sollen diese Begriffe daher geklärt und differenziert werden.
Krause/Dorsemagen zählen den Lehrberuf zu den vorwiegendpsychisch belastenden Berufen.[40]Dies wird auch durch Rudow bestätigt, der die Tätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern ebenfalls zu den hauptsächlich psychisch belastenden Berufstätigkeiten zählt. Der Lehrberuf istdemzufolge in erster Linie auch emotional und kognitiv belastend, denn er erfordert vorwiegend Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits- sowie Denk- und Reaktionsleistungen.[41]Spanhel sieht die Entstehung einer beruflichen Belastung im Lehrberuf dann gegeben, wenn die Anforderungen an die Lehrkraft sehr komplex werden und schwerwiegende innere Veränderungen hervorrufen, die die persönlicheIdentität von Lehrerinnen und Lehrern betreffen und deren Selbstwertgefühl gefährden.[42] Demnach ergeben sich einige Belastungen im Lehrberuf dadurch, dass viele pädagogische Probleme von Lehrkräften langfristige Anpassungsprozesse erfordern. In diesem Zusammenhang nennt Spanheldie Anpassung von Lehrkräften an berufliche Strapazen wie inhomogene, leistungsunwillige Schulklassen, verhaltensgestörte Schülerinnen und Schüler sowie übereifrige Eltern. Durch Belastungen entstehen Frustrationen, die eine Lehrkraft ausgleichen muss. Dies erfordert verstärkten Einsatz psychischer und physischer Kräfte, um die Belastungen aufzufangen und auszugleichen.[43]
Allgemein betrachtet wird unter der psychischen Belastung die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die äußerlich auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken, verstanden.[44]Van Dick/Stegmann verstehen unter Belastung im Lehrberuf die grundsätzlich auf Lehrkräfte einwirkenden Anforderungen der Umwelt. Diese Anforderungen können folglich zu einer individuell empfundenen Beanspruchung führen, welche sich unter Umständen durch Unwohlsein oder Krankheit äußert.[45] Konkret bezeichnet der Begriff der Belastung Aspekte der Arbeitstätigkeit, die menschengerechtes Handeln behindern.[46] Dabei differenzieren van Dick/Stegmann zwischen Belastungen, die durch die Person des Handelnden entstehen (z.B. durch mangelnde Qualifikation) oder die durch bestimmte Arbeitsbedingungen (z.B. Lärm, Schülerstörungen, oder Zeitdruck) zu Stande kommen.[47]Ähnlich spezifiziert Rudow in diesem Zusammenhang den Begriff der Belastung und unterscheidet in Bezug auf den Lehrberuf bei einer genaueren Bestimmung der psychischen Belastung zwischen objektiven und subjektiven Belastungen. Zu den objektiven Belastungen zählendabei sämtliche Faktoren innerhalb der pädagogischen Tätigkeit der Lehrkraft, die unabhängig von deren Person existieren und mögliche Beanspruchungen hervorrufen können. Diese Faktoren sind die Arbeitsaufgaben und Bedingungen der Lehrerinnen und Lehrer. Die objektive Belastung ist dabei als neutrales, weder positiv noch negativ zu bewertendes Phänomen zu verstehen.[48] Durch Wahrnehmung, Bewertung und anschließende kognitive Verarbeitung der objektiven Belastungsfaktorendurch die Lehrkraft entsteht die subjektive bzw. psychische Belastung.Die Selbstbelastung ist dabei eine Facette der subjektiven Belastung. Rudow versteht darunter eine Form der Belastung, bei der sich Lehrerinnen und Lehrer durch bestimmte automatisierte oder verfestigte Verhaltensnormen in der Erfüllung ihrer beruflichen Tätigkeit selbst belasten. Eine häufig bei Lehrkräften auftretende Form dieser Belastung ist die nervale Belastung, die beispielsweise durch anhaltende Sprechakte der Lehrkraft entstehen kann.[49] Genauso kann das Unterrichten ohne Vorbereitung, das Lehren von Fächern, in denen nur teilweise eine persönliche Kompetenz vorliegt, aber auch der Gesprächsstil im Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern die Selbstbelastung bei Lehrerinnen und Lehrern maßgeblich beeinflussen.[50]
Die Einschätzung psychischer Belastung im Lehrberuf muss jeweils nach Abhängigkeit der individuellen Wahrnehmung, Bewertung und Verarbeitung der objektiven Anforderungen an die Lehrkraft betrachtet werden. Damit kann sie von Person zu Person sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Dementsprechend erfolgt auch der Einfluss auf die durch die Belastung entstehende Beanspruchung der Lehrkräfte.[51]Die deutschsprachige Arbeitswissenschaft definiert den Begriff der psychischen Beanspruchung folgendermaßen: „Psychische Beanspruchung wird verstanden als die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung im Menschen in Abhängigkeit von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand.“[52]Beanspruchungsreaktionen sind wie Beanspruchungsfolgen das Resultat der individuell oder kollektiv beurteilten Handlungsergebnisse. Rudow beschreibt Beanspruchungsreaktionen als „kurzfristig auftretende, reversible, psychophysische Phänomene“, die Beanspruchungsfolgen hingegen als„überdauernde, chronische und bedingt reversible psychophysische Phänomene“.[53]Man kann im Allgemeinen sowohl zwischen positiven als auch negativen Beanspruchungsreaktionen und -folgen differenzieren. Sie fallen dann positiv aus, wenn sieeine verbesserte psychophysische Regulation bewirken oder die Handlungsvoraussetzungeneiner Lehrkraft aufbessern. Als negativ gelten sie dann, wenn sie eine Destabilisierung der psychophysischen Regulation hervorrufen und meist damit einhergehend eine Verringerung der psychophysischen Handlungsvoraussetzungen bewirken. Somit kann man unter einer positiven Beanspruchungsreaktionen zum Beispiel das Wohlbefinden einer Lehrkraft verstehen, welches durch ein berufliches Erfolgserlebnis ausgelöst wurde. Dieses Wohlbefinden ist ein facettenreiches Konzept, welches positive Emotionen und Befindlichkeiten wie Zufriedenheit, Freude, Ruhe, Gelassenheit, Ausgeglichenheit und gute Laune beinhalten kann. Durch positive Bewertung einer Belastung innerhalb der Arbeitsstätigkeit ergibt sich dementsprechend die positive Beanspruchungsreaktion. Dahingegen resultiert alseine positive Beanspruchungsfolge beispielsweise kognitive Aktivität aus der jeweiligen psychischen Belastung. Das bedeutet, dass zum Beispiel gewisse erworbene Handlungsmuster oder Handlungsstrategien genauso wie erworbenes Wissen und pädagogische Handlungskompetenzals mögliche Formen positiver Beanspruchungsreaktionen erweitert werden können. Zu den negativen Beanspruchungsreaktionen hingegen zählen vor allem psychische Ermüdung, Monotonie, Angst und Stress. Diesekönnen Beanspruchungsfolgen in Form von Übermüdung bis hin zu chronischem Stress und Burnout haben kann. Diese negativen Beanspruchungsreaktionen schränken dann, im Vergleich zu den positiven, die pädagogischen Handlungskompetenzen ein und führen auf Dauer möglicherweise zu psychischen Gesundheitsstörungen.[54]Die individuelle Art und Weise der Auseinandersetzung mit den beruflichen Anforderungen von Lehrerinnen und Lehrern bestimmt jedoch in welchem Ausmaß bestimmte Belastungen positive oder negative Beanspruchungsfolgen nach sich ziehen.[55]
In Zusammenhang mit den Begriffen der Beanspruchung und Belastung bei Lehrkräften wird in der Fachliteratur sehr häufig der Begriff Stressverwendet, welcher sich mittlerweile sowohl in unserer Alltagssprache als auch im Vokabular der Fachwissenschaft zum Schlagwort oder Globalkonzept verwässert hat und zur Erklärung jedweder Beanspruchung oder Belastung herangezogen wird.[56]
Rudow versteht unter dem Begriff „Stress“ einen Zustand erhöhter psychophysischer Aktiviertheit einer Person, welcher durch das Erleben einer Gefährdung oder Bedrohung hervorgerufen wird und mit negativen Emotionen wie Ärger oder Angst verbunden ist.[57]Stress tritt in der Regel dann auf, wenn Belastungen oder bestimmte Reize und Anforderungen von der Lehrkraft individuell und spezifisch bewertet werden.[58]Der Stressbegriff ist daher unausweichlich auch als subjektives Empfinden einzustufen, denn Stress gründet nicht immer aus der Situation heraus, sondern entsteht aus der Art und Weise, inder die betroffene Person eine adaptive Beziehung erfährt. Stress kann demzufolge als Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen Person und Situation verstanden werden. Diese Interaktion ist dadurch gekennzeichnet, dass die Wahrnehmung und die Bewertung einer Situation durch die Person als wichtige Elemente des Stressgeschehens erachtet werden. Stress kann also nur dann entstehen, wenn bestimmte Reize von der Person spezifisch bewertet werden.[59]Bieri verweist hier auf Lazarus.Nach ihmist Stress dann gegeben, wenn die Person eine Anforderung oder Belastung als persönliche Gefährdung oder Bedrohung erachtet.[60]Stress ist damit nicht ausschließlich bedingt durch Reiz, Reaktion...