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Verschiedene Weisen die Vergangenheit literarisch aufzuarbeiten.

W.G. Sebald und Jonathan Littell im Vergleich

AutorThorsten Gawollek
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl68 Seiten
ISBN9783656310297
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 2,0, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Sprache: Deutsch, Abstract: In der Masterarbeit wird untersucht, auf welche verschiedene Weisen die Vergangenheit literarisch aufgearbeitet werden kann. Die beiden Autoren W.G. Sebald und Jonathan Littell stehen im Mittelpunkt der Analyse. Der Roman 'Die Wohlgesinnten' von Jonathan Littell sowie die beiden Werke 'Austerlitz' und 'Die Ausgewanderten' von W.G. Sebald bilden hierbei die literarische Grundlage, anhand derer die Zugangsweisen der Autoren zum Thema Vergangenheit erarbeitet werden.

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Leseprobe

3. W.G. Sebald


 


Am 18.5.1944 ist Winfried Georg Sebald in Wertach im Allgäu geboren. Von 1963 bis 1966 studierte Sebald Germanistik und Allgemeine Literaturwissenschaft in Freiburg/Breisgau und Friborg/Schweiz. Weitere Stationen in Manchester, St. Gallen und Norwich. 1973 Dissertation über Alfred Döblin, 1986 Habilitation an der Universität mit „Die Beschreibung des Unglücks“. 1990 Lesung beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, 1992 Veröffentlichung von Die Ausgewanderten und 2001 Veröffentlichung von Austerlitz. Am 14.12.2001 verstarb Sebald bei einem Autounfall in der Nähe von Norwich.

 

Die Untersuchung zu W.G. Sebald ist wie folgt aufgebaut: Eingangs wird das System nach dem Sebald schrieb, die Bricolage, vorgestellt. Anschließend wird untersucht, inwiefern Sebald die Vergangenheit literarisch aufarbeitet. Die literarischen Instrumente, die Sebald dazu nutzt, sind neben der Bricolage vor allem die Intertextualität. Die Werke Die Ausgewanderten und Austerlitz werden hinsichtlich dieser Instrumente untersucht. Abschließend wird Sebalds Selbstverständnis seiner literarischen Arbeit, der Versuch der Restitution, besprochen.

 

3.1. Bricolage


 

Ich arbeite nach dem System der Bricolage – im Sinne von Lévi-Strauss. Da ist eine Form von wildem Arbeiten, von vorrationalem Denken, wo man in zufällig akkumulierten Fundstücken so lange herumwühlt, bis sie sich irgendwie zusammenreimen.[26]

 

Das „intellektuelle Basteln“, auf französisch bricolage wird von Lévi-Strauss in der Figur des Bastlers, der mit seinen Händen werkelt und dabei Mittel verwendet, die im Vergleich zu denen des Fachmanns abwegig sind, illustriert.[27] Der Bastler muss dabei auf das Material zurückgreifen, das ihm zur Verfügung steht. Demnach sammelt er Dinge und

 

je nach Bedarf löst er sie aus ihrem alten Zusammenhang, wobei sie Teile ihres ursprünglichen Verwendungszweckes bewahren können. Die Tätigkeit des Bastlers ist also ein unabschließbarer Prozess von Zerlegung und Rekombination, von Analyse und Synthese.[28]

 

Sebalds Texte werden immer wieder durch Fotografien oder Abbildungen von Gegenständen durchbrochen. Sebald hat Bilder und Kuriositäten offensichtlich gesammelt, wie z.B. eine Wecker-Teekocher-Kombination namens teas-maid, um Ausgangspunkte für seine Erzählungen zu finden.

 

Sebald bastelt intellektuell nicht nur mit abbildbaren Gegenständen, er verbaut auch Teile von authentischen Biographien. Am auffälligsten ist das bei der Figur Austerlitz, die aus zwei Lebensläufen montiert wurde. Sebald sagte dazu „daß sie sowohl auf seinem eigenen Vermieter in Manchester in den sechziger Jahren beruht als auch auf einen sehr bekannten Maler, in dem manche Frank Auerbach erkannt haben wollen.“[29]

 

Sebalds Art zu schreiben kann man anhand eines Ebenenmodells verdeutlichen. Es wird von einem Bild, Objekt oder Dokument ausgegangen (1.Ebene), als Basis (Denotat). Die bereits erwähnte teas-maid hat es tatsächlich gegeben. Dass dieser Gegenstand eine Geschichte hat, es Menschen gibt oder gab, die Erinnerungen mit dieser einer auf dem Foto abgebildeten teas-maid haben, wird zweitrangig, weil es nur um den Gegenstand an sich geht.

 

Die teas-maid wird aus ihrem eigentlichen Umfeld herausgenommen um in einer Rekombination mit anderen Gegenständen die Basis für die Geschichte des Max Aurach in Die Ausgewanderten  zu bilden.

 

Als Endprodukt soll eine Narration (3.Ebene) auf Basis der 1.Ebene  entstehen. Hier kann der teas-maid, durch den Autor, eine neue Identität oder einfach nur ein neuer Besitzer gegeben werden.

 

Zwischen den dem Ausgangspunkt der 1. Ebene und dem Endprodukt liegt die 2. Ebene. Man kann die sie als Lücke ansehen, die geschlossen werden muss. Dies geschieht durch Erinnerungen, die verschriftlicht werden.

 

Ob die Erinnerungen fiktiv sind oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Die Erinnerungen sind die Verbindungslinien, die die Bilder oder Objekte zueinander in Beziehung setzen.

 

 

Tabelle nach Lachmann[30]

 

3.2. Die Ausgewanderten


 


Der Klappentext von Die Ausgewanderten lautet: „W.G. Sebald schildert die Lebens- und Leidensgeschichte von vier aus der europäischen Heimat vertriebenen Juden, die im Alter an ihrer Untröstlichkeit zerbrechen.“ Das stimmt nur teilweise. Ambros Adelwarth ist weder Jude noch vertrieben worden und Paul Bereyter ist Dreiviertelarier und hat Europa nie verlassen.

 

In Die Ausgewanderten ist die Erzählstruktur aller vier Erzählungen gleich angelegt. Ein Erzähler kommt auf verschiedene Weisen in Kontakt mit der Person, die der Erzählung den Namen gibt. In der ersten Erzählung ist es der Vermieter des Erzählers, in der zweiten der verstorbene ehemalige Volksschullehrer, in der dritten ein Großonkel und in der letzten Erzählung ein Maler, den der Erzähler zufällig kennenlernt.  

 

Die Figuren kommen „in den Erzählungen über ihr Leben, ihre Erinnerung über weite Strecken selbst zu Wort oder aber Menschen bzw. Figuren, die die Protagonisten gekannt haben, erzählen über sie.“[31]

 

Der Duktus, in dem Die Ausgewanderten erzählt wird, ist

 

häufig derjenige der Mündlichkeit[..], zumal dieser Kunstgriff der literarischen Fingierung von Mündlichkeit imstande ist, einen gesteigerten Realismus und den Eindruck der Authentizität zu erzeugen und die Illusion  einer „Sprache der Nähe“ zu erzeugen.[32]

 

Dies geschieht vor allem dadurch, dass Sebald die direkte Rede nie kennzeichnet, sondern sie im Textverlauf einfließen lässt. Ebenso lässt Sebald fremdsprachige Passagen im Text unverändert. Dies deutet auf Unverfälschtheit hin. Dadurch, dass der Ich-Erzähler bestimmte Passagen übersetzen müsste, würde die Unterhaltung an Wert verlieren.

 

In den Sommermonaten machten wir Autotouren quer durch Europa. Next to tennis, sagte Dr. Selwyn, motoring was my greatest passion in those days.[...]Aber ich habe es nie fertiggebracht, etwas zu verkaufen, except perhaps, a tone point, my soul.[33]

 

Der Ausdruck „sagte Dr. Selwyn“, oder „sagte er“, vermittelt den Eindruck, dass man die Geschichte persönlich vom Erzähler geschildert bekommt. Da der Eindruck einer persönlichen Beziehung zum Erzähler geweckt werden soll, übersetzt er die englischen Passagen nicht neu, sondern er „weiß“, dass wir es verstehen.  

 

3.2.1 Der Ich-Erzäher


 


Der Ich-Erzähler trägt starke autobiographische Züge von W.G. Sebald. So beginnt die Erzählung Dr. Henry Selwyn mit den Worten „Ende September 1970, kurz vor Antritt meiner Stellung in der ostenglischen Stadt Norwich“[34]. Sebald lehrte tatsächlich seit 1970 an der Universität of East Anglia in Norwich. Es kommt vor, dass der Autor die autobiographischen Fakten fast spielerisch einbaut. „Sagte man also zu Mangold, man sei am 18.Mai 1944 geboren, erwiderte er unverzüglich, das war ein Donnerstag.“[35]

 

Dies ist der Geburtstag Sebalds und es war tatsächlich ein Donnerstag. Der Geburtstag taucht ebenso am Ende von Austerlitz auf. Im Verlies der belgischen Festung Breendonk ritzen die Gefangenen ihren Namen und manchmal auch das Datum ihrer Festnahme in die Kalkwand. Ein Max Stern aus Paris war demnach am 18. Mai 1944 in dem Verlies. Die Geschichte eines französischen Kriegsgefangenen ist ein Teil der Geschichte des Krieges und durch die scheinbar zufällige, aber bewusst inszenierte, Nennung von sieben Zahlen, die in eine Gefängniswand geritzt wurden, wird es zur einer Geschichte, die durch diese Überschneidung, den Autor persönlich betrifft.

 

Der Erzähler nimmt bei Sebald stets eine zentrale Rolle ein, er ist die „zentrale Ordnungsinstanz für die Darstellung der Geschichte in Sebalds Werk“.[36] Dieser sagt zu der Rolle des Erzählers in einem Interview: „Ich glaube auch, daß man heute nicht mehr so schreiben kann, als sei der Erzähler eine wertfreie Instanz. Der Erzähler muß die Karten auf den Tisch legen, aber auf eine möglichst diskrete Art.“[37] Die Karten sind dabei die Dokumente, die Sebald im Sinne der Bricolage in den Text einbaut.

 

Die Auswahl der Dokumente gibt Informationen über den Autor, da er einerseits die Dokumente auswählt und andererseits für die Herstellung der Fotografien und der abgebildeten Gegenstände verantwortlich ist. „Darin gleicht er dem Bastler, der in sein Werk immer etwas von sich hineinlegt.“[38] In der Ambros Adelwarth-Erzählung ist doppelseitig eine Kopie des Tagebuches von Ambros Adelwarth abgebildet und der Ich-Erzähler gibt die Tagebuchaufzeichnungen im Text wieder. Vergleicht man den handschriftlichen Text mit der Übersetzung des Erzählers „stellt sich jedoch heraus, daß der Erzähler Adelwarths vermeintliche Agenda im Text...

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