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E-Book

Brötzmann

Gespräche

AutorChristoph J. Bauer, Peter Brötzmann
VerlagPosth Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783944298108
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR

'Es gibt in der ganzen Scheiß-Kunst zwei Möglichkeiten: Entweder erfüllt man die Erwartungen oder man macht sich ein paar Gedanken und versucht 'rauszufinden - ohne Rücksicht auf Verluste -, was einen selbst angeht.' Peter Brötzmann gilt als einer der wichtigste Neuerer des Jazz und der improvisierten Musik. Im Gespräch mit dem Bochumer Philosophen und Publizisten Christoph J. Bauer gibt Brötzmann Auskunft über die Entstehung des Free-Jazz, die sozialen und politischen Voraussetzungen der improvisierten Musik sowie ihr Verhältnis zur Fluxus-Bewegung der sechziger Jahre, die Beziehungen europäischer Improvisatoren zu Musikern in den USA und Asien und sein Verhältnis zu Drogenkonsum und Sexualität.

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Leseprobe

Vorwort


Zur Person


Peter Brötzmann, Jahrgang 1941, Jazz-Musiker, bildender Künstler. Beeinflusst einerseits von der Fluxus-Bewegung – insbesondere von Nam June Paik – und andererseits von amerikanischen Jazz-Musikern wie Charles Mingus und Ornette Coleman entwickelt Brötzmann in den frühen sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einen eigenständigen, unorthodoxen Stil auf dem Saxofon, der sofort heftige Diskussionen hervorruft. Ab Mitte der sechziger Jahre folgt die Zusammenarbeit mit einer großen Zahl der wichtigsten amerikanischen und europäischen Vertreter des Jazz und der improvisierten Musik wie Don Cherry, Steve Lacy, Alexander von Schlippenbach oder Manfred Schoof. Brötzmann arbeitet mit Peter Kowald und Schlippenbach im Globe Unity Orchestra, das in wechselnder Besetzung die internationale Avantgarde der Improvisatoren vereinigt. Ende der sechziger Jahre gründet Brötzmann mit Jost Gebers und Peter Kowald die Free Music Production (FMP), die über Jahre die Musik der internationalen Improvisations- und Free-Jazz-Szene auf Tonträger veröffentlicht und deren Produkte, was die Gestaltung betrifft, vielfach die künstlerische Handschrift von Brötzmann tragen. Über lange Jahre bildet er ein Trio mit Fred van Hofe und Han Bennink; ein weiteres Trio – mit den Südafrikanern Harry Miller und Louis Moholo – besteht nur für eine relativ kurze Zeit, weil Harry Miller 1983 bei einem Autounfall stirbt.1 Während der achtziger Jahre spielt Brötzmann in der Gruppe Last Exit mit den Amerikanern Bill Laswell, Sonny Sharrock und Ronald Shannon Jackson und anschließend im Quartet Die like a Dog mit Hamid Drake, William Parker und Toshinori Kondo. Im Jahre 1997 bildet sich in Chicago das nach dieser Stadt benannte Tentet aus amerikanischen und europäischen Musikern, mit dem Brötzmann bis zum heutigen Tag zusammenarbeitet. Im Chicago-Tentet spielen – neben B. – Ken Vandermark, Mats Gustafsson, Joe McPhee, Jeb Bishop, Johannes Bauer, Kent Kessler, Fred Lonberg-Holm, Per-Åke Holmlander, Michael Zerang und Paal Nilssen-Love. Neben der Arbeit in den genannten Gruppen spielte Brötzmann in den vergangenen beinahe fünf Jahrzehnten mit fast allen Vertreterinnen und Vertretern der zeitgenössischen Improvisationsmusik – Resultat ist eine Diskografie von über 200 Titeln, die auf seiner Internet-Seite einsehbar ist. (www.peterbroetzmann.com)2 Im Jahr 2005 wurde Brötzmann der Von-der-Heydt-Kulturpreis der Stadt Wuppertal verliehen. Im Jahr 2011 erhielt er auf dem New Yorker Vision Festival den Lifetime Achievement Award und im September des gleichen Jahres den Albert Mangelsdorff-Preis (Deutscher Jazz-Preis).

Christoph J. Bauer, Jahrgang 1956, Promotion in Philosophie; über zehn Jahre Dozent an der Ruhr-Universität Bochum; Mitarbeiter am Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum, Fotograf und ›Fan‹ improvisierter Musik.

Persönliche Vorbemerkung des Herausgebers


Warum überhaupt mit Peter Brötzmann sprechen, ist er doch Musiker und hat eine andere Sprache gewählt, um sich ausdrücken, als diejenige, die sich aus Buchstaben, Wörtern, Sätzen zusammensetzt? Die Antwort auf diese Frage bewegt sich zunächst kaum im Allgemeinen. Denn für mich, der ich die Idee zu diesem Buch hatte, liegt dieser Idee ein ganz persönliches Bedürfnis, ein ganz persönliches Interesse an der Biografie und den Gedanken des Musikers Peter Brötzmann zugrunde. Immerhin wurde ich im Alter von fünfzehn Jahren – 1971 – auf eine sehr unmittelbare Weise durch die Musik des Brötzmann-Trios einer Initiation unterzogen, deren Wirkung bis heute nachhallt. Brötzmanns Musik bildete in den sich wandelnden Erscheinungsformen – selbstverständlich neben anderen Musiken und mit Unterbrechungen, aber doch ganz wesentlich – sozusagen den Soundtrack für mein Leben. Da die eigenen Versuche, sich mit den Mitteln der Musik auszudrücken, scheiterten und die Wahl getroffen wurde, dies künftig auf der Basis jenes Mediums zu versuchen, das Brötzmann offensichtlich nicht als das seine angesehen hatte – jener Sprache, die sich aus Buchstaben, Wörtern und Sätzen zusammensetzt – lag die Überlegung nahe, den Gedanken auf die Spur zu kommen, die dem musikalischen Ausdruck wenn schon nicht zugrunde liegen, so ihn jedoch notwendig begleitet haben müssen: Denn auch ein Musiker denkt – und denken kann er nur in den Formen der Sprache. Dass Brötzmann dem Versuch, den Ausdruck seiner Musik durch den Ausdruck des Wortes zu begleiten, nicht abgeneigt ist, ist aber offenkundig – zahlreiche Interviews legen davon Zeugnis ab. Und so zögerte er auch nicht lange, meinem Bedürfnis entgegenzukommen. Offensichtlich korrespondierten hier also die Bedürfnisse und konnten dann doch im Medium der Sprache befriedigt werden. Und so verabredete man sich im Dezember 2011 zu einem ersten Treffen – am Ende also jenes Jahres, in dem Brötzmann seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert hatte – und in dem er auch von anderen aufgrund seines Lebenswerks gebührend gefeiert wurde. Vielleicht ist es schade, dass das vorliegende Buch nicht auch in diesem Jubiläumsjahr erscheinen konnte. Aber erstens kann man sich selten aussuchen, wann einem ein verdammter Gedanke durch den Kopf geht, und zweitens soll es hier nicht um Feierlichkeiten gehen, sondern um Fragen, die sicherlich aus der Welt des Fragenden stammen – der Welt der Theorie und der Universität –, die aber an bestimmten, auch gegenwärtig relevanten Problemkomplexen orientiert sind, die also auf eine Sache gehen, Fragen also, die nicht nur gestellt wurden, damit es etwas zu reden gibt. Die ›Sache‹, um die es hier gehen soll, betrifft das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft, und diese Sache – so sollte sich zeigen – treibt den Künstler Brötzmann ebenso um, wie den manchmal am ›Elfenbeinturm‹ der Universität verzweifelnden Fragensteller …

Ausgangspunkte.


Auf der Rückseite der Hülle der CD crossing the river des Evan-Parker-Octets findet sich folgendes Statement Parkers: »The music here was freely improvised. The approach is characterised by close listening and point to point interaction. Ideally the demands of the group on the individual and the expectations of the individual of the group are in reciprocal relationship… and I suppose that is also a socio-political ideal.«3 Und in seinem Artikel in der Süddeutschen Zeitung über den Auftritt von Brötzmanns Chicago-Tentet auf dem Moers-Festival 2010 zitiert Karl Lippegaus Brötzmann, der darauf hingewiesen habe, dass – über die musikalischen Belange hinaus – »das Tentet […] auch ein Beispiel gesellschaftlichen Zusammenlebens« sei, und zwar »in der Nachfolge von Sun Ra’s Arkestra«4. Diese Bedeutung der gesellschaftlichen Dimension der improvisierten Musik im Allgemeinen und des Chicago-Tentets im Besonderen betonte Brötzmann dann auch in verschiedenen Interviews, die im Jahre 2011 aus Anlass seines siebzigsten Geburtstags erschienen sind.5

Dass zwei Vertreter der europäischen improvisierten Musik – oder des sogenannten ›Free Jazz‹ – offensichtlich das Bedürfnis haben, über die musikalischen Fragen hinausgehende, die gesellschaftlichen Belange betreffenden Aussagen zu formulieren, und zwar Aussagen, die diese gesellschaftlichen Belange in Beziehung setzen zu der spezifischen Art und Weise des Musizierens, ist jedoch nicht zufällig, denn es existiert wohl keine vergleichbare Praxis eines gleichberechtigten Umgangs der Musiker miteinander, wie diejenige musikalische Richtung, der die beiden hier Zitierten angehören. Dagegen herrschen in den Klangkörpern fast aller anderer Musiktraditionen der Welt, zumindest sofern sie in den letzten zweitausend Jahren entstanden sind, gesellschaftliche Strukturen, die an strengen Hierarchien ausgerichtet sind, und deren Vertreter gar nicht auf den Gedanken kommen, die gesellschaftliche Struktur und Bedeutung desjenigen Klangkörpers zu reflektieren, dem sie angehören. Der Gedanke liegt nahe, hierin eine Entsprechung zu den herrschenden Gesellschaftsstrukturen im Allgemeinen und zu den Herrschaftsverhältnissen im Besonderen zu sehen.

In der heutigen Zeit des propagierten und verbreiteten Desillusionismus haben es theoretische gesellschaftspolitische Entwürfe bekanntlich schwer, und umso schwerer haben es diejenigen, denen der Geruch der Utopie anhaftet.6 Und auch der Autor dieser Zeilen muss sich als ein Skeptiker gegenüber denjenigen bezeichnen, die allzu schnell und allzu abstrakt das Bestehende zu negieren sich anschicken. Jedoch handelt es sich nach den Aussagen Parkers und Brötzmanns bei dem, was sie beschreiben, ja nicht um eine Utopie im schlechten Sinne, sondern um eine Form gesellschaftlicher Praxis, und zwar um eine Form gesellschaftlicher Praxis, die sie selbst bereits seit über vierzig Jahren betreiben, eine Form also, die nicht nur Form ist, sondern in einer ihr überhaupt nicht entsprechenden gesellschaftlichen Umgebung auch zu funktionieren scheint. Es könnte sich hier also um ein Beispiel für eine Art des Umgangs zwischen Menschen handeln, das die Hoffnung befördert, es gäbe doch die Möglichkeit, ein »richtiges Leben« im »falschen« der entfremdeten Verhältnisse zu führen, was Theodor W. Adorno ja bekanntlich bestritten hat.7

Nun ist allerdings die Frage naheliegend und der Einwand eventuell berechtigt: Warum sollte ausgerechnet eine gesellschaftliche Praxis, die von Musikern betrieben wird, in irgendeiner Weise zum ›Vorbild‹ oder auch nur zur Orientierung taugen für andere Bereiche der Gesellschaft? Es ließe sich einwenden, dass die Struktur dieser Bands, von denen...

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