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E-Book

Helmut Schmidt

Die Biographie

AutorHans-Joachim Noack
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783644104617
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Seine Stimme fand weit über Deutschlands Grenzen hinaus Gehör, sein Urteil als Elder Statesman und moralische Instanz hatte Gewicht. Helmut Schmidt hat Maßstäbe gesetzt wie kaum ein anderer deutscher Politiker der Nachkriegszeit. Aber was hat ihn geprägt? Was trieb ihn unermüdlich an, bis weit ins hohe Alter? Und was bewegte den Menschen hinter dem Mythos? Hans-Joachim Noack, langjähriger Politikchef des «Spiegel» und unter den politischen Journalisten einer der wenigen Vertrauten des Altkanzlers, hat dessen Karriere über Jahrzehnte aus nächster Nähe verfolgt. Ein faszinierendes Lebensporträt - und zugleich eine Zeitreise durch fast ein Jahrhundert deutscher Geschichte. «Helmut Schmidt wird uns allen als ein Mensch in Erinnerung bleiben, der in seltener Einheit ein Mann der Tat, des klaren Gedankens und des offenen Wortes war.» Joachim Gauck

Hans-Joachim Noack, geboren 1940 in Berlin, war Reporter der «Süddeutschen Zeitung» und der «Frankfurter Rundschau» und arbeitete lange Jahre für den «Spiegel», zuletzt als Leiter des Politikressorts. Für seine journalistische Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Egon-Erwin-Kisch-Preis und den Theodor-Wolff-Preis. 2008 erschien die Biographie «Helmut Schmidt», die zum Bestseller wurde.

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Leseprobe

«Kerl ohne Fisimatenten»: eine Annäherung


Geschichten beginnen häufig mit Zufällen – etwa diese im Mai 1980. Als Kurzurlauber in Rom fand ich in einem Café nur noch an jenem Tisch Platz, auf dem ein Exemplar der «Frankfurter Allgemeinen» lag, das vermutlich Landsleute zurückgelassen hatten. So fiel mein Blick auf einen Artikel des einflussreichen Bonner Hofchronisten Walter Henkels. Der eigentlich den christlichen Parteien zugeneigte Korrespondent lobte darin die allgegenwärtige Siegermentalität des regierenden Sozialdemokraten Helmut Schmidt. Erst kürzlich habe der in kaum einer Stunde eine Reihe von Journalisten im Schach abgebügelt.

Ich arbeitete damals in Frankfurt bei der «Rundschau» und galt dort zu Recht als Spieler; also war das eine aufregende Information. Dass den in der Bundeshauptstadt akkreditierten Kollegen solche Chancen geboten wurden, ließ mir keine Ruhe. Wahrscheinlich seien ihm da einige lausige Amateure über den Weg gelaufen, raunte ich dem Kanzler bei der ersten Gelegenheit mutig ins Ohr.

Meine Begegnungen mit Helmut Schmidt hatten mir bis dahin wenig Ruhm eingetragen. Im Winter 1978 war ich von ihm empfangen worden, um als politischer Reporter über den schwierigen Amtsalltag des Chefs der sozial-liberalen Koalition zu schreiben – eine ziemliche Blamage. Ich wollte ihm bescheinigen, in vielerlei Hinsicht skrupulöser zu sein, als es seinem öffentlichen Image entsprach. In der noch weitgehend unkorrigierten Deutschland-Auflage der «FR» tauchte aus unerfindlichen Gründen das befremdliche Adjektiv skrupelloser auf.

Der Kanzler war «not amused», wie mir sein zerknirschter Adlatus und Regierungssprecher Klaus Bölling ausrichtete, weshalb ich nun offenkundig dafür büßen musste. Ob ich mir einbildete, «mehr draufzuhaben als andere», fragte Schmidt nach meiner flapsig intonierten Herausforderung am Rande einer Pressekonferenz gallig zurück und zeigte mir dann ungnädig die kalte Schulter. Passé schien der schöne Journalistentraum, eine der Schlüsselfiguren im Lande als Schachpartner ködern zu können.

Aber ich täuschte mich. Ein volles Vierteljahr später meldete sich an einem fortgeschrittenen Sonntagabend eine Bonner Stallwache am Telefon. Der Bundeskanzler, wurde mir mitgeteilt, habe mein Erscheinen «zum vereinbarten Match» für den folgenden Nachmittag, 14 Uhr, in seinem Feriendomizil am schleswig-holsteinischen Brahmsee «vorgemerkt». Ich möge wegen der dort herrschenden strengen Sicherheitsmaßnahmen einen gültigen Personalausweis oder Reisepass nicht vergessen.

So traf ich ihn anderntags in seinem bescheidenen Anwesen, einer am Rande der Gemeinde Langwedel gelegenen ehemaligen Wehrmachtsbaracke. Der Gastgeber, der mich leger in Shorts und Ringelhemd begrüßte, erwies sich als angenehm unprätentiös. Er bat höflich um Verständnis dafür, dass im Garten mit Schnellfeuergewehren bewaffnete Grenzschutzbeamte Patrouille liefen, und führte mir dann nicht ohne Besitzerstolz das zum Teil von ihm selbst restaurierte «lütt Hus» vor. Am Ende durfte ich sogar ins eheliche Schlafzimmer sehen, wo in akkurat glattgestrichenen Betten sein blauweiß gestreifter Pyjama neben dem altrosa gerüschten Nachthemd von Frau Loki lag.

Es war ein bisschen wie bei Schmidts aus der Nachbarschaft: behütete grüne Idylle im deutschen Winkel und ein sichtlich entspannter Kanzler. Am Schachbrett bevorzugte er lustvoll einen auf möglichst raschen Figurenabtausch bedachten rustikalen Stil und freute sich diebisch, als ich ausgerechnet die für mich interessanteste Partie verlor. Die hatte ich mit seiner Einwilligung mitgeschrieben, um mir die Notation anschließend signieren zu lassen, worauf er nun grinsend bestand.

Es wurde trotzdem ein denkwürdiger Tag, von dem ich auch in meinem Job profitierte. Wir spielten danach immer mal wieder – etwa im Herbst 1980 während des Wahlkampfs gegen Franz Josef Strauß in seinem Sonderzug oder bei längeren Überseeflügen –, und nicht selten folgte dem exklusiven Vergnügen eine umfängliche politische Tour d’Horizon. Die bescherte mir stets einige verwertbare Details oder zumindest sachkundige Einschätzungen der jeweiligen Lage.

Das erste Interview, das ich mit Helmut Schmidt führen konnte, hatte in der Zeit der Großen Koalition stattgefunden, es sollte über Jahre hinweg mein Bild von ihm prägen. Im Kern teilte ich, was den Fraktionschef der SPD betraf, die Skepsis der «Achtundsechziger». Vor allem dass der alerte Genosse die heißumstrittenen Notstandsgesetze durchpaukte, hielt ich empört für einen obrigkeitsstaatlichen Amoklauf, und als er am 16. Mai 1974 gar den in meinen Kreisen angehimmelten Kanzler Willy Brandt ablöste, war das für unsereins fast wie ein Volkstrauertag.

Andererseits gab es aber auch Seiten an ihm, die mir früh imponierten. Die zupackende Art, mit der sich der damalige Hamburger Innensenator 1962 gegen die verheerende Flutkatastrophe in seiner Heimatstadt stemmte, beeindruckte mich ebenso wie sein ein Jahr vorher – noch als Bundestagsabgeordneter – publizierter Essay über «Verteidigung oder Vergeltung», eine militärstrategische Analyse des zunehmend maroden Ost-West-Verhältnisses.

Ich bewunderte fortan seine Fähigkeit, sich in außerordentliche Problemstellungen hineinzudenken, aber meine moralischen Vorbehalte legten sich erst im sogenannten Deutschen Herbst. Wie er in der schwierigsten Zeit seiner Kanzlerschaft 1977 beim Kampf gegen den Terror der «Roten-Armee-Fraktion» leise einräumte, selber Schuld auf sich geladen zu haben, als er den entführten Wirtschaftsmagnaten Hanns Martin Schleyer opferte, bewies mir sein Format. Helmut Schmidt, nach seinem Triumph über die RAF bald «Held von Mogadischu», war offenbar weit mehr als nur der vielzitierte «Macher».

Und der Besuch Anfang August 1980 am Brahmsee bewirkte ein Übriges. Es schmeichelte mir, dass mich der Hausherr, der das Gros der ihn umschwirrenden Korrespondenten manchmal rüde mit «Wegelagerern» verglich, erstaunlich zuvorkommend behandelte. Bei meinem ersten Privatissimum wie bei allen anderen, die er mir in den folgenden mehr als zweieinhalb Jahrzehnten gewährte, ließ er von der ursprünglich befürchteten arroganten Unnahbarkeit wenig spüren.

Ganz im Gegenteil: Sein properes Selbstwertgefühl machte die journalistische Arbeit mit ihm immer unkompliziert. Als Mann der klaren Worte gehörte er nie zu jener Kategorie von Politikern, die vor Interviews off the record, also unter der Hand, munter drauflosschwadronieren, um dann bei der Durchsicht der Druckfassung ihrer Texte bänglich die Pointen zu tilgen. Was er meinte sagen zu müssen, galt in aller Regel als gesagt, und so ähnlich präsentierte er sich auch, als ich ihn bat, mir bei seiner Rückschau auf sein bewegtes Leben Rede und Antwort zu stehen.

Geriet er in Wallung, langte er wie eh und je kräftig hin. Dass der vormalige Kanzler ein «prima Elder Statesman» geworden sei, «leider nur das gelegentliche Herumsauen nicht lassen» wolle, hatte mir noch in seinem Todesjahr 1992 der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt bestätigt – was Schmidt nun ungerührt unterstrich. Mit Vertretern konkurrierender Parteien sprang er dabei meistens weniger ruppig um als mit den eigenen Leuten. «Lieblingsgenossen» wie Erhard Eppler, Egon Bahr oder Horst Ehmke lieferten mir bei begleitenden Recherchen einige deftige Kostproben.

Auffällig war, wie selten der zweite sozialdemokratische Regierungschef einmal von ihm gefällte Urteile über Menschen oder Sachverhalte aus der zeitlichen Distanz abschwächte. Er verstärkte sie eher noch. Verbiestert nannte er etwa den ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter «einen Schimmerlos vom Anfang bis zum Ende», um danach seine Freunde, vorweg das später ermordete ägyptische Staatsoberhaupt Anwar as-Sadat, warmherzig zu umgarnen. «Ich habe diesen Kerl geliebt», verriet er mir mehrmals und schwärmte wie ein jugendlicher Pfadfinder von gemeinsamen nächtlichen Bootsfahrten auf dem Nil. «Unter prächtigem Sternenhimmel» sei ihm da ein grundlegend neues, Juden, Christen und Moslems umschließendes holistisches Weltbild vermittelt worden.

In solchen Augenblicken durfte ich einem sehr viel empfindsameren Helmut Schmidt zuhören, als mir bis dahin bekannt war. Andererseits überwog, wie in seinem Metier üblich, auch bei ihm die Kunst, kühl kalkuliert nur jenen Teil der eigenen Identität abzuspalten, den er der Allgemeinheit preiszugeben gedachte. Fragen, die ihm signalisierten, dass sie sein Innenleben allzu sehr einzukreisen versuchten, wies er manchmal grantig zurück.

Reflektierte Gespräche: ja – aber bloß keine Psychoanalyse! Sich vor irgendwelchen «Seelenklempnern» rechtfertigen zu müssen, erzeugte in Schmidt eine eisige Abwehrbereitschaft, die er lapidar mit seiner angeblich «schlichten Bauart» begründete: Zu einer qualvollen oder auf eitle Verbrämung hinauslaufenden Introspektion, mokierte er sich, fehle ihm «einfach das Gen».

Man sollte ihm glauben, dass er deshalb auch konsequent davon absah, einer unter Spitzenpolitikern verbreiteten Verlockung zu erliegen. Wie seine Kanzler-Kollegen von Konrad Adenauer bis Gerhard Schröder mit den obligaten Selbstzeugnissen auf den Markt zu kommen, erschien ihm nicht nur als überflüssig, sondern historisch untaugliches Mittel. Autobiographen, belehrte er mich, ähnelten Männern bei der täglichen Nassrasur: «Die sind ständig in der Gefahr, sich zu schneiden, und möchten doch nur gut aussehen.»

Aber galt das nicht auch für ihn? In Wahrheit hatte er öfter zur Feder (oder genauer, zu einem seiner weichen Bleistifte) gegriffen als jeder andere...

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