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E-Book

Die Seelenpfuscher

Pseudo-Therapien, die krank machen

AutorHeike Dierbach
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783644420311
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Würden Sie Ihren Körper bei jemandem unters Messer legen, der nicht Medizin studiert hat, sondern aus spiritueller Eingebung zu wissen glaubt, wo er schneiden muss? Wohl kaum. Aber viele Menschen tun dies mit ihrer Seele: Sie suchen Hilfe bei selbsternannten Psychoheilern. Heike Dierbach hat neun populäre «Pseudo-Therapien», die die Patienten schwer schädigen können, genauer untersucht: die Atemtechnik Rebirthing, das Familienstellen nach Hellinger, die Festhaltetherapie, das Channeln/Engeltherapie, die Reinkarnationstherapie, den Hoffman-Quadrinity-Prozess, Fernheilung sowie die Techniken «The Work» und «The Secret». Sie warnt vor den Risiken dieser Methoden und zeigt auch, wie sinnvolle therapeutische Hilfe aussehen kann und wo man sie findet.

Heike Dierbach, geboren 1970, ist Diplompsychologin. Sie war Redakteurin der taz, Pressesprecherin von Greenpeace Deutschland und ist heute freie Wissenschaftsjournalistin.

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Leseprobe

Einleitung: DIE LEBENSGEFÄHRLICHE LEBENSHILFE


Eine junge Mutter will klären, was nach der Trennung von ihrem Mann für ihre vier Kinder das Beste ist. Sie versucht es mit einer Familienaufstellung, von der sie schon viel Gutes gehört hat. Während der öffentlichen Sitzung beschimpft der Aufsteller die Frau derart, dass sie weinend hinausläuft. Noch am selben Tag schreibt sie einen Abschiedsbrief. Sie will, dass ihre Tat «für die Kinder die Ordnung wiederherstellt», sagt sie, und nimmt sich das Leben. Eine andere Frau hat Asthma. Rebirthing, hat man ihr gesagt, hilft da mit Sicherheit. Nachdem sie die Atemtechnik probiert hat, gerät sie in eine Atemnot, die die Ärzte nicht mehr stoppen können. Sie stirbt, die Rebirtherin wird wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Eine Frau möchte wissen, ob sie früher schon einmal gelebt hat. Während einer Reinkarnations«therapie» erlebt sie sich als Scharfrichter im 15. Jahrhundert. Im Anschluss ist sie wegen heftiger Schuldgefühle so suizidgefährdet, dass sie für ein halbes Jahr in die Psychiatrie muss.

Diese Fälle sind alle so passiert. Menschen haben ihr Leben, ihre geistige Gesundheit oder auch nur ihr Wohlbefinden verloren, nachdem sie an esoterischen oder «alternativen» Psycho-Techniken teilgenommen haben. Techniken, die in keiner Weise fundiert oder erprobt waren. Durchgeführt von Personal, das weder Psychologie noch Medizin studiert hatte. Viele meinten es durchaus gut, andere wollten nur Geld machen. Würden Sie Ihren Körper bei jemandem unters Messer legen, der nicht Medizin studiert hat? Sondern aus Wochenendseminaren oder spiritueller Eingebung zu wissen glaubt, wo er schneiden muss? Tausende Menschen tun dies mit ihrer Seele. Oft enttäuscht von den herkömmlichen Psychotherapien sind Menschen bereit, sich auf «unkonventionelle» Methoden einzulassen – zumal, wenn diese sich mit Beschreibungen wie «ganzheitlich» oder «sanft» schmücken. Schaden kann’s ja nicht? Das ist leider ein Irrtum: Die Seele ist eines der verletzlichsten Teile des Menschen. Pfusch daran kann gravierende Folgen haben. Manchmal tödliche.

Natürlich kann auch ein Therapeut einer anerkannten psychotherapeutischen Methode Fehler machen. Aber bei vielen esoterischen Psycho-Techniken liegt der Fehler bereits in der Methode. Etwa, wenn Techniken körperlich riskant sind, wenn massive Grenzüberschreitungen als notwendig dargestellt werden oder Anbieter es sich zur Aufgabe machen, einem Patienten die Lösung seiner Probleme vorzugeben. Und wenn sie schlicht keine Ausbildung haben, um seelische Notfälle aufzufangen.

Warum aber wagen sich überhaupt so viele Menschen an Methoden, die in keiner Weise wissenschaftlich gesichert sind? Nach einem Bericht des Enquete-Kommission «Sekten und Psychogruppen» des Bundestages gibt es mittlerweile über 1000 verschiedene Verfahren in Deutschland. Die Zahl der alternativen Anbieter liegt dabei mit schätzungsweise 10 000 bis 20 000 etwa genau so hoch wie die der seriösen niedergelassenen Fachärzte und psychologischen Psychotherapeuten (17 000). Dazu muss man wissen, dass die Zahl der seelischen Beschwerden in der Gesellschaft insgesamt steigt: Die Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen haben seit 1995 um 80 Prozent zugenommen (laut Bericht der AOK vom Februar 2009). Nach einem Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erleidet knapp jeder dritte Deutsche einmal in seinem Leben eine psychische Erkrankung, etwa eine Depression oder unerklärliche Panikanfälle. Viele der Betroffenen haben Scheu, eine echte Psychotherapie zu beginnen. Da klingt das Angebot, es doch erst mal mit einem Wochenendseminar zu versuchen, verlockend. Dass dies nicht sanfter, sondern in vielen Fällen härter ist als eine Therapie, sagen die Anbieter nicht.

Den Teilnehmern ist dabei keinerlei Vorwurf zu machen. Ihre Energie und auch der Mut, etwas verändern zu wollen, verdienen Respekt. Wie riskant die Techniken sind, ist für sie oft nicht erkennbar. Vielleicht haben Freunde damit gerade gute Erfahrungen gemacht. Oder sie verlassen sich zu Recht darauf, dass die Volkshochschule, die das Seminar anbietet, die Qualität prüft. Oft lässt sie auch der versprochene Erfolg die Bedenken in Kauf nehmen. Denn nicht selten sind die Teilnehmer verzweifelt. Weil ihr Hausarzt sie in zehn Minuten abgefertigt und nur ein Beruhigungsmittel verschrieben hat. Weil sie dringend Hilfe brauchen, aber die öffentliche Erziehungsberatungsstelle sechs Wochen Wartezeit hat. Weil es ihnen so schlechtgeht, dass sie etwas suchen, was schnell hilft. Oder weil sie todkrank sind. Die Anbieter nutzen diese Verzweiflung aus, um ihre Kurse und ihr Portemonnaie zu füllen und ihrem Ego zu schmeicheln. Das ist in etwa so, als würde man einem Verdurstenden in der Wüste eine Flasche Essig für 20 Euro verkaufen.

Denn eine echte Therapie haben die Rebirther, Engelseher und Familienaufsteller nicht anzubieten. Ihre Techniken schaffen zwar oft intensive Erlebnisse, aber sie leisten nicht, was eine Psychotherapie kann: alte Verletzungen zu heilen, destruktive Verhaltensmuster zu überwinden, neue auszuprobieren, damit der Betroffene am Ende stärker durchs Leben geht. All dies ist in der Kürze der Zeit nicht möglich – und die allermeisten Anbieter sind auch nicht qualifiziert dafür. Deshalb sind sie auch keine Therapeuten, und ihre Techniken sind keine Therapien, sondern bestenfalls «Pseudo-Therapien». Sie gaukeln dem Teilnehmer vor, er habe etwas bearbeitet. Oft hat er es aber nur aufgerissen und kann selbst sehen, wie er nun damit zurechtkommt.

Bei den meisten hier vorgestellten Techniken geht es nicht nur um potenzielle Risiken, sondern es gibt bereits Geschädigte oder Tote. Ihre genaue Zahl kennt niemand, da nur die Fälle überhaupt bekanntwerden, die anschließend professionelle Hilfe suchen, und auch diese werden nicht systematisch erfasst. Sicher ist aber: Immer mehr Menschen geht es nach der Teilnahme an Pseudo-Therapien schlechter als vorher. Allein bei der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen haben sich von 2005 bis 2008 die Anfragen wegen Problemen mit esoterischen Methoden verdoppelt, von rund 60 auf 120 im Jahr. Die bundesweite Dunkelziffer liegt sicherlich um einiges höher.

Nun werden Befürworter einwenden, dass es doch aber auch viele begeisterte Teilnehmer der Methoden gibt. Dabei muss man aber drei Punkte bedenken: Erstens ist gar nicht sicher, ob es wirklich so viele sind. Es mag den Anschein haben, wenn sich auf der Website eines Anbieters viele entsprechende Berichte finden. Aber wirklich aussagekräftig ist es nicht – dazu müsste man systematisch und mit wissenschaftlichen Methoden alle Teilnehmer einer Technik aktiv befragen. Erfahrungsgemäß melden sich nämlich jene, die enttäuscht sind, hinterher nicht zu Wort. Die Geschädigten schon gar nicht.

Zum Zweiten kann eine unseriöse Technik durchaus den ersten Eindruck vermitteln, sie habe «viel gebracht». Schließlich geht der Teilnehmer oft durch intensive Gefühlserlebnisse, und entsprechend fühlt er sich hinterher anders als vorher, so wie man sich auch am Ende eines Urlaubs besser fühlt. Entscheidend ist aber, ob der Effekt anhält – oder ob nach zwei Monaten wieder alles beim Alten ist. Seriöse Psychotherapien prüfen das genau, wie am Ende des Buches erläutert wird. Unseriöse interessieren sich, wenn überhaupt, nur für den kurzfristigen Effekt.

Der dritte Punkt ist der entscheidende und der Grund, warum dieses Buch geschrieben wurde. Eine Therapie soll nicht nur relativ sicher helfen, sie darf auch nicht schaden. Dem Patienten darf es hinterher nicht schlechtergehen als vorher. Die Verantwortung dafür trägt nicht der Patient, sondern ausschließlich der Therapeut. Und genau dies ist bei den vorgestellten Techniken nicht gegeben. Sie enthalten Elemente, die Patienten schädigen können, zum Teil sogar schwer. Die meisten haben bereits Menschen geschädigt. Das ist nicht akzeptabel, egal, wie viele andere angeblich geheilt wurden. Drei begeisterte Teilnehmer wiegen nicht die eine auf, die nach der Familienaufstellung eine Psychose entwickelt hat. Das wäre ein «survival of the fittest» in der Psychotherapie.

Natürlich steht es jedem frei, eine solche Technik dennoch auszuprobieren. Doch dieses Buch liefert kein Pro und Kontra. Das würde bedeuten, dass man diese Techniken aus psychologischer Sicht ernst nimmt und sie mit den fundierten Psychotherapien auf eine Stufe stellt. Dieses Buch stellt neun Techniken vor, die erwiesenermaßen für Patienten gefährlich werden können: mit theoretischer Grundlage, Technik, erhoffter Wirkung – und Risiken. Es liefert Argumente, sich diesen Techniken nicht auszusetzen, sie aus dem Kursprogramm der Volkshochschule zu streichen, den Partner, die Freundin davor zu schützen.

Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne den Sachverstand und das Engagement vieler Fachleute: Professoren, die wissenschaftliche Standards verteidigen, Beraterinnen, die sich um das Wohlbefinden von Ratsuchenden sorgen, Juristen, die sich gegen die Misshandlung Schutzbefohlener einsetzen, Psychotherapeutinnen und Ärzte, die geschädigte Patienten behandeln, Vorsitzende von Berufsverbänden, die sich gegen die Vereinnahmung durch Scharlatane wehren. Sie alle finden in diesem Buch deutliche Worte über die Gefahren von Pseudo-Therapien. Ihnen gilt mein Dank, denn sie zeigen zugleich, wie hoch die Qualität psychotherapeutischer Versorgung in Deutschland ist. Zwar ist das Angebot noch nicht überall ausreichend und sind die Wartezeiten oft zu lang. Aber qualitativ haben wir heute wirklich gute Methoden und Fachleute, um psychische Beschwerden zu behandeln und oft sogar zu heilen. Wir brauchen keine...

Blick ins Buch

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