Wird von Supply Chain gesprochen, so liegt hier oft ein sehr eng begrenztes Verständnis vor und es werden häufig nur bestimmte Aspekte beleuchtet: Eine Supply Chain als eine unternehmensübergreifenden Liefer-, Versorgungs- oder Wertschöpfungskette.[3]
Allerdings wird diese Kette aus funktionalen Bereichen, wie Beschaffung, Produktion und Vertrieb über einen vom Lieferanten erster Stufe bis zum Endkunden reichenden Material- und Informationsfluss verknüpft.[4] So wird aus der Kette ein Netzwerk, in dem sämtliche Lieferanten – „source of supply“ – genauso wie die Endkunden – „point of consumption“ – koordiniert werden müssen.[5]
Abbildung 2.1: Von der Supply Chain zum Supply Net[6]
Im oberen Teil von Abbildung 2.1 ist die frühere Situation mit großer Fertigungstiefe dargestellt, im unteren Teil durch die gesunkene Fertigungstiefe der Übergang zum Supply Net.
Der Aufgabenbereich des Supply Chain Management (SCM) ist mit „all activities associated with the flow and transformation of goods from raw material stage […] through the end user”[7] weit gefasst. Verschiedene Autoren zählen hierzu die Aufgaben Beschaffung, Transport, Lagerhaltung, Produktion, Distribution und Recycling.[8]
Von den vielen Definitionen für das Supply Chain Management soll nun auf einige, die zu der dieser Arbeit zugrundeliegenden Definition führen, eingegangen werden.
SCM kann als ein Management der Beziehungen gesehen werden, wie es Christopher vorschlägt: „[...] Thus the focus of supply chain management is upon the management of relationships in order to achieve a more profitable outcome for all parties in the chain.”[9]
Manche Autoren setzten SCM auch mit (integriertem) Logistikmanagement gleich, wie dies Cooper et al. machen: „In conclusion, for many, the contemporary understanding of SCM is not appreciably different from the understanding of integrated logistics management.“[10]
Doch haben Larson und Halldorsson mit ihrer Untersuchung eine Abgrenzung zum Logistikbegriff getroffen. Hiernach ist das Supply Chain Management der umfassendere Begriff und Logistik somit als ein Teil des SCM zu sehen.[11] Die Logistik beschäftigt sich weitgehend mit der „Gestaltung logistischer Systeme sowie der Steuerung der darin ablaufenden logistischen Prozesse“.[12] Also werden hierbei die institutionellen Fragestellungen, wie Strukturierung und Koordination unabhängig handelnder unternehmerischer Einheiten weitgehend vernachlässigt, wohingegen das SCM gerade diese als Untersuchungsgegenstand mit einbezieht. Larson und Halldorsson sehen somit das interorganisationale Management als Hauptaufgabe das SCM.
In dieser Arbeit soll folgende Definition verwendet werden, die als Schnittmenge mehrerer zugrunde liegender Definitionen gesehen werden kann:
„Supply Chain Management, auch Lieferkettenmanagement, ist die unternehmensübergreifende Koordination der Material- und Informationsflüsse über den gesamten Wertschöpfungsprozess von der Rohstoffgewinnung über die einzelnen Veredlungsstufen bis hin zum Endkunden mit dem Ziel, den Gesamtprozess sowohl zeit- als auch kostenoptimal zu gestalten“[13]
Diese Definition kann noch um weitere Aspekte wie Geld- und Dienstleistungsflüsse, sowie gemeinsame Entwicklung und Entsorgung erweitert werden.[14]
Problemfeld
Der Bullwhip-Effekt – auch Peitscheneffekt oder Forrester-Aufschauklung[15] – beschreibt den Sachverhalt, dass durch ungenügende Koordination und steigende Unsicherheit bei der rückwärtigen Bewegung entlang der Supply Chain, Schwankungen in der Nachfrage überproportional anwachsen.[16] Dieses lässt sich über die Varianz der Bedarfsmengen mathematisch darstellen[17]; schematisch dargestellt in Abbildung 2.2.
Abbildung 2.2: Bullwhip-Effekt[18]
Die vier Hauptursachen für den Bullwhip-Effekt sind Nachfrageprognosen, die auf jeder Stufe isoliert durchgeführt werden und so zu immer größeren Sicherheitsaufschlägen führen, je weiter man vom Endkunden entfernt ist; Losgrößenbildung, bei der die Nachfrager versuchen, Fixkosten zu reduzieren und Mengenrabatte zu nutzen; Rationierung („Engpasspoker“), bei denen versucht wird, möglichen Lieferreduzierungen der vorlaufenden Stufen aufgrund von überraschend hoher Marktnachfrage durch Erhöhung der aktuellen Bestellmenge zu entgehen und Preisfluktuationen (z.B. durch Rabattaktionen), bei denen der Abnehmer versucht, nur bei niedrigem Preisniveau zu kaufen. [19]
Die Folgen, welche sich hieraus ergeben, sind eine große Volatilität des Lagerbestandes und der Produktion sowie hieraus resultierende lange Durchlaufzeiten. Dies stellt gerade für Unternehmen, in denen es auf eine stetige Produktion ankommt, ein großes Problem dar. Die stark schwankenden Lagerbestände können sich in beiden Richtungen der Supply Chain negativ auswirken, da ein zu hoher Lagerbestand, hohe Lager- und Kapitalbindungskosten nach sich zieht; ein zu niedriger Lagerbestand kann dagegen zu Lieferengpässen – die den Bullwhip-Effekt auf nachgelagerten Stufen wieder verstärken – oder sogar Out-of-Stock-Situationen führen.[20]
Von einigen Experten wird auch vermutet, dass der Bullwhip-Effekt eine wesentliche Ursache für Konjunkturschwankungen darstellt.[21]
Aus des Bullwhip-Effekts Gründen lassen sich nun auch die übergeordneten Ziele des SCM[22] ableiten, da der Bullwhip-Effekt einen guten Indikator für unflexible Strukturen und Informationsdefizite darstellt.[23]
Verbesserung der Kundenorientierung
Synchronisation der Versorgung mit dem Bedarf
Flexibilisierung und bedarfsgerechte Produktion
Abbau der Bestände entlang der Wertschöpfungskette
So lassen sich dann auch bei konsequenter Verfolgung dieser Ziele die Auswirkungen des Bullwhip-Effekts auf ein Minimum reduzieren. Ebenfalls führt dies zu Kostenreduktion, Zeitersparnis und Generierung von Qualitätsvorteilen.[24]
Der Erreichung der übergeordneten Ziele und somit einer erfolgreichen Realisierung des SCM sind einige Grundprinzipien dienlich.
[25]So sollten zuerst Barrieren im Unternehmen oder auch zu den Zulieferern und Abnehmern abgebaut und durch neue Vertrauensverhältnisse ersetzt werden. Dazu sind auch klare Verantwortungsbereiche, gerade beim Übergang von der Funktions- zur Prozessorientierung, festzulegen.
Es kommt vor allem darauf an, die Wertschöpfungskette kooperativer zu gestalten und eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen zu fördern, um so der gesunkenen Fertigungstiefe durch kundenanforderungsbedingte Konzentration auf Kernkompetenzen gerecht zu werden und dadurch Schnelligkeit bei hoher Qualität und geringen Kosten, zu erreichen.[26] Dieser Sachverhalt wird in der Literatur durch den Begriff „collaborative“ propagiert.[27] Dadurch können gemeinsame Prozesse identifiziert und analysiert werden, um so Verbesserungspotenzial aufzudecken und durch verbesserte Zusammenarbeit das Wettbewerbspotenzial zu erhöhen. Die gemeinsame Prozess- und Verantwortungsgestaltung entlang der gesamten Supply Chain stellt den Ausgangspunkt der Verwirklichung eines erfolgreichen SCM dar.
Um nun die unternehmensübergreifenden Prozesse in der Wertschöpfungskette steuern zu können, bedarf es der Einführung einer unterstützenden Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK-Technologie).
Information als Schlüsselfaktor
Die wichtigsten Informationen entlang der Wertschöpfungskette sind die über Kapazitäten, Bestände und Endkundennachfrage, sodass Bestände gesenkt und durch Informationen ersetzt werden können. [28]
Ein Ansatz zur Generierung eines effizienten Informationsaustausches ist das Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR), bei welchem Point-of-Sale-Daten auch direkt vom Hersteller als Informationsquelle genutzt werden und dieser so nicht mehr auf die indirekten Informationen aus Bestellmengen der Händler angewiesen ist, sondern selbst auf die Endkundennachfrage reagieren kann. [29]
So wird eine flexible und bedarfsgerechte Produktion ermöglicht, die dazu noch durch Mengen- oder...