Dieses Kapitel beschreibt die Wichtigkeit der Arbeitskraft, deren Wert und die Auswirkungen eines Arbeitskraftverlustes. Weiterhin wird der Unterschied zwischen der gesetzlichen und der privaten Arbeitskraftabsicherung untersucht und bewertet.
Die Absicherung der Arbeitskraft ist zweifellos für jeden berufstätigen Menschen eine äußerst wichtige Angelegenheit. So schreibt beispielsweise ZDF-WISO:
„Es gibt Versicherungen, die kann man sich getrost sparen, es gibt Versicherungen, die kann man abschließen. Und es gibt Versicherungen, die sollte man unbedingt haben. Eine davon ist die Berufsunfähigkeitsversicherung. Neben der privaten Haftpflichtversicherung ist die private Berufsunfähigkeitsversicherung die wichtigste Versicherung überhaupt.“ (Heuchert 2006, S. 62)
Doch wird mit dem Fokus auf die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht übertrieben oder ein verzerrtes Bild der zur Verfügung stehenden Problemlösungen erzeugt? Es gibt eben noch mehr als die Berufsunfähigkeitsversicherung, wenn es um die Absicherung der Arbeitskraft geht.
Sicherlich könnte man bei einer gesunden Lebensweise anfangen. Unfallverhütung oder gesunde Verhältnisse am Arbeitsplatz und die Aufgabe von gefährlichen Sportarten oder Hobbys gehören ebenfalls zum Erhalt und Sicherung der Arbeitskraft.
Auf die Frage, ob für den Fall einer Berufsunfähigkeit eine ausreichende Absicherung besteht, antworteten die Befragten einer Allensbach-Studie[2] in 2010 wie folgt:
Abbildung 1, Quelle: Allensbacher Institut für Demoskopie
Dazu passt auch die Meinung der FOCUS-Online-Redaktion, die schreibt: „Statistisch trifft es jeden Vierten. Die meisten unterschätzen das Risiko, berufsunfähig zu werden.“ (Markus Schüren 2007)
Will man ein Gut oder ein Risiko versichern, muss man zuerst den Wert des Gutes kennen oder ihn ermitteln. Dass diese Ermittlung problematisch ist bestätigt der BGH, denn die Arbeitskraft ist kein Vermögensgut. Das deutsche Recht und die deutsche Rechtsprechung unterscheiden laut Meihua Jiao nach Verlust der Arbeitskraft einmal mit und einmal ohne Verdienstausfall. Die Arbeitskraft als solche ist nach Ansicht des BGH kein Vermögensgut und demnach muss auch eine Bemessung des Wertes der Arbeitskraft höchst individuell ausfallen. (Vgl. Jiao 2007, S. 42–46) In anderen Ländern geht man damit anders um. Ist für den Verlust der Arbeitskraft jemand haftbar zu machen, wird nach Wolfgang Wurmnest dem Geschädigten in Deutschland lediglich ein Schmerzensgeld zugesprochen. Andere europäische Länder (z. B. England und Frankreich) sehen im Verlust der Arbeitskraft ein Vermögen der Einzelperson. (Vgl. Wurmnest 2003, S. 336)
Bei der Arbeitskraft ist die Wertermittlung nicht ganz so einfach. Zu trivial wäre es, lediglich das Nettoeinkommen mit der Restarbeitszeit bis zur Rente zu multiplizieren. Auch die täglichen Verrichtungen im Haushalt, am Haus, für die Familie, für Hobbys oder Leidenschaften stellen einen erheblichen Wert dar. Dazu stellt Wolfgang Wurmnest fest:
„Das Deutsche Recht weist der Arbeitskraft als solcher keinen Vermögenswert zu. Dies hat zur Folge, dass unentgeltlich Arbeitende keinen (eigenen) Ersatzanspruch haben.“ (Wurmnest 2003, S. 336)
Außerdem müssen zukünftige Gehaltserhöhungen oder andere Einkommenssteigerungen[3] berücksichtigt werden.
Eine sinnvolle Ermittlung des Wertes der Arbeitskraft bezogen auf den Beruf des Versicherten ist die Barwertberechnung auf Grundlage des aktuellen Alters, der Restarbeitszeit bis zur Rente, der unterstellten Einkommenssteigerungen für die Zukunft (Inflationsausgleich) und eines anzunehmenden Rechnungszinses.[4] Der Barwert ist der Wert der Summe aller zukünftigen Zahlungen, den diese in der Gegenwart besitzen.
So wird der Wert, den alle zukünftigen Zahlungen auf den heutigen Zeitpunkt abgezinst besitzen, Barwert oder auch Gegenwartswert genannt. (Vgl. Mayer 2009, S. 384)
Dazu ein Berechnungsbeispiel:
Der Barwert für die Arbeitskraft dieses Beispiel wird wie folgt berechnet: [5]
Die gesamte zukünftige Arbeitskraft eines 30-jährigen mit 24.000,-- € Jahres-Nettoeinkommen entspricht demnach einem heutigen Barwert von 814.626,48 €, welcher sofort zur Verfügung stehend, eine jährliche Entnahme (steigend um 2,5% p.a.) von 24.000,-- € bis zum Rentenalter ermöglicht. Ein heute 40-jähriger verfügt nach dieser Berechnung über einen Wert seiner Arbeitskraft von 608.713,93 € und ein 20-jähriger sogar über ein Arbeitskraftvermögen von 1.010.758,85 €.
Der Verlust der Arbeitskraft kann existenzbedrohend sein und von einer auf die andere Minute das ganze Leben der betroffenen Person oder der gesamten Familie bestimmen. Dabei kann der Verlust der Arbeitskraft auf vielfältige Weise eintreten. Die immer wieder genannten Ursachen sind Unfall, Krankheit und Kräfteverfall. So berichtet Johannes Schlütz, dass über 200.000 Arbeitnehmer jedes Jahr allein durch Unfälle, Herz-Kreislauf-Probleme oder auch psychische Probleme zur Berufsaufgabe gezwungen werden. (Vgl. Schlütz et al. 2008, S. 237)
Unterschieden werden muss dabei in Eigen- und Fremdverschulden (z. B. beim Unfall) und in private und berufliche Ursachen, wie z. B. Berufskrankheiten.
Arbeitnehmer haben in Deutschland umfangreiche Absicherungen über die gesetzliche Sozialversicherung und über die Berufsgenossenschaften. Die gesetzliche Versorgung ist allerdings kein Garant für eine Sicherung des bisherigen Lebensstandards. Wolfgang Hausotter und Jutta Eich beschreiben dieses Problem so:
„Betroffene müssen nicht nur den Verlust des Arbeitsplatzes verkraften, sondern auch mit großen finanziellen Einschränkungen rechnen. Die Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt nur etwa 26% des letzten Bruttogehalts. Bei Berufsanfängern, Selbstständigen und Freiberuflern ist der Rentenanspruch oft noch geringer oder entfällt sogar ganz“ (Hausotter und Eich 2008, S. 3)
Die Ansprüche und der Leistungsumfang sind im Sozialgesetzbuch geregelt. Allerdings setzt laut Oliver Heuchert die gesetzliche Rentenversicherung für die Anerkennung einer Leistungspflicht andere Maßstäbe als die private Versicherungswirtschaft. Hier gilt nur die Frage: Wie lange kann der Versicherte am Tag noch arbeiten, weniger als drei Stunden oder weniger als 6 Stunden? Bei der Frage nach dem Arbeiten meint die gesetzliche Rentenversicherung das reine Arbeiten an sich, egal in welchem Beruf oder welche Tätigkeit! (Vgl. Heuchert 2006, S. 11–12)
Bei Selbstständigen fällt der Bereich der Sozialversicherungen zum Teil oder gar ganz weg und sie müssen sich privat gegen die Risiken des Arbeitskraftverlustes absichern.[6] Anzumerken ist hier, dass es sich bei den hier beschriebenen gesetzlichen Leistungen um sich ausschließende Leistungsarten handelt. So ist z. B. nicht der gleichzeitige Bezug von Krankentagegeld und Erwerbsminderungsrente möglich. Auch die Grundsicherung wird nicht oder nur anteilig geleistet, wenn aus einer anderen Form der Sozialversicherung Leistungen erbracht werden.
Eine weitere Voraussetzung ist die Erfüllung einer allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren, um überhaupt einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu haben. Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI müssen mindestens 5 Jahre lang Pflichtbeiträge, freiwillige Beiträge oder Ersatzzeiten gem. § 250 SGB VI (Umsiedlung, Arbeitslosigkeit, Internierung etc.) geleistet oder erfüllt worden sein. Ersatzzeiten können auch durch Minijob, Rentensplitting oder Arbeitsunfall angerechnet werden. Darüber hinaus müssen gem. § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI in den letzten fünf Jahren vor Eintritt einer Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit geleistet worden sein. Auch wenn alle Voraussetzungen zur Zahlung erfüllt sind, ist die Rentenhöhe dennoch oft nicht ausreichend. Holger Balodis und Dagmar Hühne erklären dazu treffend:
„Rund 160 000 Versicherte erhielten beispielsweise im Jahr 2007 erstmals eine Erwerbsminderungsrente zugesprochen. Die durchschnittliche Monatsrente: gerade mal 611 Euro. Davon lässt sich eine Familie kaum ernähren.“ (Balodis und Hühne 2008, S. 17)
Zudem haben sich die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2001 grundlegend geändert und das Sozialgesetzbuch kennt für bestimmte Versicherte den Begriff der Berufsunfähigkeit nicht mehr. Seither gilt:
„Bis Ende 2000 stand Berufsunfähigen eine gesetzliche Berufsunfähigkeitsrente zu. Lediglich besonders qualifizierte Arbeitnehmer standen unter...