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Von der Saat der Worte

AutorGünter Seufert, Hrant Dink
VerlagVerlag Hans Schiler
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783899302868
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Am 19. Januar 2007 wurde Hrant Dink von einem jungen türkischen Nationalisten erschossen. Als Chefredakteur der kleinen Zeitung `Agos` setze er sich für die Rechte der armenischen und anderer Minderheiten ein, für Demokratie und Freiheit. Und dafür, dass die türkische Gesellschaft sich mit den Massakern an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs auseinandersetzt.
Ausgewählte Artikel Hrant Dinks, erschienen in der Zeitung "AGOS" (Türkei) u.a.zu den Themen:

Armenier sein in der Türkei
Diskussion mit den Armeniern
Istanbuls Minderheiten als Staatsbürger zweiter Klasse
Zur Lage der Minderheiten in der Türkei
Die Identität der Armenier
Vertrauen zu Europa?
Diskussion mit der armenischen Diaspora
Diskussion mit der Öffentlichkeit in der Türkei
Sehnsucht nach Brüderlichkeit und Hoffnung

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Leseprobe
Hrant als Armenier (S. 18-19)

Als ich Hrant zum ersten Mal begegnete fragte ich mich unwillkürlich: ",Was ist denn das für ein Armenier?", In meiner Vorstellung waren Armenier Leute, denen es finanziell nicht schlecht ging, die sich von Politik fernhielten und nur privat Armenier waren. Hrant nannte sie ",Schattenarmenier",. Die zwei Vorstellungen, die sich Türken in aller Regel von den Armeniern machen, passen genau zu diesem Bild. Die erste Vorstellung kann man romantisch nennen.

Da tauchen Armenier als Leute auf, welche gut kochen können, gute Handwerker und ordentliche Leute sind, und man findet es schade, daß es heute nur noch so wenige davon gibt. Das zweite Bild ist negativ. Danach sind Armenier geborene Verräter, die sich vom Ausland kaufen lassen. Hrant war der erste Armenier in meinem Leben, der sich nicht so versteckte, der zeigte, daß man in der Türkei als Armenier auch anderes leben kann. Mehr noch: Hrant war auch der erste von uns, der sich seiner Geschichte stellte. In der Türkei vermittelt keine Schule und keine Universität der armenischen Jugend auch nur eine Idee von der Geschichte dieses Volkes. Das was man weiß, weiß man nur aus Erzählungen der älteren Generationen.

Hrant befragte als erster systematisch ältere Leute der Gemeinde und las fast ohne Unterlaß über armenische Geschichte. Tatsächlich hatten sich die Armenier in der Türkei zurückgezogen wie Austern in die Schale. Sie taten das aus einem animalischen Instinkt, der befahl, sich zu schützen. Der Grund für die Ausbildung eines solchen Instinkts sind nicht nur die Ereignisse von 1915/1916, also vor rund hundert Jahren. Während des Zweiten Weltkriegs wurden 1946 mit Hilfe der sogenannten ",Besitzsteuer", christliche und jüdische Geschäftsleute gezielt enteignet.

Und im September 1955 nahm die damalige Regierung den Streit auf Zypern zum Anlaß dafür, in Istanbul den Mob auf die Geschäfte und Wohnungen der Minderheiten loszulassen. Die Minderheiten haben diese Botschaften nur allzu gut verstanden, die da heißt: ",Das ist nicht Euer Land!", Sie sind in Wellen ausgewandert. Deshalb konnte Hrant sagen: ",Seht, wir hatten uns doch so versteckt, was hat es uns genutzt?", Die Frage war die Antwort. Hrant meinte, die Armenier müßten sich öffnen, mehr von sich selbst, ihrer Kultur und ihrem Leben zeigen und gleichzeitig viel stärker am Leben der Gesamtgesellschaft teilnehmen.

Erst dann hätte die türkische Gesellschaft wirklich die Chance, Stellung zu beziehen. Hrants Arbeit blieb nicht wirkungslos. Mancher Romantiker hörte nun auf, die Armenier wie wertvolle osmanische Antiquitäten zu betrachten und stellte sich der Frage, wo dieses Volk geblieben war. Doch Hrant wollte nicht nur über die Geschichte von Türken und Armeniern reden, sondern auch über ihre Zukunft. Für die Armenier der Diaspora dagegen waren die Armenier in der Türkei mundtot gemacht und eingeschüchtert worden und deshalb nicht wirklich Teil der armenischen Welt.

Deshalb war auch für sie Hrants Art, als Armenier in der Türkei zu leben, herausfordernd und neu. Hrant nahm sowohl seine armenische Identität als auch seine türkische Staatsbürgerschaft ernst, und allein das stellte die Frage: ",Wie mit den Türken umgehen?",, die vorher nur auf absoluten Gegensatz gegründet war, vollkommen neu. Hrants Antwort war: ",Gemeinsamkeiten suchen!", Vor Diskussionen und Auseinandersetzungen hat Hrant sich nie gedrückt, ist weder armenischen, noch türkischen Nationalisten aus dem Weg gegangen.

Doch die Kampagne, die ihn als ",Türkenfeind", hinstellte, und das Urteil des Kassationsgerichts, welches diese Schmähung amtlich bestätigte, machten ihn erstmals wehrlos. Er hatte sich um Frieden und Ausgleich bemüht und niemals eine dieser beiden Identitäten über die andere gestellt. Deshalb traf ihn diese Verleumdung gewissermaßen doppelt: als Bürger der Türkei und als Armenier. Ich konnte mir nicht helfen, doch als ich Hrant nach diesem Urteil weinen sah, da sah ich gleichzeitig das Bild von Jesu, dem man, um ihn zu schmähen, ",König der Juden nannte",. Und dieses Bild riß mich zu Boden.
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