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Gib die Dinge der Jugend mit Grazie auf!

Mein Leben

AutorVolker Lechtenbrink
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783455500493
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Mit dem Antikriegsfilm Die Brücke wurde Volker Lechtenbrink als Fünfzehnjähriger über Nacht berühmt. Später überzeugte er auch als Sänger, Regisseur und Intendant - und immer wieder auf der Theaterbühne. Den 'Bruder Leichtfuß', wie ihn der Spiegel einmal nannte, retteten manchmal nur eine Portion Glück und geduldige Freunde. Er erzählt von einer herzlichen, chaotischen Patchworkfamilie, von großen Kollegen wie Hildegard Knef und Anthony Quinn, von Freunden wie Peter Maffay und Kris Kristofferson, von Fußball mit Uwe Seeler und Günter Netzer, von der Neigung älterer Männer zu jüngeren Frauen und vom Glück, ganz allein auf einer kleinen Insel zu sein.

Volker Lechtenbrink, geboren 1944 in Cranz / Ostpreußen, ist Schauspieler, Sänger, Regisseur und Texter, war zudem Intendant des Hamburger Ernst-Deutsch-Theaters und der Bad Hersfelder Festspiele, deren dreimaliger Preisträger er auch ist. Für seine Lesung von Die Brücke erhielt er den Deutschen Hörbuchpreis 2007, für das Hörbuch Das Feuerschiff von Siegfried Lenz (Hoffmann und Campe, 2008) den Preis der Deutschen Schallplattenkritik.

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Leseprobe

3| Wie alles anfing


Ich stand schon als Kind auf der Bühne. Ich war zehn, als ich mit ebenjenem »Hannsi« (Lothar) zum ersten Mal spielte. Das Theater war die Bühne des Thalia Theaters in Hamburg, das Stück Fanny von Marcel Pagnol, und ich spielte Hannsis Sohn. Soweit ich mich erinnern kann, war es eine Familienchronik, zum ersten Mal gespielt um 1930. Es geht um eine südfranzösische Familie und um die Hafenstadt Marseille. In Césars Bar am Kai treffen sich die kleinen Leute, wie man so sagt, und nach und nach erfahren wir ihre Geschichte. Das Stück ist später auch verfilmt worden. Vielleicht ist damals schon meine Liebe zu Südfrankreich geweckt worden, wer weiß. Marius ist der Sohn von César, dem Wirt. Er heiratet Fanny, und dann wird die Familiengeschichte erzählt, alles sehr pittoreske Typen. Ich als Cesario – Sohn des Marius – kriegte eine schwarze Perücke auf, weil alle Südfranzosen gefälligst schwarzhaarig sein müssen – mein erstes Theaterstück mit Perücke. Und mein drittes Theaterstück überhaupt. Mein erstes Theaterstück war Lawalu im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, ein Märchen, und »Lawalu« bedeutete »Land Wasser Luft«. Das Ganze fand unter der Regie von Peter Gorski statt, was nur deshalb wichtig ist, weil Gorski der Adoptivsohn von Gustaf Gründgens war – und deshalb saß Gründgens oft bei uns in der Probe. Also kann ich sagen: Ich hab unter den Augen von Gründgens Theater gespielt. Eines Tages hat er mich tatsächlich herangewinkt und gesagt: »Du könntest dir überlegen, ob das nicht ein Beruf für dich sein könnte.« Da war ich zehn Jahre alt. Spätestens von da an hab ich es dann schon genau überlegt, aber wenn ich ehrlich bin: Ich hatte es eigentlich von Anfang an überlegt. Ich hab auch nie an einen anderen Beruf gedacht.

Das zweite Stück war Barfuß nach Athen, ein Stück über Sokrates. Den Sokrates spielte der wunderbare Heinz Klevenow, ein Schauspieler, der mich mit seiner irrsinnig tiefen Stimme beeindruckte, und auch da spielte ich wieder einen Sohn – seinen. Meine Erinnerung daran ist mittlerweile etwas verschwommen, aber die Begegnung mit Hannsi verschwamm nicht. Er hatte da schon so eine väterliche Hand auf mich gelegt, vielleicht hat er ja seine Vaterrolle ernst genommen. Von da an verfolgte er meinen Werdegang, und wir haben uns hier und da getroffen und auch zusammen Fernsehen gemacht.

Das ging los, als ich fünfzehn war. Ich erinnere mich an einen dieser frühen Filme: Der schlechte Soldat Smith. Das war 1963, eine Produktion des Südwestrundfunks. Hannsi spielte darin den Smith, und ich hatte irgendeine kleinere Rolle, aber das war nicht wichtig; wichtig war, dass wir gelegentlich beieinander sein konnten und zusammen spielten. Und viel später, als ich wirklich Schauspieler wurde, konnte ich am Morgen nach einer Premiere die Uhr danach stellen: Wenn ich an meinen Briefkasten ging, war ein Telegramm von Hannsi drin, und darin stand zum Beispiel: »Hab dich gestern gesehen – stop – kannst weitermachen«, oder: »War gut – stop – könntest du vielleicht auch mal beruflich machen – stop – Dein Hannsi«. Da machte ich es aber schon lange beruflich! Das war so seine Art zu flapsen. Es gibt Menschen, die triffst du im Leben und die liebst du einfach, und das war bei uns so.

Dabei war Hanns Lothar eigentlich kein väterlicher Typ, eher ein Hallodri und ein toller Lebemann, aber bei mir hatte er so eine Art fürsorgliche Hand. Ich hegte eine unendliche Bewunderung für ihn, aber nicht aus ehrfürchtiger Distanz, sondern mich ihm dabei nahe fühlend. Immer hatte er Zeit für mich, immer konnte ich mir Rat holen, immer hatte ich das Gefühl, von ihm ernst genommen zu werden und etwas Besonderes zu sein.

1967 ist Hanns Lothar bei den Proben zu Die Caine war ihr Schicksal am Theater in Hamburg gestorben, siebenunddreißig Jahre alt. »Er war ein leptosomer Hans Albers, der noch immer die Tugenden der schlimmen und freizügigen Schwarzmarktjahre zur Schau trug: ein Underdog, doch jederzeit schnodderig und gelassen, ein Davongekommener, der sowohl als Kippensammler wie als Mann im Cockpit gute Figur machte.« Das schrieb der Regisseur Frank Wisbar in seinem Spiegel-Nachruf, und das gefällt mir, bis auf das Wort »leptosom« vielleicht.

Hanns Lothar war wohl mein einziges »Vorbild«, wenn man das so nennen will, und lange Jahre wollte ich auch keinen Tag älter als siebenunddreißig werden und hab einiges dafür getan – bis der Zeitpunkt immer näher kam und ich doch zu sehr am Leben hing.

 

Den Kapitän Queeg in Die Caine war ihr Schicksal spielte damals Hansjörg Felmy. Ihn werden wir bei einer Feier in Margit Bönischs Münchner Privattheater »Komödie im Bayerischen Hof« ehren. Denn Hannes hat uns verlassen. Er war ein feiner Kerl. Ein Mann, mit dem man Pferde stehlen konnte. Ironisch und vor allem selbstironisch. Und er war einer der beliebtesten Stars, die unser Land je hatte.

Vor Jahren waren wir monatelang mit dem Stück Ein heißes Herz auf Tournee. Das Stück spielt in einem Soldatenlazarett mit Neuseeländern, Australiern, Schotten und Amerikanern, eine ganz bunte Mischung.

 

Mit Hansjörg Felmy in Ein heißes Herz

 

Der Amerikaner im Stück heißt Hank und wurde von Hansjörg Felmy gespielt, mit einem ganz kleinen Stottern – eine wahnsinnige Rolle für Hannes. Ich spielte den Schotten Lecklin McLecklin, der nur noch eine Niere hat und sich vor dem Sterben fürchtet. Nein, eigentlich haben die anderen Angst um ihn, denn sie lieben ihn alle, weil er der Jüngste unter ihnen ist. Auch eine schöne Rolle. Da war ich Anfang zwanzig. Übrigens gab es eine einzige Frauenrolle, die hat Marion Michael gespielt, aus der später für eine kleine Weile ein großer Star werden sollte.

Das Stück um das verrückte Lazarett haben Hannes und ich und die anderen ungefähr dreihundertmal gespielt. Und daraus ist die lebenslange Freundschaft mit Hansjörg Felmy entstanden. Hannes hat es dann immer noch weitergespielt – ohne mich, als ich beschlossen hatte, dass nun dringend mal wieder etwas anderes gespielt werden musste –, aber so eine Art von Überdruss war Hannes fremd. Er sagte immer: »Och, weißt du, Kleiner, wenn ich das schon gelernt hab, dann spiel ich’s halt noch ein bisschen weiter, dann muss ich nix Neues lernen!«

Er hat das Stück dann, glaube ich, noch zweihundert weitere Male gespielt. Eine heute unvorstellbar lange Zeit, doch Hannes lernte nicht gern neue Texte, und wenn das Stück erfolgreich lief, die Kollegen stimmten, der Applaus brandete, die Kasse klingelte – warum dann nicht weiter und weiter? Und es hat ja in der Tat einen Riesenspaß gemacht. Wenn wir in unseren großen Wagen in eine neue Stadt einfuhren, drehte einer unserer Kollegen, ein beleibter, vollbärtiger Typ, stets die Scheibe runter und fragte den ersten erblickten Einwohner: »Entschuldigen Sie bitte, wo bumsen denn hier die Fremden?«

Beim nächsten Stopp drehte ein hagerer Kollege an der Scheibe, wies in den Fond des Wagens und fragte: »Wo kann ich denn hier diesen Neger abgeben?«, und unser farbiger Darsteller des Blossom, Robert Owens, machte dazu ein mitleiderregendes Gesicht. Ja, so sind Schauspieler – ich habe Sie gewarnt!

Wenn wir das Hotel betraten, sagte Hannes stets an der Rezeption, nachdem er als Star huldvoll die ersten Zeichen von Verehrung entgegengenommen hatte: »Ja, wir freuen uns auch sehr, bei Ihnen zu wohnen, aber um uns richtig wohlzufühlen, müssen wir noch ein wenig die Halle umräumen. Sie haben gewiss nichts dagegen?!«

Wir waren super eingespielt und legten auf dieses Stichwort sofort los. Nach kürzester Zeit stand nichts mehr, wo es vorher gestanden hatte, und die Halle war nicht wiederzuerkennen. Hannes pflegte dann mit großer Geste zu sagen: »So ist es schön. So kann man leben. Wenn Sie das bitte während unseres Aufenthalts so lassen würden.«

»Aber gern, Herr Felmy.«

Und so blieb es dann auch.

 

Wenn wir nach der Vorstellung besonders gut drauf waren, setzten wir sechs Kerle uns schon mal mit unserer bezaubernden Kollegin Marion Michael zusammen, um etwas Besonderes auszuhecken. Marion Michael war zu der Zeit schon allgemein bekannt aus Liane, das Mädchen aus dem Urwald, der Film war damals eine Sensation, denn sie spielte nackt, nur mit einem Lendenschurz bedeckt – und ihre schönen langen, blonden Haare bedeckten vorn das weibliche Potenzial ...

Hardy Krüger spielte den Mann, den Lover, der sie dann im Urwald entdeckt, der sie zivilisiert und so weiter und so weiter. Der Film war aber nicht nur ein Skandal, sondern vor allem ein riesiger Erfolg, auch wenn Hardy Krüger meinte, es sei der schlechteste Film, den er jemals gedreht habe ... Jeder kannte den Film, und Marion wurde durch diesen einen Film ein großer Star. Sie spielte noch viele weitere Rollen, bis ein schwerer Autounfall ihr ganzes Leben verändert hat. Mit dem Älterwerden hatte sie es dann schwer; der Filmemacher Horst Königstein drehte einen traurigen und liebevollen Film über Marion Michael – »Marion, das Mädchen aus dem Urwald«. Offenbar hatte sie ihn in seiner Jugend genauso beeindruckt wie viele andere junge Leute.

Für uns aber war Marion kein Star, und schon gar kein trauriger. Sie war einfach ein richtig guter Kumpel, und entsprechenden Unsinn konnte man mit ihr aushecken. Zum Beispiel stiegen wir mitsamt Marion, alle nur mit einem Badelaken bekleidet, in den Fahrstuhl und drückten den Knopf zur Halle. Als sich dort die Tür öffnete, schauten wir in die überraschten, ratlosen Gesichter und sagten dann...

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