Mr Right ist irgendwie falsch
Gabriellas Augen sagten alles. Es war ein schöner, sonniger Nachmittag auf dem Hippodrom in Köln. Der Geruch frischgemähten Sommerrasens zog über den aufgeheizten Platz. Ich sah mir gerade Turnierergebnisse auf einem Monitor an, als wir ins Gespräch kamen. Schnell stellten wir fest, mehrere gemeinsame Bekannte zu haben. Was für ein Zufall, wenn man an Zufälle glaubt.
Gabriella war Art-Direktorin bei einem Lifestyle- und Modemagazin und lebte in Hamburg. Sie war 33, äußerst attraktiv, und verbreitete mit ihrer unprätentiösen und frischen Art sofort eine gute, aber unaufdringliche Stimmung. Ein Lichtblick in dieser Gesellschaft faltenwerfender Superreicher aus ganz Europa. Sie trug Hut und einen engen Hosenanzug, der betonte, was zu betonen war. Zusammen mit Gabriella lernte ich auch Matthias kennen, ihren Freund. Matthias Maruschek war 28, Makler und lebte in München. An seinem Revers trug er eine Anstecknadel mit dem Logo seiner Maklerfirma, ein glückliches rosa Schweinchen mit einem Kleeblatt. Der jungenhafte Charme, seine unkomplizierte Art, die Fähigkeit, sich in jeder Gesellschaft schnell zurechtzufinden und nicht zuletzt ein knackiger Po machten ihn zu einem dieser »Ist-der-süß«-Männer, die viele Frauen attraktiv finden. Dass er sich mit Gabriella ohne Einladung in den VIP-Bereich gemogelt hatte, fiel niemandem auf, beide passten glänzend zu der Veranstaltung. Sie verstanden es ausgezeichnet, sich zusammen auf diesem Parkett zu bewegen, und baten, nicht ohne Witz und Charme, geladene Gäste, die den Raum verließen, um deren Gutscheine für das Wettbüro. Matthias verstand es sehr schnell, Damen jeden Alters mit einem unterhaltsamen Gespräch zu erfreuen und Herren das Gefühl zu geben, er sei ein wirklich netter Kerl. Dass seine Akzeptanz, vor allem bei den anwesenden Männern, aus einer gewissen Unfähigkeit herrührte, mit ihnen zu konkurrieren, war für Gabiella nicht zu erkennen. Auch dass er seine Sätze mit »Ich will mal so sagen . . . « begann, störte sie nicht weiter. Aber an diesem sonnigen Nachmittag gingen diese kleinen Zeichen im Galopp unter.
Jeder mit einem Fernglas bewaffnet, unterhielten wir uns über dies und das. Man sprach über Belanglosigkeiten und doch tauschte man sich auf einer übergeordneten Ebene intensiv aus, lernte sich kennen und verstand, was der andere gar nicht gesagt hatte. »Jaja, wir kennen uns seit einem Jahr«, sagte Gabriella, »und wir sind sehr glücklich. Er wohnt noch in München, will aber demnächst umziehen. Nach einer langen Beziehung, die vor zwei Jahren zu Ende gegangen ist, bin ich nun froh, dass wir es so schön haben.« Die Erzählungen über Plätze, Menschen und Orte rauschten an mir vorbei.
»Und weißt du, wie wir uns kennengelernt haben?«, fragte sie. »Der ab-so-lu-te Zufall!« Frauen lieben Zufälle und alles, was nach Schicksal aussieht. Mich hat schon als Jugendlicher ein Klient meines Vaters besonders beeindruckt, der dieses Phänomen für sich zu nutzen wusste: Peter Kairos düste als immerhin schon 48-jähriger Frauenfänger durch Hamburg. Porsche? Selbstredend! Als 16-jähriger Inspizient seines PS-starken Geschosses interessierten mich aber vor allem die Trockenblumensträußchen unter jener Haube, unter der ich fälschlicherweise den Motor vermutete. In Wirklichkeit fand sich darin die Antriebsquelle der amourösen Abenteuer dieses graugewellten Gewerbetreibenden, der es offensichtlich am liebsten von hinten mochte. Denn immer, wenn Peter Kairos eine attraktive Frau in einem anderen Fahrzeug entdeckte – dabei spielte es gar keine Rolle, ob sie allein oder in Begleitung fuhr –, rammte er beherzt deren Stoßstange, um sich sogleich mit einer eindrucksvollen Visitenkarte und einem Trockenblumensträußchen, das er, angeblich auf dem Weg zu seiner kranken Mutter, dabeihatte, blumig zu entschuldigen. Die Damen erkannten einen edlen Ritter im weißen Porsche. Der Kartenaustausch erfolgte selbstverständlich nur wegen der Versicherung. Der stadtbekannte und notorische Bauträger melkte beim kurz darauf folgenden Abendessen à deux die Tatsache, dass viele Frauen nur zu gern an eine »Fügung« glauben, also daran, dass eine höhere Stelle ihre Wünsche nach einem attraktiven, interessanten Mann erhört hat und nun der Himmel diesen romantischen Menschen geschickt habe. Der Mann hatte indessen einen geplanten und keineswegs nur einen zufälligen Entwurf des »rechten Augenblicks«. Er kalkulierte, dass viele Frauen pseudoesoterische Bücher wie »Bestellung ans Universum« im Bücherregal haben, die diesen Glauben unterstreichen. Werke, die Anleitungen in einer Mischung aus Voodoo und modernen Beschwörungsformeln bieten und deren Versprechen es ist, das Glück in Form eines männlichen Wesens quasi herbeizumurmeln.
Gabriella sah mich an. »Wir hatten Jahrgangstreffen unserer Schule«, sagte sie. »Er zehn Jahre Abi, ich fünfzehn. Wir kommen aus dem gleichen Ort, kannten uns aber nicht.« Fast drohte die banale Geschichte des Wiedersehens eines Schulfreundes zur Schicksalserzählung auszuarten. Ich fixierte ihre Augen. Alles Quark, dachte ich mir, sie ist unglücklich mit sich, mit ihm, mit der Situation. Ihre Darstellung passte einfach nicht zu dem, was ihre Augen und ihre Körperhaltung ausdrückten. Für meine Vermutung gab es sonst aber noch nicht einmal das kleinste Anzeichen, geschweige denn einen Anlass. Beide herzten und drückten sich, küssten sich oft und sprachen begeistert von ihrer bevorstehenden Reise auf die Malediven.
Zurück zu Hause, rief ich eine Freundin an, die Gabriella und Matthias ebenfalls kannte. »Aber nein«, sagte Martina, die Moderatorin beim öffentlich-rechtlichen Hörfunk war. »Du und deine Ideen, das ist ein total verliebtes Paar. Sooo süüß. Die waren gerade zum Brunch hier, die lieben sich wirklich. Und wie nett die miteinander umgehen. So eine Beziehung wünscht sich doch jede Frau.« Eine weitere Bekannte äußerte sich ähnlich.
Wenige Tage später bekam ich eine SMS auf mein Handy. Wenn du mal in Hamburg bist und so weiter und so fort. Menü, Antwort: »gerne bald mal, gruss r.« Menü, Optionen, Nachricht gesendet.
Wir trafen uns unmittelbar nach Gabriellas und Matthias’ Rückkehr von den Malediven in einem Restaurant in Hamburg. Das »Nil« ist unprätentiös gestylt und verströmt die Aura weltstädtischen Flairs, ohne die anstrengenden Allüren eines dieser betulichen »Ich-sehe-auswie-in-New-York«-Restaurants. Kurzum, es ist ein Ort, an dem man sich wohlfühlt und gut unterhalten kann. Draußen war es kalt. Die klamme Feuchtigkeit des Nieselregens kroch mir an den Beinen hoch, als wir gemeinsam das Lokal betraten. Mit der Atmosphäre des »Warum-treffen-wir-beide-uns-eigentlich-hier« in der Luft, begannen wir ein etwas förmliches Gespräch, dessen äußeres Merkmal, halb fröstelnd, halb wallend, verschränkte Arme waren. Jeder gab etwas Kleines aus seinem Leben preis, und die Situation entspannte sich ganz langsam. »Bestellen wir doch mal etwas zu essen!« ist ein beliebter Hilferuf in solcher Notsituation. Nachdem wir über dieses und jenes, das Leben im Allgemeinen und im Besonderen geplaudert hatten, kamen wir auf Matthias und wie es ihm gehe.
»Matthias und ich«, sagte Gabriella nach einem kurzen Zögern, »wir haben uns am vergangenen Freitag nach unserer Rückkehr von den Malediven getrennt.« Nun konnte ich ja schlecht sagen: »Ich weiß«, oder gar: »Bingo!« Mir wurde bewusst, dass vor mir wieder einmal eine überaus attraktive und erfolgreiche junge Frau saß, die offensichtlich das Gefühl hatte, immer an den falschen Mann zu geraten, beziehungsweise, noch viel schlimmer, unfähig dazu zu sein, jemanden an sich zu binden oder ihn gar zu einem Eheversprechen bewegen zu können, also unfähig zum Wichtigsten im Leben vieler Frauen zu sein, nämlich eine intakte, langfristige Beziehung zu führen. Folglich hielt ich mich zurück und ließ Gabriella erzählen, und in ihrer Geschichte tat sich eine haarsträubende, aber gar nicht so ungewöhnliche Beziehungsfalle auf. Matthias hatte während der Beziehung Kontakt zu seiner Exfreundin und deren Kind behalten. Dabei benutzte er das liebgewonnene, aber nicht leibliche Kind als willkommenen Vorwand und Rechtfertigung, seine Exfreundin regelmäßig zu sehen. Er hatte, wie sich durch einen aktuellen Anruf wenige Tage zuvor herausstellte, im fernen München sogar ein ganz regelmäßiges Verhältnis zu dieser Frau. Damit nicht genug: Blass und in der für Verletzte und Verlassene üblichen Detailliertheit der Darstellung der Ereignisse (»Dann schickte er mir eine SMS, nein, ich schickte ihm zuerst eine, und dann antwortete er . . .«), die helfen soll, das Unbegreifliche zu fassen, es abzubilden, vielleicht sogar zu verstehen, erzählte mir Gabriella von dem dauerhaften Betrug und wie geschickt Matthias es verstanden hatte, sie »zu parken«, wenn ihm nicht nach ihr war, um diese »Liebe« kurz darauf wieder zu aktivieren und die Beziehung mit ihr fortzusetzen. Es ist ein Jo-Jo-Spiel, bei dem Männer es hervorragend verstehen, eine Partnerin nach Belieben zurückzuweisen und unter Darbietung der tollsten Entschuldigungen wieder für sich zu gewinnen. Leider verstehen die meisten Frauen nicht, dass es keineswegs um Gefühle geht. Dieses Verhalten ist ein Spiel, bei dem es um die Ausübung von Macht und die Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls geht, und es ist für Männer besonders dann interessant, wenn es sich bei dem »Gegner« – also der Frau – um eine besonders attraktive und stark wirkende Persönlichkeit handelt. Dann wird dieser Spieltrieb leicht zur Spielsucht. Mit dem Trieb ist dabei keineswegs die Sexualität des Mannes gemeint. Es geht darum, sich selbst zu erhöhen, sich über jemanden stellen zu können, den man...