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E-Book

Grundlegung der deutschen Sprachkunst

Vollständige Ausgabe

AutorJohann Christoph Gottsched
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl751 Seiten
ISBN9783849626266
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Gottscheds Werk zur deutschen Sprache und Grammatik erschein bereits Mitte des 18. Jahrhunderts und war viele Jahrzehnte Referenzwerk für Lehrer und Studierende.

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Leseprobe

 


I Abschnitt.


 


Von der Sprachkunst überhaupt.

 

1. §. Eine Sprachkunst überhaupt ist eine gegründete Anweisung, wie man die Sprache eines gewissen Volkes, nach der besten Mundart desselben, und nach der Einstimmung seiner besten Schriftsteller, richtig und zierlich, sowohl reden, als schreiben solle1.

 

2 §. Eine Mundart ist diejenige Art zu reden, die in einer gewissen Provinz eines Landes herrschet; in so weit sie von der Art zu reden der andern Provinzen abgeht, die einerley Hauptsprache mit ihr haben2.

 

3 §. Die beste Mundart eines Volkes ist insgemein diejenige, die an dem Hofe, oder in der Hauptstadt eines Landes gesprochen wird3. Hat aber ein Volk mehr als einen Hof, wie z.E. Wälschland, oder Deutschland: so ist die Sprache des größten Hofes, der in der Mitte des Landes liegt, für die beste Mundart zu halten. So ist in Griechenland vormals die atheniensische Mundart für die beste gehalten worden; weil Athen mitten unter allen denen Staaten lag, die in Asien und Europa griechisch redeten. In Italien wird gleichfalls die toscanische und römische für die beste gehalten.

 

4 §. Eine jede Mundart hat in dem Munde der Ungelehrten, ihre gewissen Mängel; ja aus Nachläßigkeit und Übereilung im Reden, ist sie mit sich selbst nicht allemal einstimmig. Daher muß man auch den Gebrauch der besten Schriftsteller zu Hülfe nehmen, um die Regeln einer Sprache fest zu setzen: denn im Schreiben pflegt man sich viel mehr in Acht zu nehmen, als im Reden4.

 

5 §. Die besten Schriftsteller eines Volkes, werden durch den allgemeinen Ruhm, oder durch die Stimmen der klügsten Leser bekannt: doch müssen sie nicht in Ansehung der Sachen, sondern wegen der Schreibart und Sprache berühmt seyn. Es dörfen aber diese Scribenten nicht eben alle aus derselben Landschaft gebürtig seyn5. Denn durch Fleiß und Aufmerksamkeit kann man sich die Fehler seiner angebohrnen Mundart, und zwar im Schreiben, noch viel leichter, als im Reden, abgewöhnen.

 

6 §. Wenn aber diese guten Scribenten dennoch in gewissen Stücken von einander abgehen: so muß die Analogie der Sprache den Ausschlag geben, wer von ihnen am besten geschrieben habe. Oft hat das besondere Vaterland eines Schriftstellers an seinen Abweichungen Schuld6. Oft haben auch die fremden Sprachen, die er am meisten getrieben hat, ihn auf gewisse Abwege geleitet; so daß er sich in seiner eigenen Muttersprache fremd und ausländisch ausdrücket7.

 

7 §. Durch die Analogie versteht man in den Sprachlehren die Aehnlichkeit in den Ableitungen und Verwandelungen der Wörter; imgleichen in der Verkürzung, Verlängerung und Zusammensetzung, sowohl der Wörter, als der Redensarten. Da es nun in allen Sprachen eine solche Aehnlichkeit, oder Analogie giebt: so machet allemal die größte Anzahl übereinstimmender Exempel eine Regel aus; die davon abweichenden Redensarten aber geben die Ausnahmen an die Hand8. Denn noch bey keinem Volke hat man eine vollkommene Analogie im Reden beobachtet: ja vieleicht würde selbst eine ganz neuerdachte philosophische Sprache, nicht ohne alle Ausnahmen seyn können.

 

8 §. Man sieht also, wie es zugeht, daß man die Sprache nach Regeln richten; und die Gewohnheit im Reden bisweilen der Sprachkunst entgegen setzen kann. Denn da die Regeln aus der Sprache selbst, nach den meisten Exempeln genommen und festgesetzet worden: so unterwirft man nicht die Sprache gewissen eigenmächtigen Gesetzen eines Sprachlehrers; sondern es werden nur wenige, von der Ähnlichkeit abweichende Redensarten, der Übereinstimmung der meisten Exempel unterworfen. Man setzet also auch nicht das Ansehen eines Sprachkundigen, der Gewohnheit; sondern eine allgemeinere Gewohnheit großer und vieler, oder doch besserer Landschaften, einer eingeschränktem, oder gewissen Misbräuchen entgegen9.

 

9 §. Doch, aus dieser Widerwärtigkeit der Gewohnheit im Reden, folget noch nicht, daß alle Redensarten durchaus auf eine Aehnlichkeit gebracht werden, und also alle Ausnahmen abgeschaffet werden müßten. Nein; die Sprachen sind älter, als die Regeln derselben: und diese müssen also nachgeben, wo eine durchgängige und allgemeine Gewohnheit im Sprechen10 das Gegentheil eingeführet hat. Nur, wo der Gebrauch ungewiß, oder verschieden ist, da kann ein guter Sprachlehrer, durch die Aehnlichkeit der meisten Exempel, oder durch die daraus entstandenen Regeln, entscheiden, welcher Gebrauch dem andern vorzuziehen sey11.

 

10 §. Da die Sprachen sich von Zeit zu Zeit verändern, und unvermerkt gewisse Arten zu denken und zu reden aufkommen, auch endlich überhand nehmen, die vormals nicht gewöhnlich gewesen: so müssen sich auch die Sprachlehrer darnach richten, und solche Regeln machen, die der Mundart ihrer Zeiten gemäß sind12. Es ist also kein Wunder, daß die alten Sprachlehren von lebendigen Sprachen endlich unvollständig und unbrauchbar werden: wie wir an der klajischen und schottelischen bey uns deutlich wahrnehmen. Denn seit hundert Jahren hat sich das Deutsche ziemlich gebessert, oder doch wenigstens sehr verändert.

 

11 §. Doch ist es einem Sprachlehrer sehr nöthig, neben der besten Mundart seiner Muttersprache, theils die abweichenden schlechtem Mundarten der übrigen Provinzen; theils auch die ältern Schriften der Sprachlehrer, und überhaupt die ältesten Bücher seines Vaterlandes zu kennen. Die mannichfaltigen Stuffen, die eine Landessprache allmählich bestiegen hat, geben ein großes Licht in den Ursachen der Regeln, und in denen Veränderungen, die sie erlitten haben13. Und selbst die verschiedenen Mundarten erläutern bisweilen einander, durch ihre Vergleichung: wie z.E. das Niederdeutsche sehr oft dem Hochdeutschen zu statten kömmt.

 

12 §. Da aus verschiedenen Mundarten vielmals ganz besondere Sprachen entstanden sind, die man, wegen ihrer noch merklichen Aehnlichkeit, Schwestern zu nennen pflegt: so sieht man leicht, daß man sich bisweilen auch der verschwisterten Sprachen bedienen kann, um von gewissen Regeln Grund anzugeben. So erläutern zuweilen die wälsche und spanische Sprache das Französische; die engländische, holländische, dänische und schwedische Sprache aber das Hochdeutsche. Es ist also gut, wenn ein Sprachlehrer auch die mit seiner Sprache verwandten Schwestern, gewissermaßen kennet14.

 

13 §. Aus allen diesen Haupt- und Nebenquellen ist folgende deutsche Sprachlehre hergeflossen. Man hat sich dabey zwar hauptsächlich auf den heutigen Gebrauch der besten Mundart in Deutschland, und der beliebtesten Schriftsteller gegründet; aber auch die alten deutschen Bücher, und sonderlich die Sprachlehrer voriger Zeiten, oder ihre guten Anmerkungen über unsere Muttersprache, zu Nutze gemacht. Man hat sich endlich auch der benachbarten Völker Sprachen, und vieler deutschen Sprachlehren bedienet, die ihnen zu gut geschrieben worden15.

 

14 §. Daraus erhellet also, daß man keines Menschen Arbeit in diesem Stücke zu verachten, zu widerlegen, oder zu verkleinern gesonnen ist. Meine Vorgänger haben alle viel Gutes an sich, und ich habe ihnen selbst das meiste von demjenigen zu danken, was in diesen Blättern stehen wird. Ich habe nur nach der einem jeden obliegenden Schuldigkeit, noch eines und das andere hinzugesetzet; was eine langwierige Beobachtung der besten Schriften unserer Zeiten, eine vielfältige Untersuchung und Prüfung guter und schlechter Mundarten, und endlich die Vergleichung so vieler kritischen Anmerkungen, die seit 30 Jahren über die Sprache gemacht worden, dem obigen beygefüget haben.

 

15 §. Weit gefehlet also, daß ich andern guten Schriftstellern ein neues Joch auflegen wollte: so will ich vielmehr nur jungen Leuten die Ursachen anzeigen, warum gute Schriftsteller voriger und unserer Zeiten so, und nicht anders, geschrieben haben, um sie dadurch in dieser guten Art mehr und mehr zu befestigen. Wenn man aus guten Gründen weis, wie man reden und schreiben soll: so läßt man sich, durch gegenseitige böse Exempel, so leicht nicht verführen. Die Sprache selbst wird dadurch fester; und die gute Mundart erhält sich, mitten in der Unbeständigkeit der Sprachen, desto länger16.

 

16 §. Endlich werden auch die an den Gränzen von Deutschland liegenden Landschaften, deren gemeine Mundart von der guten hochdeutschen mehr oder weniger abweicht, in den meisten Fällen eine Anweisung finden: wie sie reden und schreiben müssen, wenn sie sich der besten Mundart, so viel ihnen möglich ist, nähern wollen17. Denn obgleich ein jedes Volk, zumal in Deutschland, Herr in seinem Lande ist; und also der besondern Mundart seines Hofes folgen könnte: so wird es doch niemand für rathsam halten, sich um etlicher Kleinigkeiten willen, mit...

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