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E-Book

Das Sonnenbuch

Bericht vom Anfang einer neuen Zukunft

AutorRobert Jungk
VerlagOtto Müller Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783701362066
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Es ist ein spektakulärer Fund im Nachlass des Zukunftsforschers Robert Jungk: eine unscheinbare Mappe offenbart ein visionäres Fragment, das Anfang der achtziger Jahre entstand; ungeordnete, skizzenhaft beschriebene Blätter, ein Konvolut aus Entwürfen und Notizen. Walter Spielmann hat diese zu einem sinnhaften Ganzen rekonstruiert. Zum 100. Geburtstag von Robert Jungk (11. Mai 2013) liegt nun die unverhoffte Entdeckung des 'Sonnenbuchs' vor. Es macht deutlich, wie umfassend, tiefgründig und leidenschaftlich Robert Jungk auf die Kraft der Sonne als Symbol und Instrument einer zukunftsfähigen, nachhaltigen und friedfertigen Welt setzte. Seine Beschäftigung mit 'Sonnenforschern, Sonnenbastlern und Sonnenverehrern' reicht zurück an das Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und ist doch heute aktueller denn je. Seiner Zeit war Robert Jungk fast immer voraus. Früh schon hat er auf die Risiken des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts aufmerksam gemacht und auf die langen Schatten der Atomtechnologie verwiesen. Er war aber auch einer der Ersten, der die positiven Seiten einer helleren Zukunft erkundet hat. Das Sonnenzeitalter werde ein neues Verhältnis zur Mitwelt, eine andere Form des Wirtschaftens, eine bisher nicht praktizierte Balance von Macht und Mitbestimmung sowie die Wiederentdeckung eines höheren Sinns zur Folge haben, war Robert Jungk überzeugt. Dieses Buch erzählt von dieser Vision. Es ist Auftrag und Vermächtnis zugleich.

Robert Jungk wurde 1913 als Robert Baum in Berlin geboren. Nach der Emigration 1933 begann er ein Studium an der Sorbonne in Paris. Bis 1957 hielt er sich unter anderem in Spanien, Frankreich, der Schweiz und den USA auf. 1957 übersiedelte er mit seiner Frau und seinem Sohn, dem Schriftsteller Peter Stephan Jungk, nach Österreich, zunächst nach Wien, 1970 nach Salzburg. Er gründete dort die heute noch tätige Internationale Bibliothek für Zukunftsfragen/Robert-Jungk-Stiftung. Schon früh engagierte er sich in der Anti-Atom-Bewegung und rief, zusammen mit Norbert Müllert, die 'Zukunftswerkstätten' ins Leben. Seite Bücher, darunter 'Die Zukunft hat schon begonnen' (1952), 'Der Atomstaat' (1977) oder 'Menschenbeben' (1983) verkauften sich weltweit millionenfach. 1986 erhielt er den alternativen Nobelpreis. Robert Jungk starb 1994 in Salzburg.

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Leseprobe

ZWEITES KAPITEL:

DAS DOPPELGESICHT VON LOS ALAMOS

1.

Mein weiterer Weg hat mich dorthin geführt, wo der Schatten sich formte, der seither über unser aller Leben liegt: nach Los Alamos in New Mexico, der Ort, in dem sie die ersten Atombomben entwarfen und zusammenbauten. Gerade hier, so hatte ich zu meiner Überraschung gehört, erforsche man nun die Wirkungen der Sonnenstrahlung.

Ende 1945 hieß es, diese im Krieg vom Militär hastig improvisierte Geheimsiedlung auf einem flachen Tafelberg unweit von Santa Fe werde aufgelassen. Aber als ich 1949 zum ersten Mal dort war, sprach schon niemand mehr von solchen Plänen, die noch vom ersten Schock über die Massenvernichtung in Hiroshima und Nagasaki beeinflußt gewesen waren. Und 1955, als ich den „Ort über dem Geheim steht“ – so hatte ich die Eindrücke über meine erste Visite in der festungsähnlichen Siedlung beschrieben – wiederbesuchte, war aus dem Kriegsprovisorium längst die Hochburg noch monströserer Waffen geworden, die in zahlreichen neuerrichteten Labors entworfen und zum Teil auch in den tiefen umliegenden Canyons erprobt wurden.

Heute ist Los Alamos eine Stadt mit über 20.000 Einwohnern, die gerne als „Gemeinde wie alle anderen“ gelten möchte. Die Kontrollstellen an den Zufahrtsstraßen sind 1957 abgeschafft worden, die Wohn- und Geschäftsviertel stehen nun jedermann offen, ja man rechnet sogar mit möglichst zahlreichen Touristen, die im lokalen Museum Photos, Dokumente, Reliquien und Modelle aus den historischen Jahren besichtigen dürfen, da der „Hügel“ aus Geheimhaltungsgründen nicht einmal den Namen „Project“ tragen durfte und nur unter der Sammeladresse Post Box 1663 erreicht werden konnte.

Das eigentliche „Lab“, das von 1943 bis 1945 noch mit einer einzigen „Technical Area“ auskam und sich inzwischen auf mindestens dreißig Versuchsstätten vergrößerte, ist eher noch stärker abgesichert als in den Kriegsjahren. Zwei Drittel aller Nuklearwaffen des amerikanischen Arsenals sind auf diesen durch tief einschneidende Schluchten voneinander getrennten Mesas entworfen und entwickelt worden. Sie wurden kleiner, leichter, zielsicherer und in ihrer Mehrzahl um ein Vielfaches zerstörerischer als der „Little Boy“ und der „Fat Man“, die 1945 über Japan gezündet wurden. In den fünfziger und sechziger Jahren trugen sie noch suggestive Namen wie „Hamlet“, „Skorpion“ und „S. o. B.“ (Son of a bitch, gleich Hurensohn). Jetzt heißen sie prosaischer „W 76“ oder „W 78“. Sie finden zu dritt oder viert Platz in den Fern- und Mittelstreckenraketen, die im Ernstfall von Bunkern, Unterseebooten oder Trägerflugzeugen aus auf die ihnen oft schon seit Jahren vorbestimmten Ziele losgelassen werden.

„Cruise Missiles“, die elektronische Hindernisse umfliegen können, Laserstrahlen, die feindliche Raumsatelliten killen sollen und zahlreiche andere Erfindungen der „weapons scientists“, die so geheim gehalten werden, daß nur ganz wenige Personen überhaupt etwas von ihrer Existenz erfahren dürfen, werden hier in einer der schönsten Landschaften der Welt von Männern – und es sind ausschließlich Männer! – erdacht, die, wenn man ihnen auf den Straßen der gemütlichen Altstadt von Santa Fe begegnet, äußerlich genauso harmlos wirken wie all die anderen Touristen: Teufel sehen heutzutage nicht satanisch aus; und sie reden sich selber ein, daß sie vernünftig denkende und pflichtgemäß handelnde Staatsbürger sind und nichts Böses tun. Sie sind ja schließlich auch alle Angestellte einer ehrenwerten akademischen Institution, der Universität von California, die Los Alamos verwaltet und dort rund 7000 Menschen mit Forschungsarbeiten beschäftigt.15

Als im Nachrichtenmagazin „Time“ behauptet wurde, in Los Alamos sei der Verbrauch von harten Spirituosen etwa doppelt so hoch wie in einer durchschnittlichen amerikanischen Kleinstadt ähnlicher Größe, gab es zuerst lahmen Protest. Aber der verstummte bald, als man erfuhr, daß Charles King, einer der angesehensten Bürger der Stadt und langjähriger Direktor des „Los Alamos Council on Alcoholism“, auf Grund seiner Erfahrungen bestätigte: „Wir haben eines der schwersten Probleme im ganzen Lande: heimliche Trinksucht.“

Der oft zitierten Aussage von Allan Conner, einem der maßgeblichen Leiter zur Weiterentwicklung des Waffenprogramms, der behauptet, er schlafe nachts sehr gut, weil die in den hermetisch abgesicherten Canyons von Los Alamos erfundenen und erprobten „gadgets“ den Frieden durch Abschreckung sicherten, steht das Geständnis des früheren Spitzenmanagers Frank Di Luzio gegenüber, der dem „Lab“ den Rücken kehrte, weil er die dortige Tätigkeit „nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte“.

Solche extrem konträre, öffentliche Äußerungen sind allerdings die Ausnahme. Die große Mehrzahl der in Los Alamos und Sandia Beschäftigten schweigt und versucht diesem beunruhigenden Thema auszuweichen. Man leistet seine Arbeit, ohne darüber zu diskutieren, „weil es eben sein muß“, bestenfalls weil es „technisch aufregend“ ist. Weitergehende politische, gesellschaftliche oder gar ethische Überlegungen, die im Krieg noch eine Rolle spielten, werden als „nicht zur Sache gehörig“ abgeblockt.

2.

In einer Abteilung von Los Alamos ist das Bewußtsein, etwas gesellschaftlich Nützliches zu tun, besonders hoch. Das ist die „Solar Energy Research Group“, derentwegen ich diesmal nach New Mexico gekommen war. Sie gibt es erst seit 1973, dem Jahr der großen Ölkrise, als die Industrienationen einen neuen „Feind“ entdeckten, den Energiemangel. Sofort schalteten sich die Waffenlaboratorien der USA in den neuen Feldzug ein. Denn sie mußten in der damaligen weltpolitischen Entspannungsperiode, deren allzu kurze Dauer noch nicht vorhergesehen wurde, gewärtigen, daß die beträchtlichen Zuwendungen, die sie seit Beginn des „Kalten Krieges“ erhielten, nun im Zeichen einer allmählichen Abrüstung immer spärlicher fließen würden. Also war es in ihrem Interesse, sich einem neuen Forschungsgebiet zuzuwenden, das sich in der Öffentlichkeit und bei den Gesetzgebern gerade besonderer Popularität erfreute.

„Bitte kommen Sie, wann immer Sie wollen. Nein, Sie brauchen keine besondere Erlaubnis. Lassen Sie uns nur wissen, wann wir Sie erwarten dürfen.“

Diese Antwort auf meinen Telefonanruf bei der „Sonnengruppe“ überraschte mich. Denn bei meinen früheren Besuchen in Los Alamos war es im Zeichen der „Sicherheit“ stets sehr umständlich zugegangen.

Eine Erklärung ergab sich aus der Lage der Büros und des Versuchsgeländes der „Subdivision Q-11“, wie das Projekt im Organisationsschema des „Lab“ bezeichnet wird. Sie befinden sich außerhalb des kontrollierten Geländes in und bei der Vorstadt White Rock.

Im Head Office, einem niedrigen lehmbraunen Bau im vertrauenserweckenden rustikalen Imitationsstil der Region, sprach denn auch „Doug“ Balcomb, der Leiter und führende Kopf des Forschungsteams, gleich als erstes den Sonderstatus seiner Gruppe an:

„Wir haben von Anfang an darauf bestanden, daß wir hier ohne Geheimhaltung arbeiten müßten. In der Tat sahen wir keinen Grund, weshalb unsere Untersuchungen nicht in aller Offenheit betrieben werden sollten. Ein Klima der Vorsicht und der Kontrollen hätte nur geschadet. Ich meine, das paßt überhaupt nicht zur Beschäftigung mit der Sonne.“

Ein anderer führender Mitarbeiter, Donald Neeper, den ich gefragt hatte, ob und wie sich seine engeren Kollegen von denen unterschieden, die der Geheimhaltungspflicht unterworfen sind, meinte mit einer Handbewegung hinüber nach dem hochumzäunten „Off Limits“-Terrain: „Die da drüben müssen eine Art Doppelleben führen. Arbeit und Privatleben, das sind in ihren Köpfen zwei hermetisch voneinander getrennte Bereiche. Bei uns ist solche gewollte Schizophrenie nicht notwendig.“

In der Tat werden die „solar people“ von den Waffenforschern, wenn auch eher heimlich als offen, beneidet, ein Gefühl, das sie durch die Betonung ihrer wissenschaftlichen Überlegenheit zu kompensieren versuchen.

„Die schauen manchmal auf uns herunter“, ergänzte Balcomb, „weil ihrer Ansicht nach die Solarforschung weniger anspruchsvoll ist. Ich bin da ganz anderer Meinung. Unsere Arbeit ist vielleicht weniger spezialisiert und raffiniert. Dafür ist sie umfassender. Denn wir wollen nicht nur die engen Fachprobleme untersuchen, sondern stets auch die sozialen, biologischen, psychologischen, ökonomischen Auswirkungen unserer Tätigkeit bedenken.“

Der Forscher kann solche Vergleiche aus eigener Erfahrung ziehen. Zwölf Jahre lang hat er drüben auf der anderen Seite der Straße in den Atomlaboratorien gearbeitet. Er war führend an den Plänen beteiligt, Nuklearenergie für Raketenantriebe nutzbar zu machen, eine Entwicklung, die auf Grund des internationalen Abkommens zum Schutz der...

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