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E-Book

Die Hexen

Eine kulturgeschichtliche Analyse

AutorMarco Frenschkowski
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783843802765
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
'Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen.' Exodus 22,17In wenigen Gebieten der Geschichts- und Kulturwissenschaften hat sich in den letzten Jahren so viel bewegt und so viel verändert wie in der Hexenforschung.Zahlreiche Annahmen des 'Schulbuchwissens' wurden durch genaue Analyse der Quellen und der territorialgeschichtlichen Hintergründe widerlegt. Das Bild ist vor allem zeitlich und räumlich viel differenzierter geworden. Warum waren bestimmte Gebiete verfolgungsintensiv, während Nachbarterritorien verfolgungsfrei blieben? Wie ist das Verhältnis Frauen und Männer unter den Opfern? Waren 'Hexen' Trägerinnen eines vorchristlichen Kultes? Gingen die Verfolgungen von 'oben' oder von 'unten' in der Gesellschaft aus? Wie kam es zur Überwindung des Hexenglaubens? Die außereuropäische Ethnologie hat erkennen müssen, in wie hohem Umfang das Thema der Hexereiverdächtigungen auch in anderen Kulturen und bis in die unmittelbare Gegenwart präsent ist. Einige der massivsten Hexenverfolgungen haben weitab des abendländischen Kulturraumes stattgefunden. Der vorliegende Band trägt diesen neuen Forschungsergebnissen Rechnung und widerlegt viele Klischees. Dabei kommen nicht nur die grausigen und schmerzvollen Details der Verfolgungsgeschichte und das schwüle und üppige Bild gesellschaftlicher Hexensabbatfantasien, sondern auch das Umkippen des Hexenpradigmas im 20. und 21. Jhdt. zur Sprache. Wie wurde aus der 'bösen Hexe' der europäischen Tradition die 'gute Hexe' der ökofeministischen Esoterikszene und der Wiccabewegung? Vor allem: warum wurde die Hexe zur Identifikationsfigur? Wie steht es mit der antiken Vorgeschichte des Glaubens an Hexerei? Hexen. Eine kulturgeschichtliche Analyse orientiert facettenreich und auf neuestem Forschungsstand über das Thema aus einem globalen Blickwinkel, und bietet manche Überraschungen. Ergänzt wird der Band durch einige Quellentexte.

Prof. Dr. Marco Frenschkowski, geboren 1960, Religionswissenschaftler und ev. Theologe, ist Professor für Neues Testament an der Universität Leipzig. Neben der Erforschung antiker Religionen ist er seit vielen Jahren für seine Arbeiten auf dem Gebiet magischer und esoterischer Diskurse bekannt. Im marixverlag sind von ihm erschienen u.a. Heilige Schriften, Die Geheimbünde. Eine kulturgeschichtliche Analyse und Mysterien des Urchristentums. Eine kritische Sichtung spekulativer Theorien zum frühen Christentum.

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Leseprobe

VORWORT


Das Thema Hexen ist von einer vielfältigen, facettenreichen Faszination. Es ist ja nicht nur das grausige und schmerzvolle Faszinans der Verfolgungsgeschichte und das schwüle und üppige Bild ehemaliger gesellschaftlicher Hexensabbatfantasien, es ist mehr noch das Umkippen des Hexenparadigmas, das diese Faszination ausmacht. Wie wurde aus der „bösen Hexe“ der europäischen Tradition die „gute Hexe“ der ökofeministischen Esoterikszene und der Wiccabewegung? Es war vor allem diese Frage, die mich lange beschäftigt hat: 2008 war dazu meine Studie über Charles Godfrey Leland erschienen, und ein erstes Zwischenergebnis formuliert. In wie hohem Maße Wicca und angrenzende Bewegungen zu einem wichtigen Segment alternativer und esoterischer religiöser Kulturen geworden waren, habe ich vor allem in Großbritannien gelernt. Doch auch in Deutschland ist die Bedeutung des Themas ständig angewachsen.

Damit verändert sich auch der Blick auf den historischen Hexenglauben, und sei es in der Konfrontation stark divergierenden Hexenbilder. Hinzu kommt, dass Hexereiverdächtigungen und Hexenprozesse zu einem ausgesprochenen Modethema der Geschichts- und Kulturwissenschaften geworden sind. Abgesehen von den wichtigen und oft überraschenden Ergebnissen dieser jüngeren Forschung ist das Faktum dieses gesteigerten Interesses selbst erklärungsbedürftig. Warum wurden Hexen zu einem Thema nicht mehr an der Peripherie, sondern im Zentrum der kulturwissenschaftlichen Arbeit? (Es genügt ein Blick auf www.historicum.net, eines der Leitportale der deutschen Geschichtswissenschaft). All dies ist in den Blick zu nehmen, wenn wir das Thema Hexen zusammenfassend darstellen und in seinen gesellschaftlichen Funktionen verstehen wollen.

Einige persönliche Worte seien erlaubt. In den 1990er Jahren hatte ich für eine kirchengeschichtliche Zeitschrift viele damals neu erschienene Publikationen zum Thema rezensiert, ohne mich selbst als Forscher im engeren Sinn auf diesem Gebiet zu betrachten. Als nach 2000 immer mehr magische und esoterische Diskurse (vor allem die Magie der Antike) in einen Mittelpunkt meiner Arbeit rückten, eröffneten sich gleichzeitig neue Perspektiven auf das Hexenthema, und ich begann, systematisch die älteren und neueren Publikationen zum Thema zu lesen. Dabei wurde rasch klar, wie gewaltig die Fortschritte der letzten Jahre waren – aber auch, in wie hohem Maße durchaus legitime Fragen aus der älteren Forschung in der jüngeren ausgeblendet oder einfach nicht mehr gestellt wurden (oder nur noch im Teil „Forschungsgeschichte“). Das vorliegende Buch benennt daher auch einige aus der älteren Forschung „übriggebliebene“ Fragen, zu denen mir der Forschungsbedarf nach wie vor erheblich zu sein scheint, und die speziell in der territorialgeschichtlichen Hexenforschung m. E. leicht aus dem Blick geraten. Vieles gelernt habe ich aus kulturanthropologischen und ethnologischen Studien zur Sache. Hexereiverdächtigungen als soziales Ventil sind ja bis in die jüngste Zeit lebendige Wirklichkeit, etwa in vielen afrikanischen Staaten. Der eurozentrische Blickwinkel wird freilich nur langsam überwunden. Hilfreich waren mir hier vor allem Studien zur Religionsgeschichte der Karibik und Westafrikas. Zumindest exemplarisch sollte diese globale Perspektive nicht ausgeblendet werden, weil sie wohl den massivsten Paradigmenwechsel in der Hexenforschung mit sich bringt: Hexereiverdächtigungen und Hexenverfolgungen nicht mehr als europäisches, sondern als globales Phänomen. In einer knappen Darstellung wie der vorliegenden kann das natürlich nur skizziert werden, aber übergangen werden durfte es nicht.

Vor allem wurde rasch deutlich, dass auch im Blick auf die europäische Geschichte des Themas die Frage nach einer historischen „Wahrheit“ – so notwendig sie ist – doch nur ein Aspekt sein kann. Nicht nur „wie es wirklich gewesen ist“ kann Gegenstand der Geschichtsforschung sein, sondern auch, wie sich Klischees, Vorurteile und gesellschaftliche Imaginationen entwickelt haben, welchen Platz sie im Symbolkosmos der Menschen hatten und haben.

Mit etwas Zögern folge ich daher der freundlichen Einladung des Marixverlages, eine knappe Skizze des Themas „Hexen“ zu versuchen. Ist es nicht leichtsinnig, eine – noch dazu nicht für die Wissenschaft im engeren Sinn geschriebene – Darstellung zu wagen, wenn so vieles im Fluss ist, und sich die Forschung in so hohem Maße ausdifferenziert? Im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen vor allem aus den Geschichtswissenschaften habe ich jedoch begriffen, dass die religionswissenschaftliche Perspektive, die hier eingenommen wird, doch auch viel Eigenes zur Sache einzubringen hat. Im gelungenen Fall kann sie geradezu ein Korrektiv für den zwar präzisen, aber zuweilen auch eingeengten Blickwinkel sein, den v. a. die regional- und territorialgeschichtliche Hexenforschung notwendig einnehmen muss. Über einem geschärften Blick auf die einzelnen Fälle dürfen allgemeine kulturanthropologische Fragen nicht aus dem Fragehorizont verschwinden, wie es gelegentlich geschieht. Auch müssen die Facetten des kulturellen Umganges mit „Hexenbildern“ in der Gegenwart selbst Gegenstand der analytischen Betrachtung werden, und diese Fragestellung muss mit der im engeren Sinn historischen Beschreibung des Geschehenen interagieren. In einem schmalen Band wie diesem ist das natürlich nur in Ansätzen möglich, aber es sollte doch gezeigt werden, wo die Hexenforschung heute steht.

Dieses Buch kann selbstverständlich keine historische Synthese vorlegen (dazu wäre es wirklich zu früh), versucht aber doch ein facettenreiches Bild zu zeichnen, das vielleicht auch für die nicht ohne Interesse ist, die aus anderen Blickwinkeln mit dem Thema beschäftigt sind. Es liegen ja durchaus eine Reihe populärer Einführungen zur Sache vor (jüngst etwa Malcolm Gaskill, Witchcraft: A Very Short Introduction. Oxford 2010 oder, wenig älter, Wolfgang Behringer, Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung. München 2008), die aber alle aus deutlich anderen Perspektiven geschrieben sind.

Wesentlich ist natürlich auch hier immer die Faktenverifikation. Klischees und Stereotype haben unser Thema lange beherrscht. Ungeprüft kann aus der älteren Forschung kaum noch etwas übernommen werden. Andererseits hat die Wiederentdeckung der Hexen in neomagischen Bewegungen eine Aktualität geschaffen, an der nicht vorbeigegangen werden soll: unser Interesse ist kein einfach „archäologisches“. Die Schattenseite dieser Entwicklung ist allerdings, dass „invented traditions“ (Geschichtsmythen) gelegentlich auch scheinbar um Objektivität bemühte Forschung überlagern, und das zuweilen an sehr überraschenden Stellen. Mit Wolfgang Behringer – einem der bedeutendsten lebenden Forscher zur Sache – begreife ich das Thema der Hexereiverdächtigung als ein globales und durchaus auch eines der Moderne, nicht nur eines der europäischen Vergangenheit (vgl. etwa sein „Witches and Witch-Hunts. A Global History“. Cambridge 2004, ein wegweisendes Buch, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann, und das mittlerweile sogar ins Chinesische übersetzt wurde).

Die Wiccabewegung, die den Hexenbegriff als Leitbild aufnimmt, kommt am Ende dieses Buches zur Sprache. Ihre Anhängerinnen und Anhänger habe ich als Vertreter einer respektablen neuen (nicht: alten) Religion kennengelernt, und Missverständnisse ihnen gegenüber auszuräumen ist mir ein wichtiges Anliegen – so wenig ich ihre religiöse Überzeugungswelt teile. Das kann hier freilich nur ganz knapp und ausblickartig geschehen; vielleicht komme ich auf das Thema andernorts noch einmal ausführlicher zurück.

„Schwesternprojekt“ dieses Bandes ist eine Studie über antike Magie und ihre Wechselwirkungen mit dem entstehenden Christentum, die etwas später in einem andern Verlag erscheinen soll. Meine früheren Bände in der Reihe „marixwissen“ haben allerlei Diskussionen ausgelöst, die ich meist mit Freude zur Kenntnis nehmen konnte. Freilich gab es neben Zustimmung und einiger berechtigter Kritik auch den einen oder anderen törichten Kommentar. (So beklagte sich ein Amazon-Leser darüber, dass meine „Heiligen Schriften“ – für ein im Umfang festdefiniertes Buchformat geschrieben – viel zu kurz seien und sich zudem nicht auf die „klassischen“ Religionen beschränkten. Nun ist der Blick über die „klassischen“ Religionen hinaus auf die Vielfalt der heute gelebten Religionen gerade ein wesentlicher Erkenntnisfortschritt der jüngeren Religionswissenschaft gegenüber ihrer älteren, primär den Philologien verbundenen Vorstufe. Die Forderung jenes Kommentators ging also eigentlich dahin, wieder in ein früheres Stadium der Religionswissenschaft zurückzusinken, das sich auf „klassische Texte“ beschränkt hatte. Dass ich in solchen Forderungen keine seriöse Möglichkeit sehen kann, versteht sich von selbst).

Die folgende Darstellung kann nur eine Skizze des Themas sein, keine umfassende Monographie. Ich habe wie in meinen anderen Bänden in dieser Reihe...

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