Lehren für die Vermögensanlage aus den letzten Jahren
von Dieter Lehmann
„Wir müssen dafür sorgen, dass die Brücke nicht schmaler ist als der Fluss.“
(Sophokles)
Wenn es Anleger von Vermögen gibt, die eine langfristige Anlagestrategie verfolgen können oder sollten, dann sind Stiftungen vermutlich die prädestinierteste Gruppe hierfür. Denn sie sind es, die auf Dauer oder, wie es oftmals fast theatralisch heißt, „auf Ewigkeit“ angelegt sind oder doch sein sollten.
Stiftungen unterliegen Regularien, die sich von denen anderer Anleger zum Teil erheblich unterscheiden. So sind für Stiftungen beispielsweise spekulative Anlagen an sich tabu. Und an Unternehmen dürfen sich Stiftungen nur in einem Umfang beteiligen, dass ein maßgeblicher Einfluss auf das Unternehmen nicht ausgeübt werden kann. Beides könnte ansonsten dazu führen, dass gewerblich geprägte Erträge generiert werden, die den gemeinnützigen und deshalb steuerbefreiten Status der Stiftung gefährden.
Dafür gibt es für Stiftungen andererseits z.B. keine Notwendigkeit der Unterlegung der Anlagen mit Eigenkapital, wie es für Banken nach den Vorschriften von Basel II bzw. nach dem Kreditwesengesetz Pflicht ist und was den uneingeschränkten Einsatz solvabilitätsbelastender Anlageprodukte dort regelmäßig erschwert. Und es gibt, um ein weiteres Beispiel zu nennen, für Stiftungen auch keine aus einem vertraglichen Umfeld heraus entstehende Verbindlichkeit, die zwingend zu bedienen wäre, wie das bei Versicherungsgesellschaften der Fall ist. Denn das deutsche Stiftungsrecht schreibt hier ansässigen Stiftungen lediglich eine zeitnahe Mittelverwendung vor, hinsichtlich der Höhe der jährlich auszuschüttenden Fördermittel gibt es keine Vorgaben.
Die für Stiftungen geltenden Regularien scheinen im Vergleich zu den für andere Anleger geltenden Vorschriften freier zu sein. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn das Kapital einer Stiftung ist in seinem Bestand ungeschmälert zu erhalten. Noch immer wird diskutiert, ob damit die nominale oder reale Kapitalerhaltung gemeint ist. Dabei scheint die Antwort darauf seit 1985 klar zu sein, weil es in jenem Jahr Stiftungen erstmals offiziell über den neu eingeführten § 58 Nr. 7a der Abgabenordnung (AO) erlaubt wurde, 25 Prozent des jährlichen Überschusses aus der Vermögensbewirtschaftung (heute ein Drittel) dem Stiftungskapital für dessen Erhalt zuzuführen. Wenn es also ausschließlich um den nominalen Kapitalerhalt ginge, wäre diese Festlegung gar nicht nötig gewesen.
Wenn der reale Kapitalerhalt ein erklärtes Ziel der Vermögensverwaltung einer Stiftung ist, sollte man ein geeignetes Instrument finden, mit dem gemessen werden kann, ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wurde oder nicht. Die VolkswagenStiftung führt zu diesem Zweck eine Kapitalerhaltungsrechnung durch. Der Kapitalwert des Stiftungsvermögens wird dabei über die Jahre mit der jeweiligen Inflationsrate (in der VolkswagenStiftung ein spezieller, das wissenschaftliche Umfeld der Fördermittelempfänger berücksichtigender Wert) fortgeschrieben und ergibt den Zielkapitalwert. Dieser wird verglichen mit dem Marktwert des tatsächlich angelegten Vermögens. Daraus lässt sich ablesen, ob der Kapitalwert real erhalten wurde oder nicht. Bei einer derartigen Betrachtungsweise werden auch die – so vorhanden – stillen Kursreserven (und auch Lasten) offengelegt und, wenn man so will, als wichtiger Performancebestandteil in die Ergebnisbewertung und -verwertung der Vermögensverwaltung einbezogen.
Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass durch Umschichtungen realisierte Kursgewinne, die bis dahin stille Reserven waren, Bestandteil des Stiftungskapitals bleiben müssen und somit für die Ausschüttung als Fördermittel nicht zur Verfügung stehen können. Sonst würde man einen Bruch in dieser Logik erzeugen.
Wenn der Marktwert des angelegten Vermögens den Zielkapitalwert nachhaltig übersteigt, dürfen (und müssen in Folge des Admassierungsverbotes) sowohl ordentliche Erträge (zumeist Zinsen, Dividenden und Mieteinnahmen) als auch außerordentliche Erträge (in der Regel realisierte Kursgewinne) für die Fördermittelbereitstellung verwendet werden. Wenn dieser Zustand jedoch noch nicht erreicht ist, darf die Ausschüttung von Fördermitteln nach deutschem Recht im Normalfall nicht unter Zugriff auf das Kapital erfolgen, weil sonst der Bestand der Stiftung gefährdet wäre. Deshalb kommt der Erwirtschaftung ordentlicher Erträge im deutschen Stiftungsmanagement nach wie vor eine zentrale Bedeutung zu. Dies umso mehr, weil, wie beschrieben, auch für die Rücklagen nach § 58 Nr. 7a AO im Prinzip nur ordentliche Erträge in Betracht kommen. Und schließlich können auch die Kosten für den laufenden Geschäftsbetrieb nicht unter Zugriff auf das Stiftungskapital gedeckt werden.
Es liegt auf der Hand, dass Stiftungen besonders in Niedrigzinsphasen vor dem beschriebenen Hintergrund zunehmend in Bedrängnis geraten, je länger diese anhalten. Zwar wirkt die fehlende Festlegung zur Höhe der auszuschüttenden Fördermittel durchaus entlastend. Gleichwohl ist aber jede Stiftung natürlich einem gewissen (im Prinzip ja förderlichen) Erwartungsdruck ausgesetzt. Es sollte zum Selbstverständnis einer jeden Stiftung gehören, so viele Mittel wie möglich zur Erfüllung des Stiftungszweckes zu erwirtschaften und bereitzustellen. Die VolkswagenStiftung hat sich beispielsweise selbst dazu verpflichtet, jährlich zumindest 90 bis 100 Millionen Euro auszuschütten.
Wie kann man das aber gewährleisten, wenn durch die anhaltende Niedrigzinsphase die ordentlichen Erträge von Jahr zu Jahr sinken? Die Antwort darauf liegt in der gewählten Asset-Allocation. Denn eine Stiftung benötigt neben verzinslichen Titeln, die auch künftig den Großteil der ordentlichen Erträge liefern müssen und werden, auch Substanzwerte, die in der Lage sind, aufgrund einer fehlenden Endfälligkeit Wertzuwachs zu generieren. Dieses Wertzuwachspotenzial gilt es zu erschließen, um die reale Kapitalerhaltung vorrangig über diesen Weg sicherzustellen. Im Erfolgsfall wird es dadurch möglich, dass die maximal zulässige Rücklagenquote nach § 58 Nr. 7a AO nicht mehr zwingend ausgeschöpft werden muss. Vormals hierfür gebundene ordentliche Erträge werden dadurch freigesetzt und stehen fortan auch als Fördermittel zur Verfügung. Dadurch wird – trotz Niedrigzinsphase – das Halten der Fördermittelbereitstellungen auf einem zumindest konstanten Niveau erleichtert.
Mit Substanzwerten sind vor allem Aktien, Immobilien und auch alternative Investments gemeint. Insbesondere Aktien kommt dabei jedoch eine zentrale Bedeutung zu, weil sie die höchste Volatilität aller für eine Stiftung infrage kommenden Anlageklassen besitzen und deshalb den Risikogehalt des Gesamtportfolios dominieren.
Folgerichtig standen und stehen in Krisenzeiten vornehmlich Aktien im Mittelpunkt der verschiedensten Analysen. Sie werden in Negierung ihrer Chancen als Risikokapital bezeichnet und entsprechend (ängstlich?) gesteuert.
Dabei gerieten in der jüngsten Finanzkrise zunächst ganz andere Finanzprodukte in den Fokus. Verbriefungen, Zertifikate und andere strukturierte Papiere übertrafen sich in Verschachtelungen und Intransparenzen und führten schlussendlich zum weltweiten Kollaps des Finanzsystems. Erst in dessen Folge brachen bekanntlich die Aktienmärkte ein, weil die durch die Intransparenzen ausgelöste massive Vertrauenskrise unter den Finanzinstituten die weltweite Unterbrechung der Finanzierung der laufenden Produktion hervorrief und dadurch eine Weltwirtschaftskrise heraufbeschworen wurde. Versagt hatten bis dahin vor allem Ratingagenturen, deren Aufgabe es eigentlich ist, die Bonität von Emissionen zu beurteilen. Das ist ihnen auf breiter Front und auf fatale Art und Weise nicht gelungen.
Unterdessen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein erheblich gesteigertes Verantwortungsbewusstsein und eine Verbesserung der Professionalität bei den Ratingagenturen unabdingbar sind. Nur so kann dort verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden. Es erscheint nämlich unstrittig, dass Bonitätseinstufungen auch künftig ein wichtiges Instrument bei der Beurteilung von Emissionen durch potenzielle Anleger sein werden.
Für Anleger wird es also künftig noch stärker darauf ankommen, Einzelwertbetrachtungen anzustellen. Das Krisenjahr 2008 hat gezeigt, dass trotz eines insgesamt gut performenden Rentenmarktes einzelne Titel (wie die oben genannten) oder einzelne Segmente (wie der Pfandbriefmarkt) in Schwierigkeiten geraten können. Neben dem Umstand, dass viele Anleger den Totalausfall mehrerer Emissionen (z.B. Lehman, Madoff) verkraften mussten, setzte vielen Portfolios im Jahr 2008 und bis März 2009 der massive und weltweite Einbruch der Aktienkurse erheblich zu. Am Ende hatten die Märkte durchschnittlich 50 Prozent an Wert...