Vorwort
Dieses Land gibt Rätsel auf. Einst Durchzugsgebiet für alle, die tiefer nach Asien wollten. Dann über Jahrzehnte eine abgeschottete Militärdiktatur. Und plötzlich öffnen die Generäle die Türen, lassen frischen Wind ins Land, als wäre nichts gewesen. Nun drängen Investoren nach Myanmar, wollen endlich Pflöcke einrammen – und merken schnell, dass die gängigen Rezepte hier scheitern.
Myanmar ist das Land der Gegensätze – die Geschäftsleute nutzen Laptops und tragen Longyis, den traditionellen Wickelrock für Frauen und Männer. Luxusautos drängen Lastenträger von der Straße. Mehr als ein Drittel der Menschen muss sein Leben mit weniger als zwei Dollar am Tag fristen. Es fehlt an Trinkwasser, an Strom, Schulen und Krankenhäusern. Diese schreiende Armut deuten Touristen als Ursprünglichkeit, als Idyll eines anderswo längst vergessenen, alten Asiens. Sie, und die Spiritualität der Burmesen, lassen Myanmar so pittoresk erscheinen.
Myanmar? Schon der Name des Landes sorgt für Debatten. Burma, Birma, Myanmar – wie heißt dieses Land eigentlich, das plötzlich für so viele Schlagzeilen sorgt? Burma, das ist der Name des britischen Kolonialreichs zwischen Bangladesch und Thailand. Von Burma zu sprechen, hieß, sich in den vergangenen Jahrzehnten von der Junta zu distanzieren. Birma ist die Eindeutschung des britischen Burma. Der Begriff Myanmar findet sich schon in jahrhundertealten Schriftstücken. Das Wort bedeutet schlicht »burmesisch«, ist damit das Adjektiv für die ethnische Mehrheit im Land und dessen Sprache. Die Generäle der ein halbes Jahrhundert währenden Militärdiktatur haben sich den Namen Myanmar angeeignet und das Land 1989 offiziell umgetauft. Längst aber spricht ein großer Teil der Bevölkerung Burmas von Myanmar. Selbst die Oppositionsführerin, die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, nutzt den Namen Burma vor allem aus Gewohnheit – und spricht selber ab und an von Myanmar, so wie inzwischen alle internationalen Organisationen. Daher wird dieses wunderbare Land mit seinen rund sechzig Millionen Einwohnern auch auf den folgenden Seiten Myanmar heißen. Ansonsten halten wir uns an die gebräuchlichsten Begriffe, wie Rangun anstatt des neuen Yangon, Irrawaddy anstelle des neuen Ayeyarwady.
Wer zum ersten Mal am Flughafen in Rangun ankommt, der wird überrascht sein. Bis vor wenigen Jahren stand hier eine Abfertigungsbaracke, staubig, stickig. Heute tritt der Gast in einen kleinen, aber modernen Flughafen mit viel Glas und Licht, bis zu den Hinweisschildern konzipiert nach dem Vorbild des Airports im glitzernden Stadtstaat Singapur, finanziert mit fremdem Geld. Die Vorhölle einer langsam verblassenden Diktatur sieht anders aus. Freundliche Grenzbeamte, genauso freundliche, wenn auch häufig ziemlich ortsunkundige Taxifahrer. Sie kommen aus den Bergen in die Metropole, um dort Geld zu verdienen, und lotsen die Passagiere erfolgreich an unzähligen Zeitungs- und Souvenirverkäufern vorbei. Dabei sind eben diese Zeitungen der erste deutliche Eindruck vom demokratischen Wandel in Myanmar, den der Besucher bekommt.
Die Rätsel des lange hinter einer Wand aus Panzerglas verborgenen Landes lassen sich Stück für Stück im Gespräch mit den Menschen in Myanmar lösen. Man braucht Zeit für sie, braucht Interesse an Geschichte und Geschichten. Der sich aus Elend und Unterdrückung allmählich herausschälende Staat zerfällt in eine schmale, exorbitant reiche Oberschicht, die dem Militär nahesteht, eine kleine intellektuelle Mittelschicht mit wenig Kaufkraft sowie die große Masse der Menschen mit geringer Bildung, minimalem Einkommen und schlechten Perspektiven. Sie alle haben Geschichten zu erzählen, vom Rohstoffbaron mit Villa am Stadtrand von Rangun über den kritischen Journalisten, der Jahre im Gefängnis vegetierte, bis hin zum Straßenhändler, der schlichte Textilien, günstige Zeitungen der Vorwoche oder einzelne Zigaretten verkauft. Sie alle sind Teil dieses Kaleidoskops Myanmar.
Viele sehen Myanmar inzwischen als das kommende Herz Asiens, in das zu investieren geradezu Pflicht jedes risikofreudigen Unternehmers ist. Zumindest geografisch stimmt das. Hier stoßen China, Indien und Südostasien aneinander. Seit Jahrhunderten zogen Mönche und Emissäre, Generäle und Händler, Prinzen und Samurai durch die Königreiche des alten Burma. Sie nutzten es als Brücke in die umliegenden Großmächte, hatten es aber auch auf Jade und Rubine, Rauschgift und Gold abgesehen.
So mancher derer, die nun mit großen Hoffnungen kommen, wird sich freilich die Finger verbrennen. Auch wenn sich die Tore endlich öffnen – einfach wird es nicht. Bis vor wenigen Monaten gab es in Myanmar drei Wechselkurse, aber keine Kreditkarten. Und Dollarscheine mussten glatt gebügelt sein, damit die Burmesen sie akzeptierten.
Vor zu rücksichtslosen Investoren, die Myanmar überrollen könnten, hat Aung San Suu Kyi immer wieder gewarnt. Diese Warnungen sind Teil der beginnenden Positionierung der Opposition, die plötzlich über mehr Gestaltungsmacht verfügt, als sie sich noch vor Kurzem zu erträumen wagte. Und die lernen muss, damit umzugehen. Wer ist diese Aung San Suu Kyi, Tochter des Unabhängigkeitshelden Aung San, die längst mit Nelson Mandela verglichen wird? Was genau will sie, was kann sie, und vor allem: Ist sie dem großen Erwartungsdruck gewachsen? Diese Fragen werden auch im Land selbst gestellt und sie sind wichtig, auch wenn sich die Antworten erst langsam herausbilden. Und wie steht es um ihren Gegenspieler Thein Sein, den einstigen General der Militärjunta, der heute als ziviler Präsident ein Reformer sein will?
Der frisch gebackene Präsident, inzwischen mit Ehrungen überhäuft, blickt auf eine Karriere in einer der schlimmsten Diktaturen der Welt zurück. Auf das demokratische Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit 1948 folgte eine fast ununterbrochene Militärherrschaft, geprägt vom bis heute verhassten General Ne Win, zunächst gestützt auch von den Amerikanern als Bollwerk gegen Rotchina. Einmal noch atmete das Land frische Luft, als Ministerpräsident U Nu nach den Wahlen 1960 die Führung übernahm. Zwei Jahre später machte Ne Win dem Zauber ein Ende und putschte sich zurück an die Macht. Wie ein Oberlehrer behauptete er, die Burmesen hätten zwar gute Eigenschaften, Disziplin und soziale Verantwortung aber müssten sie erst lernen. Ein halbes Jahrhundert beherrschten seine Offiziere mit eiserner Faust von da an das Land: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gezielte Vergewaltigungen, Folter, Zwangsarbeit, Mord, Drogenhandel und die Entführung von Kindern, um sie als Soldaten einzusetzen, waren nicht Schandtaten Einzelner, sondern Mittel zum Machterhalt. Noch ist völlig offen, ob die Taten je gesühnt und die Täter, die weiter die Macht haben, zur Rechenschaft gezogen werden.
Manche profitierten von dem Regime und erscheinen im neuen Myanmar stärker als je zuvor. Die Cronies, die vertrauten Geschäftsleute, die unter den Generälen reich wurden und ihr Geld nach Singapur retteten – wo sich auch die Generäle gerne aufhalten und beispielsweise medizinisch behandeln lassen –, sind heute gefragte Geschäftspartner für Geldgeber aus dem Westen.
Viele Probleme aber bleiben ungelöst. Noch im Januar 2013 kam es wieder zu Kämpfen und Luftangriffen auf die ethnische Minderheit der christlichen Kachin hoch im Norden, an der Grenze zu China – und schon stellte sich wieder die Frage, wie viel Einfluss Thein Sein eigentlich auf sein Militär hat oder haben will. Der Ausgleich mit den sieben großen ethnischen Gruppen des Landes ist eine der wichtigsten Aufgaben jeder Regierung Myanmars. Vierzig Prozent der Menschen des Landes leben als sogenannte ethnische Minderheiten in den Stammesgebieten. Seit der Unabhängigkeit Burmas 1948 kämpfen sie immer wieder gegen die Regierung für ihre eigene Unabhängigkeit und halten dabei eine starke Stellung im thailändischen Exil, wo mehr als hundertfünfzigtausend Burmesen leben. Ihr Kampf wird weitergehen. So werfen die Kachin bis heute der Regierung und deren Geschäftspartnern vor, das Land im Norden an die Chinesen zu verhökern. Sie selber vegetieren währenddessen wie Hunderttausende andere Menschen in den Stammesgebieten, unterhalb des Existenzminimums. Viele leiden Hunger.
Probleme gibt es auch mit Minderheiten im Westen des Landes. Bis heute verweigert die Regierung den muslimischen Rohingya im Bundesstaat Rakhine am Golf von Bengalen – wo die schönsten Touristenstrände liegen – die Staatsbürgerschaft. Für die Vereinten Nationen sind die Rohingya die »am meisten verfolgte Minderheit der Welt«.
Während die Kachin, die Karen, die Shan oder die Wa mit eigenen Armeen für ihre Autonomie kämpften, versuchte sich die burmesische Mehrheit, getrieben von den relativ gut ausgebildeten Mönchen, Nonnen und Studenten, immer wieder am Umsturz. Das bekannteste Datum ist der 8. August 1988, der Wochen des Aufstands einleitete. Damals hielt Aung San Suu Kyi ihre erste Rede vor der Shwedagon Pagode in Rangun. Ausgelöst wurde die Revolte durch die schlagartige Entwertung von Geldscheinen – sie war der Funke, der das Pulverfass explodieren ließ. Heute hat die Generation der Achtundachtziger wieder Einfluss auf die Politik, wenn auch manche von ihnen, inzwischen in ihren Fünfzigern, von der bleiernen Zeit der Diktatur gebeugt sind.
Die Bilder, Filme und Berichte von der brutalen Zerschlagung der Safran-Revolution der Mönche im September 2007 gingen um die Welt. Zweifelsohne halfen sie, das Ende des Regimes einzuleiten. Erneut war der Anlass der Proteste ein wirtschaftlicher – zunächst wehrten sich die Menschen gegen die plötzliche Anhebung der Benzinpreise. Dass die Soldateska auf Mönche in Roben einschlug, sie folterte und...