IV. Paradies und Entsagung: Der leidenschaftliche Gärtner (S. 297-298)
Für Borchardts Gartenbuch Der leidenschaftliche Gärtner, 1937 und 1938 geschrieben und erst 1951 posthum erschienen, läßt sich das Wort „Anthologie“ ganz wörtlich nehmen: als das griechische Wort wie als das lateinische „florilegium“ oder das deutsche „Blütenlese“. Eine solche Blütenlese stellt das „Kernstück“ des Buches dar, der „Katalog der Verkannten, Neuen, Verlorenen, Seltenen, Eigenen“ – der Titel träfe auch für jede von Borchardts Anthologien zu –, in dem auf beinahe siebzig Druckseiten eine Vielzahl von „seltenen und verkannten Pflanzen“ mit praktischen Angaben aufgeführt sind. Aber auch der 1932 veröffentlichte Essay „Deutsche Namen ausländischer Gartenpflanzen“ (1932), eine lange von Borchardt eingeleitete Liste, hat eine anthologische Funktion und dokumentiert in einer Auswahl, darin der Fremden Muse vergleichbar, Borchardts Aneignung ausländischer Blumen auf sprachlichem Gebiet. Als „Blütenlese“ erscheint schließlich das ganze Buch Der leidenschaftliche Gärtner, das mehr mit Borchardts Anthologien gemein hat, als es zunächst scheint.
Die Blume ist seit 1906, da Borchardts Arbeitsfelder abgesteckt sind, selbstverständlicher Teil seines Kanons und Gegenstand seiner Beschäftigung. Dies zeigt schon das im selben Jahr entstandene Fragment „Kamelien“, in dem einige Gedanken, die später in Der leidenschaftliche Gärtner ausgearbeitet werden, anklingen. Seit Borchardt im August 1906 die Villa Sardi bei Lucca bezogen hat, erhalten Blumen und Garten über ihren oberflächlichen, farbig-impressionistischen, rein ästhetischen Reiz hinaus, den sie etwa in den Gartenbüchern von Elizabeth von Arnim und Alfred Lichtwark haben, bereits eine tiefere Bedeutung. Den Beginn seiner eigentlichen gärtnerischen Tätigkeit und der Begeisterung dafür datiert er selbst jedoch erst auf das Jahr 1911. So heißt es in einem Brief an Schröder aus dem Jahr 1937: „Bis 1911 also in Villa Sardi, Orologio, Burlamacchi, hatte ich von der hiesigen wilden Blume so viel Glück gehabt, dass der Gedanke an einen Garten mir gar nicht gekommen war. In Geggiano der einsamsten aller meiner alten Einsamkeiten, fing ich an Gemüse zu ziehen und kaufte mir in einem Seneser Lädchen nebenbei auch sieben Samentüten, dabei, wie ich noch weiss, Scabiosen, Löwenmaul, Sommerrittersporn, Reseda. Es blühte alles recht brav. Damit war der Teufel in mich gefahren und Monsagrati wurde mein erster Garten.“
Auch in der Villa Mansi, die er von 1912 bis 1914, dann wieder von 1921 bis 1923 bewohnt, hält sein Interesse für das Gärtnern an, wie aus einem Brief an Hofmannsthal hervorgeht: „Jetzt erfrischt mich der Garten, den ich mit Eintritt der guten Jahreszeit [...] ernstlich in Angriff genommen habe. Gegen achtzig Blumensämereien werden in Kästen und Näpfen gewartet, heut ist der Küchengarten für die Bestellung in Beete geteilt worden und ich habe Stundenlang gesät.“ Was Borchardt zu dieser Zeit über die Blume und seine Arbeit im Garten schreibt, ist von der Originalität, die er in Der leidenschaftliche Gärtner erreichen wird, noch weit entfernt: „Nichts Märchenhafteres als dies Spiel mit den Kräften der Natur, bei dem man sich für einen schlafenden Samenkeim in die Vier Elemente nach einander und durch einander verwandeln muss und gewissermassen die ganze Schöpfung in sich ziehen, um einen einzigen, nachlässig unbewussten ihrer Akte, die Hervorziehung eines Kelches aus einem Korn, bewusst ergreifend hervorzurufen.“