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E-Book

Gelegenheit macht Liebe

Glücksbedingungen in der Partnerschaft

AutorMichael Lukas Moeller
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783644028517
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Unser ganzes Leben wird geprägt von unserer Beziehung zu wichtigen anderen Menschen. Sie machen das Glück oder Unglück unseres Daseins aus. Sie bestimmen unsere wirkliche, die seelische Lebensqualität. Trotz dieser lebenswichtigen Priorität geschieht für das Zweierleben so gut wie nichts. Seine Bedeutung für die menschliche Gemeinschaft wird als Privatintimität bagatellisiert, seine Bedingungen werden politisch nicht gefördert, und das in seinen Symptomen offensichtliche Geheimnis des weltweiten Paarsterbens wird geleugnet wie einst das Waldsterben. Wer sich auf das Wesentliche konzentrieren will, muss die beiden Bedingungen seiner zentralen Beziehung erkunden und entwickeln. Es geht um die Qualität unserer bedeutendsten Beziehung. Sie hat unüberschätzbare Wirkungen: Sie bestimmt am stärksten über das Glück und und Unglück unseres Lebens. Sie ist der mächtigste Faktor für unser Gesunden und Erkranken.Sie beeinflusst tief gehend die Bindungsfähigkeit der nächsten Generation.

Michael Lukas Moeller, geboren 1937 in Hamburg. Psychoanalytiker. 1973-83 Professor für Seelische Gesundheit in Gießen, hatte er seit 1983 den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main inne. Im Jahre 2000 erster Preisträger des Internationalen Otto-Mainzer-Preises für die Wissenschaft von der Liebe.Michael Lukas Moeller verstarb am 7. Juli 2002.

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Leseprobe

4 Die Liebe im Zeitalter der narzisstischen Bedürftigkeit


«Ehepaare sind nur glücklich,

wenn einer nie Zeit hat.»

VICTOR VON BÜLOW (LORIOT)

«Kein Halt, der währt, kein Wert, der hält»

Der Untergang verbindlicher Verhaltensweisen, vor allem der Sexualmoral, vollzog sich in wenigen Jahrzehnten: Alles ist erlaubt, aber das Paar sollte sich darauf einigen. Es wird mehr und mehr seine eigene Legislative. Auf die Aufgaben eines Zweierparlaments ist es aber überhaupt nicht vorbereitet. Der Umgang mit aushäusigen Verliebtheiten beispielsweise – obwohl nicht mehr mit Steinigung geahndet – ist hilflos, destruktiv und kenntnisblind. Konfliktfähigkeit ist unter Paaren fast unbekannt. Das Entwicklungspotential als höchstes Zweiergut liegt brach. Die Partner kennen nicht einmal die einfachsten Grundeinsichten in das Beziehungsleben. Woher auch? Sie fristen als ungelernte Paare ihr Leben und wursteln sich durch die nicht enden wollenden Belastungen einer Beziehung, von der sie sich genau das Gegenteil, nämlich selige Entlastung, ersehnten.

Wenn der erste Beruf des Menschen seine wesentliche Beziehung ist (oder doch sein sollte), so wäre die weithin unbemerkte, wenn auch mit hohem Aufwand täglich realisierte (oder doch zu realisierende) Beziehungsarbeit mit Partner, Kindern, Freunden und anderen eine besondere Arbeit erster Priorität, die alle anderen Arbeitsformen an Bedeutung übertrifft: die Urarbeit. Langsam gerät sie ins Blickfeld von Erhebungen.

 

Das Quintett der Finsternis

 

Merkmalsdiagnose des modernen Paarsterbens

 

1. Die Bewusstlosigkeit in der Beziehung

Selten wissen wir wirklich, dass wir uns unserer Beziehung zuwenden müssen, um sie aufrechtzuerhalten. Es gibt keinen Überblick über die Beziehung, ja nicht einmal das innere Empfinden, dass man für sie etwas tun muss. «Ich weiß nicht, dass ich nichts weiß», tröstet uns witzig unsere Inkompetenz. Wir leben in Beziehungen bewusstlos wie die Kinder, aber die Beziehung leben wir nicht. Diese allgemeine Narkotisierung bedingt natürlich auch die politische und persönliche Handlungsunfähigkeit.

 

2. Die Ahnungslosigkeit in der Beziehung

Tauchen Paare aus der Bewusstlosigkeit auf (meistens durch ein Leiden an der Beziehung, durch eine Störung), dann wissen sie nicht, was sie zur Behebung dieser Störung tun sollen. Sie haben nirgends ein Vorbild, nirgends eine Vorstellung, wie eine gute Beziehung aussehen könnte und wie man ein Störmoment, beispielsweise ständige Gereiztheit, Krach, Langeweile und erotische Einöde, angehen und beheben soll. Das Erkennen eigener Chancen bleibt ganz auf der Strecke.

 

3. Die Beziehungslosigkeit in der Beziehung

Paare, die zu wenig zusammen sind oder zu wenig kommunizieren, entwickeln eine Beziehungslosigkeit in der Beziehung, die um ein Vielfaches bedrohlicher ist als Scheidung oder Trennung, selbst wenn sie manchmal jahrzehntelang verschleppt worden ist. Es gibt kreative Scheidungen, weil beide Partner in einer neuen «Kombination der Lebensgeschichte» glücklicher werden. Hingegen ist die beziehungslose Beziehung bestenfalls ein glattes Nebeneinander statt eines lebendiges Miteinander. Die Paare geraten dahin, weil sie in der Regel zu wenig wesentlich miteinander sprechen. Das Paarsterben findet hier innerhalb der bestehenden Partnerschaft seinen stärksten Ausdruck.

 

4. Die Sprachlosigkeit in der Beziehung, Communication gap

Die «Kommunikationskluft» ist weltweit gesichert. Paare sprechen zu wenig wesentlich miteinander. Das heißt konkret: Sie tauschen ihr Erleben zu wenig aus. Ein durchschnittliches amerikanisches Paar widmet sich einem wechselseitigen Gespräch heute pro Tag nur noch vier Minuten, ein deutsches noch weniger. Davon kann keine Beziehung leben. Die einfachsten Konflikte können nicht geklärt werden, die einfachsten Empfindungen werden nicht mehr geteilt. Trauer, Enttäuschung und entsprechende Zornmengen sammeln sich unterschwellig auf dem Boden der Beziehung als Symptome einer unerledigten Aufgabe, eines nicht gelösten Konfliktes. Damit entstehen über Jahre Verbitterung und wechselseitige Entfremdung bis zum Doppelsingledasein.

 

5. Die Lustlosigkeit in der Beziehung, Ent-Erotisierung

Wenn in dieser Minutenbeziehung der Zeitmangelmenschen nichts besprochen werden kann, wird die beste Erotik unter der Last von Unerledigtem, Gereiztem und Resigniertem erstickt. Weltweit ist die Lust am Abnehmen. Konkret machen Paare weniger Liebe. Auch der Glaube an die große Liebe nimmt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ab.

 

© Michael Lukas Moeller

paarpapier 1 3/​2000

Die Sammlung dieser Dimensionen gleicht einem Beleg für Freuds Bemerkungen in «Die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens»: «So müßte man sich denn vielleicht mit dem Gedanken befreunden, daß eine Ausgleichung der Ansprüche des Sexualtriebes mit den Anforderungen der Kultur überhaupt nicht möglich ist, daß Verzicht und Leiden sowie in weitester Ferne die Gefahr des Erlöschens des Menschengeschlechts infolge seiner Kulturentwicklung nicht abgewendet werden können.»

Die fragmentierte Zukunft der Geschlechter

Paare leiden heute an wenigstens sechs gesellschaftlichen Belastungen:

  1. An der überhöhten Dominanz des funktionalen Leistungsprinzips über das Prinzip der Lebendigkeit – was vor allem zur Sprachlosigkeit beiträgt;

  2. an dem Mangel an Vorbildern für eine gesprächsreiche und erotische Beziehung;

  3. an der Überlastung mit personalen und emotionalen Schwierigkeiten seit der historischen Entstehung des intimen Liebespaares im Zuge der industriellen Revolution vor bald zweihundert Jahren;

  4. an den mehr und mehr frühkindlich beeinträchtigten Lebensgeschichten, die sich in jeder Paarbeziehung kombinieren;

  5. an dem Resultat, dass selbst die üblichen, unvermeidlichen normalen Paarkrisen – wie die Bildungsphase, Familiengründung und Altersphase – nicht bearbeitet werden können;

  6. an dem zur Zeit wohl stärksten seelischen Gift, der psychosozialen Beschleunigung, die zu immer schnellerem Rollenwandel der Geschlechter und zu immer intensiverer Aufarbeitung seelischer Veränderungen zwingt, ohne dass dem Paar entsprechende Mittel zuwachsen.

Paarblinde Politik

Die Politik versagt in ihrer zentralen Aufgabe, die besten Bedingungen für die Selbstaneignung und autonome Lebensgestaltung ihrer Bürger zu schaffen. Ja, sie sieht ihre Verantwortlichkeit der Qualität des Paarlebens gegenüber gar nicht, obwohl die Güte des Zweierdaseins doch das entscheidende Fundament ist von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten und Anerkennung des Fremden. Atomisierung statt Autonomisierung ist das Resultat.

Paare sind die Hauptquelle, die wesentlichste Ursache der Einstellungen künftiger Generationen: Eine durch beeinträchtigende Bedingungen der frühen Kindheit, sprich durch schlechte Paar- und Familienbeziehungen, geprägte Jugend wird weder solidaritätsbereit noch dialogfähig, noch initiativereich. Weder die aktuelle Lebensqualität der Menschen als Zentralaufgabe der Politik noch die Sorge um die Zukunft gesellschaftlichen Erlebens und Handelns scheint im Blick der Legislative vorrangig zu sein. Und das angesichts der verheerenden Symptome wie Politikverdrossenheit – als Merkmal nachlassenden Gemeinschaftsinteresses – oder der Tatsache, dass Elternpaare in einer Geldgesellschaft gegenüber kinderlosen Paaren finanziell um etwa 400 000 Mark pro Kind benachteiligt sind. Selbst das süßeste Kind kostet sehr viel Geld, erfordert mehr Arbeitsstunden und lässt weniger persönliche Zeit. «Historisch hat sich die Familie von einer Zugewinngemeinschaft zu einem masochistischen Verlustunternehmen gewandelt.»

Beziehungslehre gehört in den schulischen Sozialkundeunterricht und ist als «Führerschein» vor der Hochzeit bedeutender als andere Heiratsformalitäten. Sie fehlt in der Medizin, obwohl die Erfüllung oder Nichterfüllung der jedem Menschen innewohnenden, lebensgeschichtlich erworbenen Beziehungsfigur als bedeutendster Faktor für seelische und körperliche Gesundheit und Krankheit anzusehen ist.

Aufbrechende Vielfalt der Beziehungsformen

Wie unmerklich sich die Beziehungsformen wandeln, ist an ihrem Außenbild nicht zu erkennen. Die Beziehungen der narzisstisch beeinträchtigten Form lassen sich am einprägsamsten in vier Sätzen wiedergeben:

  1. «Wenn du mich liebst, bleibst du mir fern.»

  2. «In unserer Beziehung ist kein Platz für zwei.»

  3. «Wer mich liebt, ist nichts wert.»

  4. «Vergiss mich nicht und verschwinde!»

Das komplexe Geschehen bezeichne ich als Paargrundstörung. Ihr Kernmerkmal ist die Selbstentwertung, die schnell in eine Entwertung des anderen verdreht wird – mit den Worten einer Frau in der Paargruppe: «Einen Menschen wie mich würde ich nie heiraten – und deshalb kann ich meinen Mann nicht achten.»

Die narzisstischen Schäden, die uns alle treffen, fördern die Sprachverarmung in den Beziehungen. Wer wenig mit seinem Beziehungspartner spricht, schützt sich vor diesem seelischen Elend. Er braucht sein schäbiges Selbst nicht zu zeigen, und er sieht nicht die strangulierende Beziehungsform heute, die der einstigen in der Kindheit so täuschend ähnlich sieht. Unzulängliches Reden schützt vor der bedrohlichen Bindung und paradoxerweise zugleich vor...

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