Sie sind hier
E-Book

Die weiße Mafia

Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen

AutorFrank Wittig
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783864132735
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
In unserem Gesundheitssystem herrschen mafiöse Verhältnisse. Um den Profit der Ärzte und der Gesundheitsindustrie zu sichern, werden überflüssige Operationen durchgeführt und Medikamente verschrieben, die mehr schaden als nutzen. Gesunde werden zu Kranken erklärt, weil Laborwerte willkürlich festgelegten Normen nicht entsprechen oder Röntgenbilder völlig unbedenkliche Abweichungen vom Ideal zeigen. Die industrienahe 'medizinische Selbstverwaltung' weigert sich, auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu reagieren, und verhindert so den Fortschritt - vor allem, wenn die Wissenschaft gut etablierte Geschäftsmodelle bedroht. Der mehrfach preisgekrönte Wissenschaftsjournalist Frank Wittig recherchiert seit vielen Jahren im Medizinbetrieb und ist dort auf skandalöse Zustände und eine 'weiße Mafia' aus Ärzteschaft und Industrie gestoßen, die sich gnadenlos an Gesunden und Kranken bereichert. Wittig deckt auf, wo es krankt im System, und gibt Hinweise, wie wir als Patienten beim Kontakt mit Medizinern das Risiko verringern, Opfer der weißen Mafia zu werden. Ein Buch, das anklagt, aufrüttelt und aufklärt. Denn Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung - des Systems und der eigenen Gesundheit.

Dr. Frank Wittig studierte Literaturwissenschaft und Psychologie und arbeitete als Wissenschaftsjournalist für verschiedene Magazine und Zeitungen. Seit 1996 ist er Redakteur und Autor beim Südwestrundfunk in der Abteilung Wissenschaft mit dem Schwerpunkt Medizin. Seine Dokumentationen Betrifft: Die Vitaminfalle und Betrifft: Überflüssige Operationen wurden mit Preisen ausgezeichnet.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

2. Deutschland: Eldorado der Gesundheitsindustrie


Warum der weißen Mafia der Raubzug in Deutschland so leichtfällt


In keinem Land der Welt existiert ein ideales, fachmedizinisch korrektes, vollkommen gerechtes Gesundheitssystem. Das wird es nach meiner Überzeugung auch nie geben. Denn ein Gesundheitssystem ist eine sehr komplexe Vernetzung medizinischer, wirtschaftlicher, ethischer und weltanschaulicher Aspekte. Ein Beispiel: Wollen wir eine wiederkehrende Krebserkrankung – ein Rezidiv – mit einer Chemotherapie behandeln, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent hilft? Auch wenn die Hilfe nur in einem durchschnittlichen »Pausieren« der Krebserkrankung von drei Monaten besteht, ohne dass eine Verlängerung der Lebenszeit erreicht wird? Sind wir bereit, 50 000 Euro auszugeben, um einem Krebspatienten diese drei Monate »progressionsfreies Überleben« zu ermöglichen? Wer muss dafür zurückstecken? Welche Krankheit wird nicht oder weniger intensiv behandelt? Wie viele Pflegekräfte in Altenheimen fehlen dafür? Kann die Politik auf den Preis des Medikaments einwirken? Der Fragenkatalog ließe sich erheblich erweitern. Sie sehen, da gibt es viel zu diskutieren. Und vieles ist am Ende »eine Frage des Standpunktes«. Umso mehr lohnt sich ein Blick auf die Institutionen, die in Deutschland zu einem großen Teil die Entscheidungen in diesen Fragen treffen, und der Versuch zu verstehen, was die leitenden Kriterien für diese Entscheidungen sind.

Die Fallstricke der medizinischen Selbstverwaltung


Wer die Deutungshoheit hat, welche Diagnostik und welche medizinische Therapie die jeweils richtige ist, der hat eine gewaltige Macht im Gesundheitssystem. Der beurteilt, was als fachgerecht gilt, und bestimmt damit über den Inhalt der im Fach maßgeblichen Leitlinien. Der entscheidet über die Aus- und Weiterbildung. Also darüber, mit welchem »Wissen« den Mitgliedern der Zunft die »Festplatte formatiert« wird. Er entscheidet schlicht, was an der medizinischen Basis letztlich gemacht wird. Diese Entscheider sind in Deutschland vor allem die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften. Ich möchte sie in diesem Buch als Mitwirkende an der medizinischen Selbstverwaltung ansprechen – auch wenn dieser Begriff streng genommen bisher nur für die Krankenkassen und die kassenärztlichen Vereinigungen verwendet wird. Tatsächlich spielt aber, was die medizinische Selbstverwaltung anbelangt, bei den Fachgesellschaften »die Musik«. Drei der Fachgesellschaften haben wir bereits kennengelernt. Und alle drei haben sich auf den ersten Blick nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert:

Für die Orthopädie zuständig ist die DGOOC (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie). Bei den Kardiologen hat die DGK (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V.) als oberstes Gremium das Sagen – eine der größten Gesellschaften mit aktuell über 6400 Mitgliedern. Und die Gynäkologen haben die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). 159 weitere wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften gibt es in Deutschland.

Drei gravierende strukturelle Probleme hat dieses System der Fachgesellschaften als oberste Wächter und Lehrer der medizinischen Zünfte, so wie es bei uns etabliert ist:

  • Erstens: Verantwortlich für die Bewertung der medizinischen Prozeduren sind diejenigen, die mit den medizinischen Prozeduren Geld verdienen. Man nennt dieses Prinzip: den Bock zum Gärtner machen.
  • Zweitens: Diese Struktur ist aufgrund der engen Verflechtung »exzellenter Mediziner« mit der Industrie extrem anfällig für Manipulationen durch die Industrie. Allen voran die Pharmaunternehmen und die Gerätehersteller.
  • Drittens: Dieses System wird getragen von »Persönlichkeiten« und wird damit durch persönliche Eitelkeiten an seiner rationalen Weiterentwicklung gehindert. Kritiker nennen es »eminenzbasierte Medizin«, weil hier Eminenzen den Ton angeben. Im Gegensatz zur »evidenzbasierten« (wissenschaftlichen) Medizin.

Schauen wir uns diese drei zentralen Punkte genauer an.

Der Bock als Gärtner


Sie erinnern sich an den Gynäkologen aus dem zweiten Kapitel, der seiner Patientin – der Medizinverlegerin – die Gebärmutter entfernen wollte? Sie habe eine Krebsvorstufe und müsse sofort operiert werden. Zwei weitere Frauenärzte erklärten der Verlegerin aber nach eingehender Untersuchung, sie sei vollkommen gesund. Der skrupellose Gynäkologe der Verlegerin wollte sich einfach einen Extraverdienst sichern. Wir sehen hier im Kleinen dieselbe Struktur, wie sie im Großen durch die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften verkörpert wird: Der Bock ist der Gärtner. Der Gynäkologe ist in Personalunion erstens der Diagnostiker, also der, der sagt, was gemacht werden muss. In diesem Fall: »Gebärmutter raus!« Er ist zweitens der Behandler, also der, der mit dem Eingriff sein Geld verdient. Merken Sie was? Das ist verhängnisvoll! Die Versuchung ist einfach zu groß. In dieser Personalunion ist es so leicht, sich seine eigenen lukrativen Patienten zu generieren. Nur eine zusätzliche Operation, und der niedergelassene Gynäkologe hat am Monatsende 1000 Euro mehr in der Tasche. Oder 1500, wenn es Komplikationen geben sollte.

Bei den wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften herrscht dasselbe Prinzip. Nur geht es dabei nicht um 1000 Euro. Schließlich sprechen wir hier nicht von »Einzelkämpfern«, sondern von der Ausrichtung einer ganzen medizinischen Fachdisziplin. Es geht um Hunderte von Millionen oder um Milliarden Euro. In den maßgeblichen Leitlinien eine sinnlose Knieoperation als fachgerecht zu beschützen und entsprechende Empfehlungen aufrechtzuerhalten – etwa die Knorpelglättung im Kniegelenk – sichert Hunderten orthopädischen Chirurgen ein finanzielles Standbein. Und erbringt geschätzte 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Oder: In den Leitlinien der Kardiologen einen strengeren Cholesterinwert zu definieren, um die Bevölkerung angeblich vor Arteriosklerose (»Gefäßverkalkung«) zu schützen, kann über Nacht eine Million neue Patienten erschaffen. (Siehe dazu: »Es ist Cholesterin«, Kapitel 8.2: 18 Arztkontakte pro Jahr – das Spiel mit den Grenzwerten.) Was für eine verlockende Perspektive für eine medizinische Fachgesellschaft. Überlegen Sie sich einmal, Sie hätten als Autobauer, als Textilhersteller, als Lebensmittelhändler solche Möglichkeiten, über Ihre Kundschaft zu verfügen. Diese Struktur der medizinischen Selbstverwaltung schafft eine einzigartige Machtfülle in der Gesundheitsindustrie. Im Rechtsstaat gilt aus gutem Grund die Gewaltenteilung: Gesetzgebung, Rechtsprechung und Polizeigewalt sind getrennt. In der Medizin gibt es diese Trennung nicht. Hier werden die Gesetze von denen gemacht, die mit der Durchführung der Gesetze ihr Geld verdienen. Der Willkür sind so Tür und Tor geöffnet.

Die Mediziner, die mit den medizinischen Prozeduren ihr Geld verdienen, entscheiden, was behandlungsbedürftig ist und wie es behandelt werden muss. Was, denken Sie, würde passieren, wenn der Präsident der Kardiologischen Fachgesellschaft seinen Mitgliedern ankündigte, er wolle die katastrophalen Studienergebnisse zum prophylaktischen Stenten gegen den Herzinfarkt in die Leitlinien einpflegen und von dieser Verfahrensweise in Zukunft abraten? Er würde abgewählt! Auch wenn die Fachgesellschaften nach außen wissenschaftliche Seriosität signalisieren – machen wir uns nichts vor: Es sind vor allem Interessenverbände von Berufsgruppen. Und natürlich ist ein solcher Interessenverband zuerst auf die Sicherung seiner Pfründe bedacht. Das wird den Fachgesellschaften auch noch leicht gemacht. Denn es gibt weitere Mächte in diesem Spiel, die darauf aus sind, die Zahl der Kranken zu erhöhen und die Behandlungen auszuweiten: Krankenhäuser, Pharmaindustrie und Gerätehersteller. Und damit wären wir beim zweiten Strukturproblem der medizinischen Fachgesellschaften.

Die enge Verflechtung mit der Industrie


Für einen Beitrag über geschönte Arzneimittelstudien besuchte ich vor vielen Jahren, als ich mich noch nicht so intensiv mit der kritischen Medizinberichterstattung beschäftigt hatte, den Pharmakologen Prof. S. Herr Prof. S. ist ein gefragter Mann auf seinem Gebiet. Er lehrt Pharmakologie, erstellt pharmakologische Gutachten für eine große Klinikkette und ist heute ordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.

Als ich in sein Büro komme, macht er einen sehr dezenten, defensiven Eindruck auf mich und ich frage mich, ob er tatsächlich bereit sein wird, vor der Kamera Klartext zu sprechen, wie er es am Telefon getan hat. Als wir auf die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften zu sprechen kommen, überrascht er mich mit einer ausgesprochen pointierten Stellungnahme: »Die medizinischen Fachgesellschaften können Sie vergessen. Die sitzen doch alle bei der Industrie auf dem Schoß.«

Die obersten Hüter der medizinischen Wahrheit im Klüngel mit den Herstellern der entsprechenden Produkte – wenn das so wäre, wäre es fatal. Schließlich lässt sich nirgendwo so effektiv das medizinische Programm eines ganzen Landes manipulieren wie dort. Nur wenige Mediziner, nämlich die, die eine Leitlinie formulieren, müssen hier von der Industrie für die »richtigen Studien« begeistert werden, um den großen Coup zu landen und das fachmedizinische Treiben »von oben her« auf die gewünschte Linie zu bringen. Die Gefahr der Manipulation ist in der wissenschaftlichen Szene allbekannt und ist immer wieder Gegenstand heftiger...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

Augenblick mal

Augenblick mal

Die Zeitschrift mit den guten Nachrichten "Augenblick mal" ist eine Zeitschrift, die in aktuellen Berichten, Interviews und Reportagen die biblische Botschaft und den christlichen Glauben ...

FREIE WERKSTATT

FREIE WERKSTATT

Die Fachzeitschrift FREIE WERKSTATT berichtet seit der ersten Ausgaben 1994 über die Entwicklungen des Independent Aftermarkets (IAM). Hauptzielgruppe sind Inhaberinnen und Inhaber, Kfz-Meisterinnen ...

care konkret

care konkret

care konkret ist die Wochenzeitung für Entscheider in der Pflege. Ambulant wie stationär. Sie fasst topaktuelle Informationen und Hintergründe aus der Pflegebranche kompakt und kompetent für Sie ...

DHS

DHS

Die Flugzeuge der NVA Neben unser F-40 Reihe, soll mit der DHS die Geschichte der "anderen" deutschen Luftwaffe, den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee (NVA-LSK) der ehemaligen DDR ...

die horen

die horen

Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik."...weil sie mit großer Aufmerksamkeit die internationale Literatur beobachtet und vorstellt; weil sie in der deutschen Literatur nicht nur das Neueste ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...

F- 40

F- 40

Die Flugzeuge der Bundeswehr, Die F-40 Reihe behandelt das eingesetzte Fluggerät der Bundeswehr seit dem Aufbau von Luftwaffe, Heer und Marine. Jede Ausgabe befasst sich mit der genaue Entwicklungs- ...