SpuSi, Presse und Zaungäste – Probleme am Tatort
Der überwiegende Anteil ihrer Sicherung wird durch die Polizei durchgeführt. Die Beamten fotografieren die verschiedenen Spuren zuerst als Übersicht, um zu dokumentieren, wo sie sich genau befinden, und dann im Detail, um festzuhalten, wie sie im Einzelnen aussehen. Wenn alles erfasst ist, stellen die Beamten der Spurensicherung, kurz «SpuSi» genannt, Gegenstände und Spurenmaterial sicher. Die Spuren können zum Beispiel Blutspuren sein, Sperma, Speichel, aber ebenso Schuh- und Fingerabdrücke, Haare oder liegengelassene Gegenstände wie etwa Zigarettenkippen oder Tatwaffen.
Fingerabdrücke und kleinere Sekretspuren kann man nicht immer mit dem bloßen Auge erkennen. Sie müssen manchmal erst durch spezielle Techniken sichtbar gemacht werden. Selbst kleinste Fasern, die der Täter am Tatort hinterlassen hat, kann man durch Abkleben des Leichnams und seiner Umgebung mit Folie aufnehmen. War eine Schusswaffe im Gebrauch, müssen Schmauchspuren und Projektile gesichert werden. Auch andere mögliche Tatwerkzeuge sind einzusammeln und auf Spuren des Täters zu untersuchen. Jede Spur, die zu diesem Zeitpunkt nicht registriert wird, ist für immer verloren. Die Spurensicherung kann darum je nach Größe des Fund- oder Tatorts viele Stunden oder sogar Tage dauern, im Extremfall noch länger.
Bei Tötungsdelikten sollten die SpuSi-Beamten zuerst die Spurensicherung an der Leiche vornehmen, damit der Rechtsmediziner diese möglichst schnell begutachten kann. Die Beurteilung der Befunde wird nämlich mit zunehmender Zeit schwieriger und ungenauer. Das heißt: Je später wir die Leiche untersuchen, desto weniger finden wir heraus. Die weitere Spurensicherung kann dann später stattfinden, nach dem Transport der Leiche in die Rechtsmedizin, mit oder ohne Rechtsmediziner. Der sollte die Polizeibeamten bei der Spurensicherung beraten und tatkräftig unterstützen, auch zur Klärung der Frage beitragen, welche Spuren für die Beurteilung und Aufklärung einer Tat wichtig sein können. Viele Fragen für die Ermittlung versucht man möglichst schon vor Ort zu beantworten: Finden sich mögliche Tatwerkzeuge, die zu einer Verletzung des Leichnams passen könnten? Welche Spuren müssen vor Ort an der Leiche gesichert werden, welche erst bei der Obduktion? In welcher Reihenfolge werden spurensichernde Maßnahmen an der Leiche am besten durchgeführt?
Noch lebhaft erinnere ich mich an meinen ersten Leichenfundort. Ich war ganz neu in der Rechtsmedizin und konnte die Untersuchung nicht selbst durchführen, weil ich nie zuvor einen Tatort gesehen hatte. Darum begleitete ich einen erfahrenen Kollegen, der mich in die Arbeit einführen sollte.
Es war spät in der Nacht, als das Telefon klingelte. Ich hatte schon geschlafen.
«Willst du mit zu einem Tatort?», fragte der Kollege.
Ich war sofort wach. «Ja, klar!»
Als der Kollege kam und mich abholte, war ich schon lange aus dem Bett und fertig zur Abfahrt. Draußen war es kalt und regnerisch. Ich saß auf dem Beifahrersitz seines schönen Wagens, und er stellte mir die Sitzheizung an.
Wir mussten lange fahren. Unterwegs erklärte er mir, welche Untersuchungen gleich durchzuführen waren.
«Was ist es denn für ein Fall?», fragte ich.
«Keine Ahnung. Irgendeiner wurde in seiner Wohnung erschlagen.»
Es gruselte mich. Andererseits wartete ich gespannt auf das, was ich zu sehen bekommen würde. Als wir bei der uns genannten Hochhaussiedlung in einem Hamburger Vorort eintrafen, konnten wir mehrere Polizeiautos sehen – und wussten sofort, dass wir richtig waren. Der Kollege parkte ein und holte den Koffer mit der Tatortausrüstung aus dem Kofferraum. Im Dunkeln liefen wir zum Eingang des Hauses mit der Nummer 5. Dort wurden wir von einem Kriminalbeamten willkommen geheißen. «Morgen! Im achten Stock …»
Wir mussten zu Fuß gehen, weil der Fahrstuhl nicht funktionierte. Das Treppenhaus war mit Graffiti beschmiert. Es roch nach Feuchtigkeit und menschlichen Ausdünstungen. Im achten Stock stand die Tür zur «Tatortwohnung» offen. Herzlich wurden wir von mehreren Polizeibeamten begrüßt. Sie trugen weiße Schutzanzüge mit Kapuze, Latexhandschuhe und über den Straßenschuhen Überzieher aus blauem Kunststoff. Die meisten hatten zusätzlich einen Mundschutz auf, so wie er von Chirurgen im Operationssaal getragen wird. Es schien ein erfahrenes Team zu sein, jedenfalls spürte ich bei keinem die Spur dieses gruseligen Gefühls, das mich selbst noch immer nicht völlig verlassen hatte.
Die Atmosphäre war freundlich und konzentriert. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass alle wussten, was in mir vorging, als Anfängerin, die zum ersten Mal dabei ist. Das gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Der Grusel blieb, aber die Aufregung verschwand. Die Polizeibeamten gaben jedem von uns eine Schutzausrüstung. Einer von ihnen zeigte mir, wie man sie richtig anzieht. Mein Anzug war zur allgemeinen Erheiterung viel zu groß. Noch immer ist die Polizei überwiegend mit Männergrößen ausgestattet, auch wenn es inzwischen viele Frauen in dem Beruf gibt.
Der Einsatzleiter führte uns in den Fall ein. «Der Mann lebte hier allein. Nachbarn hatten Krach aus der Wohnung gehört und die Polizei verständigt. Die Kollegen haben ihn auf dem Sofa gefunden, offensichtlich von hinten erschlagen; die Tür war nicht aufgebrochen worden.»
«Der Eindringling hatte einen Schlüssel?», fragte mein Kollege.
«Anscheinend.»
«Wann war das denn?»
«Irgendwann zwischen 17 und 23 Uhr. Es gibt da widersprüchliche Zeugenaussagen.»
Ich sah auf die Uhr, die im Wohnungsflur an der Wand hing. Zwei Uhr früh, es war also nicht lange her. Hinter meinem Kollegen betrat ich die Wohnung durch den winzigen Flur. Es gab nur ein einziges kleines Zimmer, vielleicht zwölf Quadratmeter groß, eine Küchenzeile und ein sehr kleines Bad. Der Fernseher lief. An das Programm kann ich mich nicht erinnern. Auf einem gläsernen Couchtisch lagen ein Aschenbecher mit einigen Zigarettenkippen, ein Teller mit halb aufgegessenen, angetrockneten Spaghetti und eine Fernsehzeitschrift. Die Wohnung war ordentlich, das fiel mir sofort auf. Nichts deutete auf einen Kampf hin. Es gab keine umgestoßenen Möbel oder heruntergefallenen Gegenstände. Es schien nichts gestohlen worden zu sein. Auf einem kleinen Tisch lag wie unberührt ein Portemonnaie mit Geld.
Auf dem Sofa saß, nach vorn zusammengesackt, die Leiche, ein etwa fünfzig Jahre alter, schlanker Mann. Ein bisschen Blut klebte an seinem Hinterkopf, den er der Tür zuwandte. Bei näherem Hinsehen konnte man darunter eine große Kopfverletzung erahnen. Es passte alles zu dem, was uns die Polizeibeamten berichtet hatten. Jemand musste mit einem Schlüssel in die Wohnung gelangt sein und das ahnungslose Opfer von hinten getötet haben, vielleicht mit einem einzigen Schlag. Das Opfer hatte den Täter entweder nicht gehört oder war auf der Couch sitzen geblieben, weil es den Täter kannte und nichts Böses von ihm erwartete.
Die Beamten von der Spurensicherung waren schon fertig mit ihrer Arbeit, als wir zu ihnen stießen. «Ihr dürft gleich loslegen», hörte ich einen von ihnen sagen. Ich sah nur zu und schrieb mit, was der Kollege mir diktierte. Genau beobachtete ich, wie er die Leichenflecken untersuchte, die Leichenstarre prüfte und die Rektaltemperatur bestimmte. Als er mit kleinen Elektroden einen Stromstoß in die Augenmuskeln der Leiche abgab, kniff der Tote das linke Auge zu. Wenige Stunden tot, dachte ich. Zuletzt träufelte der Kollege noch Tropfen in die Augen des Leichnams. «Pupillenweite beidseits vier Millimeter», diktierte er. «Rechts Einträufeln eines erweiternden, links eines verengenden Medikaments.» Bei der Obduktion würden wir die Weite der Pupillen noch einmal messen, um festzustellen, ob sie auf die Medikamente reagiert hatten.
Der Einsatzleiter der Polizei rief den diensthabenden Staatsanwalt an, um noch für die Nacht einen Auftrag zur Obduktion zu erhalten. Der Täter war flüchtig. Man durfte keine Zeit verlieren. Wenn die Obduktion erst am nächsten Tag stattfinden würde, könnte er schon über alle Berge sein. Ich rief im Institut an, um einen Sektionsgehilfen zu organisieren. Anschließend wurde ein Bestattungsunternehmer verständigt, um die Leiche in die Rechtsmedizin zu bringen.
Nach der Untersuchung sahen wir uns mit der Polizei gemeinsam nach einem Tatwerkzeug in der Wohnung um. Die Polizeibeamten inspizierten auch mögliche Verstecke, so zum Beispiel den Mülleimer. Wir fanden nichts, was als Tötungswaffe in Frage kam.
Schließlich konnten wir aus den unbequemen Schutzanzügen herausschlüpfen und das Haus verlassen. Davor hatte sich eine kleine Traube Schaulustiger gebildet, die uns neugierig hinterherblickte, als wir zum Auto gingen. Wie froh, ja erleichtert war ich, als wir wieder im warmen Wagen saßen!
Noch in derselben Nacht führten wir die Obduktion durch. Die Todesursache war tatsächlich eine schwere Kopfverletzung, die durch einen einzigen Schlag entstanden war. Nach genauer Untersuchung des Schädelbruchs gelangten wir zu dem Schluss, dass die Tatwaffe wahrscheinlich ein Hammer gewesen war. Abwehrverletzungen oder andere Zeichen eines Kampfes fanden wir nicht. Es passte also alles zu dem, was die Polizeibeamten bereits in der Wohnung vermutet hatten. Ob der Täter gefasst wurde, weiß ich nicht. Zu Gericht ist keiner von uns in dem Fall geladen worden.
Äußerst wichtig ist, dass die an der Spurensicherung Beteiligten, wie gesagt, nicht selbst Spuren legen, weil man diese später für Spuren eines Täters halten könnte. Im Zeitalter der DNA-Untersuchung, bei der kleinste Mengen von...